Stefan: Wo kann ich in Wien die besten Drogen kaufen?
Dr. Peanuts: Stefan, die Möglichkeiten sind wohl mannigfaltig 😉 Am einfachsten gehst du in den Supermarkt, kaufst dir zwei Flaschen Whiskey, gern auch den Besten – und ein Packerl Zigaretten in der Trafik daneben. Schwupps, und schon hast du welche der gefährlichsten Drogen, in Bezug auf die Sterberate in Österreich, in deiner Hand und kannst sie ganz legal und ohne Stigma konsumieren.
Aber Spaß beiseite: Warum sind denn manche Drogen legal und andere nicht? Deine Frage lenkt unser Gespräch natürlich auf ein ernstes Thema: den Umgang der Wiener Drogenpolitik mit illegal gemachten Subtanzen und ihren Konsumierenden. Wie in jeder Großstadt, gibt es auch in Wien Drogenkonsum und -handel. Und tatsächlich ist es heute noch leichter an verschiedene illegale Substanzen zu kommen, als noch vor 30 Jahren – dank Internet, sozialen Medien, Bestelltaxis und dem Darknet.
Im Idealfall sollten Menschen, die berauschende oder bewusstseinsverändernde Substanzen konsumieren wollen, dies legal und sicher tun können. Bildung, Aufklärung und unterstützende Angebote wären dabei essenziell, um negative Effekte des Drogenkonsums einzudämmen. Eine Drogenpolitik die auf Repression und Kriminalisierung setzt, ist veraltet und verfehlt dieses Ziel. Sie stigmatisiert Konsument*innen und treibt sie in den Untergrund – mit all den damit verbundenen Risiken und sozialen Folgen, die wir schon aus der Geschichte des „War on Drugs“ kennen.
Stefan: Der War on Drugs ist ein globales Regime der rigiden politischen Kontrolle von bestimmten Drogen und der Kriminalisierung bestimmter Drogennutzer. Dass Drogen illegal sind, hat den Effekt, dass die Risiken für den Umgang damit im Gefängnis zu landen unfair verteilt sind. Es gibt hier Klassenunterschiede. Berühmte wohlhabende Sportler, Künstler und öffentliche Personen kommen selbst bei schweren Verstößen gegen die Drogengesetze meist glimpflich davon. Oliver Stone, Paul McCartney, Lawrence Taylor erhielten für diverse Vergehen nicht mehr als eine Geldstrafe oder eine reduzierte Bewährungsstrafe. Die afroamerikanische Sängerin Billie Holliday hatte weniger Glück, an ihr wurde 1947 ein Exempel statuiert und sie kam ein Jahr lang ins Gefängnis, anstatt in eine Entzugsklinik. Als ehemalige Strafgefangene verlor sie ihre Auftrittserlaubnis, weil ihre Songs die öffentliche Moral schädigen würden. Die heroinabhängige Judy Garland, die jahrelang Barbiturate und Amphetamine konsumierte, kam mit einer mündlichen Verwarnung davon.
Keith Richards, der Gitarrist der Rolling Stones, wurde 1977 in Toronto für das Schmuggeln von 22 Gramm hochreinem Heroin vor Gericht gestellt. Die mögliche Höchststrafe dafür war lebenslange Haft. Der Staatsanwalt plädierte auf eine Haftstrafe von 6 Monaten und der Richter verhängte die Strafe auf Bewährung. Das ist auch deshalb ein ungewöhnlicher Vorgang, weil Richards bereits fünf Mal in den vorangehenden 5 Jahren für Drogendelikte verurteilt worden war, also schwer vorbestraft war.
Es spricht einiges für Legalisierung, Regulierung oder zumindest Straffreiheit. Laut Günter Amendt würden die Freigabe des Drogenhandels und die Entkriminalisierung des Konsums die Marktverhältnisse völlig umkrempeln, eine gesellschaftliche Neubewertung ermöglichen und den Status der Drogen ändern. „Kokain würde das Luxuriöse verlieren, Heroin würde das Heroische genommen. Die Aufhebung der Prohibition wäre nicht gleichbedeutend mit der Ausschaltung der Mafia“, aber es könnte deren Kapazität verringern Einfluss auf die legale Wirtschaft zu nehmen. Vor allem aber würde sie einen Weg eröffnen die zunehmende Pharmakologisierung des Alltags in den Blick zu nehmen. Kommt der War on Drugs schön langsam auch in Wien an?
Dr. Peanuts: Eine repressive Drogenpolitik hat vor allem einen Effekt – die Marginalisierung von urbanen Minderheiten wie Migrant*innen und sozioökonomisch schwachen Schichten. Nicht nur in den USA, sondern auch in Europa wird der „War on Drugs“, eigentlich als War on Class, Race and Gender geführt. In Wien werden Schwerpunktaktionen der Polizei gegen Drogenhandel besonders in Bezirken durchgeführt, in denen es eine vergleichsweise hohe Armutsrate gibt und wo besonders viele Menschen mit Migrationsgeschichte leben, zum Beispiel im 15. und 16., aber auch im 10. und 11. Bezirk. Oft sind diese Schwerpunktaktionen auch gezielt gegen bestimmte Nationalitäten gerichtet, da wird dann in den Medien von den afgahnischen/algerischen/blablub Drogenbanden berichtet – in rassistischer Manier also. Diese Art von Ausgrenzung und Rassismus hat System und spiegelt sich nicht nur in der Drogenpolitik wider, sondern auch in der Bildung, den Chancen am Arbeitsmarkt oder dem Sozialsystem. Über die Perspektivlosigkeit, der vor allem junge Menschen in solchen Kreisen aufgrund von systematischer Diskriminierung und Marginalisierung oft ausgesetzt sind, wird leider viel zu wenig gesprochen – stattdessen werden sie selber in die Verantwortung genommen für eine Politik, die ihnen oft keine andere Wahl lässt, als sich in die Schattenwirtschaft und informelle Märkte zu begeben. All das führt dazu, wie du auch für die USA mit deinen Beispielen gezeigt hast, dass die Chancen für Drogenvergehen inhaftiert zu werden sehr ungleich verteilt sind. Fabian Grünmayer hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Wahrscheinlichkeit für „Migrant*innen nach dem Suchtmittelgesetz inhaftiert zu werden, fünfmal höher ist als bei Österreicher*innen“. Ebenfalls kann man die Folgen eines Drogenvergehens auch auf sozioökonomische Schichten ummünzen: Für einen Politiker wie Johann Gudenus haben Drogenvergehen andere Folgen als für den Ahmed aus dem Resselpark – das schwächt natürlich auch das Vertrauen der Menschen in die Politik.
Stefan: Wikipedia schreibt: Gegenüber der Kronen-Zeitung räumte Gudenus einen möglichen Koks-Konsum ein, bezeichnete die Angelegenheit jedoch szenetypisch als „Schnee von gestern“. Ein Strafverfahren gegen ihn sei eingestellt worden, da es sich lediglich um „Eigengebrauch“ gehandelt habe.
Dr. Peanuts: Gleichzeitig wird mit der Konzipierung von Drogenkonsum als Gefahr für die Sicherheit einer Region auch Konsens für mehr Überwachung bzw. „Law and Order“ hergestellt und das Thema für polarisierende Politik missbraucht. Der „War on Drugs“, ursprünglich in den USA initiiert, hat also tatsächlich auch Auswirkungen auf Wien und andere europäische Städte. Die Drogenprohibition hat historische Wurzeln, die oft mit sozialer Kontrolle und mit der Marginalisierung bestimmter Gruppen verbunden sind. In Wien zeigt sich dies beispielsweise durch die gezielte Kriminalisierung des in der Öffentlichkeit sichtbaren Drogenhandels, der vor allem von Menschen durchgeführt wird, die auf diese Einkommensquelle angewiesen sind. Dies betrifft insbesondere einkommensschwache Bevölkerungsschichten, die nicht die gleichen Möglichkeiten haben, sich in weniger sichtbare und damit sicherere Formen des Handels zurückzuziehen. Polizeiliche Maßnahmen richten sich oft gegen diese marginalisierten Gruppen und tragen zur Polarisierung der Gesellschaft bei, ohne die grundlegenden Probleme wie soziale Ungleichheit, Armut und Mangel an Bildung anzugehen. Damit dient die Kriminalisierung von Drogenkonsum oft dazu, von fundamentalen sozialen Problemen abzulenken und eine Politik der Ausgrenzung zu legitimieren.
Günter Amendts Konzept des „Umkrempelns der Marktverhältnisse“ verdeutlicht, wie die Drogenprohibition nicht nur illegale Märkte schafft, sondern auch legale Wirtschaftsstrukturen destabilisiert. In Wien zeigt sich dies besonders durch den Einfluss der Mafia, die durch Geldwäsche illegale Einnahmen in legale Sektoren, wie das Baugewerbe und die Gastronomie, investiert. Ein prominenter Fall aus 2018 zeigt, dass rund 37 Millionen Euro an Mafiageldern in Wien und Innsbruck investiert werden sollten, bevor sie von den österreichischen Behörden sichergestellt wurden. Diese Praktiken verzerren die Marktverhältnisse, da legale Unternehmen oft nicht mit den durch kriminelle Gelder ermöglichten Bedingungen konkurrieren können. Das führt zu einer Marginalisierung kleinerer Unternehmen und verstärkt die sozialen Ungleichheiten, indem kriminelle Netzwerke zunehmend Kontrolle über legale Märkte gewinnen.
Ein problematisches Beispiel ist auch der Einfluss großer Pharmakonzerne in den USA, die durch aggressive Vermarktung von Opioiden wie Oxycontin eine weitverbreitete Abhängigkeit bzw. Epidemien geschaffen haben, inkl. Fälschung von Studien und der Bestechung von verschreibenden Ärzten. Dies hat zu einer „Pharmakologisierung“ geführt, bei der legal verschriebene Medikamente wie Opioide massiv verbreitet sind, während gleichzeitig die Repression gegen illegale Substanzen verschärft wird. Auch in Österreich sehen wir eine ähnliche Entwicklung, wenn wir etwa an die zunehmende Verschreibung von Psychopharmaka denken. Hier wird die Ironie deutlich: Während die Gesellschaft die illegalen Märkte bekämpft, entstehen durch legale, aber missbrauchte Medikamente neue Abhängigkeiten, die oft noch zerstörerischer wirken. Benzodiazepine sind zum Beispiel unter Jugendlichen sehr weit verbreitet und richten vermutlich mehr Schaden an als illegale Substanzen.
Stefan: Es gab in Wien lange Zeit Cafés in denen man zu bestimmten Uhrzeiten Gras kaufen konnte. Es gab auch einen Eishändler in der Lobau wo das möglich war. In Österreich hat jedes Bundesland eine eigene Herangehensweise an die Problematik des illegalen Drogenkonsums. Inwiefern unterscheidet sich Wien von den anderen Bundesländern, und was ist österreichweiter Konsens?
Dr. Peanuts: Ich bin in der Nähe der Lobau aufgewachsen und könnte dazu lustige Anekdoten vom Fensterhansi oder dem Dechandinvaliden aus meiner Jugend erzählen. Ich kenne diese Phänomene also und kann mich zum Beispiel auch erinnern, dass verschiedene psilocybinhaltige Gewächse damals noch legal erworben werden konnten, bevor sie ins Visier der Drogenpolitik geraten sind. Welche Substanzen illegal sind und welche nicht, ist also immer auch im Wandel begriffen. Neue „Designerdrogen“, die oftmals wenig erforscht sind, werden ja laufend auf den Markt gebracht – die Politik kommt da nur schwer hinterher. Ebenso steht es mit der Forschung, welcher es durch Prohibition natürlich erschwert wird wichtige Erkenntnisse in Bezug auf bestimmte Substanzen zu gewinnen.
Zwischen den Bundesländern variieren die Strategien und Ansätze zur Drogenpolitik teils sehr stark. Während zum Beispiel Kärnten oder Oberösterreich eine sehr restriktive Drogenpolitik fahren und auf Repression setzen, unterscheidet sich Wien durch eine eher progressive und gesundheitszentrierte Drogenpolitik, die auf vier Säulen basiert:
1) arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und soziale Reintegration,
2) Behandlung, Beratung und Betreuung,
3) öffentlicher Raum und Sicherheit, sowie
4) Suchtprävention.
Schadensminderung (Harm Reduction) ist dabei die Basis, die all diesen Bereichen zu Grunde liegt.
Das bedeutet, dass in Wien verstärkt auf Programme zur Reduktion konsumbedingter negativer Folgen für Individuum und Gesellschaft gesetzt wird, statt vorrangig auf Kriminalisierung und Repression zu setzen. Programme wie der Spritzentausch oder Substitutionsbehandlungen stehen dabei klar im Vordergrund.
Generell ist ein gesundheitsorientierter Ansatz österreichweiter Konsens. Der Grundsatz „Therapie statt Strafe“ ist im SMG (Suchtmittelgesetz) verankert. Dennoch liegen die Kompetenzen zur Umsetzung des SMG bei den Ländern und unterscheiden sich deshalb stark. Während Wien versucht Konsumierende vor allem durch gesundheitliche Maßnahmen zu unterstützen, liegt der Schwerpunkt anderswo auf der Durchsetzung des rechtlichen Rahmens, also dem SMG – bzw. seinen repressiven und kriminalisierenden Aspekten.
Stefan: Was ist das Konzept der Harm Reduction, und wie sieht das in Wien konkret aus?
Dr. Peanuts: Harm Reduction zielt darauf ab, die negativen gesundheitlichen, sozialen und rechtlichen Folgen von Drogenkonsum zu minimieren, ohne den Konsum selbst zwangsläufig zu verhindern. Ansätze der Harm Reduction sind eine logische und humanistische Reaktion auf die Erkenntnis, dass Menschen immer Drogen konsumieren werden und eine drogenfreie Gesellschaft eine Illusion ist, die jegliche Realität und Geschichte menschlichen Verhaltens und ihrer Bedürfnisse ignoriert.
In Wien gibt es das Wiener Sucht- und Drogenhilfenetzwerk mit zahlreichen Organisationen und Institutionen, die Angebote zur Harm Reduction bereitstellen. Die Koordination und finanzielle Mittelvergabe innerhalb dieses Netzwerks, also der Träger*innen von verschiedenen Angeboten und Programmen zur Harm Reduktion, geschieht dabei durch die Wiener Sucht und Drogen Koordination.
In Wien zeigt sich zum Beispiel, dass Spritzentauschprogramme, das Herzstück der Wiener Harm Reduction, Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis eindämmen. Die Rücklaufquote des in Wien ausgegebenen Spritzmaterials liegt bei über 90% – ein Riesenerfolg, der für sich spricht.
Weitere Maßnahmen sind Substitutionsprogramme und verschiedene Therapieformen für suchtkranke Menschen, das Projekt „Checkit!“, bei dem Konsumierende ihre Drogen auf Inhalt und Reinheit analysieren lassen können. Ebenfalls gibt es zahlreiche Ambulatorien zur medizinischen Versorgung von Konsumierenden und mobile Hilfsangebote die wir auch als „Streetwork“ kennen. Bei diesen Programmen geht es klar um die praktische Reduktion von Risiken im Zusammenhang mit Konsum und nicht um die moralische Verurteilung.
Generell setzt Wien auf niederschwellige Angebote, ein Beispiel wäre das Tageszentrum Jedmayer, eine zentrale Einrichtung in Wien, die als Anlaufstelle für Konsumierende dient. Betroffene können sich hier ohne Vorbedingungen über Unterstützungsangebote informieren und diese in Anspruch nehmen. Das Zentrum bietet sauberes Spritzbesteck und mittlerweile sogar die ersten Versuche sichere Drogenkonsumräume bereitzustellen – im Moment allerdings nur für legale Drogen, also meistens Substitutionsmedikamente, die intravenös, unter Aufsicht, konsumiert werden können. Sichere Drogenkonsumräume sind ein wichtiger Schritt einer gesundheitsorientierten und progressiven Drogenpolitik, jedoch brauchen wir diese für den Konsum von allen Suchtmitteln, unabhängig von ihrem legalen Status. In der Umsetzung ist dies allerdings schwierig, da Institutionen und Träger*innen, die solche Räume zur Verfügung stellen, sich damit in Konflikt mit dem SMG begeben. Die Kriminalisierung von bestimmten Substanzen bleibt damit also weiterhin ein großes Problem innerhalb der Wiener Drogenpolitik.
Stefan: Wenn es um Schadensminimierung geht, gibt es im österreichischen Suchtmittelrecht den Grundsatz „Therapie statt Strafe“, den du vorher bereits erwähnt hast. Wie wirkt sich das auf die strafrechtliche Praxis aus?
Dr. Peanuts: Der Grundsatz „Therapie statt Strafe“ hat signifikante Auswirkungen auf die strafrechtliche Praxis und stellt den wichtigsten Grundsatz zur Schadensminderung im SMG dar. Der Grundsatz ermöglicht es, Personen die nach dem SMG straffällig geworden sind eine Therapie zu machen, anstatt ins Vollzugssystem eingegliedert zu werden. Das entlastet nicht nur unser Strafjustizsystem, sondern gibt Betroffenen in manchen Fällen auch die Chance ihr Leben zu verändern. Aber – und das ist ein großes ABER – Zwangstherapie ist dabei kontraproduktiv weil dadurch die Stigmatisierung von Konsumierenden gefördert wird und Therapie nur dann wirklich gut funktioniert, wenn sie auf Freiwilligkeit basiert.
Stefan: Ich denke, es ist auch ein Zwang dahinter, wenn die Alternative zur Therapie das Absitzen einer Gefängnisstrafe ist. Mit allen Folgen die ein Aufenthalt im Gefängnis mit sich bringt und darüber hinaus das persönliche Ansehen, das Berufsleben. Dennoch werden Drogenvergehen sehr hart bestraft und führen sehr oft zu Verurteilungen und Gefängnisstrafen. Zwischen 1980 und 2000 wurden alleine in der Stadt New York 125.000 Menschen für kleinere Drogendelikte eingesperrt. Der überwältigende Großteil davon kleine Dealer. Anfang der 1970er Jahre waren in den gesamten USA 200.000 Menschen im Gefängnis, Stand 2009 sind es 1,8 Millionen. Mehr als die Hälfte der Gefängnisse und Verwahrungsanstalten in den USA sind, Stand 2009, in den letzten 20 Jahren errichtet worden und haben eine eigene wirtschaftliche Dynamik entwickelt indem es zu einem der größeren Arbeitgeber des Landes angewachsen ist. Die Errichtung eines Gefängnisses ermöglicht die Schaffung von hunderten Arbeitsplätzen in Regionen, in denen es nur schwer ist Arbeit zu erhalten. Das Problem dabei ist, dass empirische Belege darauf hinweisen, dass Gefängnisstrafen nicht davon abhalten Drogen zu konsumieren oder zu verkaufen. Darüber hinaus ist der soziale Faktor nicht zu unterschätzen. Der Entzug von einer Droge ist unter den richtigen Bedingungen durchaus möglich, aber von einer Gefängnisstrafe erholen sich die meisten, was ihre gesellschaftliche Stellung betrifft, nie wieder.
Dr. Peanuts: Die Gefängnisindustrie, die sich da in den USA herausgebildet hat, ist natürlich erschreckend und zeigt die drastischen Auswirkungen einer auf Strafen fokussierten Drogenpolitik auf. Es kann nicht sein, dass mit der Zunahme an Repression bei Drogenvergehen ein regelrechtes Businessmodell geschaffen wird, das von der Kriminalisierung und Inhaftierung, vor allem von Menschen aus marginalisierten Gruppen, profitiert. Wenn, wie in den USA, Gefängnisse teils von privaten Unternehmern geführt werden, die der Profitlogik des Kapitalismus folgen, ergibt sich daraus natürlich ein absurder Widerspruch: Mehr Insassen = mehr Geld und bessere Aktienkurse für die Betreiber, das heißt die Wiedereingliederung und Rehabitilation von Betroffenen oder aus ökonomischer Not dealenden Menschen, die eigentlich als Gesellschaft das Ziel sein sollte, steht der wirtschaftlichen Logik dieses Systems entgegen. Außerdem glaubt doch nicht ernsthaft jemand, dass Gefängnisse ein guter Ort sind, um eine Drogensucht zu überwinden, unterstützende Personenkreise zu finden, oder Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen, die dabei helfen, gesellschaftlich wieder Fuß zu fassen. Leiden tun darunter meist Menschen, die so oder so schon schlechte Startbedingungen für ein gutes Leben haben und damit auf ihren Platz am unteren Ende der sozialen Hierarchie verwiesen werden. Und so schließt sich auch wieder der Kreis des War on Drugs, der als Klassenkampf von oben geführt wird.
Der Grundsatz „Therapie statt Strafe“ soll in Österreich eigentlich genau das verhindern, dass Menschen wegen kleinerer Vergehen in ein System geraten, das sie dauerhaft stigmatisiert und ihre Chancen auf ein normales Leben erheblich einschränkt. Gefängnisstrafen, das zeigt die Empirie, wirken kaum abschreckend auf den Drogenkonsum oder -handel. Vielmehr tragen sie dazu bei, dass Menschen in einem Teufelskreis aus Kriminalisierung und sozialer Ausgrenzung gefangen bleiben. Die sozialen und beruflichen Konsequenzen einer Haftstrafe sind enorm und oft schwerer zu überwinden, als die eigentliche Abhängigkeit. Daher ist es wichtig, dass wir in Österreich weiterhin auf präventive und rehabilitative Maßnahmen setzen und dabei die Entkriminalisierung und die Freiwilligkeit der Therapie als zentrales Element einer menschlichen Drogenpolitik in den Vordergrund stellen. Denn der Zwangsaspekt der Therapie bleibt auch in Österreich problematisch. Wie du richtig anmerkst, steht die Wahl oft zwischen Therapie und Gefängnis, was tatsächlich eine Art von Nötigung bedeutet – selbst wenn die Therapie die „bessere“ Alternative darstellt.
Stefan: Kannst du ein paar Programme vorstellen, die von der Stadt Wien in diesem Zusammenhang initiiert worden sind?
Dr. Peanuts: Das Tageszentrum „Jedmayr“ habe ich ja bereits oben ein bisschen ausgeführt. Ebenfalls gibt es den Verein „Dialog“, der niederschwellige Beratung und Unterstützung anbietet. Das „Neunerhaus“ bietet ähnliche Angebote und ist speziell für obdach- und wohnungslose Konsument*innen wichtig.
In den letzten Jahren wurden zum Beispiel auch das Take-home-Nalaxon-Projekt initiiert, dabei werden im „Jedmayr“ Schulungen angeboten und Nalaxon-Kits zur Reduktion drogenbezogener Todesfälle durch Überdosierung ausgegeben. Ebenfalls sind kostenlose Hepatitis A/B-Impfungen ein wichtiger Bestandteil der Harm Reduction-Strategie Wiens. Positive Entwicklungen sieht man auch im Bereich der niederschwelligen psychotherapeutischen Angebote, wo die ersten Pilotprojekte 2019 starteten.
Stefan: Zum Begriff der Überdosierung eine Anmerkung, die nicht darauf abzielt Drogenkonsum zu verharmlosen! Carl Hart weist aber darauf hin, dass die Gefährlichkeit der Drogen aus den Lebensumständen resultieren und nicht nur aus ihrem Konsum. Es hängt von der Dosierung (Menge und Stärke der angewandten Droge), der „route of administration“ (die Art wie die Droge eingenommen wird und wie schnell sie das Gehirn erreicht), dem Set (den persönlichen Charakteristika und körperlichen Voraussetzungen der Drogen konsumierenden Person), sowie dem Setting (der Umgebung in der die Person die Drogen konsumiert) ab, wie gut die Droge vertragen wird. Nur ein Viertel der Tode, die durch Opioide ausgelöst werden, entsteht durch die Einnahme einer Überdosis. Die Hauptauslöser für tödlichen Drogenkonsum sind kontaminierte Drogen oder die Kombination mit anderen Drogen, von denen Alkohol die häufigste ist.
Dr. Peanuts: Ein besonders interessantes Beispiel ist das Projekt „Scanner“, eine internationale Kooperation zwischen „Checkit!“ und anderen Drug-Checking-Einrichtungen. Ziel dieses Projekts ist es, fundierte Erkenntnisse über die Dynamiken und Auswirkungen neuer psychotroper Substanzen zu gewinnen, insbesondere im Hinblick auf den Handel über Online-Drogenmärkte. Während die Wiener Drogenpolitik sehr effektiv auf die Herausforderungen reagiert hat, die beispielsweise mit dem intravenösen Konsum von Opiaten verbunden sind, scheint es, als würde sie den neuesten Entwicklungen noch hinterherhinken. Eine wichtige Frage ist, wie jüngere Drogenkonsument*innen besser erreicht werden können. Welche Substanzen konsumieren sie? Wie werden diese konsumiert und beschafft? Dies sind zentrale Punkte, die in der aktuellen Wiener Drogenpolitik stärker berücksichtigt werden sollten.
Stefan: Günter Amendt hat auf die Widersprüche des aktuellen Drogenrechtsregimes hingewiesen. Eine drogenfreie Gesellschaft ist nicht möglich, aber die Prohibition verursacht mehr Schaden als Nutzen. Zahlen der American Civil Liberties Union (ACLU) legen nahe, dass, obwohl Caucasians und African-Americans beinahe gleich oft Marihuana konsumieren, 3,73-mal so viele African-Americans dafür im Gefängnis landen. Paula Mallea leitet daraus ab, dass die Gesetze zur Drogenprohibition in den USA als Mittel der sozialen Kontrolle verwendet werden. 1995 war die Ratio der Bestrafung zwischen Kokain und Crack um ein Hundertfaches unausgeglichen, obwohl es sich bei den beiden Rauschmitteln, von ihrem Grundstoff (Kokain) her, um ein und dieselbe Droge handelt. Crackkonsumenten mussten mit einem hundertmal höheren Strafmaß rechnen als Kokainkonsumenten. Mit dem Fair Sentencing Act 2010 wurde diese Ratio auf 18:1 gesenkt, sie ist aber weiterhin ungerecht, vor allem, wenn man bedenkt, dass Kokain eine Droge der Wohlhabenden und Crack die Droge der Armen ist. Die überwiegende Mehrheit der Crack-Konsumenten in den USA besteht aus African-Americans mit niedrigem Einkommen, die bereits längere Zeit vom Arbeitsmarkt abgeschnitten sind.
Dr. Peanuts: Wer welche Substanzen konsumiert und/oder dealt und welche Konsequenzen das hat, ist eben auch in Wien kein Zufall, sondern Ergebnis von struktureller Diskriminierung und einer tief in der Gesellschaft verankerten Klassenjustiz. Es hätte uns wohl alle sehr gewundert, wenn es nach Ibiza ernstzunehmende Konsequenzen für Strache oder Gudenus im Zusammenhang mit Kokain gegeben hätte. Während Drogenvergehen bei Eliten oft als Kavaliersdelikte abgehandelt werden, werden sie bei Migrant*innen oder ärmeren Bevölkerungsschichten für rassistische und klassistische Politik missbraucht. Man kann Drogenprohibiton also auch aus der Perspektive betrachten, dass sie gezielt eingesetzt wird, um bestimmte Bevölkerungsgruppen zu überwachen, zu unterdrücken und zu marginalisieren – im Sinne von sozialer Kontrolle eben. Daher sollte es wohl eher „Keine Macht der Repression“ heißen, als „Keine Macht den Drogen“.
Stefan: Kann in Wien eine Legalisierung umgesetzt werden, und würde sie eine Verbesserung darstellen?
Dr. Peanuts: Eine Legalisierung könnte in Wien tatsächlich viele Probleme lösen. Die Prohibition hat enorme negative Folgen: verunreinigte Drogen, Stigmatisierung, Kriminalisierung der Konsumierenden und dadurch eine immense Belastung für das Justizsystem, mit hohen finanziellen Kosten – Geld, das in Prävention, Aufklärung und gesundheitlichen Maßnahmen besser aufgehoben wäre. Eine Legalisierung würde den Konsum nicht eliminieren, aber sie würde ihn sicherer machen. Dabei geht es nicht darum, Konsum zu fördern, sondern einen bewussten Umgang mit Drogen zu ermöglichen, Risiken zu minimieren und den Zugang zu Hilfe zu erleichtern. Allerdings bräuchte es dazu eine Gesetzesänderung und ein Umdenken auf Bundesebene – und da sind wir leider noch nicht.
Und apropos Legalisierung: Die Zahlen zeigen, dass die Sterberaten durch legale Drogen wie Alkohol und Tabak weit höher sind, als durch illegale Substanzen. Wir sollten also genau hinschauen, wo die wirklichen Probleme liegen. Und wer weiß – vielleicht muss ich mir mein Päckchen Nikotin ja irgendwann auch im Darknet kaufen – aber das wäre wohl eine eher traurige Zukunftsvision.
[Teile meiner Antworten sind meinem gerade entstehenden Buch „Konstellationen der Ungleichheit. Digitaler Kapitalismus und Drogenökonomie“ entnommen. Die Literatur-Nachweise werden dort nachzulesen sein.]