Krampf der Arbeit

Am 1. Mai ist der Tag der Arbeit. Ein Kampftag, wie die Sozialdemokraten gern sagen. Ich war grad in der Stadt spazieren. Gekämpft haben sie nicht. Eher gefeiert, dass wir immer noch arbeiten dürfen. Da ich Arbeit aber nicht feiere, red ich lieber darüber, warum sie sich schon lange nicht mehr lohnt und warum die Kämpfe vielleicht doch wieder aufgenommen werden sollten. 

Kreditinstitute bieten im Durchschnitt 0,71 % Zinsen an. Die Inflation lag 2022 bei ca. 8 % und das obwohl die EZB die Leitzinsen fünfmal in Folge stark erhöht hat. Die Banken, die in der Not Staatsanleihen an die EZB verkauft haben, können jetzt dieses Überschusskapital bei den Zentralbanken zu hohen Leitzinsen abstellen und haben damit im Jahr 2022 27,4 Milliarden Euro eingestrichen. Das sind risikolose Erträge, die die Banken selbst verwenden können. Auf den Konten der Kunden kommt das Geld nicht an. Sie haben neben dem Reallohnverlust durch die Inflation auch noch einen Vermögensverlust zu beklagen.

Die Zentralbanken sind politische Interventionsmaschinen, um die marktliberale Akkumulations-Logik aufrecht zu erhalten. Sie stabilisieren damit die Bereitschaft der Banken zur erweiterten krisenhaften Akkumulation, die in einem Modus vonstattengeht, den Anne Case und Angus Deaton, der Gewinner des Wirtschaftsnobelpreises von 2015, als „Sheriff of Nottingham Redistribution“ bezeichnen: Politische Protektion wird für die Zwecke der Akkumulation genutzt, um von den Armen zu den Reichen umzuverteilen.

Die EZB richtet sich dabei nicht nach detailliert ausgearbeiteten Notfallplänen, sondern trifft pragmatische Ad-hoc-Entscheidungen (Joscha Wullweber) die zur Zeit von Christine Lagarde angeleitet werden. Sie war vor ihrer Berufung zur EZB, Vorsitzende von Baker McKenzie einer der größten und weltweit bestvernetzten Anwaltskanzleien für Wirtschaftsrecht. Das ist sicherlich eine gute Qualifikation. Aber, ob es die richtige Qualifikation ist, ist eine andere Frage.

Der Trend geht jedenfalls zur Ansammlung von Vermögen bei denen, die es ohnehin schon haben. Angeleitet wird diese Umverteilung von unten nach oben von demokratisch nicht legitimierten Institutionen und Persönlichkeiten, die starke persönliche Interessen mit den Wohlhabenden und Mächtigen verbinden. Die Arbeit spielt dabei nur mehr insofern eine Rolle, als sie sich zur Ausbeutung eignet. 

Es gibt eine Studie über Wege zum Reichtum von Melanie Böwing-Schmalenbrock, in der sie statistisch ermittelt, dass mehr als die Hälfte der reichen Haushalte ihren Reichtum durch Vermögenstransfer erlangt hat. Die Studie ist zehn Jahre alt, aber wir können davon ausgehen, dass sich diese Dynamik seither noch verstärkt hat. Also mindestens die Hälfte derer die reich sind, haben den Zaster geerbt und nicht verdient. Aber damit wir das nicht als ungerecht empfinden, werden wir mittels des Leistungsbegriffs blöd gemacht.

Soziale Ungleichheit wird als natürlich dargestellt, als Voraussetzung für das Funktionieren der Gesellschaft. Der Leistungsbegriff wird entpersonifiziert, die Ungleichheit individualisiert. Armut wirkt dabei als Drohkulisse und Disziplinierungsmittel, anstatt als Anreiz zur Umverteilung. Die profitierende Erbelite schafft dabei durch beständiges Lobbyieren und teilweise durch direkte Regierungsbeteiligung institutionelle und konstitutionelle Strukturen zur Stabilisierung bestehender Macht- und Verteilungsverhältnisse und entzieht diejenigen Maßnahmen der demokratischen Kontrolle, die zur Umverteilung beitragen könnten. (Christoph Butterwegge)

Und während sich die Reichen in Clans organisieren und ihre Interessen geschlossen und mit aller Macht vertreten, sind die Armen desorganisiert und ihre Organisationsstrukturen verödet. Das Brimborium am 1. Mai ist der sichtbarste Ausdruck dieses ritualistischen Zugangs zum sogenannten Arbeitskampf, bei dem die SPÖ-Grand_Innen sich im polierten Nadelstreif der Managerkaste zeigen und dem hilflos abgehängten Proletariat von der Bühne oder durch verspiegelten Limousinenfenstern huldvoll zuwinken. (Achtung Übertreibung.)

Währenddessen sinken hierzulande nicht nur die Reallöhne und die Sparzinsen, sondern es steigen auch die Miet- und Lebensmittelpreise. Und dabei sogar schneller als in vergleichbaren EU-Nachbarländern wie Deutschland. Bei uns sind Lebensmittel ohne plausiblen Grund um 13 % teurer als dort. Da es zwischen Deutschland und Österreich keine Zölle gibt, lässt sich vermuten, dass die Preisunterschiede anders zustande kommen. Etwa durch Absprachen zwischen Supermärkten und daraus entstehendem schwächeren Wettbewerb.

Aber auch die Mietpreise sind Ergebnis politischer Handlungen und Absprachen. Bauland wird gehortet, Wohnungen werden als Investment verwendet. Wie in allen Bereichen gilt, dass nicht nach Bedürfnis produziert, sondern zur Verwertung des Werts beigetragen wird.

Ein Ergebnis davon ist, dass immer mehr Menschen wegen der hohen Preise Konsumkredite aufnehmen. 17 % der Kreditnehmer verwenden mittlerweile Verbrauchskredite zur Umschuldung, weil sie sich den sprunghaften Anstieg der Lebenserhaltungskosten nicht mehr leisten können. Eine wirksame Anpassung der Löhne wird aber nicht einmal von den sogenannten Sozialdemokraten ernsthaft gefordert. In ihrem Grundsatzprogramm sprechen sie sich dafür aus, dass „Leistung sich lohnen muss“. Sie wollen das dadurch erreichen, dass Löhne gerecht sind und dass kein Lohndumping betrieben wird. Ihr Ziel ist „Vollbeschäftigung und faire Löhne“. Lohngerechtigkeit beinhaltet für sie die Forderung nach einem Mindestlohn.

Höhere Löhne fordern sie aber nicht prinzipiell, sondern immerhin, aber nur für Pflegekräfte. Womit wir beim nächsten Punkt wären: dem Pflegenotstand. Wir sind mittendrin.

Kaum ein Beruf ist gefragter, kaum einer notwendiger und wichtiger für die Erhaltung der allgemeinen Gesundheit. Fast eine halbe Million Menschen in Österreich brauchen Pflege, 1,2 Millionen Menschen übernehmen diese. Ständige Überstunden, Nachtdienste, große Verantwortung, geringes Gehalt, führen dazu, dass 2030 76.000 Pflegekräfte fehlen werden.

Aber wo Großbanken die Gehälter ihrer Manager damit rechtfertigen, dass diese schwer zu kriegen sind – „gute Leute sind teuer“ – und vor allem sehr viel Verantwortung tragen, gilt dieses Argument augenscheinlich bei Pflegekräften nicht. Diese kämpfen neben den Reallohnverlusten mit Erschöpfung und Überarbeitung. Zeitgleich findet, angeheizt durch die Inflation, eine starke Umverteilung des gesellschaftlichen Vermögens zugunsten von Unternehmen statt. (Isabella Weber) Aber auch die Corona-Förderungen haben dazu geführt, dass gesellschaftliches Vermögen in großem Maß in die Taschen weniger geflossen ist.

Das, unser Finanzminister Brunner vor dem Opernball im Sacher um 9.500 Euro essen war und dann seine 27.100-Euro-Loge bezogen hat, in der er 3.000 Euro für Getränke verballert hat, ist in dem Zusammenhang nur eine Petitesse. Aber eine die uns vielleicht auf ein wichtiges Charakteristikum der gesamten Problemlage hinweisen kann. Wir werden durch Strukturen beherrscht, die nicht für unsere Bedürfnisse eingerichtet sind und diese sind mit Menschen gefüllt, die in einer anderen ökonomischen Welt leben und mit uns nur teilen, dass sie ihre Ausgaben mit der Ausbeutung unserer Arbeit decken.

Arbeit, immer schon ein Ekzem auf der menschlichen Pobacke, wird immer unerträglicher. Wer für die Arbeit kämpft (Stichwort „Fairness“) anstatt gegen sie, ist jedenfalls nicht auf der Seite der Arbeitenden. Das sollten auch die lieben sozialdemokratischen Politiker_Innen bedenken, wenn sie ihre üppigen Löhne kassieren, ohne dass sich ihre Leistung für ihre Klientel in letzter Zeit gelohnt hätte.