Assistenzgedanken von einer die gegen den Streik ist

Die Freizeitpädagog:innen wollen streiken. Das ist gut. Denn die Pläne der Grünen Bildungssprecherin Sibylle Hamann, bisher hauptsächlich als Tochter der brillanten Historikerin Brigitte Hamann in Erscheinung getreten, sind wirklich nicht das Gelbe vom Ei.

Eine Matura soll zur Voraussetzung der Berufsausübung werden. Das mit der Verschulung hat ja schon im Pflegebereich super geklappt. Wo man mittlerweile eine akademisierte Ausbildung absolvieren muss, bei der man von Lehrer:innen unterrichtet wird, die selber teilweise 0 Praxis-Erfahrung haben. (Erzähl ich euch auf Nachfrage gern genauer aus persönlicher Erfahrung.) Gleichzeitig soll der bisherige Lehrgang, der auf die Praxis vorbereiten soll, zeitlich halbiert werden.

Auch der Kollektivvertrag soll geändert werden. Nämlich vom Sozialkollektivvertrag hin ins Gehaltsschema des öffentlichen Dienstes mit Gehaltseinbußen von bis zu 19 Prozent.

Die Grüne Bildungssprecherin reagiert auf Nachfrage verärgert. Weil, es geht ja nur um Entwürfe und nachdenken wird man ja wohl noch dürfen, auch wenns zum absoluten Nachteil aller Beteiligten ist. Dass sich die im Vorhinein gleich organisieren wollen, will man von Grüner Seite nicht akzeptieren. So geht’s ja nicht. Wie soll man denn die Leute mit unangenehmen Änderungen überrumpeln, wenn die sich darauf vorbereiten und dagegen wehren? Vor allem aber weiß Sybille Hamann, dass die vorgesehenen Änderungen bisher nicht „in Stein gemeißelt sind“ und deshalb brauchen die Betroffenen nicht so angrührt sein. Es ist ja nur zu ihrem Besten. Wie man auch am neuen Berufstitel gut hören kann. Bisher Freizeitpädagoge, ab der Änderung dann Assistenzpädagoge.

Wie wir aus der Deutschen Sprache wissen ist „Assistenz-“ ein Ausdruck der aufwertend gemeint ist. Und so soll ja auch dann die neue Rolle der Assistenzpädagog:innen aussehen. Sie sollen als „Zweitlehrkraft“ im Unterricht eingesetzt werden und den Erstlehrkräften assistieren. Ein Aufstieg wie er im Buch steht. Zumal das ja weitergedacht auch bedeutet, dass sich die Grüne Bildungssprecherin nicht mehr so viele Gedanken über den Lehrermangel machen muss. Denn wenn mal jemand fehlt, dann springt halt die Assistenz ein und wir sparen es uns die teuren Erstlehrer einzustellen, die uns mittlerweile massenhaft fehlen.

So geht Politik, es geht weniger um das Bohren harter Bretter, als vielmehr um das Stopfen großer Löcher. Dass vielleicht ab und zu das ganze Brett (der Bildungspolitik) ausgetauscht gehören würde, ist eine Erkenntnis, die sichtlich gerade Menschen schwerfällt, die ihre Karriere dem bildungsbürgerlichen Professoren-Haushalt verdanken, in dem sie aufgewachsen sind.

Aber vielleicht würde Frau Hamann ja gerne selber mit gutem Beispiel vorangehen und als Assistenzbildungssprecherin, für weniger Gehalt als bisher, zusätzlich zu ihrer bisherigen Tätigkeit, dem Wiener Stadtschulrat zur Hand gehen und dabei behilflich sein, dringend benötigte und voll bezahlte neue Lehrer:innen zu finden.

Ich glaube das nicht. Und ich glaube auch nicht, dass die Grünen, was gelebte Demokratie betrifft, noch irgendwie einen Fuß auf den Boden der Tatsachen bekommen. Streiken ist ein verfassungsmäßiges Recht, das über Artikel 11 EMRK und Artikel 8 des UN-Sozialpaktes, dem Österreich beigetreten ist, garantiert ist. Zu diesem Recht gehört auch Kampfmaßnahmen setzen zu dürfen.

Da Frau Hamann in ihrer Bewertung den Streik als „unverantwortlich“ bezeichnet, versucht sie eine moralistische Kategorie auf ein demokratisches Grundrecht zur Anwendung zu bringen, mit dem Ziel den Streik zu delegitimieren. Das ist die Sprache der demokratischen Herrschaft, der verklausulierte Angriff mittels moralischer Begriffe auf die rationalen Rechte der Menschen.

Außerdem löst die Wortwahl bezüglich der Verantwortung der Pädagog:innen einen besonderen Widerwillen in mir aus. Was, wenn nicht unverantwortlich, ist diese Politik, die überall nur mehr Sparpotentiale verwirklichen, Berufe abwerten und die Qualität der Schulen für die Kinder mindern will? Ich spiele also das Meme einfach an die (Assistenz-)Bildungssprecherin mit dem Nationalratsgehalt zurück. Bitte denk doch mal an die Kinder und nicht nur an neoliberale Agenden.

Streiken ist gut. Vielleicht inspiriert es ja andere auch zum Streik. Denn, wenn wir schon in einer Arbeitswelt leben müssen, dann sollten wir die viele Zeit, die wir darin verbringen müssen, so teuer wie möglich verkaufen!

Krampf der Arbeit

Am 1. Mai ist der Tag der Arbeit. Ein Kampftag, wie die Sozialdemokraten gern sagen. Ich war grad in der Stadt spazieren. Gekämpft haben sie nicht. Eher gefeiert, dass wir immer noch arbeiten dürfen. Da ich Arbeit aber nicht feiere, red ich lieber darüber, warum sie sich schon lange nicht mehr lohnt und warum die Kämpfe vielleicht doch wieder aufgenommen werden sollten. 

Kreditinstitute bieten im Durchschnitt 0,71 % Zinsen an. Die Inflation lag 2022 bei ca. 8 % und das obwohl die EZB die Leitzinsen fünfmal in Folge stark erhöht hat. Die Banken, die in der Not Staatsanleihen an die EZB verkauft haben, können jetzt dieses Überschusskapital bei den Zentralbanken zu hohen Leitzinsen abstellen und haben damit im Jahr 2022 27,4 Milliarden Euro eingestrichen. Das sind risikolose Erträge, die die Banken selbst verwenden können. Auf den Konten der Kunden kommt das Geld nicht an. Sie haben neben dem Reallohnverlust durch die Inflation auch noch einen Vermögensverlust zu beklagen.

Die Zentralbanken sind politische Interventionsmaschinen, um die marktliberale Akkumulations-Logik aufrecht zu erhalten. Sie stabilisieren damit die Bereitschaft der Banken zur erweiterten krisenhaften Akkumulation, die in einem Modus vonstattengeht, den Anne Case und Angus Deaton, der Gewinner des Wirtschaftsnobelpreises von 2015, als „Sheriff of Nottingham Redistribution“ bezeichnen: Politische Protektion wird für die Zwecke der Akkumulation genutzt, um von den Armen zu den Reichen umzuverteilen.

Die EZB richtet sich dabei nicht nach detailliert ausgearbeiteten Notfallplänen, sondern trifft pragmatische Ad-hoc-Entscheidungen (Joscha Wullweber) die zur Zeit von Christine Lagarde angeleitet werden. Sie war vor ihrer Berufung zur EZB, Vorsitzende von Baker McKenzie einer der größten und weltweit bestvernetzten Anwaltskanzleien für Wirtschaftsrecht. Das ist sicherlich eine gute Qualifikation. Aber, ob es die richtige Qualifikation ist, ist eine andere Frage.

Der Trend geht jedenfalls zur Ansammlung von Vermögen bei denen, die es ohnehin schon haben. Angeleitet wird diese Umverteilung von unten nach oben von demokratisch nicht legitimierten Institutionen und Persönlichkeiten, die starke persönliche Interessen mit den Wohlhabenden und Mächtigen verbinden. Die Arbeit spielt dabei nur mehr insofern eine Rolle, als sie sich zur Ausbeutung eignet. 

Es gibt eine Studie über Wege zum Reichtum von Melanie Böwing-Schmalenbrock, in der sie statistisch ermittelt, dass mehr als die Hälfte der reichen Haushalte ihren Reichtum durch Vermögenstransfer erlangt hat. Die Studie ist zehn Jahre alt, aber wir können davon ausgehen, dass sich diese Dynamik seither noch verstärkt hat. Also mindestens die Hälfte derer die reich sind, haben den Zaster geerbt und nicht verdient. Aber damit wir das nicht als ungerecht empfinden, werden wir mittels des Leistungsbegriffs blöd gemacht.

Soziale Ungleichheit wird als natürlich dargestellt, als Voraussetzung für das Funktionieren der Gesellschaft. Der Leistungsbegriff wird entpersonifiziert, die Ungleichheit individualisiert. Armut wirkt dabei als Drohkulisse und Disziplinierungsmittel, anstatt als Anreiz zur Umverteilung. Die profitierende Erbelite schafft dabei durch beständiges Lobbyieren und teilweise durch direkte Regierungsbeteiligung institutionelle und konstitutionelle Strukturen zur Stabilisierung bestehender Macht- und Verteilungsverhältnisse und entzieht diejenigen Maßnahmen der demokratischen Kontrolle, die zur Umverteilung beitragen könnten. (Christoph Butterwegge)

Und während sich die Reichen in Clans organisieren und ihre Interessen geschlossen und mit aller Macht vertreten, sind die Armen desorganisiert und ihre Organisationsstrukturen verödet. Das Brimborium am 1. Mai ist der sichtbarste Ausdruck dieses ritualistischen Zugangs zum sogenannten Arbeitskampf, bei dem die SPÖ-Grand_Innen sich im polierten Nadelstreif der Managerkaste zeigen und dem hilflos abgehängten Proletariat von der Bühne oder durch verspiegelten Limousinenfenstern huldvoll zuwinken. (Achtung Übertreibung.)

Währenddessen sinken hierzulande nicht nur die Reallöhne und die Sparzinsen, sondern es steigen auch die Miet- und Lebensmittelpreise. Und dabei sogar schneller als in vergleichbaren EU-Nachbarländern wie Deutschland. Bei uns sind Lebensmittel ohne plausiblen Grund um 13 % teurer als dort. Da es zwischen Deutschland und Österreich keine Zölle gibt, lässt sich vermuten, dass die Preisunterschiede anders zustande kommen. Etwa durch Absprachen zwischen Supermärkten und daraus entstehendem schwächeren Wettbewerb.

Aber auch die Mietpreise sind Ergebnis politischer Handlungen und Absprachen. Bauland wird gehortet, Wohnungen werden als Investment verwendet. Wie in allen Bereichen gilt, dass nicht nach Bedürfnis produziert, sondern zur Verwertung des Werts beigetragen wird.

Ein Ergebnis davon ist, dass immer mehr Menschen wegen der hohen Preise Konsumkredite aufnehmen. 17 % der Kreditnehmer verwenden mittlerweile Verbrauchskredite zur Umschuldung, weil sie sich den sprunghaften Anstieg der Lebenserhaltungskosten nicht mehr leisten können. Eine wirksame Anpassung der Löhne wird aber nicht einmal von den sogenannten Sozialdemokraten ernsthaft gefordert. In ihrem Grundsatzprogramm sprechen sie sich dafür aus, dass „Leistung sich lohnen muss“. Sie wollen das dadurch erreichen, dass Löhne gerecht sind und dass kein Lohndumping betrieben wird. Ihr Ziel ist „Vollbeschäftigung und faire Löhne“. Lohngerechtigkeit beinhaltet für sie die Forderung nach einem Mindestlohn.

Höhere Löhne fordern sie aber nicht prinzipiell, sondern immerhin, aber nur für Pflegekräfte. Womit wir beim nächsten Punkt wären: dem Pflegenotstand. Wir sind mittendrin.

Kaum ein Beruf ist gefragter, kaum einer notwendiger und wichtiger für die Erhaltung der allgemeinen Gesundheit. Fast eine halbe Million Menschen in Österreich brauchen Pflege, 1,2 Millionen Menschen übernehmen diese. Ständige Überstunden, Nachtdienste, große Verantwortung, geringes Gehalt, führen dazu, dass 2030 76.000 Pflegekräfte fehlen werden.

Aber wo Großbanken die Gehälter ihrer Manager damit rechtfertigen, dass diese schwer zu kriegen sind – „gute Leute sind teuer“ – und vor allem sehr viel Verantwortung tragen, gilt dieses Argument augenscheinlich bei Pflegekräften nicht. Diese kämpfen neben den Reallohnverlusten mit Erschöpfung und Überarbeitung. Zeitgleich findet, angeheizt durch die Inflation, eine starke Umverteilung des gesellschaftlichen Vermögens zugunsten von Unternehmen statt. (Isabella Weber) Aber auch die Corona-Förderungen haben dazu geführt, dass gesellschaftliches Vermögen in großem Maß in die Taschen weniger geflossen ist.

Das, unser Finanzminister Brunner vor dem Opernball im Sacher um 9.500 Euro essen war und dann seine 27.100-Euro-Loge bezogen hat, in der er 3.000 Euro für Getränke verballert hat, ist in dem Zusammenhang nur eine Petitesse. Aber eine die uns vielleicht auf ein wichtiges Charakteristikum der gesamten Problemlage hinweisen kann. Wir werden durch Strukturen beherrscht, die nicht für unsere Bedürfnisse eingerichtet sind und diese sind mit Menschen gefüllt, die in einer anderen ökonomischen Welt leben und mit uns nur teilen, dass sie ihre Ausgaben mit der Ausbeutung unserer Arbeit decken.

Arbeit, immer schon ein Ekzem auf der menschlichen Pobacke, wird immer unerträglicher. Wer für die Arbeit kämpft (Stichwort „Fairness“) anstatt gegen sie, ist jedenfalls nicht auf der Seite der Arbeitenden. Das sollten auch die lieben sozialdemokratischen Politiker_Innen bedenken, wenn sie ihre üppigen Löhne kassieren, ohne dass sich ihre Leistung für ihre Klientel in letzter Zeit gelohnt hätte.

Johnny Depp, Jack Unterweger und die ganz normalen Psychopathen im Leben von Frauen

Große und kleine Skandale in Promi-Kreisen, wie der Verleumdungsprozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard oder metoo sind nur die Spitze des Eisbergs. In Österreich ist jede dritte Frau von Gewalt betroffen.

Das hat eine Studie der Statistik Austria gezeigt, die man hier nachlesen kann. Wir – drei Frauen – Ela, L. und Nele diskutieren im Podcast über Gewalt an Frauen, ihre Formen (psychische, körperliche, sexuelle Gewalt und Stalking) und darüber, wie sich Täter als Opfer darstellen.

Unser verspätetes Valentins-Special für euch liebe LeserInnen und HörerInnen. Enjoy!

Das faule Obst, die faule Stadt und der Rassismus

Wenn sich besorgte Bürger zusammenrotten, dann ist meist etwas faul. Es kursiert zur Zeit ein Video in dem das Faulwerden der Bürger wie in der Zeitrafferaufnahme einer verrottenden Obstschale sichtbar wird.

Da stehen drei Herren auf der Straße, die vom Styling her fix in Hernals oder Währing wohnen und unterhalten sich über die Zustände in Favoriten. Angeblich ein besorgter Bürger inmitten zufällig ausgewählter Passanten. Aber überraschend schnell einigt sich diese absolute Zufallszusammenkunft auf ein gemeinsames Motto: Favoriten ist zu einer Gegend geworden, in der man sich nicht mehr frei bewegen kann. Nachts kann man nicht mehr raus. Wer will noch so leben?

Woran‘s liegt, erfährt man in einem anderen Video desselben habituell besorgten Zufallsspaziergängers. Am Brunnenmarkt haben „Syrer, Afghanen, Araber die Macht übernommen“. Das klingt gefährlich. Die Macht von Markstandlern darf ja nicht unterschätzt werden.

Ich arbeite in Favoriten. Viele meiner Kunden wohnen dort. Ich geh oft über die Favoritenstraße und sie ist laut und schrill und es ist viel los. Und es gibt Stellen an denen sich stark Betrunkene und Drogensüchtige versammeln, wo gedealt wird und Waffen zum Vorschein kommen. Ich habe in einer Seitengasse auch schon einmal das Abfeuern einer Pistole in unmittelbarer Nähe gehört. Und glaubt mir, das klingt anders als ein Böller. Ich kenne einige der Syrer, Afghanen, Araber die dort leben. Sie selber sagen manchmal, dass es heiß hergeht an manchen Ecken der Favoritenstraße. Erst gestern hat mir jemand vom Durchladen einer Handfeuerwaffe als Drohgeste auf offener Straße erzählt. Er hat auch gesagt, dass er seine Tochter jeden Tag in die Schule bringt und wieder abholt, weil er sich Sorgen um sie macht. Hätten er und die anderen vom besorgten Faulobst denunzierten Menschen wirklich die Macht übernommen, gäb‘s dort wahrscheinlich keine Drogenkriminalität. Könnten sie bestimmen, würden sie nicht mit gefährlichen Kriminellen zusammenleben.

Marktstandler zu sein ist kein Verbrechen. Drogenhandel mit Waffeneinsatz ist ein Verbrechen. Aber kein syrisches, afghanisches oder arabisches. Ja sicher, der Straßenhandel rund um die Gumpendorfer Straße Anfang der 90er Jahre wurde statistisch hauptsächlich mit Personen aus den Balkanländern und der Türkei in Verbindung gebracht. Während der Handel mit Drogen entlang der U6 bis 2000 (Operation Spring) mehr so genannten Afrikanern zugeschoben wurde. Über die dahinterstehenden Zahlen kann man vermutlich diskutieren. Aber es ist schändlich ganze Menschengruppen als Verbrecher abzustempeln, nur um sich billige Klicks und ein paar Stimmen für die Wahl abzuholen. Vor allem wenn dadurch nicht einmal ansatzweise geklärt ist, woher die Drogen denn überhaupt kommen, die dann von Menschen auf der Straße verkauft werden. Denn eines ist klar, die Vertreibung der kleinen Dealer von einem Viertel in das nächste, löst das Drogenproblem in einer globalen Welt nicht einmal ansatzweise.

Überhaupt, wie kann man im Kapitalismus an den Standeln von Händlern vorübergehen und live auf Sendung sagen es ginge dabei um Kultur? Und warum sagt man das in Bezug auf kriminelles Verhalten überhaupt, wenn man es doch selber besser wissen müsste. Wenn vor allem evident ist, dass die absolute Mehrheit der Menschen in Favoriten und am Brunnenmarkt, egal woher sie kommen, anständige Menschen sind.

Wer hat denn dafür gesorgt, dass die Drogenproblematik aus den inneren Bezirken in die äußeren verdrängt wurde?  

  • 1990-2011 Karlsplatz
  • 2002-2010 Schottenring bis Schwedenplatz
  • 2007-2008 Philadelphiabrücke
  • 2015-2016 Burggasse, Josefstädterstraße bis Thaliastraße

Weg vom Tourismus, dem lobbyierenden Groß-Handel, oder dem Naserümpfen gut vernetzter Anrainer?

Naja, es war die Polizei. Und dass es jetzt keine großen und weit sichtbaren Handelsplätze mehr gibt, bedeutet nicht, dass nicht mehr mit Drogen gehandelt wird. Fein verteilt auf weite Gebiete, Seitenstraßen und Gegenden bei denen die Stadtregierung und die Polizei habituell weniger interessiert, ob es sich gut leben lässt oder nicht.

Bleibt noch die Frage zu klären, von welchem Obst geht die Fäulnis im Besorgnis-Videokorb aus? Überraschung: vom ganzen Obst. Die angegatschte Banane in der Mitte ist der Chef und die Weintrauben links und rechts sind seine Mitarbeiter und keineswegs zufällig vorbeikommende Passanten.

Und besagter Chef, auch ein Karl, der jetzt ÖVP-Landeschef von Wien ist, war davor bis 2012 auch einer der wichtigsten Polizisten dieser Stadt. Sollt‘ er nicht besser wissen, worum es geht? Hätt er nicht gegensteuern können gegen solche Entwicklungen in Favoriten? Das passiert ja nicht über Nacht. Könnte man nicht umgekehrt fragen, warum der Polizei in Wien das Wohl der syrischen, afghanischen, arabischen Kinder nicht so viel Wert ist, wie das reibungslose Ablaufen der Souvenirgeschäfte am sanierten Karlsplatz?

Richard Sennett schreibt in seinem wunderbaren Buch über die moderne Großstadt, die als Schauplatz des Lebens durch die Inszenierung von Konsum und Tourismus trivialisiert wird: Das Leben selbst verödet in ihr. Es werden Räume geschaffen, welche die Bedrohung durch sozialen Kontakt ausschalten. „Straßenfronten aus Spiegelglas, Autobahnen, die arme Stadtviertel vom Rest der Stadt abtrennen, Siedlungen, die nur als Schlafstädte taugen“. In der Stadt, die verwalterisch auf polizeiliche Planquadrate reduziert wird, werden die gesellschaftlich missliebigen Handlungen mit exekutiver Gewalt von einem Planquadrat ins andere geschoben, ohne nach Lösungen für die Ursprünge der Misere zu suchen.

Während die als wichtig deklarierten Plätze lückenlos mit Videokameras überwacht werden, bleiben die sogenannten Brennpunkte außerhalb des Fokus. Dabei könnte man sich das Geld für ein Videoüberwachungssystem bald sparen, wenn man mehr in die Chancen von Kindern investieren würde, als in die Pfründe von Altpolitikern, die es sich sowieso richten können.

Auch die Gestaltung öffentlicher Plätze ist außerhalb der touristischen Zonen nicht darauf ausgelegt Kindern eine schöne Stadt zur Verfügung zu stellen. Stattdessen werden die Sitzmöglichkeiten im öffentlichen Raum immer unbenutzbarer gemacht, weil sie Wohnungslose davon abhalten sollen auch nur eine Minute Atem zu schöpfen.

Henri Lefèbvre hat schon in den 1970er-Jahren beobachtet, dass der Raum, in dem wir leben, produziert wird. Wir schaffen uns unsere eigene Obstschale. Aber das faule Obst ist nicht immer dort, wo es die gatschige Banane uns einreden will.

Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern

Vorsicht: Dieser Text handelt von Florian Teichtmeister und dem Papst!

Auf Zuruf weniger rational agierender Journalisten in Österreich habe ich mir Zeit genommen diesen Text zu schreiben, da ich im Augenblick der tatsächlichen Ereignisse und ihrer Aufarbeitung in den österreichischen Medien „zu emotional“ war, um fair zu bleiben gegenüber den tatsächlichen Opfern von kriminell gewordenen Pädophilen: den kriminell gewordenen Pädophilen.

Einem der Opfer dieser kriminell gewordenen Pädophilen möchte ich nun diesen überlegt rationalen Text widmen: Florian Teichtmeister. Ihm passierte es, dass sich zwischen 2008 und 2021 eine große Menge – achtundfünfzigtausend Dateien – von Kindesmissbrauchsmaterial auf seinem Computer ansammelte, was schließlich in seiner Verhaftung kulminierte, wofür er schließlich auch medial an den Pranger gestellt wurde, obwohl seine Ex-Freundin ihn nur angezeigt hatte, um sich an ihm zu rächen – und nicht, weil er sie körperlich misshandelt hatte.

Es handelt sich beim Konsum von sogenannter „Kinderpornografie“ tatsächlich um ein Verbrechen ohne Opfer, denn die missbrauchten Kinder sind bereits ihren Missbrauchern zum Opfer gefallen, als man Bild- und Videomaterial von ihrer Pein anfertigte. Ihr Leid ist Vergangenheit, sie können also nicht noch einmal Opfer werden von denjenigen, die ihr Martyrium immer wieder zur sexuellen Gratifikation durchspielen, es unendlich wiederholen und sie dadurch auf ewig daran binden – und die schließlich die Nachfrage generieren, die durch Bereitstellung eines Angebots befriedigt werden muss.

Man wird bereits erraten, dass diese Regeln nicht für die tatsächlichen Opfer gelten, deren mehrmaliger Opferstatus nicht hinterfragt werden darf: Die Konsumenten solcher Erzeugnisse. Sie sind nicht nur Opfer der eigenen Libido, die sie dazu zwingt, Straftaten an Kindern zu begehen, sondern immer wieder auch Opfer einer medialen Hetzjagd – Journalisten sprachen gar von „Mistgabeln und Fackeln“ – und werden „wahrscheinlich ihr Leben lang“ darunter leiden, ihren guten Ruf verlieren, und – das tut dem Österreicher besonders weh – werden wahrscheinlich NIE WIEDER ARBEITEN können. Obwohl, wie bei Teichtmeister der Fall, es sich nur um ein rein „digitales Delikt“ handelt, und er „Kinder [nicht] eigenhändig missbraucht“ hat, so der Anwalt des Opfers Teichtmeister. Freilich ließ es sich Teichtmeister auch nicht entgehen bei einem parlamentarischen Staatsakt zum Thema Kindesmissbrauch die Texte missbrauchter Kindern öffentlich vorzutragen.

Wie viele Menschen in Österreich Opfer ihrer eigenen Neigungen zu digitalen Delikten werden, zeigen die Zahlen des BKA von 2021, wo die Rede von 1.900 Anzeigen ist. Der Psychotherapeut der Männerberatung in Wien, Alex Seppelt, geht zudem davon aus, dass es sich bei einem Großteil der Betroffenen nicht um Pädophile im herkömmlichen Sinne handelt, die mit dieser Neigung geboren wurden, sondern um Männer, die durch den Konsum von Pornografie eine Paraphilie entwickelt haben. Solcherlei Perversionen entstehen aus einer Pornosucht, die mit normaler Pornografie schließlich nicht mehr befriedigt werden kann. Die Attraktion ergibt sich zunächst vor allem aus der Grenzüberschreitung. Ted Bundy beschrieb seine Pornosucht als „(…) craving something harder, which gives you a greater sense of excitement until you reach a point where the pornography only goes so far.” Laut der Psychologin Anna Salter ist eine solche Fixierung in den meisten Fällen chronisch und unveränderlich.

Natürlich sollte auch hier beachtet werden Pornografie stets von ihren Konsumenten zu trennen, denn was jemand konsumiert, hat nichts mit dem Konsumenten zu tun. Hier gilt allgemein: Das Ausagieren der immergleichen Machtposition zu Ungunsten der unterworfenen Partei gilt der Bestätigung der persönlichen Freiheit und hat nichts mit dem Ausagieren gesellschaftlicher Konventionen zu tun, vielmehr wird die Überspitzung der immergleichen Klischees in der Pornografie erst durch die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse interessant und damit subversiv. Wer die Subversion aber nicht erkennen mag, ist prüde. Konsumenten prägen weder die Entwicklung der Pornografie, noch prägt die Pornografie die Entwicklung der Konsumenten.

Ein kurzer Exkurs: Ein nicht unerheblicher Teil der Online-Diskussionen zum Thema Teichtmeister widmete sich der Differenzierung von Pädophilie und Hebephilie (Zuneigung zu präpubertären vs. pubertären Minderjährigen) und der Frage, ob Mütter mit Töchtern im Teenager-Alter es problematisch finden dürfen, wenn ihre Lebensgefährten ausschließlich Pornografie der Kategorie „Teen“ konsumieren. Dazu nur so viel: Man folgt natürlich allein seiner biologischen Determination, wonach Frauen kurz nach der Geschlechtsreife zu Fortpflanzungszwecken besonders attraktiv für Männer sind, was evolutionär betrachtet kaum kontraproduktiv ist, besonders weil sehr junge Frauen – verglichen mit Frauen zwischen 20 und 25 – kaum gesundheitlichen Nachteile von einer frühen Schwangerschaft haben: weder kommt es häufiger zu Frühgeburten und Infektionen, Fehlentwicklungen bei Neugeborenen, einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Säuglingssterblichkeit, noch bringen sie vermehrt untergewichtige Kinder zur Welt. It’s Science!

Aber zurück zur Pädophilie: Der seliggesprochene Papst Johannes Paul II. soll während seiner Zeit als Bischof, sowie als Kardinal, pädophile Priester vor der Strafverfolgung geschützt haben. Dies bewerkstelligte er dadurch, dass er sie nach vollbrachter Tat einfach in andere Gemeinden versetzte, wo sich ihnen dann die Möglichkeit auftat weitere Kinder zu missbrauchen, zu denen sie davor keinen Zugang hatten. Dieses umgekehrte Running-Sushi-Prinzip wurde über mehrere Jahrzehnte praktiziert und milderte so den „Leidensdruck“ der Opfer ihrer Neigungen, die damals noch nicht den Zugang zum Internet hatten, sich dadurch aber auch nicht dem Online-Mob ausgesetzt sahen. Er schrieb ihnen zudem Empfehlungsschreiben, damit diese in neuen Gemeinden eine Anstellung finden konnten – auch in Österreich. So vermittelte er einen der Priester mit der Begründung er interessiere sich für „Entwicklungspsychologie“.

Bereits 2010 berichtete der Falter von einem burgenländischen Pfarrer, der im Interview gestanden hatte „sieben, acht“ Buben – wer zählt schon so genau – missbraucht zu haben. In Folge der Berichterstattung trat er zurück. Er war seit den 1970ern „tätig“ und auch versetzt worden. In der Gemeinde, in der er zuletzt in seelsorgender Funktion Anstellung fand, war er bekannt dafür, seine „Lämmchen“ zu maßregeln, wenn diese nicht oft genug zum Gottesdienst erschienen. Christoph Schönborn verkündete im Zuge der erzwungenen medialen Aufarbeitung voll Jammer, dass „(d)ie Kirche (…) Ja [sage] zur schmerzlichen Reinigung, die ohne Jammern auch das Unrecht von Pauschalurteilen erträgt“.

Gegen einen steirischen Pfarrer hatte die Staatsanwaltschaft Graz in mehreren Fällen ermittelt, aber dann die Ermittlungen eingestellt, weil es zu wenig Beweise gab und die Taten bereits verjährt waren. Die Staatsanwaltschaft begründete die Einstellung mit „Fingerspitzengefühl: Wenn nichts dran ist, ist der Mann ruiniert.“ Die ruinierten Buben waren dem ruinierten Mann vorzuziehen. Das geringere Übel war es ihn einfach zu versetzen, anstatt ihn zum Opfer der Justiz werden zu lassen. Später wurde er unter Zustimmung der römischen Glaubenskongregation wegen Missbrauchs verurteilt, das Urteil 2006 aber unter Kardinal Schönborn wieder aufgehoben. Ich möchte auch hier ganz rational vom Unrecht des Pauschalurteils Abstand nehmen.

Florian Teichtmeisters Prozess wurde indes bis auf weiteres wegen akuter Erkrankung des Protagonisten verschoben. Man wünscht ihm, dass auch dieser Kelch rasch an ihm vorübergehen möge, wie eine Folge „Die Toten von Salzburg“.

Der Herr Karl

Also, der Karl Nehammer hat eine Rede zur Lage und Zukunft der Nation gehalten. Österreich ist in seiner Sicht ein Autoland. Da hat er Recht. Das Schlimme an der Aussage ist, dass er das nicht ändern will. Aber Autofahren ist jetzt wirklich nicht mein Hauptproblem. Weil, was er sonst noch gesagt hat, ist zu schäbig, um es nicht wiederzugeben. Er will Ausländern die Sozialleistungen kürzen und prinzipiell das Arbeitslosengeld „reformieren“. Das bedeutet senken. Denn, der Gebetsmühlenspruch der Privilegierten ist: Leistung muss sich lohnen. Aha Leistung. Na gut. Was war denn eigentlich die Leistung vom Karl?

Eigentlich muss ich im Kreis speiben. Aber ich beherrsch mich und schau mir lieber den Korruptionsindex 2021 von Transparency International an. Dort hat Österreich seit 2020 zwei Punkte eingebüßt. Wir sind also korrupter geworden. Und mit wir mein ich diejenigen, die es sich eh bisher auch schon immer gerichtet haben und für die ja ohnehin die gesamte Politik in diesem Land gemacht wird.

Die Korruption kostete uns 2016 12,0 Mrd. Euro, 2017 12,8 Mrd., 2018 11,9 Mrd., 2019 13,5 Mrd., 2020 14,4 Mrd. und 2021 15,2 Mrd. Also eine Steigerung von 3,2 Mrd. Euro in 7 Jahren. Das muss man politisch auch mal hinkriegen. Vor allem wenn das von der Partei kommt, die ja nicht nur die gesamte Wirtschaftskompetenz für sich beansprucht, sondern auch noch ständig mit dem Kampf gegens Budgetdefizit Wahlkampf macht. Aber statt Korruption zu bekämpfen hungern sie lieber den sozialen Bereich aus. Klar in die Gefahr mal auf Notstand angewiesen zu sein kommt ja von den Wohlversorgten niemand. Und wie wir aus mehreren vergangenen Regierungen wissen lässt sich ja mit ein bissl Korruption so einiges dazu verdienen. Auch wenn manchmal die verdutzte Frage, wos eigentlich die eigene Leistung woar, kommt.

Von jemandem der so eine Korruptionsentwicklung durchgehen lässt, erwartet man sich doch, dass er sehr bescheiden auftritt. Ich nehms gleich vorweg, tut er nicht. Aber dazu später noch mehr.

Damit man sich vorstellen kann, wie das vor sich geht, schau ma mal die Corona-Hilfen an. Kein Land in Europa hat dafür so viel ausgegeben wie Österreich. Und natürlich ist dieses Geld treffsicher bei denen gelandet, die die meiste Unterstützung brauchen. Also bei den Alleinerziehenden, bei den Eltern, die während Corona monatelang ohne Unterstützung der Schulen Heimunterricht machen mussten, weil die Schulen aufgrund der ständig Sparerei überhaupt nicht auf digitalen Unterricht vorbereitet waren. Bei den Selbständigen die aus dem Homeoffice nur ausgestattet mit ihrem Laptop als Arbeitsmaterial unter großem Stress alternative Einkommensquellen für ihre vorübergehend verbotenen wirtschaftlichen Aktivitäten suchen mussten. Gell?

Nein?

Oh ok. Bei wem ist das Geld denn dann mehrheitlich gelandet?

Bei eindeutig nicht mit ÖVP-Politikern befreundeten Gastronomen und Milliardären wie Martin Ho (2,78 Mio.) oder Rene Benko (10,2 Mio.) zum Beispiel. Na gut aber wenigstens nicht bei Glücksspielkonzernen oder steuerverweigernden Kaffeehausketten. Oder?

Nein natürlich nicht. Nur bei Novomatic (2,2 Mio.), und bei Starbucks die gleich 280-mal mehr Geld abgeräumt haben als sie Steuern zahlen.

Achja, und die Schilifte, die ja wirklich vom Unglück gebeutelt waren während Corona, weil sie ständig geschlossen waren und daher massive Verluste … ähm Moment, ich google kurz … also die Planai-Hochwurzen-Bahnen konnten ihre Gewinne während des Lockdowns 2020 um 12 Prozent steigern. Hmm, na das wird eine Ausnahme gewesen sein. Jedenfalls hat der tüchtige Geschäftsmann und Hotelier Franz Hörl während der drei Corona Jahre 1,5 Mio. Euro Förderung erhalten. Der hat es wirklich gebraucht, weil … Moment, ich schau das auch noch nach … er 2020 einen Rekordgewinn gemacht hat. Verstehe. Das wär ja seltsam, wenn der irgendeine Verbindung zur Regierungspartei haben würde … einen Moment … er ist ÖVP-Abgeordneter.

Na gut. Ok, das ist jetzt nicht schön, aber die Geförderten haben sich ja dafür alle dann solidarisch verhalten und waren nicht auch noch neoliberale Ungustln nach der großzügigen Förderung aus Steuergeld. Ich mein, dass der Benko die Mitarbeiter von Kika-Leiner 7 Wochen in Kurzarbeit geschickt hat und gleichzeitig 9,2 Mio. Förderung beantragt hat, während er die Gewinne der Möbelhäuser um 4 Prozent gesteigert hat, kann man ja angesichts der Tatsache, dass er sich gleichzeitig einen Gutshof um 30 Mio. Euro kaufen musste, leicht verstehen.

Ich sag jetzt nicht, dass Korruption ein reines Österreich-Phänomen ist. Vielleicht erinnert sich jemand noch an die NGO „Fighting Impunity“ vom ehemaligen EU-Abgeordneten Panzeri? Dieser hat mit seinen Connections in Brüssel offiziell Lobbyarbeit für die Verfolgung von Kriegsverbrechen gemacht. Inoffiziell eventuell auch für einen anonymen „Staat am Persischen Golf“. Jedenfalls wurden bei Hausdurchsuchungen 1,5 Mio. Euro in bar sichergestellt. Die waren natürlich für die Verfolgung von Kriegsverbrechern dort. So viel Geld kann man ja ablegen wo man will, das arbeitet ja förmlich von selbst. Der sicherlich unbegründete Vorwurf gegen die Beteiligten lautet: Korruption, Geldwäsche, Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, die selbstverständlich nicht daran beteiligt war, hat wegen der Unbeteiligtheit ihren Vater angewiesen mit Bargeld in einem Rollkoffer zu flüchten. Wie Unschuldige es halt so machen. Die berühmte Unschulds-Rollkoffer-Bargeld-Flucht sagt ja schließlich jedem etwas. Spätestens seit der Strache-Sporttaschen-Kofferraum-Russland-Connection.

Aber Scherz beiseite. Die Leistung vom Karl ist bisher unter anderem, dass er in seinem Ressort einen Terroranschlag nicht verhindert hat. Der Täter war vorbestraft und der Staatsschutz wusste, dass er Islamisten aus Deutschland und der Schweiz in Wien traf und in der Slowakei vergeblich versucht hatte, an Munition zu gelangen. O-Ton: „Glück gehabt. Musste keiner was arbeiten. Puh. Arbeit ist ja was für die Leute denen wir das Geld abknöpfen und nicht für uns Zuständige.“

Die Untersuchungskommission zum Terroranschlag kam zum Schluss, dass bei Missstände herrschten. Bei der Risikobewertung für Gefährder im Verfassungsschutz habe es, ebenso wie bei der Datenverarbeitung und dem Informationsfluss zwischen den Behörden, Mängel gegeben.

Ich denke, dass einer von den Menschen denen der Karl jetzt auch noch die letzten Sicherheiten nehmen will, für so ein Versagen sofort gefeuert worden und beim AMS gelandet wäre. Aber was mich viel mehr beschäftigt, ist dass wir eine Politik (mit Grüner Beteiligung) haben die, angesichts der Inflation und rasender Preissteigerungen, in allen Lebensbereichen darüber nachdenkt Sozialleistungen und Arbeitslosengelder zu kürzen anstatt LÖHNE ZU ERHÖHEN!

Wie niedrig und verlogen muss man sein, dass man aus der Fanboypartei von Hayek und Mises kommt und ständig von Leistung und Angebot-Nachfrage salbadert und einen Fachkräftemangel beklagt, und dann nicht bereit ist den begehrten Fachkräften höhere Löhne zu zahlen? Was ist denn mit den Krankenschwestern und Pflegern die überall händeringend gesucht werden und ihren Gehältern? Warum steigen die nicht? Was ist da los? Laut dem Naturgesetz des Marktes dürfte das doch kein Problem sein. Die Leistung dieser Politik ist jedenfalls vergleichbar mit einer Fata Morgana. Bescheidenheit wäre mehr angebracht als die zur Schau gestellte Unmenschlichkeit. Aber darauf können wir warten bis die ÖVP wieder schwarz wird.

So, jetzt wisch ich die Speiberei zusammen und geh Mittagessen.

Die Habsburgergsichter und die EU

Der Böhlau Verlag war so freundlich mir ein Buch zur Rezension zuzusenden, das ich wirklich nur wegen seines Titels ausgewählt habe. „Das Habsburgerreich – Inspiration für Europa?“ von Caroline de Gruyter ist aber über den Titel hinaus auch beim Lesen ein Machwerk besonderer Art.

Das Buch beginnt mit dem Mann, über den das Habsburgerreich und Europa „miteinander verbunden“ sind. Otto Habsburg, dem „echten Europäer“ der am Ende „vier Staatsbürgerschaften besaß“ und acht Sprachen sprach – von denen de Gruyter ausschließlich Ungarisch und Latein erwähnenswert scheinen. Ja wer denkt nicht bei Ungarisch an die demokratischen und rechtstaatlichen Stärken der europäischen Union? Wer lässt sich nicht gern die Artikel der europäischen Menschenrechtskonvention auf Lateinisch vorlesen, wie in einer guten katholischen Messe? Bekanntermaßen ist ja nicht nur der Papst katholisch, sondern auch das Haus Habsburg und wen wundert es da noch, dass sich Otto Habsburg, dieser Europäer von Sonderformat, gerade nach 1945, also nachdem die Nazis gerade einmal mühsam niedergerungen worden sind, der Mission verschrieben hat Mittel- und Osteuropa von den Kommunisten zu befreien. Habsburger oder nicht, Otto war sichtbar gelernter Österreicher.

„Bis heute gibt es Österreicher, die Angst davor haben, dass die Russen zurückkommen.“ Natürlich, vor der Rückkehr der Nazis braucht man sich nicht mehr zu fürchten, die sitzen ja bis heute im Parlament. Dementsprechend sind auch dem Nachfolger Ottos, Albrecht Hohenberg, bis heute eher die Sozialisten unheimlich, denen er als einzige Partei „immer noch nicht traut“.

Wohl deshalb, weil sie gemeinsam mit ihrer bösartigen Republik „den österreichischen Habsburgern fast alles genommen haben.“ Ein trauriges Schicksal von dem der arme Mann da in seinem „bescheidenen weißen Haus“ zu berichten weiß. Zuerst wurde die Familie enteignet und jetzt werden die ganzen schönen Paläste, die weitgehend durch Sisi und Franz noch persönlich im Schweiße ihres Angesichts und jedenfalls nicht auf Steuerkosten durch Leibeigene erbaut worden sind, als Attraktionen genutzt. Bitter könnte man werden, aber als königliche Hoheit fügt man nur leise flüsternd hinzu: „Aber das gehört denen ja nicht.“ Hihi. Eh nicht. Aber euch auch nicht.

Da die „Geschichte von den Gewinnern geschrieben“ wird, ist den Habsburgern im Geschichtsunterricht natürlich viel Unrecht widerfahren. Dabei war der Kaiser ein guter Arbeitgeber. In einer Zeit da „Wohnraum knapp war“ und sich kaum jemand eine Wohnung leisten konnte, stellte der Kaiser bereitwillig Wohnraum zur Verfügung. Er war zwar ein „altmodischer Patriarch“, der sich auf „die blinde Ergebenheit“ seiner Untergebenen verließ. Beinahe so, als wäre er nicht nur ein liebevoller Arbeit- und Wohnraumgeber, sondern ein absolutistischer Monarch gewesen. Aber er sorgte auch für „finanzielle und soziale Sicherheit“. Einen Kollektivvertrag gab es dafür natürlich nicht. Also eine Sicherheit bis auf Widerruf. Dementsprechend ist für den Diplomaten Eduard Habsburg auch der größte Unterschied zwischen EU und Habsburgerreich, „(d)ass die EU keinen Kaiser hat.“ Also niemanden der auch nur für das Nötigste sorgt, was blind ergebene Untergebenen eigentlich zustehen würde.

Scherz beiseite, natürlich haben Habsburgerreich und EU auch etwas gemeinsam. Einen „Binnenmarkt, eine Zollunion und eine einheitliche Währung“. Aber de Gruyter kennt ihr Publikum und ändert, unmittelbar nachdem es zum ersten Mal interessant hätte werden können, das Thema.

In diesem Fall offenbart sich eine weitere Eigenheit des Umkreises, in dem sich die Autorin auf der Suche nach dem Zauber des Habsburgerreiches bewegt. Der nächste Gesprächspartner begrüßt sie mit „einem eleganten mitteleuropäischen Handkuss, der hierzulande durchaus noch sehr verbreitet ist.“ Echt? Dort wo ich essen geh, bin ich meistens froh, wenn die Kellner den Suppenteller nicht mit dem Daumen in der Suppe am Tablett halten.

Neben diesem nostalgisch romantisierenden Blick auf Österreich und seine wenig glorreiche Vergangenheit stehen auch einige sehr treffende Beobachtungen. Dass Maria Theresia durch ihre Reformen einen „Sozialstaat avant la lettre“ einführen wollte. Dass sie dafür, wie auch ihre Nachfolger „eine seltsame Mischung aus Autoritarismus und Wohlwollen“ einsetzte und dass Österreich seitdem und immerdar durch Beamte zusammengehalten wurde.

Beim Gespräch mit dem Habsburg-Experten Richard Bassett kommt die These von den Gemeinsamkeiten von EU und Habsburgerreich zum ersten Mal richtig ins Straucheln. Vielleicht weil Bassett Historiker ist und weiß, wovon er spricht. „Sie schreiben das falsche Buch.“ „Aha.“

Peinliche Stille. Daraufhin eine genaue Beschreibung, wie sie bei den bisherigen Gesprächspartnern ausgelassen wurde. Bassett küsst nicht die Hand, hat kein gewinnendes Lächeln, oder eine sympathische Ausstrahlung, die ihn trotz absurder Aussagen noch sympathisch wirken lässt. Bassett ist Mitglied im „Männerclub“ und während er spricht, laufen ihm „regelmäßig kleine Schweißtröpfchen“ übers Gesicht.

Was nicht heißt, dass Bassett nur durch brillante Aussagen glänzt. „Unser Krieg ist der Brexit.“ Ok. Aber am Ende des Gesprächs gibt es wenigstens ein kleines Indiz dazu in welchen Kreisen sich die handküssenden Welteuropäer bewegen. „Wir verlangen die Rechnung. Wir haben vier große Flaschen Sprudelwasser getrunken. Aber der Kellner will kein Geld annehmen. Er entschuldigt sich für die Hitze …“. Ja, also, nicht in Wien.

Darauf folgen wieder einige interessante Einsichten und sogar ein witziges Gespräch mit einem selbstreflektierten Späthabsburger. Und als Krönung (vastehst?) die launige Beschreibung des Empfangsbereichs der EU-Kommission: ein „Ikea-Tisch auf einem abgetretenen Teppich und eine Haufen Stromkabeln“ über die man stolpern konnte. Das Einrichtungs-Äquivalent einer Macht „die nicht an sich selbst glaubt.“ EU und Habsburgerreich beide auf ihre Art Soft-Powers, „die nicht wirklich aggressiv und kriegslustig“ sein durften und dürfen. Der Unterschied vielleicht, dass das Habsburgerreich „liebenswerter“ erscheint. Zumindest in der Rückschau.

Es gibt einige gute Gedanken in diesem Buch. Sie verschwinden allerdings hinter dem Wulst an Habsburgernostalgie und Österreichvernarrtheit, der aus der Entwicklung der Ideen der Autorin an vielen Stellen ein „Fortfretten und Fortwurschteln“ werden lässt. Zumal ja die Idee nicht neu ist.

Novalis Vortrag „Europa“ stammt aus dem Jahr 1799. Darin bezieht er sich positiv auf das so genannte Mittelalter, Heiligenverehrung, priesterliche Gelehrte. Auf die Herrschaft christlicher Könige im Rahmen eines goldenen Zeitalters, das noch nicht durch Rationalismus und Materialismus befleckt war. Er setzt die Liebe zur Kirche als Wahrung der Einheit der europäischen Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Novalis will eine europäische Friedensgemeinschaft, die eine Vorstufe zur Weltgemeinschaft sein könnte. Für ihn ist sie verbunden mit dem Christentum, das als poetische Weltreligion die Idee des Friedens in die ganze Welt verbreiten soll. Was dann ja auch geschehen ist. Nur halt nicht mit Liebe und nicht zum Zweck des Friedens.

Aber vielleicht sagt das Buch ja weniger über die Qualität der Monarchie aus, als über die Mängel der EU?

Demokratie findet heutzutage im Spannungsfeld von sich radikalisierenden demokratischen und nichtdemokratischen Normen statt. Demokratische Verhältnisse müssen mehr und mehr diskursiv inszeniert werden. Die EU ist noch weiter, sie simuliert Politik nicht einmal mehr. Die demokratische Existenz wird hier nicht durch eine im breiten Rahmen partizipierende Masse, sondern einer Elite bestimmt. Ergebnis davon ist, dass weite Teile der Bevölkerung von den demokratischen Institutionen nicht, oder bestenfalls zufällig, vertreten werden.

Vielleicht meint die Autorin ja, dass wir es bei der EU mit einem Elitenprojekt zu tun haben, das im Gegensatz zum Haus Habsburg den Makel hat, gesichtslos und unsympathisch zu sein? Dann stellt sich nur die Frage wie gut die Habsburgergsichter heutzutage noch aussehen? Davon kann sich jeder selbst ein Bild machen.

Herr Kocher denkt um

Wenn etwas umgeht, dann ist es meistens ein Gespenst. Beim aktuellen Arbeitsminister geht das Denken um, wie ein Gespenst. Es ist gruselig, was er denkt, und das liegt an ihm.

Es gibt Berufe, die sind so erfreulich und so wenig anstrengend, dass man sie bequem bis ins hohe Alter machen kann. Interessanterweise sind es nicht unbedingt die qualifiziertesten Berufe. Oft sind es solche, die damit verbunden sind, dass man mit einem bestimmten sozialen und ökonomischen Kapital ausgestattet ist.

Um es konkret zu machen. Es gibt viele handwerkliche oder technische Berufe, die ein hohes Qualifikationsniveau erfordern. Es braucht aber auch eine anspruchsvolle Ausbildung und ein hohes Maß an persönlicher Kompetenz um Kinderpädagoge, Sozialarbeiter oder Lehrer für Jugendliche zu sein.

Als Ziviltechniker trägt man Verantwortung für die Gebäude, die man errichtet und ist für Jahrzehnte haftbar, wenn sie aufgrund statischer Mängel defekt werden oder gar zusammenbrechen. Als Pädagoge, Pfleger oder Sozialarbeiter trägt man Verantwortung für viele Menschen. Man trifft jeden Tag lebenswichtige Entscheidungen.

Diese Berufe sind aber bei weitem nicht so gut bezahlt und so angesehen, wie solche die mit der Grundausstattung des sozialen und ökonomischen Kapitals verbunden sind. Dazu gehören vor allem Berufe, die gewohnheitsmäßig von einer Elite geteilt werden. Es geht um Universitätsprofessoren, hohe Beamte, höheres Management und Politik. Sie alle haben gemeinsam, dass sie familiär vererbt werden können. Zwar nicht die identische Anstellung und Beschäftigung, aber der Status und die damit verbundenen privilegierten Zugänge zu weiterer Anstellung. Die Kinder von Professoren werden oft selbst welche. Aber auch Bankchefs vererben ihre Stellen indirekt. Der in Österreich weltberühmte Bankmanager Andreas Treichl ist der Sohn des Bankiers Heinrich Treichl.

Alle diese Berufe haben folgende Charakteristika gemeinsam: Es geht nicht um körperlich oder psychisch anstrengende, sich ständig wiederholende Tätigkeiten. Es sind keine Tätigkeiten, bei denen es zu starken Abnutzungserscheinungen kommen kann. Es sind keine Tätigkeiten, die perspektivlos, ermüdend, erschöpfend sind. Es sind Tätigkeiten, in denen es Abwechslung gibt. In denen unangenehme Bereiche an Untergebene delegiert werden können. Es sind Tätigkeiten mit hohen Gehältern, hohem Prestige und viel Selbstbestimmung. Es sind Jobs bei denen ein nettes Gespräch bei gutem Essen in einer sehenswerten Location als Arbeitszeit geschrieben werden kann.

Herr Kocher ist aus einer klassischen akademischen Karriere direkt in die Politik gewechselt. Er hat sich sein Leben lang akademisch mit dem Leben der Menschen auseinandergesetzt. Er hat Drittmittel eingeworben und Anträge verfasst. Er hat sich intellektuell mit der Welt auseinandergesetzt. Was er sehr wahrscheinlich nicht getan hat, ist eine eintönige unerfreuliche Arbeit abzuleisten, um sich mit einem Mindestlohn gerade mal das Nötigste leisten zu können.

Aber er hat Expertise und daher denkt er Gedanken, die akademisch im schlechtesten Sinn, nämlich artifiziell sind, wie Frankensteins Monster, und Menschen mit realer Arbeitserfahrung kommt das Gruseln. Der Gedanke etwa, dass Teilzeitbeschäftigte noch weniger Sozialleistungen erhalten sollen, ist ein Schlag ins Gesicht aller Frauen – 80% von ihnen sind aufgrund der unhinterfragten patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen Teilzeitbeschäftigte –, Alleinerziehenden, aller chronisch Kranken, aller pflegenden Menschen, aller Menschen die mehr vom Leben wollen als nur einen Job. Die Frauenarmut scheint in seiner wirtschaftswissenschaftlichen Karriere bisher keine Rolle gespielt zu haben.

Kocher warnt vor „langfristigen Folgen“ der Teilzeitarbeit. Die langfristigen Folgen von körperlich und psychisch stark belastenden Vollzeitarbeiten scheint er nicht sehen zu können. Weiß Herr Kocher wovon er da redet? Was wird auf den Wirtschaftsuniversitäten geforscht? Es klingt fast so als wäre die akademische Ökonomie weitgehend auf den Hund gekommen, als würde irgendein ideologischer Mist erforscht um die antisozialen Aussagen reaktionärer Politiker zu bestätigen. Oder spricht hier jemand im Namen der Parteiräson wider besseres Wissen?

Kocher, der ja vor einiger Zeit schon das Arbeitslosengeld als zu hoch kritisiert hat, findet jedenfalls der Druck auf die durch schlechte gesellschaftliche Bedingungen, niedrige Einkommen und patriarchalische Ignoranzstrukturen ohnehin Deklassierten reicht noch nicht aus. Er will offenbar auch den Druck durch die Arbeitsbedingungen selber noch weiter erhöhen, indem er langfristig weniger dafür bezahlen will. Oder worauf soll die Aussage hinauslaufen, dass bei den Sozialpartnern ein Umdenken stattfinden wird müssen, „weil ältere Arbeitnehmer am Ende ihrer Erwerbstätigkeit kollektivvertraglich oft mehr verdienen und damit teurer sind“?

Sein rein theoretischer Zugang zu echter Arbeit zeigt sich vor allem in einer Aussage wie dieser: „Aus wirtschaftlicher Betrachtung zahlt es sich jedenfalls aus, länger zu arbeiten.“ Ja schon, aber aus gesundheitlichen Gründen geht sich in vielen Berufen Arbeit ab einem gewissen Alter nicht mehr aus. Es ist eine der Grausamkeiten der Geschichte, dass in dieser Misere diejenigen für die allgemein bindenden Entscheidungen zuständig sind, die aufgrund ihrer Position gar nicht verstehen wollen, worum es eigentlich geht. Arbeit adelt eben nur, wenn man schon adelig ist.

Kocher hat mittlerweile zurückgerudert, aber er landet wieder in einer Denksackgasse. Sozialleistungen kürzen als Druckmittel um mehr Menschen in die Vollzeitarbeit zu zwingen ist immer noch seiner Weisheit letzter Schluss. Aber er will als der paternalistische Vordenker gesehen werden der er wirklich ist und ergänzt so unbeholfen wie es einem Mann seines Kalibers eben möglich ist: „Mütter und Frauen sind tabu“.

Iran-Proteste: Ein Gespräch über ein Regime im Untergang

Wir präsentieren unseren Podcast mit der Iranerin Banoo. Wir reden über die Proteste, Feminismus und ihr erfahrt wie das iranische Regime selbst im Ausland lebenden Frauen das Leben schwer macht.

Chomeinis Haus brennt. Wortwörtlich. Nicht nur das Haus des verstorbenen Gründers der Islamischen Republik, Ajatollah Ruhollah Chomeini, steht in Flammen, das ganze Land scheint zu brennen. Das iranische Mullah-Regime bekommt, trotz unfassbarer Gewalt und hunderten toten Demonstrierenden, die Protestwelle nicht in den Griff.

Ein Gespräch über ein Regime im Untergang

Warum der Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini bei der Verhaftung durch die Sittenpolizei das ganze Land so erfassen konnte und warum die Proteste im Iran 2022 anders sind als die „Grüne Bewegung“ 2009, darüber sprechen wir mit der in Österreich lebenden Iranerin Banoo. Was Iranerinnen das Leben auch im Ausland schwer macht und warum die Proteste im Iran, Frauen weltweit betreffen, erfahrt ihr auch hier.

Wo ist eigentlich „unterm Schirm“? – Ein Gespräch gegen Ladybrains und Schminkischminki


Dieser Text ist der Anfang eines langen und ausführlichen Gesprächs, das in seinem vollen Umfang in unserem nächsten Buch (im Print und als E-Book) beim Luftschacht Verlag erscheinen wird. Hier ein kurzer Teaser:


Gespräche gegen die Wirklichkeit

Von Sokrates haben wir gelernt, dass Selbsterkenntnis kein einsamer Akt ist, sondern nur im Gespräch mit anderen stattfinden kann. Sokrates war oft in Einigkeit mit der Wirklichkeit und hat an der Seite seiner Mitbürger so manche Schlacht für die Aufrechterhaltung seiner Polis gefochten. Einer Polis, die Sklaven und Leibeigene als Basis ihrer Ökonomie ausgebeutet, und die Frauenrechte mit Füßen getreten hat.

Im Gespräch lässt sich gleichzeitig Recht und Unrecht haben. Auch abwechselnd. Wir wollen beweisen, dass es längst überfällig ist, die Welt zu verändern. Wir wissen eigentlich, wie Freiheit geht. Aber mit Sokrates werden wir sie nicht erreichen. Die Welt ist falsch eingerichtet, dass sie aber gar so falsch eingerichtet ist, wäre noch dazu nicht einmal nötig. Sprechen wir darüber.


Stefan: Ich mach jetzt etwas, was wir sonst nicht tun und was eigentlich eh klar sein sollte. Aber ich stell jetzt erst mal was klar. Wir freuen uns natürlich auch bei diesem Text wieder auf sehr viele Zuschriften von wütenden Männern. Aber da wir möglichst wenige Zuschriften von wütenden Frauen haben wollen, soll trotzdem gesagt sein, dass dieser Text sich nicht gegen transsexuelle Menschen richtet. Es soll auf die Nöte von Frauen hingewiesen werden, die sich aus den vielen gesellschaftlichen und politischen Unklarheiten ergeben, die das Thema der Transsexualität begleiten.

Wir sind dafür, dass jeder Mensch seine sexuelle Identität auch in der Öffentlichkeit so ausleben kann, wie er/sie das gerne möchte. Wir fühlen uns solidarisch mit Menschen, die ihre sexuelle Identität offen leben oder wandeln wollen. Wir werten nicht die sexuellen Vorlieben oder Identitäten, die Menschen präferieren. Wir sprechen hier über ganz andere Dinge. Wir sprechen über Gewalt von Männern gegen Frauen. Über das Eindringen von Männern in absolut notwendige Schutzbereiche für Frauen und über Gewalt gegen Kinder. Wer Transrechte gegen die Rechte von Frauen und Kindern anwendet, ist selbst ein Täter und hat daher weder politische Toleranz und schon gar nicht den Schutz vor Polemik verdient.

Ich illustrier das mal mit einem Beispiel: Stell dir vor, du bist eine Frau, die sich ihr Leben lang für den Feminismus eingesetzt hat, mit allem was sie hat. 70 Jahre purer Feminismus in Wort und Schrift. Und dann kommt ein Mann, der, nachdem er sein Leben lang alle Vorteile eines heterosexuellen Mannes genossen hat, mit Ende seiner Karriere beschlossen hat, er ist jetzt auch eine Frau und lässt sich mit Lippenstift abbilden und kommt natürlich sofort aufs Cover der postfeministischen Nobelpreisjuryzeitschrift als „Frau des Jahres“. Und der Mann lässt dir dann über die Medien ausrichten, dass du eine alte weiße Frau bist und ab jetzt die Schnauze halten sollst.

Das ist übrigens wirklich passiert. Georgine Kellermann hat verdiente Feministinnen sehr undifferenziert als TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminist) bezeichnet und in den Kommentaren persönlich beschimpft. Da hat also ein Mann den Karriereschutzraum für Männer genutzt, um sein Leben lang eine schnelle Schiene nach oben zu haben und hat sich dann, als das alles vorbei war, entschieden, er ist jetzt auch eine Frau und will sozusagen sein Ruhestandsprivileg auch noch einfahren. Das ist prinzipiell nicht verwerflich. Was mich ankotzt daran ist, dass er es auf Kosten von Frauen tut, wenn er seine Selbstdefinition dann dazu nutzt feministische Frauen öffentlich anzupatzen. Und das ist genau, worum es hier geht. Nicht dass er eine Frau sein will, sondern, dass er seinen Status dazu benutzt Frauen runterzuziehen. Wie das ein klassischer Cis-Mann ebenso gemacht hätte.

Ela: Historisch betrachtet wurden Frauen immer durch Männer definiert. Wundert man sich da tatsächlich, dass sich Feministinnen (die sogenannte TERF-Fraktion) nun nicht schon wieder von Männern erklären lassen will, was jetzt eigentlich eine Frau ist? TERF ist man ja eigentlich schon, wenn man weiterhin als Feministin davon überzeugt ist, dass Gender ein – nicht nur für Frauen – schädliches Konstrukt von Stereotypen ist, das sie in der Entwicklung einschränkt; mit dessen Hilfe ihre Unterwerfung als natürlich legitimiert wurde und wird.

Stella: Kellermann sagte ja auch, er sei eine Frau, weil er zum Kaffee einen Eierlikör trinkt, hihi. Er mag denken, er hätte es scherzhaft gemeint, aber es lässt auf sein Frauenbild schließen, das im Grunde eine sexistische Karikatur ist. Ein Blick auf sein Twitterprofil bestätigt das: keine 63-jährige Journalistin, und schon gar keine, die es auf einen vergleichbar hohen Posten wie den des WDR-Studioleiters gebracht hat, würde in einer Tour Herzchen- oder Flamencotänzerinnenemojis und kesse Selfievideomontagen posten.

In einem Artikel für die ZEIT schreibt er: „Ich bin eine Frau, weil ich es schon immer war. Ich kann das auch nicht anders erklären. […] Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau. Das ist keine Frage äußerlicher Geschlechtsmerkmale. Da bin ich mir ganz sicher.“ Was bleibt also übrig von der Kategorie „Frau“, wenn man die Definition nicht anhand „äußerlicher Geschlechtsmerkmale“ festmacht? Klischees: die Vorstellung von einem Ladybrain, das auf Schminkischminki, Eierlikör und Stöckelschuhe steht – das sind die „inneren Geschlechtsmerkmale“, auf die er hinauswill. In Publikationen wie der ZEIT kann man das allerdings nur mehr implizieren, deswegen bleibt er beim beliebten Zirkelschluss „Frau ist, wer sich als Frau fühlt“. Umgekehrt heißt das dann, dass Frauen und Mädchen, die sich nicht mit stereotyper Femininität identifizieren wollen oder können, keine „echten“ Frauen sind (daher kommt meiner Meinung nach auch der plötzliche Anstieg an jungen Frauen, die sich als nicht-binär oder trans bezeichnen). Diese Denkweise steht Feminismus und Frauensolidarität diametral entgegen. Deswegen finde ich es mehr als bedenklich, dass besagter ZEIT-Artikel laut Kellermann in ein Schulbuch für Philosophie aufgenommen werden soll.

Stefan: Ich versuche gerade angestrengt nachzudenken, was Philosophie in dem Zusammenhang bedeuten könnte? Um welche Disziplin geht es da? Wenn ich Schulbuch höre, dann denk ich an Ethik. Aber Kellermann denkt doch sicher auch an die Anthropologie. Dort steht ja, neben der Abstammung und dem Wesen des Menschen, auch seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung unter Beobachtung. Der Mensch sollte als Subjekt untersucht werden. Und in der Hand der einschlägigen Philosophen ist dieses Subjekt gleich zu etwas Unangenehmem geworden.

Bei Althusser findet sich in seinen „Notizen zur Ideologie“ der Gedanke, dass die Ideologie die Individuen als Subjekte „anruft“. Er meint wir nehmen uns selbst als Subjekte nur wahr, weil wir „in den praktischen Ritualen des allereinfachsten Alltagslebens funktionieren“. Also beim Händedruck, bei der Nennung unseres Namens usw. Ein faszinierender Satz, wenn man ihn ernst nimmt. Es klingt als könnten sich alle durch Sprache definieren. Aber zugleich ist diese Anrufung auch ein Ritual. Diese Formulierung: „Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau.“, ist ja eine Anrufung. Also im Grunde ein magischer Satz, der eine Wirklichkeit erzeugen oder bestätigen soll, die eben nicht wirklich ist. Und darin kommt das ganze Tragische dieser Situation zum Ausdruck. Weil hier nicht unterschieden wird zwischen dem Anspruch alles durch Sprache erzeugen zu können, und der Möglichkeit Wirklichkeit durch Sprache zu erschaffen. Nicht die Wirklichkeit soll verändert werden, sondern die Sprache darüber.

Stella: Der mantraartig wiederholte Satz „Trans women are women“ funktioniert genauso. Es ist ein Glaubenssatz. Einerseits sollen damit Tatsachen geschaffen werden, die nicht diskutiert werden dürfen, andererseits sehe ich hier auch eine Art „Credo quia absurdum“, etwas, das man als Transaktivist, als guter Ally, als guter Mensch schlechthin glauben muss, auch wenn es offensichtlich der Realität, der eigenen Wahrnehmung widerspricht. Gewissermaßen eine Ermahnung, an sich selbst und die anderen in der Gemeinschaft der Guten: Don’t believe your lying eyes. Seht her, ich bin so tolerant, so un-transphob, so sophisticated, so gut, ich glaube etwas, das für den gemeinen Pöbel, der das alles nicht ist, augenscheinlich falsch ist.

Das Perfide an dem Satz ist außerdem, dass er für Menschen, die nett und höflich sein wollen, und sich nicht näher mit der Thematik auseinandergesetzt haben, als Falle fungiert. Wenn man glaubt, es geht hier nur um eine winzige, diskriminierte, harmlose Minderheit, die mit Geschlechtsdysphorie zu kämpfen hat und deshalb einfach ~Anerkennung~ und eine medizinische Behandlung haben möchte, fällt es leicht, diesen Satz als nicht wörtlich gemeinte Höflichkeitsfloskel zu wiederholen. Wer möchte schon jemanden, der darunter leidet, als „das falsche Geschlecht“ geboren worden zu sein, deswegen möglicherweise schon schwere Operationen und viele mühsame Amtswege hinter sich gebracht hat, mit (vermeintlicher) Pedanterie à la „Du bist aber keine richtige Frau!“ verletzen oder vor den Kopf stoßen? Niemand, es sei denn, man legt es darauf an, als unsensibles Arschloch aufzutreten. Sobald einem dann auffällt, dass Transrechtsaktivisten diese Floskel zu 100% wortwörtlich verstanden sehen wollen, in allen Lebensbereichen, also auch bei aus guten Gründen geschlechtergetrennten Schutzräumen wie Umkleiden und Frauenhäusern oder im Sport, und dass mit „trans Frauen“ auch solche gemeint sind, die sich keinerlei medizinischer oder kosmetischer Transition unterzogen haben (da Geschlechtsdysphorie für das Label „trans“ nicht mehr als Grundvoraussetzung gilt), sie sich von „cis“ Männern also nur durch eine subjektive Selbstidentifikation als Frau unterscheiden, ist es zu spät, um zurück zu rudern. Man hat zudem etwa an dem Backlash gegen J.K. Rowling gesehen, was einem bei Widerspruch droht, und möchte sich dem nicht aussetzen.

Ela: Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie hat vor Jahren schon einmal mit der ihr wenig kontrovers erscheinenden Aussage einen Shitstorm ausgelöst, für sie seien Transfrauen Transfrauen und man solle nicht so tun als erlebten Frauen dieselben Probleme wie Transfrauen, da diese oftmals eine Sozialisierung als Mann erfahren hätten.

Den Begriff Transsexualität hat man ja inzwischen durch den Unsinnsbegriff Transgender ersetzt, unter dem sich inzwischen so ziemlich alle versammeln können, denen danach ist. Gender-Bender, Crossdresser, Transvestiten, Transsexuelle und auch Autogynephile. Und als Feigenblatt streut man eine Prise Intersex drüber und hofft, dass niemand bemerkt, dass man die genitale Verstümmelung von 0,001 % der Weltbevölkerung („assigned at birth“) dazu nutzt, allen anderen unter diesem Schirmbegriff zusammengewürfelten Gruppen, ob verdient oder nicht, zu mehr Legitimität zu verhelfen, selbst wenn dies auf Kosten von Frauen geschieht.

Stella: Es gibt zum „Transgender Umbrella“ auch dutzende schöne Grafiken, die illustrieren, dass quasi jeder trans ist, der als Frau keine personifizierte Barbiepuppe oder als Mann keine GI-Joe Actionfigur ist. Der Wunsch, möglichst inklusiv sein zu wollen, führt zu einer Begriffsaufweichung, niemand weiß mehr genau, wovon bei „trans(gender)“ oder „gender“ generell überhaupt die Rede ist, Debatten werden durch die schwammigen Begriffe verunmöglicht und sie heißen je nach argumentativem Bedarf etwas anderes. Gleichzeitig schaffen sich Transrechtsaktivisten so einen viel größeren Zuständigkeitsbereich, indem sie die Identifikation mit dem Begriff erleichtern – denn wer will schon so eine fade, konformistische „cis“ Person sein – , inkludieren Menschen, die nicht inkludiert werden wollen, erklären retrospektiv historische Persönlichkeiten (hauptsächlich gegen gesellschaftliche Restriktionen rebellierende Frauen, wie etwa Jeanne d’Arc oder Frauen, die sich als Mann ausgeben mussten, um arbeiten oder selbstbestimmt leben zu können) zu Transmenschen, und können so sagen, Transmenschen habe es immer schon gegeben.

Ela: Lustigerweise hab ich kürzlich erst auf Facebook das Posting eines Bildes von Salvador Dalí gesehen, in dem er sich selbst als Mädchen gemalt hat, da er sich im Alter von sechs Jahren für ein Mädchen hielt, was einen Kommentierenden dazu inspiriert hat, sich zu fragen ob Salvador Dalí transgender war.

Stefan: Dalí ist faszinierend. Ein Verwandlungskünstler, der Uneindeutigkeiten geliebt hat. So sehr, dass er sie zum zentralen Erkenntnismittel erhoben hat. Mit seiner paranoisch-kritischen Methode fordert er Wahnbilder als Wirklichkeitsbilder zu betrachten. Im Text „Der Eselskadaver“ schreibt er, dass der Paranoiker über „unfaßbaren Scharfsinn“ verfügt und mit seiner Methode „zum Ruin der Wirklichkeit“ beitragen kann, um begleitet von surrealistischer Aktivität „zu den klaren Quellen der Onanie, des Exhibitionismus, des Verbrechens und der Liebe“ zurückzuführen. Ein Wahn-Projekt, in dem diese letzte Aufzählung im Zusammenhang mit der Möglichkeit von sexueller Gewalt einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt. Von Sigmund Freud war er bei ihrem Treffen in London jedenfalls enttäuscht. Vielleicht war er ihm nicht paranoisch genug.

Michel „IchbinkeinStrukturalist“ Foucault hat ja auch in seinem Urteil über Freud geschwankt. Freud ist für ihn, je nach Schaffensphase, der Schöpfer einer kritischen Gegenwissenschaft (Wahnsinn und Gesellschaft) oder im Spätwerk Diktator einer Disziplinarwissenschaft. Aber Foucault teilt mit Dalí die Liebe für das Uneindeutige, bis hinein in seine Methode. Und einige seiner gesellschaftstheoretischen Denkmodelle sind eindeutig paranoisch, wie z.B. der Panoptismus.

Foucault hat von dem Strukturalisten Claude Lévi-Strauss so viel gelernt, dass er eine ganze in sich widersprüchliche Methodenlehre entwickelt hat, in der sich die Systematik der Analyse des „wilden Denkens“, die Lévi-Strauss begonnen hat, wiederfindet. Das magische Denken, so Lèvi-Strauss „bildet ein genau artikuliertes System“, das zwar nicht die gleichen Ergebnisse wie das Wissenschaftssystem erbringt, aber ihm „bezüglich der Art der geistigen Prozesse“ gleicht, die sie jeweils voraussetzen. Magisches Denken erscheint als „Ausdrucksform eines Glaubens an eine zukünftige Wissenschaft“.

Die Erforschung von Dispositiven entstammt einem ähnlich magischen Denken. Nur, dass es sich hierbei um den Glauben an die Macht der Schrift über die Natur handelt. In dem Buch von Foucault über Hermaphrodismus befindet sich im Nachwort eine selten klare Darstellung von dieser Gedankenwelt. Hier wird im Grunde die Auffassung vertreten, dass die juristische moralische psychologische Sprache die Sexualität der Moderne erschaffen hat. Sie erzeuge einen Diskurs, der in „endlosen Oszillationen zwischen biologischen und kulturellen Determinanten den Ort und die Ontologie der Geschlechter vorantreibt“. Der moderne Körper ist „konstruiert“. Das bemerkenswerte an diesem magischen Glauben ist aber das Frankenstein-Grundelement. Denn so fährt der Verfasser fort: Der Körper der modernen Menschen wächst um das „Implantat seines Geschlechts“ herum. Das Geschlecht ist also nicht nur diskursiv konstruiert und durch Sprachmagie wirklichkeitsmächtig gemacht, sondern auch implantiert und somit nicht biologisch gewachsen, sondern von vornherein künstlich erzeugt und damit natürlich auch im Nachhinein beliebig amputierbar.

Ela: Judith Butler hat sich beim „Unbehagen der Geschlechter“ ja eh auf Foucault berufen. Wenn die Subjekte durch die Macht erst konstituiert werden, ist das feministische Subjekt – die Frau – auch durch das politische System – das auf Geschlechterbinarität aufbaut – diskursiv geschaffen. Sowohl Sex, wie auch Gender seien kulturell konstruiert, in den Begriff Sex sei bereits der politische Zweck hinter der Kategorisierung und Differenzierung, die Reproduktion, eingeschrieben, denn das System basiere auf Zwangsheterosexualität. Geschlecht (sowohl Sex als auch Gender) sei ein endloser performativer Prozess. Dem biologischen Geschlecht seien die Geschlechterrollen eingeschrieben und würden unablässig reproduziert und imitiert.

Butler schlägt vor, sich aus feministischer Perspektive darüber Gedanken zu machen, warum es überhaupt eines feministischen Subjektes – Frau – bedürfe, ob man sich nicht einfach gleich mit Geschlechtsidentität an sich und deren Repräsentation befassen sollte – da der Feminismus von einem Fundamentalismus geprägt sei, der die Subjekte einschränke, die er eigentlich befreien wolle – oder – in letztes Konsequenz – das feministische Subjekt einfach fallen lassen, und sich von jeder Einschränkung befreien.

Aber ist ein Feminismus ohne Frauen als politisches Subjekt, der situationselastisch heute diese, morgen jene Identität vertritt, ein Feminismus der Individuen, überhaupt ein Feminismus? Hat er Potenzial politische Veränderung zu erzielen? Und warum ist Butler der Meinung, dass man dieses Ziel nur unter Aneignung des Feminismusbegriffs erreichen kann? Und ist es Zufall, dass so ein Vorschlag gerade beim Feminismus gemacht wird, und beispielsweise nicht bei anderen Befreiungsbewegungen? Daraus ist meiner Meinung nach dann auch der Irrtum entstanden, dem der Liberale Feminismus aufsitzt, dass man nämlich jede unterdrückte Identität vertreten muss, wenn man eine richtige Feministin sein will.

Butler und andere Aktivisten zitieren dann auch gern Beauvoirs „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu (gemacht)“, und manche meinen darin bestätigt zu sehen, Beauvoir habe behauptet, dass eine Frau sei, was auch immer eine Frau sagt, dass sie ist. Self-Identification. So behauptet Butler, dass in Beauvoirs Formulierung von einem „Handlungsträger“ ausgegangen wird, der sich eine „Geschlechtsidentität“ aneignet und prinzipiell „auch eine andere Geschlechtsidentität annehmen könnte“. Doch Beauvoir befasst sich schon im ersten Kapitel von „Das andere Geschlecht“, „Schicksal“ mit der weiblichen Biologie:

„Die biologischen Gegebenheiten sind außerordentlich wichtig: sie spielen in der Geschichte der Frau eine herausragende Rolle und sind ein wesentliches Element ihrer Situation (…) Denn da der Körper das Instrument für unseren Zugriff auf die Welt ist, stellt sich diese, je nachdem, ob sie auf die eine oder auf die andere Weise erfaßt wird, ganz anders dar. (…) Was wir aber ablehnen, ist die Vorstellung, daß sie für die Frau ein festgelegtes Schicksal bedeuten. Sie reichen nicht aus, eine Hierarchie der Geschlechter zu bestimmen; sie erklären nicht, weshalb die Frau das Andere ist, und sie verurteilen sie nicht dazu, diese untergeordnete Rolle für immer beizubehalten.“

Für Beauvoir „entsteht“ Weiblichkeit im Zusammenspiel von biologischen und kulturellen Faktoren, die für die „weibliche Erfahrung“ konstitutiv sind. Der Entstehung der Ideen und Mythen rund um die Weiblichkeit geht aber die Existenz eines weiblichen Körpers voraus.

Andererseits haben wir ja dann auch auf der anderen Seite Feministinnen die dem „Transfrauen sind Frauen“ nichts als „Eine Frau ist ein erwachsener weiblicher Mensch“ entgegenzusetzen haben. Was ja dann auch nicht mehr als eine Phrase ist. Ich meine, dass die beiden Positionen schon alleine deswegen keine gemeinsame Basis finden können, weil sie aus zwei komplett unterschiedlichen Annahmen hervorgehen und aneinander vorbeiargumentieren.

Die eine Seite geht davon aus, dass die Geschlechtsidentität inhärent ist. Ein Mensch weiß demnach instinktiv welchem Geschlecht er sich zugehörig fühlt, mit welchem sozialen Geschlecht er sich identifiziert. Wie ein Mann weiß, dass er ein Mann ist, und eine Frau weiß, dass sie eine Frau ist, kann es der Annahme nach manchmal passieren, dass das Selbstkonzept eines biologischen Mannes abweicht und er sich den Frauen zugehörig fühlt. Er „weiß“ es sozusagen. Nur was genau dieses Gefühl ausmacht, ist oft ein diffuses Schweigen, unterspickt mit grellen Klischees.

Auf der anderen Seite hat man eben verstanden, dass es die Biologie ist und die Annahme, dass aus dieser Biologie heraus sich quasi „natürliche“ zugehörige Rollenkonzepte ergeben – das Konstrukt Gender – die den Frauen jahrhundertelang in einer unheiligen Liaison des Todes ihr Leben zur Hölle gemacht haben, ihnen Möglichkeiten verwehrt, ihr Leben in die Hand zu nehmen, und ökonomische und soziale Nachteile nach sich zogen. Und all das soll nun nebensächlich sein und einer willkürlichen Selbstdefinition Platz machen, basierend auf dem vermeintlichen innerlichen Gefühl einer Gruppe von vorwiegend MtF—Transitionern. Eine Frau wird aber nicht dadurch weniger Frau, dass sie gerne „Stirb langsam“ schaut, denn das macht sie nicht immun gegen sexistische Kommentare und sexuelle Übergriffe.

Stella: Ich denke, dass der Satz „Eine Frau ist ein erwachsener weiblicher Mensch“ (die Übersetzung der Definition „Woman: adult human female“) eher eine Erwiderung auf den unsinnigen Zirkelschluss „Frau ist, wer sich als Frau definiert“ ist, und als solche legitim ist, wobei diese Definition natürlich nur der Ausgangspunkt ist, von dem aus weitere Auseinandersetzungen möglich sind, und nicht zu einer hohlen für sich selbst stehenden Phrase wie „Trans women are women“ verkommen sollte.

Ela: Ja du hast Recht, als Erwiderung ist es sinnvoll.

Stefan: Mir kommt vor, die Debatte, die von manchen Transaktivisten geführt wird, klammert bewusst das Problem der Gewalt aus. Also viele Aspekte der Kritik am Feminismus die durch Transaktivisten vorgenommen wird, kann nur unter Absehung der wirklichen Verhältnisse passieren. Dass man einfach nicht erwähnt, dass Frauen überproportional oft Gewalt von Männern ausgesetzt sind, während es umgekehrt eine verschwindend geringe Anzahl an Männern gibt, die unter Gewalt von Frauen leiden müssen. Das verbindet diese Positionen übrigens mit denen von so genannten Männerrechtlern. Die sich ja auch weniger für die Rechte von Männern, als gegen die Rechte von Frauen einsetzen.

Ela: Da muss man ein bisschen ausholen.


Die Fortsetzung dieses Textes findet sich in unserem nächsten Buch „Gespräche gegen die Wirklichkeit“.