Drogenkrieg in den Medien. Ein Gespräch mit Antonia Kaufmann über die Zukunft des Drogenkonsums und die Berichterstattung darüber

Stefan: In den Medien wird viel über den „Drogenkrieg“ berichtet. Es geht auch um die „Drogenszene“ und die „Drogensüchtigen“. Inwiefern wird diese Diktion der Problematik gerecht?

Antonia: Die von dir genannten Stichwörter „Drogenkrieg“, „Drogenszene“ und „Drogensüchtige“ beeinflussen den Diskurs um die Handhabung von Suchtmitteln in den Medien in dem Sinne, dass sie meist nicht in einem neutralen Zusammenhang genannt werden bzw. keine neutrale Konnotation aufweisen und somit ein verzerrtes oder vereinfachtes Bild der Suchtmitteldebatte bei dem/der Leser:in verursachen können. Der gesamte Diskurs um Suchtmittel ist sehr komplex und wird meiner Meinung nach aktuell in den Medien nicht gerecht wiedergegeben. Das ist aber eventuell auch gar nicht möglich, da die Medienberichterstattung in der Debatte um die Drogenszene meist dazu neigt, zu dramatisieren, um durch die eigenen verbreiteten Inhalte Aufmerksamkeit generieren zu können. Manchmal kann eine solche Herangehensweise zu einer Sensationalisierung führen, die den zugrundeliegenden Problemen, welche den Suchtmittelkonsum bzw. -vertrieb antreiben, keine Beachtung schenkt. Eine solch einseitige Darstellung führt dann auch meist zu einer Stigmatisierung, welche von bestimmten Medien aktiv im Diskurs eingesetzt und durch bestimmte Wörter und Phrasen (bspw. „Junkies“) verstärkt wird, was wiederum zu einer gesellschaftlichen Marginalisierung von Suchtkranken führt.

Neben dieser Sensationalisierung und Stigmatisierung der Inhalte werden die aktuellen Probleme im Suchtmittelmilieu zudem meist sehr vereinfacht dargestellt und neigen meist dazu, sich vor allem auf negative Auswirkungen auf die Gesellschaft zu konzentrieren.

In meiner Recherche zur Berichterstattung über die Legalisierung von Cannabis in Deutschland konnte ich hingegen eine sehr ausgeglichene Abbildung des Meinungsbilds innerhalb der österreichischen sowie deutschen Medienlandschaft erkennen. Während mehrmals die Befürchtung der Überlastung des Justizsystem durch die kontrollierte Freigabe oder die Befürchtung vor einer verstärkten organisierten Kriminalität durch die Legalisierung thematisiert wurde, kamen in mehreren Artikeln auch der durch die Freigabe forcierte Schutz der Bevölkerung bzw. die Themen Suchtprävention, Jugendschutz und die Eindämmung des Schwarzmarkts zur Sprache. Ich kann mir diesen Unterschied vor allem damit erklären, dass die Legalisierung von Cannabis bereits allein im ausgewählten Wording und Framing einen Gegensatz zu aufgeladenen Stichwörtern wie „Drogenkrieg“ bildet und somit auch medial anders transportiert wird. Weiters geht es in der von mir untersuchten Berichterstattung zudem um ein neues Gesetz, welches (auf Wunsch der Regierungsparteien) Anklang in der deutschen Gesellschaft finden soll und daher eventuell auch eher neutral/positiv dargestellt wird.

Jedoch bin ich auch der Meinung, dass die gesamte Diktion im medialen Diskurs, egal ob Cannabis oder Crack, es verabsäumt, den tatsächlich Betroffenen (bspw. Suchtmittelkranken oder auch Familienangehörigen etc.) Raum zu geben, die eigene individuelle Geschichte zu erzählen. Diese fehlenden Perspektiven und Stimmen würden einen wichtigen Beitrag in einer neutralen und aufklärenden Berichterstattung leisten und hätten die Macht, die Diktion in den Medien Step für Step zu verändern.

Stefan: Was ist eine Drogenpanik? Gibt es dafür historische Beispiele?

Antonia: Der Begriff „Drogenpanik“ wurde vom US-amerikanischen Soziologen und Rechtswissenschaftler Craig Reinarman (2007) definiert und benennt ideologisch konstruierte, moralische Paniken, welche u. a. von Massenmedien beeinflusst sowie geprägt sind. Es handelt sich dabei also um rein soziale Konstruktionen, die nach Reinarman (2007) immer sieben bedeutende Merkmale enthalten:

  1. alle gesellschaftlich produzierten Drogenängste haben einen realen Anlass, welcher von/in der Gesellschaft als ein tatsächliches Problem anerkannt werden;
  2. die Massenmedien tragen eine bedeutsame Rolle in der Dramatisierung, Aufbauschung oder auch Verbreitung des erkannten Problems;
  3. sowohl wirtschaftliche als auch politische Eliten nutzen den Drogendiskurs für die Durchsetzung ihrer Eigeninteressen (bspw. finanzieller Profit);
  4. professionelle Interessensverbände versuchen die öffentliche Definition des Problems zu beeinflussen und erheben den Anspruch, entsprechende Lösungsansätze aufzustellen, die der eigenen Ideologie entsprechen;
  5. für die Entstehung von Drogenpaniken ist auch immer der historische Kontext, also die Stellung der im jeweiligen Land dominierenden Konflikte und Spannungen, von großer Bedeutung, da Konsument:innen von Suchtmitteln so von unterschiedlichen Seiten als potenzielle Gefahr geframed werden können;
  6. Meinungsführer:innen stellen eine „Verbindung“ zwischen einem Suchtmittel und einer am Rand der Gesellschaft stehenden Konsument:innengruppe dar, aus dem dann ein „gesamtgesellschaftliches Drogenproblem“ konstruiert wird;
  7. Drogen werden meist als Sündenböcke der bereits zuvor existierenden gesellschaftlichen Probleme verantwortliche gemacht, um der Bevölkerung eine simplifizierte Erklärung präsentieren zu können, welche alleinig die Suchtmittel und sozial ausgestoßene Individuen als Verursacher:innen eines weitaus komplexeren Netzes an gesellschaftlich-sozial-politischen Problemen identifiziert.

Die erste „Drogenpanik“ entsteht laut Craig Reinarman im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der zunehmenden Verbreitung von Alkohol als Genussmittel. Darauf folgte die Prohibition in den USA – also das landesweite Verbot von Herstellung, Transport und Verkauf von Alkohol. Weitere historische Drogenpaniken werden von Reinarman im Diskurs um die Suchtmittel Opium, Marihuana und Crack beschrieben. Dabei wurden all diese Suchtmittel bereits Jahrzehnte und Jahrhunderte vor der Entfachung der jeweiligen Drogenpanik konsumiert, allein die Gruppe der von der Gesamtgesellschaft wahrgenommenen Konsument:innen hatte sich verändert. Im Zuge einer Drogenpanik verändern sich also nicht grundlegend die Konsumgewohnheiten innerhalb der Gesellschaft, sondern primär der Darstellungsrahmen.

Stefan: Wie wird in den Medien über Drogen berichtet? Da gibt es sicher auch Unterschiede je nach Thema: Drogenkonsum, Drogenhandel oder Drogensucht.

Antonia: Im aktuellen Diskurs um die Legalisierung von Cannabis in Deutschland habe ich in meiner Recherche feststellen können, dass sowohl der Konsum als auch der Handel von, in diesem Fall Cannabis, im Zuge der Legalisierungsdebatte in den Medien stark aufgegriffen wurden und eine Legalisierung von den Medien oftmals als Problemlösung für illegalen Drogenkonsum und -handel angesehen wird bzw. darüber in den Medien diskutiert wurde. Beiden Stichwörtern kommt im Diskurs oftmals eine eher neutrale Konnotation zu, da man den illegalen Charakter durch die aktuelle Gesetzesänderung an die gesellschaftliche Norm anpassen möchte. Die gesamte mediale Debatte ermöglicht der Bevölkerung einen „frischen“ Zugang zu den Begriffen „Drogenkonsum“ und „Drogenhandel“, da diese durch eine Legalisierung frei von negativer Konnotation werden und somit der Gesellschaft zugänglicher gemacht werden. Die Einordnung der vier Betrachtungsweisen von Drogenkonsum in der Geschichte der Drogenpolitik ist laut Dollinger und Schmidt-Semisch (2007) an dieser Stelle eine interessante Einordnung, da Drogenkonsum demnach verstanden werden kann als:

  • kulturell reguliertes bzw. zu regulierendes Phänomen, das allgemein akzeptiert und (in bestimmten Situationen) erwünscht ist (Kultivierung);
  • unerwünschtes Verhalten, das aber in der Verantwortung des Einzelnen steht (Akzeptanz);
  • Krankheit, die behandelt werden kann/muss (Pathologisierung);
  • Verbrechen, das es mit Freiheits-/Geldstrafen zu ahnden gilt (Kriminalisierung).

In den von mir untersuchten Medien konnte ich sowohl den Kultivierungs- als auch den Akzeptanzansatz von Cannabiskonsum und -handel erkennen.

Anders sah es im Zuge meiner Recherche jedoch mit dem Begriff „Drogensucht“ aus. Über Sucht wurde im Diskurs der Legalisierung von Cannabis in den von mir untersuchten Medien nur sehr wenig berichtet und wenn, dann handelte es sich meist um Kritik an der Legalisierung und um eine „Gefahr“, der die Gesamtbevölkerung ausgesetzt wird und vor welcher man sie schützen müsse (z. B. indem man bzw. der Gesetzgeber entsprechende Maßnahmen implementiert). In diesem Zusammenhang werden also eher die Ansätze der Pathologisierung und Kriminalisierung verwendet.

Stefan: Das Bedürfnisdas „Volk“ zu „schützen“ scheint dem Gesetzgeber am stärksten im Fall des Drogenmissbrauchs umzutreiben. Beim In-den-Tod-Schicken von Soldaten sind die meisten Staaten da nicht ganz so zimperlich.

Christine Graebsch hat einen luziden Text über die Rechtstheorie der Drogenprohibition geschrieben. Das deutsche Opiumgesetz von 1920 hat mit dem Betäubungsmittelgesetz von 1971 gemeinsam, dass der Zweck des Drogenverbotes als „Schutz der Volksgesundheit“ angegeben wird. Das soll erreicht werden, indem jeglicher Umgang mit den im Gesetz aufgelisteten Substanzen unter Strafe gestellt wird. Das ist insofern bemerkenswert, als dass in der sonstigen verfassungsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung „paternalistischer Schutz des sich freiverantwortlich selbst schädigenden Individuums weithin abgelehnt wird“. Das liberale Recht spricht uns zu uns krank- und totzuarbeiten und gesundheitsgefährdende Berufe und Arbeitsbedingungen (Nachtarbeit, Schichtdienste, Arbeit mit gefährlichen Substanzen, körperliche Schwerarbeit) zu akzeptieren. Diese werden manchmal durch monetäre Anreize, Stichwort: Überzahlung für Schwerarbeit, abgegolten. Es ist erlaubt Extremsport mit erheblichem Unfallrisiko zu betreiben, täglich übermüdet mit Fahrrad und Auto in die und aus der Arbeit zu fahren, Kriegsdienst zu leisten, und Suizid zu begehen, aber beim Drogenkonsum wird es offenbar ernst.

Graebsch nimmt sich den Cannabis-Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts von 1994 vor. Der Begriff der Volksgesundheit kommt darin nicht vor, aber der Wille „die menschliche Gesundheit sowohl des einzelnen wie der Bevölkerung im Ganzen vor den von Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren zu schützen und die Bevölkerung, vor allem Jugendliche, vor Abhängigkeit von Betäubungsmitteln zu bewahren“. Dies soll ein „drogenfreies soziales Zusammenleben ermöglichen“. Ein Recht auf burnoutfreies Arbeitsleben gibt es dagegen noch nicht. Das deutsche Bundesverfassungsgericht argumentiert mit einem dem Konsum innwohnenden antizipierbaren Fremdverletzungspotential, das daraus resultiert, dass jeder Konsument seine Drogen auch in Umlauf bringen könnte. Warum in privaten Haushalten in denen Kinder leben grundsätzlich Alkohol in unbegrenzten Mengen gelagert und konsumiert werden darf, warum dort geraucht werden darf, das darf man sich angesichts dieser Argumentation sicherlich fragen. Es ist jedenfalls eine sonderbare Herangehensweise, dass die Kriminalisierung von Erwerb und Besitz von illegalen Drogen zum Eigenkonsum deshalb verboten sein soll, weil es die Möglichkeit gibt, dass man sie an schützenswerte Andere weitergibt. „[E]ine Verdachtsinkriminierung, die dem Schuldprinzip widerspricht.“

Der dieser Möglichkeit zur Verdachtsinkriminierung implizit zugrundeliegende Begriff der Volksgesundheit ist „ein konturloses Rechtsgut, das in der NS-Zeit darauf angelegt war, die ‚Reinheit der Rasse‘ zu bewahren“. Dadurch soll ein „Interesse der Allgemeinheit an der Verhinderung von Gesundheitsbeinträchtigungen des*der Einzelnen konstruiert“ werden. Und auch heute noch wird es „in Zusammenhang mit dem Schutz vor der Verbreitung von Infektionskrankheiten und im Lebensmittelrecht herangezogen“. Immer kommt darin eine Sorge um die individuelle Gesundheit zum Ausdruck, die wie ein Allgemeingut rechtlich gesichert werden soll. Diese Rechtsgutbeschreibung der allgemeinen Sorge um die Volksgesundheit bezieht sich explizit nicht auf alle gesundheitsgefährdenden gesellschaftlichen Praktiken, sondern auf den Konsum illegaler Drogen und nimmt „die Arbeitskraft und Produktivität von Bürger*innen als Maßstab für deren Gesellschaftsnützlichkeit“. Die Gesundheit Einzelner wird juristisch „kollektiviert“ und einer „wirtschaftlichen Nützlichkeitserwägung“ unterzogen. „(D)em herangezogenen Gesundheitsbegriff entgegenstehende und ebenfalls kollektiv verankerte Bedürfnisse nach Entspannung, Rausch, Irrationalität, Vergemeinschaftung ohne Wirtschaftlichkeitsbezug etc. werden dahinter rechtsdogmatisch zum Verschwinden gebracht.“

Ich habe das Gefühl, es geht bei der Drogenberichterstattung noch sehr viel um die Befriedigung von Sensationsgelüsten beim Publikum und das hat vor allem in Deutschland und Österreich eine gewisse Tradition. Die Nürnberger Rassegesetze von 1935 und die Einführung des arischen Ahnenpasses stellten die „Reinheit des Blutes“ in den Mittelpunkt der Verfolgungspolitik im Nazi-Reich. Hier sieht Ohler eine „Schnittstelle zwischen antisemitischer Hetze und Antidrogenpolitik“ in der „Juden und Drogen […] zu einer toxischen oder infektiologischen Einheit“ (ebda.) verschmolzen, die das gesunde deutsche Volk durch Verunreinigung bedrohte. Der „marxistisch-jüdische“ Einfluss der hinter der Vorstellung vermutet wurde, dass Menschen ihren Körper und ihre Gesundheit selbst besitzen könnten und also selbst entscheiden mit welchen Drogen man sich berauschen wollte, stand für die Nazis die „germanisch-deutsche“ Auffassung entgegen, dass der Körper der Einzelnen dem Volk gehört. Während Drogen wie Cannabis, Morphin und Kokain geächtet waren, wurde die Entwicklung synthetischer Stimulanzien forciert. Die Konzerne Merck in Darmstadt, Bayer im Rheinland oder Boehringer Ingelheim profitierten stark und können ihr Geschäft bis heute weitgehend bruchlos fortführen. Für die Behandlung des Volkskörpers wurden Metamphetamine im industriellen Maß hergestellt. Das Indikationsfeld, also die Anwendung der Drogen, ging von Geburtshilfe, Seekrankheit, Höhenangst, Heuschnupfen, Depression, und Hirnstörungen. Gleichzeitig wurde der öffentliche Hass auf Drogenkonsumenten geschürt, die sich nicht an den „Volksdrogen“ berauschten. „Wer Drogen konsumierte, litt unter einer ‚Auslandsseuche‘. Rauschmittelhändler wurden als skrupellos, gierig oder fremdvölkisch hingestellt, Drogenkonsum als ‚rassisch minderwertig‘ und sogenannte Rauschgiftkriminalität als eine der größten Bedrohungen der Gesellschaft“ bezeichnet. Diese Diktion im Umgang mit Drogen hält sich in einer ähnlichen Weise bis heute. Richard Nixon wird folgendes Zitat zugeschrieben: ‚Every one of the bastards that are out for legalizing marijuana is jewish.‘“ (zitiert nach Tom Feiling: The Candy Machine 35)

Antonia: Das von dir hier angesprochen Framing, welches von den Nazis verwendet wurde, um den Konsum bestimmter Suchtmittel in der Gesellschaft zu normalisieren und andere Substanzen als eine „Verunreinigung des deutschen Volkes“ darzustellen, finde ich sehr interessant. Diese quasi-ideologische Interpretation des Drogenkonsums bedarf sicherlich einer eigenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Welche Zusammenhänge siehst du in den von dir aufgelisteten Fakten und dem aktuellen Umgang mit Suchtmitteln und Drogen? Welche Fortschritte haben wir als Gesellschaft in diesem Diskurs seit dem zweiten Weltkrieg gemacht?

Stefan: Da muss ich etwas weiter ausholen. Legalität bedeutet Rechtmäßigkeit. Man kann von einer legalen Handlung sprechen, wenn sie überprüfbar auf rechtlicher und gesetzlicher Grundlage erfolgt. Es können aber zwischen dem geschriebenen Gesetz, der dementsprechend legalen Handlung und den jeweiligen Vorstellungen über Gerechtigkeit Spannungen auftreten, die Fragen nach der Legitimität, also der inhaltlichen Rechtmäßigkeit dieser Handlung aufwerfen.

Illegalität bezeichnet einen Verstoß gegen geltendes Recht. Illizität bezeichnet eine Handlung am Rande der Legalität, die gerade noch durch das Gesetz gedeckt ist, sich aber bereits in den Bereich der Illegalität hinbewegt oder zwar vollständig legal, aber ethisch verwerflich ist.

Die Begriffsklärung der europäischen Drogenbeobachtungsstelle von 2023 beschreibt Legalisierung als einen Vorgang, der eine Handlung die zuvor verboten war, rechtmäßig macht. Im Fall von Drogen bedeutet es, dass alle strafrechtlichen und nichtstrafrechtlichen Sanktionen betreffend den Besitz oder Konsum abgeschafft werden.

Entkriminalisierung bedeutet die Aufhebung des strafrechtlichen Status für ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Handlung. Drogen werden aber weiterhin beschlagnahmt und nicht-strafrechtliche Sanktionen weiterhin verhängt. Entkriminalisierung bezieht sich in der Regel auf den persönlichen Besitz oder Konsum der Drogen. Verkauf und Angebot bleiben strafrechtlich relevant.

Straffreiheit dagegen würde bedeuten, dass Strafverfahren ohne Verhängung einer Strafe eingestellt werden, weil sie etwa als geringfügig eingestuft werden, oder deren Verfolgung nicht im öffentlichen Interesse liegt.

Regulierung liegt dann vor, wenn Anbau, Vertrieb und Verkauf von Drogen durch Lizenzen geordnet werden. Damit verbunden können auch Bestimmungen, wie Altersgrenzen für den Erwerb und Konsum sein. Verstöße gegen diese Bestimmungen können strafbar sein, oder auch nicht.

Es gibt zur Legalisierung von Drogen verschiedenste Ansätze die sich mit unterschiedlichen Argumentationen für oder gegen die Legalisierung aussprechen. Ein wichtiges Argument für die Legalisierung ist das Recht der Individuen auf Selbstbestimmung. Ein mündiger Mensch sollte die Freiheit haben sich für oder gegen den Drogenkonsum aufgrund ausreichender Information und sicherem Zugang zu entscheiden. Dafür spricht, dass der Konsum trotz Prohibition in großem Ausmaß stattfindet. Dagegen kann eingewendet werden, dass damit der Einstiegskonsum verstärkt wird. Vergleichbar mit Alkohol und Zigaretten könnte eine Legalisierung ohne starke flankierende politisch-institutionelle Maßnahmen dazu führen, dass bereits sehr junge Menschen zu starken Drogen greifen. Ein wirksamer Jugendschutz kann jedenfalls nur durch engmaschige staatliche Kontrollen und begleitende Projekte, sowie wirkungsvolle suchtpräventive und -begleitende Maßnahmen garantiert werden. Aus kriminologischer Sicht kann man feststellen, dass die Prohibition den Konsum kaum beschränkt, sondern hauptsächlich zu einer Kriminalisierung der Konsumenten und Prekarisierung des Konsums führt.

Grundsätzlich verhält es sich aber so, laut Hans Joachim Jungblut, dass die internationalen Konventionen zum Drogenhandel und Konsum zwar einen Einfluss auf die nationalen Gesetzgebungen haben und „prohibitive Rahmenbedingungen konstituieren“. „Sie sind aber nationalspezifisch auszuformulieren. Dies bedeutet, […] dass Spielraum zur sinnhaften Ausgestaltung einer schadensreduzierenden Drogenpolitik besteht. Insofern die prohibitive Drogenpolitik und ihre drogenrechtliche Kristallisation Inkonsistenzen und Vermittlungsprobleme u. a. mit grundgesetzlichen Regulierungen beinhaltet, besteht Anlass, diesen Raum auszufüllen.“ Die aus den Konventionen abgeleitete Verpflichtungen müssen „im Einklang mit der jeweiligen Verfassung eines Mitgliedsstaates“ sein. Der Staat hätte Spielraum dafür Institutionen zu schaffen die Qualität und Reinheit von Betäubungsmitteln garantieren und Risiko mindernde Strategien des Gebrauchs vermitteln. Diesen Spielraum hat gerade Deutschland genutzt um Cannabis zu legalisieren. Die deutsche Bundesregierung will damit erreichen, dass der illegale Cannabis-Markt eingedämmt, die Qualität von Cannabis besser kontrolliert, die Weitergabe von verunreinigten Substanzen verhindert und damit zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beigetragen werden kann. Dafür soll mehr für Aufklärung und Prävention getan und der Kinder- und Jugendschutz gestärkt werden. Das Gesetz sieht vor, dass Erwachsene in begrenzten Mengen privat (bis zu drei Pflanzen) oder – ab dem 1. Juli 2024 – in nicht-gewerblichen Vereinigungen Cannabis anbauen dürfen. Über diese Anbauvereinigungen darf Cannabis an Erwachsene zum Eigenkonsum kontrolliert weitergegeben werden. Cannabissamen dürfen aus EU-Mitgliedsstaaten zum Zwecke des privaten Eigenanbaus eingeführt werden. Ein Erwerb über das Internet und der Versand nach Deutschland sind zulässig. Die Einfuhr von Cannabis aus dem Ausland nach Deutschland bleibt hingegen verboten. Der Besitz von bis zu 25 Gramm getrocknetem Cannabis ist nun straffrei. Dies gilt für den öffentlichen Raum. Für den privaten Raum gilt die Grenze von 50 Gramm getrocknetem Cannabis. Es gibt ein allgemeines Werbe- und Sponsoringverbot für Konsumcannabis und für Anbauvereinigungen. Für Minderjährige bleibt der Besitz von Cannabis nach wie vor verboten. Zudem bestehen Sonderregelungen für junge Erwachsene – mit geringeren Abgabemengen und reduzierten THC-Gehalten. Der öffentliche Konsum von Cannabis ist beschränkt. So gilt zum Beispiel ein Konsumverbot in Fußgängerzonen von 7 bis 20 Uhr.

Als positive Auswirkungen der Legalisierung von Cannabis gelten, in Hinblick auf Länder in denen die Legalisierung schon länger beobachtbar ist (USA, Canada), laut Hoch und Preuss, ein Zuwachs an Steuereinnahmen sowie ein Rückgang des illegalen Marktes, auch wenn gerade die Besteuerung des legalen Marktes dem illegalen Markt Vorteile verschafft und er deshalb durch diese Maßnahme nicht ganz verschwinden wird. Auf der anderen Seite gibt es eine Zunahme im Konsum der Droge und bei den Cannabisnotfällen in den Krankenhäusern.

Die Debatte über eine mögliche Legalisierung von Drogen tobt seit Jahrzehnten. Der libertäre US-amerikanische Richter James P. Gray stellt, seine langjährige Erfahrung zusammenfassend, fest die Ergebnisse der Null-Toleranz-Politik der USA in Bezug auf Drogen seien „überwältigend negativ“. Er schreibt, einer von 31 Erwachsenen in den USA war 2009 im Gefängnis auf Bewährungsstrafe. Obwohl die allgemeine Kriminalitätsrate in den USA in den letzten Jahren gesunken ist, sind Gefangennahmen wegen Drogendelikten seit 1980 um das Siebenfache gestiegen. Absurd daran ist, so behauptet Gray, dass dieses System der schnellen Gefangenahme bei geringen Verstößen dazu geführt hat, dass hauptsächlich die „dummen, unorganisierten und weniger gewaltbereiten“ Personen vom Markt eliminiert wurden, die Cleveren und Gefährlichen aber weiter ihr Unwesen treiben. Dazu kommt, dass die Überfüllung der Gefängnisse dazu führt, dass immer wieder gefährlichere Verbrecher entlassen werden müssen, um Platz zu schaffen für neu eintreffende kleine Drogenhändler. So viele werden in manchen Gegenden für kleine Delikte eingesperrt, dass sich Jugendkulturen darum bilden, die den Aufenthalt im Gefängnis als Ritual der Aufnahme in die Gemeinschaft ansehen.

Dazu kommt nach neuesten Erkenntnissen, dass laut Karl-Heinz Reuband eine rigide Strafverfolgung für Drogendelikte keine präventive Wirkung hat. Für das Verhalten der Individuen ist die Höhe der Strafdrohung weniger entscheidend, als ihre Wahrnehmung der Möglichkeit entdeckt zu werden. Anders gesagt, die Befunde der empirischen Untersuchung des Einflusses der Rechtspraxis auf den Konsum illegaler Drogen liefern „keinen überzeugenden Beweis für die Haltbarkeit der These, derzufolge das Recht und die Rechtspraxis eine ‚normvalidierende‘ Funktion ausüben“. Dasselbe gilt für den Einfluss der Drogenpolitik auf die Drogenverbreitung. Jedenfalls was den Cannabiskonsum in Deutschland betrifft.

Die Allokation von Polizei-Ressourcen auf die Verfolgung von geringeren Drogendelikten in den USA hat dazu geführt, dass in den ohnehin strukturschwachen Gegenden klassische Eigentumsdelikte kaum mehr verfolgt werden. Als wäre das Eigentum der unteren Klassen ohnehin nicht schützenswert. Darüber hinaus kam es zu einem Absinken der Aufklärungsrate bei Kapitalverbrechen. Wurden in den späten 1960ern noch 80% der Morde im Raum Los Angeles strafrechtlich verfolgt, fiel diese Rate während des Höhepunkts des War on Drugs auf 47%. Das liegt im Spezialfall der USA auch an den sogenannten „asset-forfeiture laws“. Diese Gesetze erlauben den Polizeistationen einen Anteil an sichergestellten Drogengeldern und anderen mit der Drogenkriminalität verbundenen Werten einzubehalten und als Mittel zur Eigenfinanzierung einzusetzen. Alleine in Texas gibt es laut Tom Feiling im Jahr 2009 45 „narcotic task forces“ deren Budgets an ihren Verhaftungsraten bemessen werden, was ebenfalls die Zahlen der Verhaftungen in die Höhe treibt. Bundesweit gibt es in den USA 50 Regierungsorganisationen die mit dem Krieg gegen Drogen betraut sind. Die Drug Enforcement Agency (DEA) unterhält 227 Büros in den USA und 86 verteilt über 36 weitere Länder. Den so geführten War on Drugs verbindet mit dem War on Terror das Versprechen eines nicht enden wollenden Auftrags der mit unklaren Parametern konstruiert ist. Für Harvard Professorin Elizabeth Hinton steht diese Dynamik in einem Zusammenhang mit der aus einem parteiübergreifenden politischen Konsens entstandenen Entwicklung hin zu dem aktuellen System der Masseneinkerkerung in den USA. Das Ziel war und ist die Kontrolle von als problematisch eingestuften Bevölkerungsgruppen. Betroffen davon sind in erster Linie arme Menschen aus den unteren Klassen. Für Afroamerikaner aber gelten noch einmal gesonderte Regeln. Sie werden, vor allem bei Routinekontrollen der Polizei, unabhängig von ihrem Klassenstatus weitaus öfter kontrolliert und werden weitaus öfter Opfer von Polizeigewalt.

Eine Gruppe die darüber hinaus überproportional betroffen ist von polizeilichen Maßnahmen im Zusammenhang mit Drogendelikten, sind Frauen. Während der Jahre ab 1993 stieg die Anzahl von Frauen, die wegen Drogendelikten im Gefängnis waren um 224% bis 1996 sogar um 888% im Vergleich zu einem Anstieg von 129% für andere Verbrechen. Sie würden am meisten von einer Legalisierung, oder Straffreiheit profitieren, denn nur 12% von ihnen sitzen wegen Gewaltverbrechen hinter Gittern. Bei den Männern sind es 50%. Die meisten Frauen die für Drogendelikte eingesperrt werden, sind arm, schlecht oder gar nicht ausgebildet und in vielen Fällen mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status ausgestattet, als die männlichen Kleindealer. Dennoch tragen sie, laut Taxman/Cropsey, das höhere Risiko beim Drogenhandel erwischt und eingesperrt zu werden. Vor ihrer Verhaftung haben sie im Durchschnitt ein Einkommen von 600 Dollar oder weniger. Das liegt auch daran, dass die Drogenszene zumindest auf Seite der Konsumenten, von Männern dominiert wird, denen auch die höhere Statusposition zukommt. Das kann ich auch aus meiner Erfahrung als Sozialarbeiter bestätigen. 

Also die Gesellschaft macht durchaus Fortschritte im Umgang mit dem Thema von Drogenhandel und Konsum. Auch die Medienberichterstattung hat sich gewandelt. Aber wir sind immer noch mit schädlichen Artefakten aus vergangenen Zeiten konfrontiert, die sich nur langsam verflüchtigen. Ich wäre auch misstrauisch gegenüber der Wirkung, die ein progressiver Umgang mit dem Thema im Endeffekt haben kann. Also, selbst wenn es eine Berichterstattung gibt, die sich positiv auf die Legalisierung von Drogen bezieht und, wie im Fall von Cannabis, sich immer mehr öffnet, bleibt die Frage, warum wir überhaupt so viele Drogen konsumieren?

Zusammengefasst kann man sagen, das Drogen-„Problem“ wird sich nur wirksam lösen lassen, wenn sich das Kapitalismusproblem lösen lässt.

[Teile meiner Antworten sind meinem gerade entstehenden Buch „Konstellationen der Ungleichheit. Digitaler Kapitalismus und Drogenökonomie“ entnommen. Die Literatur-Nachweise werden dort nachzulesen sein.]