Die Habsburgergsichter und die EU

Der Böhlau Verlag war so freundlich mir ein Buch zur Rezension zuzusenden, das ich wirklich nur wegen seines Titels ausgewählt habe. „Das Habsburgerreich – Inspiration für Europa?“ von Caroline de Gruyter ist aber über den Titel hinaus auch beim Lesen ein Machwerk besonderer Art.

Das Buch beginnt mit dem Mann, über den das Habsburgerreich und Europa „miteinander verbunden“ sind. Otto Habsburg, dem „echten Europäer“ der am Ende „vier Staatsbürgerschaften besaß“ und acht Sprachen sprach – von denen de Gruyter ausschließlich Ungarisch und Latein erwähnenswert scheinen. Ja wer denkt nicht bei Ungarisch an die demokratischen und rechtstaatlichen Stärken der europäischen Union? Wer lässt sich nicht gern die Artikel der europäischen Menschenrechtskonvention auf Lateinisch vorlesen, wie in einer guten katholischen Messe? Bekanntermaßen ist ja nicht nur der Papst katholisch, sondern auch das Haus Habsburg und wen wundert es da noch, dass sich Otto Habsburg, dieser Europäer von Sonderformat, gerade nach 1945, also nachdem die Nazis gerade einmal mühsam niedergerungen worden sind, der Mission verschrieben hat Mittel- und Osteuropa von den Kommunisten zu befreien. Habsburger oder nicht, Otto war sichtbar gelernter Österreicher.

„Bis heute gibt es Österreicher, die Angst davor haben, dass die Russen zurückkommen.“ Natürlich, vor der Rückkehr der Nazis braucht man sich nicht mehr zu fürchten, die sitzen ja bis heute im Parlament. Dementsprechend sind auch dem Nachfolger Ottos, Albrecht Hohenberg, bis heute eher die Sozialisten unheimlich, denen er als einzige Partei „immer noch nicht traut“.

Wohl deshalb, weil sie gemeinsam mit ihrer bösartigen Republik „den österreichischen Habsburgern fast alles genommen haben.“ Ein trauriges Schicksal von dem der arme Mann da in seinem „bescheidenen weißen Haus“ zu berichten weiß. Zuerst wurde die Familie enteignet und jetzt werden die ganzen schönen Paläste, die weitgehend durch Sisi und Franz noch persönlich im Schweiße ihres Angesichts und jedenfalls nicht auf Steuerkosten durch Leibeigene erbaut worden sind, als Attraktionen genutzt. Bitter könnte man werden, aber als königliche Hoheit fügt man nur leise flüsternd hinzu: „Aber das gehört denen ja nicht.“ Hihi. Eh nicht. Aber euch auch nicht.

Da die „Geschichte von den Gewinnern geschrieben“ wird, ist den Habsburgern im Geschichtsunterricht natürlich viel Unrecht widerfahren. Dabei war der Kaiser ein guter Arbeitgeber. In einer Zeit da „Wohnraum knapp war“ und sich kaum jemand eine Wohnung leisten konnte, stellte der Kaiser bereitwillig Wohnraum zur Verfügung. Er war zwar ein „altmodischer Patriarch“, der sich auf „die blinde Ergebenheit“ seiner Untergebenen verließ. Beinahe so, als wäre er nicht nur ein liebevoller Arbeit- und Wohnraumgeber, sondern ein absolutistischer Monarch gewesen. Aber er sorgte auch für „finanzielle und soziale Sicherheit“. Einen Kollektivvertrag gab es dafür natürlich nicht. Also eine Sicherheit bis auf Widerruf. Dementsprechend ist für den Diplomaten Eduard Habsburg auch der größte Unterschied zwischen EU und Habsburgerreich, „(d)ass die EU keinen Kaiser hat.“ Also niemanden der auch nur für das Nötigste sorgt, was blind ergebene Untergebenen eigentlich zustehen würde.

Scherz beiseite, natürlich haben Habsburgerreich und EU auch etwas gemeinsam. Einen „Binnenmarkt, eine Zollunion und eine einheitliche Währung“. Aber de Gruyter kennt ihr Publikum und ändert, unmittelbar nachdem es zum ersten Mal interessant hätte werden können, das Thema.

In diesem Fall offenbart sich eine weitere Eigenheit des Umkreises, in dem sich die Autorin auf der Suche nach dem Zauber des Habsburgerreiches bewegt. Der nächste Gesprächspartner begrüßt sie mit „einem eleganten mitteleuropäischen Handkuss, der hierzulande durchaus noch sehr verbreitet ist.“ Echt? Dort wo ich essen geh, bin ich meistens froh, wenn die Kellner den Suppenteller nicht mit dem Daumen in der Suppe am Tablett halten.

Neben diesem nostalgisch romantisierenden Blick auf Österreich und seine wenig glorreiche Vergangenheit stehen auch einige sehr treffende Beobachtungen. Dass Maria Theresia durch ihre Reformen einen „Sozialstaat avant la lettre“ einführen wollte. Dass sie dafür, wie auch ihre Nachfolger „eine seltsame Mischung aus Autoritarismus und Wohlwollen“ einsetzte und dass Österreich seitdem und immerdar durch Beamte zusammengehalten wurde.

Beim Gespräch mit dem Habsburg-Experten Richard Bassett kommt die These von den Gemeinsamkeiten von EU und Habsburgerreich zum ersten Mal richtig ins Straucheln. Vielleicht weil Bassett Historiker ist und weiß, wovon er spricht. „Sie schreiben das falsche Buch.“ „Aha.“

Peinliche Stille. Daraufhin eine genaue Beschreibung, wie sie bei den bisherigen Gesprächspartnern ausgelassen wurde. Bassett küsst nicht die Hand, hat kein gewinnendes Lächeln, oder eine sympathische Ausstrahlung, die ihn trotz absurder Aussagen noch sympathisch wirken lässt. Bassett ist Mitglied im „Männerclub“ und während er spricht, laufen ihm „regelmäßig kleine Schweißtröpfchen“ übers Gesicht.

Was nicht heißt, dass Bassett nur durch brillante Aussagen glänzt. „Unser Krieg ist der Brexit.“ Ok. Aber am Ende des Gesprächs gibt es wenigstens ein kleines Indiz dazu in welchen Kreisen sich die handküssenden Welteuropäer bewegen. „Wir verlangen die Rechnung. Wir haben vier große Flaschen Sprudelwasser getrunken. Aber der Kellner will kein Geld annehmen. Er entschuldigt sich für die Hitze …“. Ja, also, nicht in Wien.

Darauf folgen wieder einige interessante Einsichten und sogar ein witziges Gespräch mit einem selbstreflektierten Späthabsburger. Und als Krönung (vastehst?) die launige Beschreibung des Empfangsbereichs der EU-Kommission: ein „Ikea-Tisch auf einem abgetretenen Teppich und eine Haufen Stromkabeln“ über die man stolpern konnte. Das Einrichtungs-Äquivalent einer Macht „die nicht an sich selbst glaubt.“ EU und Habsburgerreich beide auf ihre Art Soft-Powers, „die nicht wirklich aggressiv und kriegslustig“ sein durften und dürfen. Der Unterschied vielleicht, dass das Habsburgerreich „liebenswerter“ erscheint. Zumindest in der Rückschau.

Es gibt einige gute Gedanken in diesem Buch. Sie verschwinden allerdings hinter dem Wulst an Habsburgernostalgie und Österreichvernarrtheit, der aus der Entwicklung der Ideen der Autorin an vielen Stellen ein „Fortfretten und Fortwurschteln“ werden lässt. Zumal ja die Idee nicht neu ist.

Novalis Vortrag „Europa“ stammt aus dem Jahr 1799. Darin bezieht er sich positiv auf das so genannte Mittelalter, Heiligenverehrung, priesterliche Gelehrte. Auf die Herrschaft christlicher Könige im Rahmen eines goldenen Zeitalters, das noch nicht durch Rationalismus und Materialismus befleckt war. Er setzt die Liebe zur Kirche als Wahrung der Einheit der europäischen Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Novalis will eine europäische Friedensgemeinschaft, die eine Vorstufe zur Weltgemeinschaft sein könnte. Für ihn ist sie verbunden mit dem Christentum, das als poetische Weltreligion die Idee des Friedens in die ganze Welt verbreiten soll. Was dann ja auch geschehen ist. Nur halt nicht mit Liebe und nicht zum Zweck des Friedens.

Aber vielleicht sagt das Buch ja weniger über die Qualität der Monarchie aus, als über die Mängel der EU?

Demokratie findet heutzutage im Spannungsfeld von sich radikalisierenden demokratischen und nichtdemokratischen Normen statt. Demokratische Verhältnisse müssen mehr und mehr diskursiv inszeniert werden. Die EU ist noch weiter, sie simuliert Politik nicht einmal mehr. Die demokratische Existenz wird hier nicht durch eine im breiten Rahmen partizipierende Masse, sondern einer Elite bestimmt. Ergebnis davon ist, dass weite Teile der Bevölkerung von den demokratischen Institutionen nicht, oder bestenfalls zufällig, vertreten werden.

Vielleicht meint die Autorin ja, dass wir es bei der EU mit einem Elitenprojekt zu tun haben, das im Gegensatz zum Haus Habsburg den Makel hat, gesichtslos und unsympathisch zu sein? Dann stellt sich nur die Frage wie gut die Habsburgergsichter heutzutage noch aussehen? Davon kann sich jeder selbst ein Bild machen.