Despektierliche Bemerkungen über den heutigen Buchhandel

Ich bin ein Flaneur. Zielloses Spazieren ist eine Leidenschaft von mir. Eine meiner flanierenden Entdeckungen sind Antiquariate. Wunderbare Läden voller Geschichten und Plunder, aber oft auch voller interessanter Menschen und Bücher.

Die Bücher-Antiquariate in Wien sind vielfältig und manchmal an Orten, an denen man nicht mit ihnen rechnet. Ich entdecke immer wieder ein neues beim Flanieren und dann schau ich hinein und geb mir die Auswahl dort. Die Antiquare sind Büchermenschen, durch die Bank. Sie lesen selbst und sie kennen sich aus. Sie kennen den Kanon und oft auch noch Spezielleres und Aktuelleres. Und mein liebster Antiquar, Jürgen Fetzer in der Löwengasse im dritten Wiener Bezirk, kennt auch Abseitiges. Er liest auch Trash und empfiehlt Bücher. Und zwar nach dem fruchtbarsten Empfehlungsmotto, mit dem bisher kein Algorithmus mithalten kann, er weiß, wovon er spricht. Wenn er sagt: „Wenn Sie das interessiert hat, dann wird sie das auch interessieren.“ – dann ist das keine Vermutung aufgrund der Ähnlichkeit der Buchdeckel und eines Wortes in der Überschrift, sondern ist ein durch eigenes echtes Lesen begründeter starker Verdacht. Darüber hinaus lacht er still, wenn ich beim Durchstöbern immer mal daheim anrufe und frage, ob wir den einen oder den anderen Band von Fritz Leiber oder Michael Moorcock schon haben.

Beinahe immer kaufe ich etwas, wenn ich im Antiquariat bin. Manchmal so viel, dass der Rucksack fast platzt. Es gibt auch echte Buchhandlungen, wie „Hartliebs Bücher“, wo es sowohl was zum Lesen, als auch eine tolle Beratung gibt. Da kann man dann bei kompetenten Händlerinnen etwas Seltenes oder Vergriffenes bestellen und sie erklären einem auch, woran es liegt, wenn ein Buch mal nicht geliefert wird. Sehr interessant übrigens, die politische Ökonomie des Buchhandels.

Wo ich in letzter Zeit immer seltener einkaufe, ist im regulären Groß-Buchhandel. Ich gehe rein, aber ich kaufe nichts. Das hat etwas mit der Präsentation der Waren zu tun. Menschen, die Bücher lieben und aktiv lesen, mögen Bücherwände. Ein, für Laien, unübersichtliches Durcheinander von Buchrücken, Farben und Formen, das anziehend auf die wirkt, die etwas damit anfangen können. Ich entdecke gerne versteckte Schätze, komme wieder vorbei und finde noch beim ersten Mal Übersehenes. Stattdessen wird neuerdings alles ganz offen präsentiert. Es gibt keine Schätze mehr zu entdecken und weil die Sortimente sich zusehends auf Neuerscheinungen beschränken, weiß ich meist bereits aus der Zeitung was da liegt, und darüber hinaus wird das Angebot immer dünner.

Die neuen Buchhandlungen mögen Buchliebhaber nicht. Sie wollen Kunden anziehen. Nicht unbedingt solche Kunden, die aufgrund der Qualität des Angebots und der Vortrefflichkeit der Beratung 200 Euro dalassen, sondern stattdessen Kunden, die schnell wieder weg sind, wenig Fragen stellen oder nur wegen eines „Geschenkkartons“ vorbeikommen. Beim Morawa muss man sich durch eine Halle voller aktueller Zeitgeistliteratur kämpfen, dann kommt man zu den Comics und dann zur Motorrad- und Autofahrerzeitschrift. Lyrik gibt es, genau wie bei Thalia, in homöopathischen Dosierungen. Überall liegen dieselben Bände von Rilke und Bachmann, wobei Bachmann ja wirklich gut ist und also zurecht überall erhältlich ist. Rilke ja auch irgendwie, aber den müsst es nicht überall geben. Den schmeißen sie einem, wie den Hesse und den Brecht mit den drei bekannten Stücken, eh in jedem offenen Bücherschrank nach. Beim Thalia auf der Landstraße stehen alle möglichen Gebrauchsgüter zum Verkauf. Sie erhalten die Hauptaufmerksamkeit der Innendesigner des Shops. Die Bücher an der Wand wirken wie eine hübsche Nebensache. Wer liest schon Pierre Bourdieu? Der ist zwar unter „B“ angeschrieben, aber physisch vertreten ist er nicht. Sollen die Kunden doch eine neue Handy-Hülle kaufen und sich den Bourdieu bei Amazon bestellen. Der analoge Buchhandel hat in der Konkurrenz mit den digitalen Plattformen offenbar beschlossen, diese einfach physisch nachzubauen und zu hoffen, dass die Menschen den Unterschied irgendwann nicht mehr bemerken. Man hätte stattdessen auch das Service verbessern können. Aber was verstehe ich schon davon?

Im ersten Stock beim Morawa in der Abteilung nahe der Naturwissenschaft: Der Arbeitsplatz der zuständigen Händlerin ist zwischen Tarotkarten-, Wohlfühl- und Kochbüchern. Ich, völlig naiv und von Antiquariaten verwöhnt, frage, ob es ein Buch über die Geschichte der chemischen Industrie gibt. Sie, meine Naivität sofort erkennend, wirft den Kopf in den Nacken und lacht hellauf, bevor sie, kopfschüttelnd, aber verständnisvoll, wie wenn man mit einem kleinen Kind spricht, das gerade gefragt hat, wann der Nikolo kommt, zu mir sagt: „Nein natürlich haben wir so etwas nicht.“ – und sich wieder ihrer Lektüre des Online-Standard zuwendet. Es kommt ihr so abwegig vor, dass es so ein Buch geben könnte, dass sie nicht einmal die Flucht in die online-Recherche antritt, um mir dann zu sagen, dass sie mir ein so ungewöhnliches Buch nur bestellen kann, so wie ich das selbst wahrscheinlich hätte tun sollen. Ich nicke, weil mir bewusst wird, wie blauäugig ich an diese Situation herangegangen bin und wende mich zum Gehen, als sie sich doch dazu entscheidet heute zu arbeiten und mich darauf aufmerksam macht, dass es beim Regal über Naturwissenschaft (1 Regal Naturwissenschaft, 2 Regale Tarotkartenbücher) eine „Einführung in die Chemie für Dummies“ gibt. Ich bedanke mich und frage mich, ob es für die Buchhändler in der ehrwürdigen Buchhandlung mitten im 1. Bezirk eine Einführung in den Buchhandel für Dummies gibt. Ich lasse die Frage vorläufig unbeantwortet. Und es gibt dort auch wirklich sehr bemühte Menschen, die zumindest versuchen hilfreich zu sein. Auch wenn dabei, interessanterweise gerade beim Morawa, bisher noch selten etwas rausgekommen ist.

Ein anderes Mal beim Morawa suche ich nach einem Buch aus einer Serie, die auf einem Aufsteller angeboten wird. Da ich das spezielle Buch nicht finde, wende ich mich an eine Händlerin, die gerade im Gespräch mit einem Kollegen ist, und merke gleich, ich störe. Da ich wohlerzogen bin, signalisiere ich eine Wartehaltung und ziehe mich ein wenig zurück. Das Gespräch wird zu einem für die beiden akzeptablen Ende gebracht und die Dame wendet sich mir unter Aufbietung ihres gesamten Berufsethos zu und erwartet mit halb geschlossenen Augen, das Unvermeidliche. „Was kann ich für Sie tun?“ Freudig trage ich meine, wirklich herausfordernden, Kundenbedürfnisse vor: „Sie haben hier diese Buchserie mit verschiedenen Titeln. Ich habe online [Ich zeige ihr Titel auf meinem Handy Display] diesen spezifischen Titel gesehen und ihn beim Durchschauen jetzt aber nicht gefunden. Haben Sie den hier und ich habe ihn übersehen, oder können Sie ihn mir bestellen?“ Wir schlurfen zum Arbeitsplatz der Dame und es beginnt eine Google-Suche nach dem Buchtitel, wie sie wahrscheinlich seit Gründung des Unternehmens niemand mehr durchgeführt hat. Dementsprechend lange lässt das Ergebnis auf sich warten. „Meinen Sie das hier?“ Ich nicke und weise nochmal auf mein Handy-Display, auf dem das Ergebnis ihrer Recherche bereits vorweggenommen wurde, aber natürlich nicht professionell genug. Woraufhin sie die Bestelldatenbank öffnet und dort eine mittellange Suche startet, die zum Ergebnis hat, dass dieses Buch vergriffen ist. In meiner grenzenlosen Ahnungslosigkeit frage ich, ob man herausfinden kann, ob es einen Nachdruck geben wird, denn schließlich deckt der spezifische Titel ein Thema ab, das jetzt in dieser Buchreihe nicht mehr vorkommt. Worauf mir das Selbstverständliche erklärt wird, nämlich dass Bücher, nach denen es zu wenig Nachfrage gibt, aus dem Sortiment ausscheiden und dann halt nie wieder zurückkehren. Wieder was gelernt. Ich bin schockiert und möchte hier an alle appellieren, die das lesen: Hört nicht auf Thomas Brezina zu kaufen, sonst ist der weg! Dann gibt’s keine „Knickerbockerbande“ mehr und keine „99 heißen Spuren“ und keinen „Tom Turbo“! Ich bestell mir gleich die ganze Serie. Machts das auch, bitte.

Der ehemalige Kuppitsch ist ja jetzt ein Thalia. Das bedeutet, er ist halb ein Libro und Bastelgeschäft, und irgendwo dazwischen liegen, neben Geschenksverpackungen, Kalendern und Ansichtskarten, auch ein paar Bücher. Zur Weihnachtszeit wollte ich ein paar Klassiker kaufen zum Herschenken, aber ich hatte mich für obskure Werke aus der Vergangenheit entschieden, allesamt überflüssiger Plunder aus einer Welt von gestern, wie Tolkiens „Der Herr der Ringe“, irgendwas von Thomas Ligotti und egal welches von Philip K. Dick. Naja, also den „Herren der Ringe“ (die Hardcore Sadomaso Filmversion davon heißt übrigens „Der Herr der Inge“) gabs schon, aber nur in der deutschen Billigausgabe, wo der Karton zerbröselt, sobald man die Plastikhülle entfernt und ohne die schönen Karten. Egal, es gibt ja Alternativen. Thomas Ligotti habe ich mich nicht fragen getraut, weil ich, nach dem Erlebnis mit dem Chemiebuch beim Morawa eine Systemüberlastung befürchtet habe. Aber Philip K. Dick, dachte ich, kann ich wagen. „Haben sie Philip K. Dick?“ „Bitte was?“ „Philip K. Dick. A scanner darkly, Bladerunner, Total Recall, The Man in the High Castle, Minority Report.“ „Sagt mir nichts. Ich schau mal nach.“ … „Ahja, ja den gibt’s schon. Aber haben wir nicht da.“ „Ok danke.“ Ein schönes weihnachtliches Gespräch.

Aber egal. Ich hab dann zu Weihnachten was anders geschenkt. Jedenfalls war ich heute wieder unterwegs und in der Unterführung von der endlich wieder geöffneten U2 bei der Mariahilfer Straße ist ein Books, den ich mag, weil ich da Zufallsfunde machen kann, ähnlich wie im Antiquariat. Jedenfalls komme ich gut gelaunt wie immer herein und bin angetan von der freundlichen Zugewandtheit des sehr jungen Verkäufers, der auf einem lehnenlosen Drehsessel hinter der Kassa thront, wie ein schöner Kranich am See. Jedes Mal, wenn der Kranich sich erhebt, macht der Sessel langgezogene ächzende Geräusche, als wäre er traurig, dass der freundliche Hintern nicht mehr auf ihm sitzt. Guter Hoffnung, ob der bemerkenswerten Begrüßung, frage ich, „Habt ihr Philip K. Dick?“ Der Freundschaftskranich denkt kurz nach und teilt mir dann mit, er habe beim Einräumen der Bücher keinen Dick bemerkt, also hat er keinen. Ich denke mir: Gut, dann schaue ich einfach so durch, vielleicht findet sich ja spontan etwas anderes. Sage artig danke und beginne durchzuschauen. Nach 5 Minuten habe ich den auf dem Beitragsfoto abgebildeten Stapel an Dicks gefunden. A Scanner Darkly ist leider nicht dabei. Aber ich nehme sie trotzdem mit. Der Verkäufer meint beim Bezahlen nur: „Seltsam.“ Ich stimme ihm zu und denke mir, ich komme auf jeden Fall wieder. Ich werde ein Spiel daraus machen. Ich betrete den Laden, frage nach einer bestimmten Autorin und wenn ich die Auskunft erhalte, dass diese bestimmt nicht da ist, mache ich mich auf die Suche nach ihr. Ich freu mich schon drauf.