Podcast: Die Philosophie des Weines

Wein mag für manche die alkoholische Quelle für die abendländischen Zivilisation sein. So gründete schon August der Starke, König in Polen – und Kurfürst von Sachsen – die „Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit“. Am 13. März 1728 wurde der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. Mitglied in dieser Gesellschaft und es heißt – schreibt Peter Richter in „Über das Trinken“ – dass es tatsächlich zwischen Preußen und Sachsen in dieser Zeit friedlicher geworden seien soll. Vom griechischen Gott des Weines Dionysos bis zu Platons Symposion – welches auch als „Trinkgelage“ übersetzt werden kann – ist der Alkohol in der europäischen Kultur stark verwurzelt. „Ein Philosoph, der Wasser trinkt? Das hätten die Griechen nicht gewollt“, schreibt Frederic Pages (Frühstück bei Sokrates 64).

Eine besondere Beziehung haben nicht nur die Philosophen, sondern auch Autoren zum Alkohol. Dabei scheint es egal zu sein, ob sie aus Europa oder Amerika stammen. „Die erste Entdeckung, die ich als Forscher machte, war die Erkenntnis, dass Schriftsteller sehr viel trinken – womöglich mehr als irgendjemand sonst. Sechs amerikanische Nobelpreisträger für Literatur gab es, und vier davon waren Alkoholiker“, schreibt Donald W. Goodwin im Buch „Alkohol & Autor“. Edgar Allan Poe, F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway befanden sich ebenfalls im „Club der trinkenden Autoren“, wie Eugene O´Neill oder Malcom Lowry. Auch Charles Bukowski behauptet sich im Feld der literarischen Trinker, sich „einen antrinken, um in den Flow zu kommen.“

Ela und Stefan haben sich zu diesem Thema extra schwer betrunken. Das Ergebnis könnt ihr in einem weinseligen Podcast hören, in dem sich die Themen von Wein gegen Krieg und Arbeit bis zum Weintrinken in der EU spannen. Ein Hoch auf die internationale Getränkequalität! (Deichkind) Prost!

Podcast: Vor Alkoholismus ist man nur auf dem Mond sicher

Ein Gespräch wie ein frozen conflict. Lachen das ohne Witze auskommt. Wenn wir uns unterhalten bleibt kein Sitzkissen trocken. Der ultimativ zache Podcast gegen die zarte Wirklichkeit.

Ela: Nachdem sich unser geschätztes Publikum ein Kochspecial gewünscht hat, möchten wir dieses Jahr – ein Jahr danach – dieses Special für unser geschätztes Publikum einlesen.

Stefan: Wir haben vor einem Jahr, oder vor eineinhalb Jahren, über Essen einen Beitrag für unseren Blog gemacht und wir wollen gerne wieder über Essen reden. Wir werden dazu Teile unseres Blogs verwenden, weil sich die gut anbieten. Wir werden sie mit gekünstelter Stimme vorlesen, weil wir Zitate daraus verwenden. Wir nennen es ein Mashup.

Hier der Text zum Podcast: Unter Genießerinnen

Unter Herausgeberinnen 3. Männer + Hoden + YouTube + Gewalt – Teil 3

Link zu Teil 1

Link zu Teil 2

Stefan: Die Gewalt in den Foren gehört als Vorbereitungsritual zum Mord mittlerweile dazu. Viele Medien spielen dabei mit. Nach dem Tod von Modell Kasia Lenhardt, die nach ihrer Trennung von einem Fußballer stark unter Onlinehetze gelitten hat, titelt ein online Schmierblatt „Ex-Freundin von Jérome Boateng“ um dann erst damit rauszurücken, dass die 25 jährige gerade unter schlimmen Umständen verstorben ist. 

Ela: Das ist ja auch interessant. Sie macht öffentlich, dass er sie verdroschen hat, darauf patzt er sie an und liefert sie dem Mob aus. Sie begeht Selbstmord. Jetzt findet man auf ihrem Körper Spuren von Misshandlung und leitet ein Verfahren gegen ihn ein. Das Beste ist aber, das war nicht der erste Vorwurf gegen ihn wegen Körperverletzung. Es gab schon einmal ein Verfahren, da ging es aber um eine andere Frau. Jedenfalls: Wie läuft die Diskussion? Man möchte die Vorwürfe mit Geldmacherei abtun. Man soll doch den armen Boateng endlich in Ruhe lassen, das Goldkind. Aber was bei ihr falsch lief, darf man sich schon fragen, weil schließlich hat sie sich am Geburtstag ihres Sohnes umgebracht.

Stefan: Die Frau als Anhängsel des Mannes. Ihr Tod dargestellt wie ein in Kauf zu nehmendes (natürliches) Ergebnis der Trennung. Mir ist bewusst, dass diese Analogie sehr subtil ist und manchen nicht überzeugen wird. Aber es ist ein Faktum, dass der Onlinehetze gegen Frauen massenweise Gewalt im echten Leben folgt. Und es ist ein Faktum, dass Behörden dieses Problem ignorieren. Ich kenne persönlich mehrere Fälle in denen Frauen gestalked, bedroht und verfolgt wurden und die Polizei sie mit der Auskunft alleine gelassen hat, dass sie erst handeln kann, wenn etwas passiert ist. 

Ela: Es ist ja nicht so, dass dann, wenn was passiert, die Polizei sich ermittlungstechnisch besonders positiv hervortut. 

Stefan: Das fängt damit an, dass die Gewalt im digitalen Raum und die analogen Taten zwar oft zusammen gehören, aber von polizeilicher Ermittlung jeweils getrennt analysiert und ermittelt werden. Dabei sind bereits sehr viele Fälle dokumentiert in denen Frauen zuerst jahrelang gestalked und bloßgestellt werden, bevor ihr Verfolger dann zur Tat schreitet. Diese Stalker nützen die digitale Technik und die sozialen Medien um ihren Opfern möglichst nahe zu kommen, sie auszuspionieren, zu manipulieren und letztendlich um sie jederzeit ausfindig zu machen. In Hannover war jetzt ein H&M Mitarbeiter zwei Jahre hinter einer jüngeren Kollegin her mit Trackern und Spyware, bevor er letztlich eine Nacht unter ihrem Bett verbracht hat um sie am nächsten Tag zu ermorden. Das ist eigentlich Stoff für einen Horrorfilm, aber passiert in unterschiedlichen Ausmaßen wahrscheinlich öfter als man glaubt. 

Es gibt jedenfalls gesellschaftliche Hintergründe für die Morde an Frauen und diese kann man teilweise ungefiltert auf sozialen Medien mitlesen. Leider nimmt die Gesellschaft sie meistens nicht ernst. Aber auch weil viele der frauenfeindlichen Aussagen die da getätigt werden auf eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz stoßen. Auch bei Frauen. 

Ich nehm aus unserem Gespräch mit, dass Männer nicht so blöd geboren werden, wie sie sich durch Nachdenken dann freiwillig machen. Und da fällt mir dann eine besondere Spezies Mann ein, die vor allem online eine gewisse Rolle spielt beim Nachdenken über und Zudecken von Gewaltverhältnissen. Ich nenne sie die linken Kulturmänner. Den Begriff habe ich mir gerade ausgedacht. Aber er basiert schon auf konkreten Beobachtungen. Es geht jetzt nicht um die ur Entdeckung. Es ist vielmehr der Hinweis auf ein Randphänomen des Hodenschaukelns, das viel zu oft unbeachtet bleibt, weils als nicht so wichtig erscheint. 

Die linken Kulturmänner sind große Jungs, manche Ende 50 oder älter, die aus unterschiedlichen Gründen seit Jahrzehnten in der Kulturbranche drinnen sind und sich auf ihre Leistungen sehr viel einbilden. Auch wenns nicht immer ganz so berühmt war, was sie gemacht haben. Aber sie haben irgendwie immer am Rand der High Society verbracht. Am Rand des politischen Geschehens. Am Rand der großen Partys. Und in ihrer Neuerzählung mit Ende 50 sind sie plötzlich im Mittelpunkt. Darum sind sie umgeben von Bewunderern und stellen sich den freiwilligen Adoranten als richtig dicke Fische dar. Sie haben alles schon einmal erlebt und teilen ihre Lebenserfahrung mit allen. Sie erklären die Welt und zeigen gerne wen sie alles kennengelernt haben auf ihrem langen Weg. Vor allem belehren sie gerne darüber, wie die Welt wirklich ist und was sie immer schon so gesagt haben in ihrem langen erfüllten beneidenswerten Leben. Am Ende läuft aber jede Statusmeldung darauf hinaus die eigene Wichtigkeit zu unterstreichen und der Welt zu offenbaren: „Ich habe es schon 1986 gewusst.“ 

Ela: Lustig, dass du das erwähnst. Ich hatte so einen in meiner Inbox, Künstler, der anscheinend nur schwer damit umgehen konnte, dass ich seinem ständigen Bedürfnis von mir unterhalten zu werden, nicht nachgekommen bin. Das war einer, der wahrscheinlich nur Leute um sich hat, die seine Genialität niemals hinterfragen würden. Seine Frustration darüber, dass er dachte man könne „Menschen konsumieren, wie guten Wein“, doch das sei nur ein „temporärer Genuss“, hat er mir dann natürlich sogleich mitgeteilt. Auf meine Erklärung, dass ich momentan aus persönlichen Gründen kein Interesse an längeren Gesprächen habe, warf er mir Narzissmus vor. Das ist das „Warum antwortest du nicht, du hässliche Fotze?“ der linken Kulturmänner. Ab und zu bekomme ich noch gehässige Nachrichten, ich denk das ist zyklusabhängig.

Das sind halt die Leute die mit 17 schon besoffen Schas geredet haben und das „philosophieren“ genannt haben, und leider hat ihnen nie jemand gesagt, dass es Schas ist, sondern alle sind auf ihren Schas immer total ernsthaft eingegangen und haben sie dadurch erst so richtig bestätigt in ihrem Schas, weil dann waren sie erst recht davon überzeugt, dass sie außergewöhnlich intelligent sein mussten. So haben sie sich in ihre eigenen Gedanken verliebt, dass sie inzwischen gar nicht mehr hinterfragen, ob es Schas sein könnte, weil sie immer bestätigt bekamen, was sie eh schon immer vermutet haben: Dass sie Genies sind. Und dann sagen sie: „Es werde Licht!“ und die Mutter dreht das Licht auf für den Burli.

Da gibt’s diesen Französischen Bildteppich aus dem 16. Jahrhundert, wo eine Frau mit genervten Gesichtsaudruck einen Spiegel für ein Einhorn hält, das sich begeistert betrachtet.

Stefan: Das Einhorn ist Jesus und die Frau ist die Jungfrau Maria.

Ela: Ich glaub das ist eine Referenz auf die Ehe, aber ja vielleicht eh Jesus und Maria, Mutter-Sohn-Beziehung. Die Frau hält den Spiegel für den Mann, der sich begeistert darin betrachtet. Sie bestätigt ihm seine Großartigkeit. Er ist tatsächlich ein Einhorn, ein ganz besonderer Junge.

Stefan: Selbstbewusstsein bedeutet im Kulturmännerjargon, dass sie wild und frei sein wollen. Auch beim Denken. Sie sind Verteidiger der Meinungsfreiheit, der Libertinage, der Gerechtigkeit, des guten Lebens. Über all das wissen sie persönlich Bescheid. Sie haben es ja erlebt. Und dieses lehrreiche Denken erledigen sie daher am liebsten öffentlich und in Form eines lehrreichen Vortrags bei dem alle Felder des Wissens von ihnen so expertenmäßig abgedeckt werden, dass die Stimmen von echten Experten für die jeweiligen Themenbereiche schon eher nur mehr Störgeräusche für sie sind. 

Sie machen diese öffentlichen Belehrungen ja für das Wohl aller Menschen. Der ganzen Hascherln für die sie alles durchdenken um ihr Leben nach ihrem Vorbild zu ordnen. Dieses Sendungsbewusstsein steht natürlich dann konträr zum Anspruch des freien Denkens, des antiautoritären Führers der sie so gern sein wollen. Daher sind sie dann dementsprechend auch peinlich berührt und schlagen wild um sich, wenn man sie ebenso öffentlich auf die kleinen Fehler aufmerksam macht, die beim großen Denken so passieren können und in aller Öffentlichkeit schnell sichtbar werden. Da entstehen narzisstische Kränkungen. Daher kontrollieren sie die Zusammensetzung ihres Publikums wie die kleinen Diktatoren die sie eigentlich gerne wären.

Ela: Der Otto Mühl, den du im ersten Teil erwähnt hast, hat das in den 60ern ganz konkret ausgesprochen: „Das Schlachten von Menschen darf nicht Staatsmonopol sein.

Stefan: Ja sie Konkurrieren eigentlich nur mit Gott und dem Staat in ihrem Anspruch. Manchem großen Verteidiger der Meinungsfreiheit ist die Meinung der anderen plötzlich nichts mehr wert, wenn sie der eigenen entgegensteht. Manchem großen Kritiker des Mainstreams ist die eine Gegenmeinung in seinem persönlichen Mainstream so sehr ein Dorn im Auge, dass er diese sofort und ohne weitere Diskussion aus diesem entfernen muss. 

Und oft genug wird beim öffentlichen Hodenschaukeln dann auch noch die Vernunft zugunsten des eigenen Egos ad acta gelegt. Denn wenn man so lebenserfahren, links und männlich ist wie diese Kulturmänner, dann kann man schon mal antifeministische, antisemitische und antiintellektuell Einstellungen pflegen ohne sich dadurch selbst in einem schlechten Licht betrachten zu müssen.

So gibt es Exemplare dieses Kulturmannes die Prostitution ganz super finden, weil Sexarbeit ist Arbeit, eine sehr wertvolle und wichtige Arbeit. Das älteste Gewerbe. Weil Sex darf nicht nur in der Ehe stattfinden. Und wo sollen denn die Männer hingehen, wenn sie Druck haben? Das führt ja sonst nur zur Gewalt, wenn man Frauen nicht mehr für Geld vergewaltigen darf. Und es gibt ja auch diese und jene Prostituierte die sie mal im Kulturmännerfernsehen gesehen haben und die hat persönlich versichert, dass Prostitution vollkommen selbstbestimmt und frei ist und alle Frauen das in Wahrheit gerne machen. Deshalb finden sie es auch Hetze, wenn Freier juristisch belangt werden sollen.

Ela: Brownmiller beschreibt ganz gut: „Mir graut vor reglementierter Prostitution nicht deshalb, weil sie kein Mittel gegen Vergewaltigung ist, sondern weil damit das finanzielle, wenn nicht gar gottgegebene Recht des Mannes auf den Körper einer Frau institutionalisiert und damit die Vorstellung nur fester verankert würde, daß Sex eine Dienstleistung der Frau sei, die keinem zivilisierten Mann verweigert werden sollte.“

Dieses Selbstbild, Libertines, Bohemiens, frei und wild, das kommt ja auch im Pro-Prostitutions-Diskurs nicht zu kurz, das ist eventuell ein Grund, warum das bei der Klientel so beliebt ist. Wie Kajsa Ekis Ekman zeigt in „Being and Being Bought“: Offenheit gegen Zensur, Liberalismus gegen Moralismus, alles mit etwas Gossenromantik, Hurenfetischismus und sexueller Revolution garniert. Antiporno- bzw. Anti-Prostitution werden nicht zufällig mit religiösem Lobbyismus vermischt. Die liberale Marktökonomie macht sich im Zusammenhang mit Prostitution den kartesianischen Dualismus zunutze. Die Trennung von Körper und Geist erfüllt sich in der Sexarbeit. Dissoziation als Business-Modell. 

Wichtig ist, zu wissen, dass man eine Prostituierte natürlich nicht vergewaltigen kann. 2005 stellte ein wegen Vergewaltigungen an Prostituierten angeklagter „Gürtel-König“ vor Gericht die Frage „Seit wann kann man a Hur‘ vergewaltigen?“ und der Richter überzeugte durch besondere Kenntnis der Küchenpsychologie, als er davon sprach, dass Prostituierte „wahrscheinlich“ eine „Vergewaltigung (…) leichter weg(stecken)“. Der Staatsanwalt unterbot dieses Theater noch, indem er als mildernden Umstand zugunsten des Angeklagten anführte „Prostituierte werden nicht besonders erniedrigt, wenn sie vergewaltigt werden“. Dass Studien zufolge ca. 60% der Prostituierten an Posttraumatischer Belastungsstörung leiden, tut natürlich nichts zur Sache, denn Justitia ist stets neutral, besonders bei Vergewaltigung. Der Angeklagte bekam übrigens 3 Jahre.

Der Weininger hat die Frauen in zwei Typen eingeteilt: Die Mutter und die Dirne. Seiner Meinung nach ist die Anlage zum „Dirnentum“ bei Frauen von Geburt an fix, ähnlich wie die Eignung zur Mutterschaft. „Die Prostitution kann also keineswegs als etwas betrachtet werden, wohin erst der Mann die Frau gedrängt hat. Oft genug wird sicherlich ein Mann die Schuld tragen, wenn ein Mädchen ihren Dienst verlassen mußte und sich brotlos fand. Daß aber in solchem Falle zu etwas gegriffen werden kann, wie es die Prostitution ist, muß in der Natur des menschlichen Weibes selbst liegen.“

Aber die Einteilung ist auch ein alter Hut. Ebenfalls unter Solon wurden staatliche Bordelle in Athen legalisiert. Man musste ja zwischen guten und schlechten Frauen unterscheiden können. Die guten Frauen waren natürlich Mütter. Ich fand das schon immer ein wenig neurotisch, dieser Wunsch dass eine Frau bestenfalls geschlechtslos zu sein hat, während sie gleichzeitig aber die Mutterrolle zu verkörpern hat. Denn, wie kommt sie denn zu ihren Kindern? Das hat die Kirche ganz gut hingekriegt, die hat die Maria ja zur Heiligen erhoben, die eine ewige Jungfrau war und Fleischeslust nicht einmal vom Hörensagen kannte. Damit hat sie den Frauen ganz gut aufgezeigt, dass sie diese Stufe an Tugendhaftigkeit nie erreichen werden. Die perfekte Frau hat geschlechtslos zu sein und gleichzeitig eine sorgende Mutter. Daraus entsteht dann diese kognitive Dissonanz, die bis heute nicht überwunden ist. 

Das haben sie in der Republik Gilead (Handmaid’s Tale) praktisch gelöst. Die Weltbevölkerung muss mit einer nie dagewesenen Unfruchtbarkeit umgehen und an der Ostküste der USA hat eine Junta bestehend aus Mitgliedern der Verschwörungsgruppe „Söhne Jakobs“ nach einem Putsch einen theokratischen Staat gegründet. Dort gibt es Frauen, die nur für die Reproduktion zuständig sind, die Handmaids. In der Bibel blieb Jakobs Ehe mit Rahel kinderlos, daher befahl Rahel Jakob ihr mit der Magd Bilha ein Kind zu zeugen. In einer monatlich stattfindenden Zeremonie, die durch die fruchtbaren Tage der Handmaids festgelegt wird, wohnen die Ehefrauen der Vergewaltigung der Handmaids durch die Commanders (Ehemänner) bei. Während der Commander die Magd vergewaltigt, liegt deren Kopf im Schoß der Ehefrau, die ihr die Hände festhält. Nach der Geburt des Kindes wird dieses von der Mutter getrennt, da es ihr nie „gehörte“. Die Kinder gehen an die Ehefrauen (Wives), unter Obhut des Commanders. Dann gibt’s natürlich noch andere Frauenrollen, Marthas, Tanten (Aunts), etc. und Prostituierte (eine Option für Unfrauen/gefallene Frauen die im Bordell „Jezebel’s“ arbeiten). In Athen hatte man halt Hetären, Konkubinen und Ehefrauen. Aber die Einteilung hat immer noch Wirkmacht. Kajsa Ekis Ekman beschreibt wie diese Einteilung heute durch Prostitution und Leihmutterschaft, in der Kommerzialisierung von Sexualität und Reproduktion, weiterwirkt.

In den 70ern hat es in Yorkshire, England, eine Mordserie gegeben. Frauenmorde. Die ersten Opfer waren Frauen aus der Arbeiterklasse, Alleinstehende, Mütter von Kindern, die mehr schlecht als recht über die Runden kamen. Dass sich der Fundort der ersten Leichen in der Nähe des Rotlichtviertels befand, hat sofort zur Annahme der Polizei geführt, dass es sich bei den Opfern um Prostituierte handeln muss, eine Behauptung, die die Presse nur zu gerne übernahm. Dass einige Opfer sich aus finanziellen Nöten heraus prostituiert haben, hat sich dann bestätigt. Deswegen hat man geglaubt, dass Frauen aus anderen Gesellschaftsschichten nichts zu befürchten haben. Das wurde ja auch von der Polizei bestätigt, die öffentlich aussagte, dass der Mörder Prostituierte hasst. Die Presse hat dann den passenden Namen gefunden. Jack The Ripper, der Prostituiertenmörder aus dem viktorianischen London, wurde zum Patron. Man einigte sich auf den Yorkshire Ripper. Vom dritten Opfer wusste die Polizei, dass es „bis 10 Tage vor dem Mord“ ein „respektables Leben“ geführt hatte. Dann hat es „einen Statusverlust“ durchgemacht und war auf der „Straße unterwegs“. Dann fand man das fünfte Opfer, ein 16-jähriges „unschuldiges“ Mädchen und hätte feststellen können, dass der Täter wohl doch Frauen im Allgemeinen hasste. Die Dichotomie zwischen „gefallener“ und „unschuldiger“ Frau zu verwerfen, schien aber keine Option zu sein. Stattdessen unterstellte man dem Ripper das Mädchen für ein Prostituierte gehalten zu haben. Es musste sich um ein Missverständnis handeln. Um dem Mörder seinen Irrtum zu erklären, hat man sich via Brief in der Zeitung direkt an ihn gewandt. „Wie hast du dich gestern gefühlt, als bekannt wurde, dass dein blutiger Feldzug gegen Strichmädchen so schrecklich missglückt ist, dass dein rachgieriges Messer solch ein unschuldiges Opfer fand? Geisteskrank, wie du sicher bist, musst du doch einen Funken Reue gefühlt haben, als du dich von Jaynes Blutflecken befreit hast.“ Später tötet er, zum Schrecken der Polizei, auch Frauen aus der Mittelschicht, was die Polizei zunächst aber noch immer nicht von ihrer Prostituiertenmörder-Theorie abbringen kann. Als der Groschen dann endlich fällt, spricht die Polizei die Empfehlung aus, dass Frauen halt einfach das Haus in der Nacht nicht mehr verlassen sollen. 

Das erinnert stark an die Entführung und den anschließenden Mord an Sarah Everard kürzlich in London. Diese Empfehlung ist immer schnell ausgesprochen, wenn dann aber eine Politikerin der Grünen Partei scherzhaft vorgeschlägt, dass man doch anstatt über eine Ausgangssperre für Frauen nachzudenken, eine Ausgangssperre für Männer überlegen könnte, kriechen die Empörten aus ihren Löchern. Man könne ja nicht ein gesamtes Geschlecht dafür bestrafen, was Einzelne machen. Dass umgekehrt diese einfache Lösung aber immer wieder als legitim zu gelten scheint, dafür hat die Empörung leider nicht mehr gereicht.

Stefan: Es ist in dem Zusammenhang auch interessant zu beobachten, wie schnell Politiker Personenschutz erhalten und wie lange es bei Künstler_innen, und eben bei Frauen, dauern kann bis sie wirksam geschützt werden. Ich würde gern mal sehen, wie diese Debatte laufen würde, wenn es einen Stadiongassen Ripper gäbe, der es nur auf Parlamentarier abgesehen hätte. Der wäre wahrscheinlich in Nullkommanichts gefasst bzw. die Schutzmaßnahmen für die Parlamentarier würden Unsummen verschlingen.

Ela: Aber lustig, dass der Yorkshire Ripper der Polizei quasi so offensichtlich unter die Nase gerieben hat, dass sie ihm eigentlich egal ist, diese Unterscheidung zwischen guter und schlechter Frau. In seinen Augen waren alle Frauen gleich schlecht. Sutcliffe, der Ripper,  ist übrigens 2020 an Corona gestorben. Die Presse hat jedenfalls eine große Rolle gespielt, gemeinsam mit der Polizei, weil sie sich so an die Dichotomie geklammert haben und dadurch dieses Bild medial verbreitet, bis sie letztendlich den Trugschluss zugeben mussten. 

Stefan: Im Umkehrschluss dürften ja Prostituierte für die Yorkshire Polizei keine Frauen bzw. schützenswerte Bürgerinnen gewesen sein.

Ela: Das kommt auch bei „The Fall“ vor.  Bei der Vorbereitung auf eine Pressekonferenz über die Frauenmorde legt Stella Gibson dar was problematisch ist an dieser Darstellung. „Bezeichnen wir sie nicht als unschuldig.“ Auf den Einwand ihres Kollegen „Sie waren unschuldig.“, antwortet Gibson: „Was ist, wenn er als nächstes eine Prostituierte tötet, oder eine Frau die spätnachts betrunken und in einem kurzen Rock nachhause geht? Wird sie auf irgendeine Art weniger unschuldig sein (…), schuldhafter? Die Medien lieben es Frauen in Jungfrauen und Vamps zu unterteilen, Engel oder Huren, ermuntern wir sie nicht dazu.“

Also wie über Frauen berichtet wird in solchen Fällen, das hat sicher einen großen Einfluss auf die Ereignisse. Und wie man über Prostituierte spricht sicher auch. Damit meine ich aber nicht diesen „Job wie jeder andere“ Schwachsinn.  Ja bitte, bei welchem anderen normalen Job hast du denn eine 18-fach höhere Wahrscheinlichkeit ermordet zu werden, eine 12-fach höhere Sterberate als die Durchschnittsbevölkerung und eine überdurschnittliche  Chance eine Posttraumatische Belastungsstörung davonzutragen? Aber bei dem ganzen „individuelle Entscheidung“ Gedöns, kann man schon mal Anti Sex Work mit Anti Sex Worker verwechseln. Wenn nämlich alles eine individuelle Entscheidung ist, die man zweifellos nicht anzweifeln darf, weil das wäre Hass, sind auch alle negativen Aspekte nur individuelle Probleme. Und Körper verkommen zur „Ressource in der Sexindustrie“. So einfach ist das. Wenn die Selbstaussage der gesellschaftlichen Zuschreibung Platz macht und zum bestimmenden Argument des sogenannten Feminismus wird, kommt es zur Dekonstruktion der Frau als politisches Subjekt. Dann kann es vorkommen, dass die Minderheit der selbstbestimmten Prostituierten für Personen wie Sibel Schick zur schützenswerten Minderheit wird, für die man dann die 90% nicht selbstbestimmte Mehrheit mit dem Verweis auf Minderheitenrechte opfern kann. Freiwilligkeit ist einfach kein Argument für die Bewertung reaktionärer, frauenfeindlicher Praktiken. Ob eine Frau sich für eine Rolle oder Tätigkeit entscheidet, ist kein Kriterium für die Beurteilung dieser Rolle bzw. Tätigkeit, sondern ob die Ausübung dieser Rolle/Tätigkeit für ein Gros der Frauen den negativen Effekt hat Frauen als Gruppe unterzuordnen und auszubeuten. Aber sicher wird den Leuten wieder ein zynischer Schwachsinn zur Lösung des Problems einfallen, wie der sarkastische Vorschlag eines Facebook-Kommentators, ein Biosiegel für Bordelle einzuführen, mit Kontrollbesuchen von Staatsbeamten, die die Jochbeine der Damen kontrollieren.  Blau sei schlecht, grün-gelb gehe gerade noch durch, wenn es keine Flecken gäbe, sei das ein Indiz für die Freiwilligkeit. Ich schlage als Draufgabe eine ähnliche Lösung wie CO2-Zertifikate auch für Freier vor. Beim Eingang ins Bordell könnte man Scheine kaufen, moderne Ablassbriefe, mit dem Geld werden Frauenhäuser erhalten, als Ausgleich für die Posttraumatische Belastungsstörung, die die Prostituierten davontragen. Die könnte man dann stolz sogar der Ehefrau zeigen. Übrigens, wie ich finde, eine bessere Idee als der Schutzbrief gegen Weibliche Genitalverstümmelung der Stadt Hamburg, den betroffene Mädchen bei einer Reise ins Heimatland vorweisen sollen, um einer Genitalverstümmelung durch die Familie zu entgehen.

In Deutschland hat ein Ermittler, der Undercover im Rotlichtmilieu arbeitete, eine Prostituierte erwischt, die während des Corona-Lockdown arbeitete. Die Frau musste 1.500 Euro Bußgeld bezahlen. Insgesamt wären es fast 8.100 Euro gewesen, dagegen hat sie aber Einspruch erhoben. Sie hat bestimmt illegal gearbeitet, weil es ihr so Spaß machte sich gegen Bezahlung von fremden Männern ficken zu lassen, die sich über ihre Grenzen hinwegsetzen. Das Bußgeld zahlt sie sicher ab, indem sie in Zukunft nicht gegen die Lockdown-Regelungen verstößt. Besonders schön an der Geschichte finde ich auch, dass der Ermittler, als Kunde getarnt, nicht nur einmal, sondern mehrmals „ihre Dienste in Anspruch genommen hat“, ehe er sie auffliegen ließ. Der hat seine Arbeit wahrscheinlich besonders ernst genommen. 

Eine andere Prostituierte wurde mit (vorbestraftem) Zuhälter an der Grenze zu Österreich festgenommen. Gegen ihn lief ein Verfahren wegen Zwangsprostitution. Trotzdem wurde er frei gelassen, die Frau haben sie wegen illegaler Prostitution in die Münchner Justizvollzugsanstalt gesperrt. Der Zuhälter hat zwar behauptet, dass er sie auslösen wird, hat das dann aber überraschenderweise nicht gemacht.

Das liberale Prostitutionsgesetz in Deutschland produziert aber nicht nur Polizisten, die sich einen Orden verdient hätten, sondern auch Menschenhandel, denn das Angebot hat sich nach der Nachfrage zu richten, wie wir wissen, und da überraschenderweise nur die wenigsten Frauen, obwohl es sich um „einen Job wie jeden anderen“ handelt, sich selbst oder ihren Töchtern wünschen, diesem normalen Job nachzugehen, besteht meist ein Ungleichgewicht zwischen der Nachfrage und dem tatsächlichen Angebot. Andrea K., eine junge Frau aus Hannover, wurde 2020 für 2.000 Euro von ihren bisherigen „Besitzern“ weiterverkauft und von den folgenden bald darauf in der Weser ertränkt da sie, aufgrund einer psychischen Krankheit, nicht mehr an Freier vermittelbar war und damit nichts mehr wert. Zur Sicherheit hat man sie mit einer Waschbetonplatte beschwert, nicht dass sie nochmal auftaucht! 

Dass Prostitution und Sklaverei nicht weit voneinander entfernt liegen, zeigt sich klar auch, wenn wir uns anschauen wie zb. der IS das heute handhabt. Übrigens auch wieder ein Beispiel dafür, dass Dschihadisten auch nur Konsumenten sind. So beschwert sich ein neuseeländischer Dschihadist in einem Zeitungsinterview, dass er zu arm war sich eine ezidische Sklavin zu leisten. Für eine ältere Frau hätte er 4.000 Dollar ausgeben müssen, für eine „ordentliche“ Sklavin mindestens 10.000-20.000 Dollar. In Christina Lambs „Our Bodies their Battlefield“ berichtet eine ehemalige ezidische Sklavin, dass im Online-Forum „Caliphate Market“ neben Playstations und Gebrauchtwägen Frauen angeboten wurden.

Stefan: Wie du oben eh schon geschrieben hast. Das was Freud als Kastrationskomplex beschreibt, ist Resultat der durchaus mangelhaften sexuellen Entwicklung vieler Männer. Kastrationsangst ist im Wortsinn das Ergebnis eines narzisstischen Interesses für die eigenen Genitalien. Die dann in der Alltagskultur im ständigen Schwanzvergleich zwanghaft hervorgehoben werden müssen. Es ist kein Zufall, dass darin auch, Weininger schau oba, ein Grundstein für den Judenhass gelegt ist. Denn mit derselben Intensität, mit der diese Männlichkeit das Weibliche bekämpft, dass es nur als kastriert, als weniger, wahrnehmen kann, mit dieser Intensität trennt es auch das Jüdische vom eigenen narzisstisch männlichen ab. Das Weibliche ist das Gegenmännliche, das Jüdische das Gegenvolk. Das steht so auch schon bei Hitler. Aber wenn die Juden das Gegenvolk sind, dann kann der Israelische Staat nur eine absolute narzisstische Kränkung sein, ein Unding, dass die Genitalnarzissten immer wieder zu neuen intellektuellen Tiefstleistungen anspornt. 

Apropos Djihadismus und Dummheit. Es gibt auch Exemplare von linken Kulturmännern, die waren mal in Iran und haben seither Ahnung vom Volk der Iraner und finden – das wird man ja wohl noch sagen dürfen – die Israelis haben den Iranern übel mitgespielt und das sollte auch in jeder Dokumentation über die Region eine Rolle spielen. Also wenn ein Dokumentarfilmer darauf besteht, dass die Vernichtungsdrohungen des Irans gegen Israel auf einer Spirale aus gegenseitiger Intoleranz basiert, das die iranische Revolution die Menschen befreit hat, oder versucht die Verwicklung des Iran in den Hisbollah Anschlag auf das Quartier der US-Marines in Beirut 1983 mit dem Satz die Wahrnehmung bestimme die Realität und die USA neigen ja prinzipiell zur Lüge zu relativieren, dann ist das für den Kulturmann natürlich legitim.  

Abgesehen davon kann man mit demselben linken Kulturmann-Furor dann auch noch die Kritiker der Doku als Nazibüttel beschimpfen, weil wenn der Macher von einer mit antiisraelischen Klischees spielenden Doku Jude ist, dann darf man die antiisraelischen Klischees darin keinesfalls kritisieren. Und als selbstbewusster Kulturmann kann man dem noch hinterherschicken man denke tatsächlich, dass nur Juden diesen Diskurs über diese Doku führen sollten. Weil man selber ist zwar auch kein Jude, aber jedenfalls ehrbar in den antisemitischen Klischees die man benutzt. Also aufgemerkt, der linke Kulturmann, der selber kein Jude ist, hat zwar gegen eine nachweisbar falsche Kritik am jüdischen Staat nichts einzuwenden, solange sie von Juden kommt, aber sieht kein Problem darin selbst den jüdischen Staat genau auf der Basis dieser nachweisbar falschen Kritik zu diskreditieren. 

Die Nazis sind jedenfalls beim linken Kulturmann immer die anderen. So wie ja auch die Frauen immer die anderen sind und jedenfalls aufgrund ihres Mangels an Penis nicht gleichwertig.

Damit ist nicht gesagt, dass diese Kulturmänner Gewalt gegen Frauen befürworten, es ist damit nur gesagt, dass wir mit reichweitenstarken öffentlichen Meinungen konfrontiert sind, die unsere politische Urteilskraft immer wieder neu auf die Probe stellen.

Die Frau ist auch im linken Männerdiskurs über männliche Gewalt oft nur Unterpfand. Sie wird als Projektionsfläche verwendet um die eigene Gesinnung in die Öffentlichkeit zu tragen. 

Ein Mädchen wurde vergewaltigt und ermordet. Den Rechten fallen dazu nur rassistische Kommentare ein. „Alle Ausländer sind Frauenmörder, sie gehören alle abgeschoben. Eine genaue Aufklärung der Tat ist nicht nötig.“ Der Tathergang wird in der Phantasie rekonstruiert und ausgeschmückt. 

Und den Linken?

Den Männern unter ihnen fällt auffallend wenig anderes ein. „Ein möglicher Tathergang könnte gewesen sein …“, so beginnen Sätze, die die Welt nicht braucht. „Das was dem Mädchen passiert ist, ist furchtbar, aber …“, erinnert an „Ich bin nicht gegen Ausländer, aber …“. Gewalt gegen Frauen und Mädchen vorbehaltlos zu verdammen, fällt denselben Männern, die sich jegliche rassistische Gewalt vollkommen selbstverständlich verbieten, oft sehr schwer. Wo im Fall eines rassistischen Anschlages vollkommen zu Recht unmissverständlich protestiert wird, wo ohne Wenn und Aber Stellung bezogen wird, ist das beim Mord an einem kleinen Mädchen nicht ganz so einfach. „Man muss diese Sache differenziert betrachten.“ „Der Mörder kommt aus einem Kriegsgebiet.“ „Er war selber noch ein Kind als er nach Österreich kam.“ „Was hat der Österreichische Staat ihm nicht ausreichend gegeben, dass er zum Mörder werden musste?“

Solche und ähnliche Fragen sind perfide. Nicht nur, weil sie die Gewalt, bevor der Fall noch aufgeklärt ist, relativieren und die Schuld überall, nur nicht beim voll strafmündigen Tatverdächtigen suchen. Sondern auch, weil sie den möglichen Täter zum Pawlowschen Hund erniedrigen. „Der konnte nicht anders.“ Das ist es, was sie sagen. Das ist es, was sie bei rassistischer Gewalt niemals gelten lassen würden. Bei Gewalt gegen Frauen und Mädchen offenbar teilweise schon.

Da werden Szenarien entworfen, wie der mögliche Tathergang gewesen sein könnte. „Sie ist von zu Hause weggelaufen, hat sich Drogen kaufen wollen, hat mit Sex für diese Drogen bezahlt. Ist dann eventuell einfach von selbst erstickt, hat sich womöglich die Hämatome alle selbst zugefügt.“ Jedenfalls hat sie womöglich „überreagiert“und „Atemprobleme bekommen“, 13 ist ja bekanntermaßen „für sowas ein schwieriges Alter“. „Vor allem bei Mädchen.“

Ela: Vergiss bitte nicht zu erwähnen, dass sie wie 18 bis 25 ausgesehen hat, das ist besonders wichtig für die Relativierung. Und die Frage ob das Mädchen einen Freund hatte, zu dem der Altersunterschied weniger als drei Jahre betrug. Am liebsten wäre es diesen Leuten jedenfalls, wenn das Mädchen einfach spontan selbst gestorben wäre, sich selbst unter Drogen gesetzt, sich sowohl selbst sexuell missbraucht und Hämatome zugezogen hätte, ein Verbrechen ohne Täter. Jedenfalls ist es wahrscheinlicher, dass sie sich für Drogen prostituierte, als dass die mehrfach vorbestraften Verdächtigen sie vergewaltigten, zu einem Baum in der Nähe schleppten und dagegen lehnten, weil warum sollten sie den Verdacht auf sich selbst lenken? Wahrscheinlich hat der Pürstl höchstpersönlich sie dort drapiert. 

Stefan: Naja man steht ja wirklich zwischen Skylla und Charybdis, wenn man wählen muss zwischen dem rechten Rassismus und dem linken Frauenhass. Aber das hat auch theoretische Grundlagen. Die linken Männer haben es nicht leicht. Hatten sie noch nie. Nach Marx ist ja der Hauptwiderspruch, den es zu bearbeiten gilt, der zwischen Kapital und Arbeit. Manchem linken Mann ist das mittlerweile zu wenig. Er hat neben dem Klassenkampf auch den Rassismus für sich entdeckt. Aber die Frauen, die waren immer eine Marginalie in diesem Denken. Ein Nebenwiderspruch, der mit der Reproduktionsarbeit irgendwo im unpolitischen Eck herumgelegen ist, bis ihn die Feministinnen in den Mittelpunkt gerückt haben. Kurz hats gedauert. Der Postfeminismus hat den Fokus auf die männliche Gewalt gegen Frauen durch endlose intersektionelle Ergänzungen wieder in den Hintergrund gedrängt. Geblieben ist das wichtige Gespür für Rassismus und die vielen strukturellen Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaften. 

Verschwunden ist aber das Bedürfnis die strukturelle männliche Gewalt aus einer weiblichen Perspektive anzugreifen. Unter den tödlichen gesellschaftlichen Widersprüchen ist die Gewalt von Männern gegen Frauen nur eine von vielen und wie man sieht nicht die wichtigste, sobald sie mit einer anderen konkurrieren muss.

Das wäre für sich noch nicht das Schlimmste. Aber der Antirassismus der linken Kulturmänner geht im Wortsinn diskursiv über Frauenleichen. Und sie merken es oft nicht einmal. Anstatt, dass sie beides gleich wichtig nehmen, den Kampf für die Rechte der Frauen und den Kampf gegen den Rassismus, wägen sie immer ab und entscheiden sich im Zweifelsfall gegen die Frauen. 

Wie steht es mit der in Österreich weltberühmten Internet-Schriftstellerin, die vor Jahren in einem FB Posting über ihre Vergewaltigung in einem Park geschrieben hat? Die überraschende Pointe war, dass sie ihren Vergewaltiger nicht angezeigt hat, weil sie fürchtete er würde abgeschoben werden.  Wenn sogar manche Frauen so unsicher über ihren Wert sind, dass sie lieber als Faktotum einer antirassistischen Attitüde herhalten wollen, als ihre Rechte zu verteidigen. Ist dann dieser Kulturmänner-Antifeminismus daran nicht mitbeteiligt? Was sagen die Frauen dazu die potentiell wieder Opfer dieses Mannes werden konnten? War es ihnen gegenüber solidarisch dieses Verbrechen nicht anzuzeigen?

Wieso ist es nicht möglich eine antirassistische Position zu beziehen, ohne ein kleines Mädchen dafür diskursiv opfern zu müssen? Wieso lässt sich Rassismus in den Augen diese Männer nur wirksam verurteilen, wenn ein vergewaltigtes und ermordetes Mädchen an seinem Leiden und Tod selber schuld ist? Was hilft das den 99% anständigen Afghanen, dass dieses Mädchen jetzt nach ihrem Tod öffentlich erniedrigt wird, nur um sagen zu können: der Staat oder die ÖVP ist schuld, dass ein junger Mann zu einem Gewalttäter wurde? Nicht, dass das keine Rolle spielen würde. Es ist wichtig, dass immer wieder zu erwähnen und strukturellen Rassismus sichtbar zu machen. Aber muss es wirklich auf den Schultern eines ermordeten Mädchens, auf den Körpern der unzähligen geschlagenen, vergewaltigten, missbrauchten Frauen geschehen, für die ein männlicher Täter halt immer noch in erster Linie ein männlicher Täter und nicht entweder ein armes afghanisches Hascherl oder ein authochtoner Nazi-Brutalomörder ist. 

Die Antwort der Männer auf solche Bedenken fällt bezeichnend aus. Von allen habe ich gegenüber ihrer in der absoluten Mehrzahl weiblichen Kritikern den Vorwurf gehört sie seien zu emotional. Die „hochkochenden Emotionen“ versperrten ihnen die Sicht auf die wahre Problematik und auch wenn die Sätze brutal klängen, so wären sie ja doch objektiv richtig und notwendig. Eine andere Strategie war Unverständnis zu unterstellen oder absichtliches Missverstehen.

Ela: Evan Stark spricht (im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt zwar, aber es passt auch hier ganz gut) von der Gleichsetzung der Maskulinität mit der Humanität, der unreflektierten Annahme, dass das „universelle Maskuline“ legitimer Standard dafür ist, was in menschlichen Beziehungen rational, räsonable und richtig ist, während das Feminine als irrational, emotional und unmoralisch gilt.

Stefan: Frauen, die Gewalt erfahren haben, verstehen auch die Sprache dieser strukturellen Gewalt. Sie kennen die Relativierungen von Polizisten, Ämtern und teilweise der eigenen Familie zur Genüge. Jeder Satz eine Re-Traumatisierung. „Warum sind sie nicht früher nach Hause gegangen?“ „Haben sie aufreizende Kleidung getragen?“ „Warum haben sie sich nicht gewehrt?“ „Vielleicht erinnern sie sich falsch.“ „Vielleicht haben sie sich einen Vorteil erhofft.“ „Vielleicht hat sich das 13 jährige Mädchen ja freiwillig für Drogen stundenlang misshandeln lassen.

Diese Sprache hinterlässt Narben. Sie wird von allen verstanden, außer von den Männern, die sie immer wieder verwenden um zu zeigen, dass ihnen ihre politische Agenda wichtiger ist als das Leben von Frauen und Mädchen.

Ela: Um Frauen geht es wahrscheinlich bei diesen Gesprächen aber gar nicht, die sind nur argumentative Verhandlungsmasse im Diskurs, die man bei Bedarf in Stellung bringt. Ob die von Afghanen oder autochthonen Österreichern vergewaltigt werden, spielt für sie aber keine Rolle. 

Stefan: Es ist ihnen egal, welche Männer ihnen Gewalt antun, es sind halt immer Männer. Und immer Männer, die es relativieren.

Ela: Je nach politischer Fasson. Die einen mokieren sich, dass Vergewaltigung nur bei afghanischen (migrantischen) Tätern öffentlich gemacht und (OH NO!) häufiger angezeigt wird, die anderen behaupten, dass Afghanen (bzw. Migranten) besonders zur Vergewaltigung neigen und drücken die Augen zu, wenn es um Fälle von vergewaltigenden Österreichern geht. Während sich aber die linken Kulturmänner darüber echauffieren, dass man sich rechts nur für Vergewaltigung interessiere, wenn es sich um afghanische Täter handle, sind für sie selbst doch auch allein die afghanischen Täter der Aufmacher, warum sie sich plötzlich für das Thema Vergewaltigung interessieren. Die einen beweinen die vergewaltigenden Afghanen, die anderen die vorverurteilten Afghanen. Um das eigentliche Problem (die Vergewaltigung von Frauen) geht es beiden nicht. 

Leichtherzig kommentiert es sich dann, als nicht Betroffener (Mann) über die philosophische Frage, ob es eine gute Lösung sei, wenn nach einer Abschiebung die afghanischen Männer eben die afghanischen Frauen vergewaltigten. Da kann man dann noch ein halblustiges „Unsere Frauen für unsere Leute!“ hinterherschieben, ein Schenkelklopfer, den sich ein österreichischer Journalist auf Facebook nicht entgehen lassen konnte. Dass in Österreich die Verurteilungsquote bei Vergewaltigung für die ca. 9% angezeigten Delikte zwischen 2012 und 2016 bei ungefähr 17 % lag und 2019 gar nur um die 10% herumgrundelte, kann ja dann das Problem der betroffenen Personen sein. Ebenso wie die Tatsache, dass sich durch Zuwanderung von gewaltbereiten Männern die Anzahl der bereits im Land ansässigen gewaltbereiten Männer nicht etwa proportional verringert. 

Besonders gut finde ich es auch immer, wenn sie dann kommentieren, dass man sich nach irgendwelchen US-Kriegen – sie schreiben allgemein von der „westlichen Welt“ – „nicht wundern“ braucht, wenn „sowas passiert“. Dass die sich des Zynismus der Aussage nicht bewusst sind! Sie bestehen darauf die Humanität von Flüchtlingen anzuerkennen, ihre Traumata einzubeziehen, wenn sie einem 13-jährigen Mädchen 10 Ecstasy-Tabletten verabreichen, es vergewaltigen und damit ihren Tod riskieren. Die Humanität der Frauen aber, die es tatsächlich betrifft, wenn Staatsanwaltschaften das Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ vorwegnehmen, so dass es gar nicht zur Gerichtsverhandlung kommen kann, wenn dadurch Vergewaltiger mit einem Fingerklopfen davonkommen, für die also eine steigende Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen tatsächlich eine Rolle spielt, die nehmen sie nicht einmal wahr. Das erinnert mich auch wieder an den Van der Bellen Kopftuchsager: „dann wird man halt alle Frauen bitten müssen…“.  Frauen sollen sich den Ideologien von Männern unterwerfen – wir erinnern uns an Kant – denn sie selbst sind gar nicht zu Prinzipien fähig, also muss man sie eben drum bitten, die Funzen. 

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Unter Herausgeberinnen 3. Männer + Hoden + YouTube + Gewalt – Teil 2

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Stefan: Der Weininger überrascht mich nicht. Aber das mit dem Schopenhauer hat mich jetzt doch verblüfft. Ist der dumm?

Ela: Inzwischen ist er tot. Sonst hätt ich ihn gefragt. Der Weininger hat aber den Schopenhauer in seinem Buch gern zitiert.

Stefan: Der Weininger ist auch schon tot. Der hat sein Leben selbst beendet, wie ihm bewusst geworden ist, dass er als theoretischer Antisemit ja praktisch selber Jude ist.

Ela: Dem Weininger war besonders wichtig herauszuarbeiten, dass es „Rassen“ gibt, bei deren Männern man „selten eine Annäherung an die Idee der Männlichkeit findet“. Natürlich ist das für ihn kein Anreiz seine Idee der Männlichkeit zu hinterfragen. Das Judentum war für Weininger besonders gefährlich, insofern, als seine Existenz Weiningers Theoriekartenhäusl als solches zu bedrohen schien. Aber, wie er beteuert, spricht er nicht über einzelne Menschen oder gar die Gruppe, sondern lediglich die „platonische() Idee des Judentums“. Denn dieses ist ihm zufolge „durchtränkt“ von „Weiblichkeit“. Weininger legt nun dar, worin die Frauen und die Juden sich ähneln. Ihnen fehlt es an der Kant’schen Vernunft, es mangelt ihnen an Persönlichkeit. Beide haben kein Ich und „keinen Eigenwert“. Die geringere Kriminalitätsrate schafft Weininger so zu deuten, dass beide relativ amoralisch seien, weder besonders gut, noch besonders böse. Es fehlt ihnen an Größe, sie leben beide nicht als Individuen, sondern stets „in der Gattung“, in ihrer Familie und auf ihre Sexualität reduziert, sind gleichzeitig aber nicht zu richtiger Liebe oder erfüllender Sexualität fähig. „Juden und Weiber sind humorlos, aber spottlustig.“ Darum ist es nur konsequent, dass beide der Satire zugeneigt sind, die bekanntlich intolerant ist und damit „der eigentlichen Natur des Juden wie der des Weibes“ entspricht. Juden und Frauen „sind nichts, und können eben darum alles werden“. Hier liegt aber der Unterschied, denn „Die Frau ist die Materie, die passiv jede Form annimmt.“ Im Gegensatz dazu passt sich der Jude an, er „assimiliert sich allem und assimiliert es so sich“. Zwar glauben beide nicht an sich selbst, aber die Frau glaubt zumindest an den Mann, der Jude an nichts. „Innerliche Vieldeutigkeit (…) ist das absolut Jüdische (…)“.

Hitler bezeichnete später die Emanzipation der Frau als „vom jüdischen Intellekt erfundenes Wort“, dessen Inhalt „von demselben Geist geprägt“ war. Die Frauenbefreiung, neben Kommunismus, Kapitalismus, Intellektualismus, und eigentlich eh allem, ist damit wieder das Werk der intriganten Juden.

Stefan: Die Argumentation kenne ich mit entschärftem Vokabular auch von heutigen Reaktionären. Der Begriff „Kulturmarxismus“ muss da auch für alles was einem Ungustl, schwul, dekadent, verdorben, überemanzipiert erscheint, herhalten.

Ela: Delphine Horvilleur zeigt in ihrem Essay „Überlegungen zur Frage des Antisemitismus“ diese Verknüpfungen zwischen Antisemitismus und Misogynie auf. Das Stereotyp des Juden ist ein effeminierter, weibischer Mann, schwach, hysterisch und manipulativ, mit ausgeprägtem Interesse am Geld. Bereits im Mittelalter behauptete man jüdische Männer bluteten monatlich aus Nase oder After, menstruierten um das „Blut Christi zu sühnen“. Horvilleur zufolge entspricht die Fähigkeit, mit dem Mangel und der Unvollständigkeit zu leben im jüdischen Denken dem Weiblichen. In den Schriften beschränkt sich die politische Macht von Juden und Frauen auf das Wort. Sie können nur durch Gewitztheit und Wortgewandtheit Einfluss nehmen. Dieser (Ein)schnitt „sorgt für Diskontinuität“. Sigmund Freud hat die Kastrationsangst als „tiefste unbewußte Wurzel des Antisemitismus“ bezeichnet. Der Mangel, die Unvollständigkeit bedroht eine imaginierte „intakte Identität“ des Antisemiten.

Stefan: Frauenhass und Judenhass dürften sich gut ergänzen. Der Attentäter von Halle war bekanntermaßen für beides zu haben. Es muss ein eigenartiges Lebensgefühl sein, wenn man einer Ideologie anhängt, die besagt, dass man selber allen anderen überlegen ist. Und dann wohnt man aber als Mitte 30-jähriger noch im Kinderzimmer und Mami macht den Haushalt. Gerhard Scheit schreibt in seiner Analyse der Dramaturgie des Antisemitismus, dass mit dem Christentum die Heuchelei in die Welt kommt. Als „Systematik von Weltanschauung und Lebensführung“. Jesus vertreibt die Händler aus dem Tempel. Die müssen seither so tun, als würden sie nicht Handel treiben. Die Reichen müssen seit dem Spruch mit dem Nadelöhr so tun, als wären sie nicht reich. Aber auch die Frau als der „Inbegriff des gehandelten Reichtums“ soll im Christentum behandelt werden als gäbe es sie nicht. Wir sind nicht nur Erben der Griechen, sondern auch des Christentums.

Ela: Das hat sich ja auch nicht mit Ruhm angepatzt, was Misogynie betrifft. Juden und Frauen (Hexen) wurden zum Beispiel im Mittelalter abwechselnd für Brunnenvergiftungen, Ernteschäden, Fehlgeburten, etc. verantwortlich gemacht. Das mittelalterliche Hexenstereotyp basiert tatsächlich auch auf antisemitischen Vorurteilen, auch begrifflich (zb. Sabbat) wird das deutlich. Von allein sind die Hexen zum Zauber aber natürlich nicht fähig, sie sind vielmehr Werkzeug von Dämonen, mit dem sie einen Pakt eingegangen sind, wie der „Hexenhammer“ (Malleus Maleficarum) klarstellt. Und um wirksam werden zu können, bedarf es natürlich auch der „göttlichen Zulassung“. Den freien Willen aber kann der Teufel nicht umgehen, die Entscheidung liegt damit noch immer bei den Menschen, bzw. in ihrer Disposition begründet. Hierin liegt auch der Grund, warum Frauen eher Hexen werden, als Männer. Denn: „Zwei Arten von Tränen werden in den Augen der Frau [bereit] gehalten, die des wahren Schmerzes und die der Hinterlist. Sinnt eine Frau allein, dann sinnt sie auf Böses“. Frauen neigen eher zum Unglauben, da es ihnen an Verstand fehlt. Sie neigen eher zu Lüge, Zorn, Unduldsamkeit, Habsucht, sexueller Zügellosigkeit und verführen zur Sünde.

In „Caliban und die Hexe“ befasst sich Silvia Federici mit der Bedeutung der Hexenverfolgung für die Entwicklung kapitalistischer Verhältnisse. Im Prozess der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise kam es zur Privatisierung des Allgemeingutes, Enteignung von Bauern und Zerstörung bäuerlicher Dorfgemeinschaften. Mit Hilfe der dadurch vefügbar gewordenen Billigarbeitskräfte konnte man die Macht der städtischen Zünfte brechen. Viele Arbeiten konnten nun in Heimarbeit verrichtet werden. Es kam zur Polarisierung von Produktion und Reproduktion auf geschlechtlicher Grundlage. Hausarbeit wurde synonym mit (abwertend) Frauenarbeit, diese wurde zunehmend entwertet und unsichtbar gemacht. Da die kapitalistische Produktionsweise eines ständigen Nachschubs an Arbeiterinnen bedurfte, wurde politisch auf Bevölkerungswachstum gesetzt. Das versuchte man mit pro-natalistischer Politik zu erreichen. Dies bedeutete die vermehrte Kontrolle und Disziplinierung der weiblichen Sexualität. Als Höhepunkt dieser Kontrolle gilt für Federici die Hexenverfolgung, die zwar kirchlich sanktioniert und ideologisch unterfüttert, aber eine staatliche Initiative war. Sie führten zur Polarisierung des Proletariats auf geschlechtlicher Basis und Zerstörung von Glaubensvorstellungen die sich nicht mit der kapitalistischen Arbeitsdisziplin vereinbaren ließen. Mehrheitlich handelte sich bei den Angeklagten um ärmliche Frauen. Ihre Verfolger waren ranghohe Mitglieder der Gemeinschaft. 80% der Getöteten waren Frauen, viele davon Hebammen und Heilerinnen. Die gesellschaftliche Macht von Frauen sollte gebrochen, die Widerspenstigen gezähmt werden.

Aber der Vorwurf der Hexerei war auch keine Neuerfindung des Mittelalters. Wenn wir an das Byzantinische Reich denken: In Alexandria hat die Philosophin Hypatia gelebt, die übrigens einen tadellosen Ruf hatte, was ihre Tugendhaftigkeit anging. Sie war aber eine Freundin vom ägyptischen Statthalter Orestes. Leider ist dann Kyrill Bischof von Alexandria geworden und sein Hobby war die Jagd nach Ketzern. Nachdem Kyrill mithilfe eines Mobs die Juden aus der Stadt vertrieben hat, hat Orestes dagegen Einspruch erhoben. Die Anhänger von Kyrill hatten dann natürlich gleich eine Erklärung parat, weshalb Orestes sich gegen Kyrill gestellt haben könnte. Hypatia musste Orestes wohl verhext haben. Sie war eine Hexe und ist einen Pakt mit dem Teufel eingegangen. Darauf hat ein Mob die Akademie Hypatias attackiert, sie in die Kirche Kaisarion gezerrt, ausgezogen, man häutete sie mit Austernschalen und riss sie in Stücke um sie dann zu verbrennen.

Stefan: Furchtbar. Wer denkt sich sowas aus? Gibt es da nicht auch in der Bibel so eine Situation die paradox ist, weil Eva als Frau ja dem Mann per Schöpfung aus der Rippe untergeordnet ist und nur seinen Willen auszuführen hat, aber dann schuld ist, dass er den Apfel isst? Also wie kann sie schuld sein, wenn sie nichts zu entscheiden hat?

Ela: In der Bibel wird der Frau (Eva) ja nach dem Sündenfall von Gott auch die schmerzhafte Geburt auferlegt, als Strafe für den Regelverstoß. Noch dazu hat sie Adam überredet die verbotene Frucht zu essen, die deppate Sau. Die Menstruation ist ebenfalls Teil dieser Strafe. Aber das ist ja wieder nur eine Abwandlung vom Mythos der Pandora. Musst du dir mal vorstellen, die erste menschliche Frau wird von Hephaistos aus Lehm geformt als „schönes Übel“ und auf die Erde geschickt um die Menschheit zu quälen, als Strafe dafür dass sie zuerst von Prometheus erschaffen wurde, der im Anschluss dann noch den Göttern das Feuer stielt um es seinen Schützlingen zu geben. Pandora bekommt eine Büchse mitgeschickt, vor der man sie warnt sie zu öffnen, und ist dann natürlich so neugierig, dass sie sie doch öffnet und damit das Unheil über die Menschheit bringt.

Stefan: Bei Hans Blumenberg gibt es einmal diesen interessanten Satz, dass zwischen den Büchern und der Wirklichkeit eine alte Feindschaft besteht. Das Geschriebene der heiligen Texte dient zur Schwächung der Authentizität der Erfahrung. Dabei gibt es auch Stellen in der Bibel, die mittlerweile nach „Kill Bill“ klingen. Judith ist jedenfalls ein ziemliches bad girl, wenn sie Holofernes den Kopf abtrennt und damit die Hebräer rettet. Aber das wird sie dann in unzähligen Werken der Populärkultur büßen müssen, wie Alfred Pfabigan in seiner Edition der Apokryphen ergänzt. Das klingt als hätt sichs ein Wiener ausgedacht. Der Weininger war jedenfalls Wiener. In Österreich geht’s aber schon länger nicht mehr um Theorie, sondern auch wieder vermehrt um die Praxis, wenn‘s um Gewalt gegen Frauen geht.

Ela: Ich kann mich erinnern, ich glaube 2020 hat in Österreich so angefangen, dass gleich zu Jahresbeginn ein paar Frauen von ihren (Ex-)Partnern ermordet wurden und man begonnen hat medial die Frauenmorde zu zählen. Jeden Tag stand eine neue Frau in der Zeitung, begleitet von Zeilen wie „Schon der …. Frauenmord 2020…“ Dieses Jahr war ja eher coronalastig, aber da hat man sich auch so ein wenig Sorgen um die häusliche Situation gemacht und überlegt ob das im Lockdown nicht problematisch werden könnte, wenn da alle auf kleinem Raum zusammen gepfercht herumsitzen. Aber jetzt sind wir eh wieder beim Zählen angelangt. Nummer 12 haben wir, denk ich, inzwischen.

Stefan: Ich hatte den ersten Lockdown auch auf 38 Quadratmetern. Das war zu dritt und mit Homeoffice nicht leiwand. Und da hat die feine Christenpartei ja auch noch die Bundesgärten gesperrt. Wo man mittlerweile genau weiß, dass es pure Schikane war. Das sollte ihnen ganz Wien niemals verzeihen. Aber ich war noch nicht so weit, dass ich auf Mord zurückgegriffen hätte. … Bei ein paar Nachbarn vielleicht.

Ela: Jetzt hat ja in den letzten Wochen wieder ein Wiener seine Freundin umgebracht. Die hat zuerst die Polizei gerufen, weil er gewalttätig war. Sie wurde im Krankenhaus versorgt und ist dann wieder nachhause gegangen. Er war abgängig, die Polizei konnte ihn aber nicht finden. Inzwischen hat er sie zuhause erstochen. Auf Facebook konnte man dann Kommentare lesen wie „Sicher schlimm. Aber wenn man von der Regierung fast ein Jahr in eine enge Wohnung gesperrt wird, der Arbeit und Zukunft beraubt wird ohne Lichtblick auf Besserung. Das ganze ohne jegliche Hilfe und Unterstützung darf es einen nicht wundern, wenn solche Gräueltaten geschehen müssen.“ Ja, schicksalhafte Gräueltat Frauenmord. Weil wo soll man sonst seine Aggressionen auslassen? Wozu hat man eine Frau, oder? Ein anderer hat wiederum in Wien seine Exfreundin angezündet. Zuerst hat er sie geschlagen, versucht sie zu erdrosseln, sie mit Benzin übergossen und angezündet und sie dann in ihrer Trafik eingesperrt, weil er eifersüchtig war.

Stefan: Ja der hat das Versprechen das der Metzger macht eingelöst. In den Geschichten aus dem Wienerwald sagt er ja: „Du wirst meiner Liebe nicht entkommen.“ Und das kann man als Drohung verstehen. Der Begriff des Femizids bezieht das mit ein, dass der Mord an Frauen ein gesellschaftliches Phänomen ist. Er hat System und ist kein Schicksal. Der Begriff der Beziehungstat und der Tragödie dient ja nur dazu davon abzulenken. Die Motive des Täters sollten für die Beurteilung von so einem Frauenmord gar keine Rolle spielen. Da fühl ich mich doch papierlt, wenn einer so brutal und gezielt eine Frau umbringt und dann wird lang und breit ermittelt ob er vielleicht nicht zurechnungsfähig gewesen sein könnte. Ich mein, seids ihr deppad?

Aus der Sicht solcher Täter gehört die Frau ihnen und deshalb zerstören sie sie physisch, wenn sie von ihr verlassen werden. Die sind nie unzurechnungsfähig, sondern immer Oaschlöcher.

Ela: Zuletzt jetzt wieder die Bierwirt-Geschichte, wer hätte denn das gedacht, dass der ein Problem mit Frauen hat, nach der Maurer-Geschichte, wo er ihr mit Vergewaltigung gedroht hat? Aber zum Glück hat die Sigi Maurer sich dazu auch zu Wort gemeldet, jetzt muss man sich nicht mehr mit dem Mord auseinandersetzen, sondern es reicht schon, sich drüber aufzuregen, dass sie das Wort Femizid verwendet hat. Die andere Hälfte der Kommentatoren beschäftigt sich damit drauf hinzuweisen, dass jeder Mord schlimm ist, nicht nur Frauenmorde. Und der Dönmez redet lieber von der Macht der Mütter, wenn es um die Obsorge geht. Der Petzner hat übrigens gemeint die Sigi Maurer sollte „ein schlechtes Gefühl von einer gewissen Mitschuld“ haben, weil sie ihn in die Öffentlichkeit gezerrt hat.

Die Sigi wurde ja wegen übler Nachrede angeklagt, weil sie vom Bierwirt Vergewaltigungsdrohungen bekommen hat und die veröffentlicht hat. Der Fellner verklagt inzwischen seine ehemalige Angestellte, weil sie ihm sexuelle Belästigung vorwirft. Vor Gericht mokiert sich eine ehemalige Kollegin nicht etwa darüber, sondern wundert sich, dass man einen Popoklaps bei der Arbeit gar so ernst nimmt. Die Richterin fragt die Journalistin, die Fellner sexuelle Belästigung vorwirft, ob sie „von warmen Eislutschgern träumt“, weil sie weiterhin in dem Job arbeiten wollte, nur eben ohne sexuelle Belästigung, weil man weiß ja wie es in der Brache zugeht und Fellner selbst wundert sich warum die Bezeichnung der ehemaligen Angestellten als „Nutte“ ein Problem sein sollte.

Kürzlich hat ein Gericht in Österreich über die Belästigung eines 12-jährigen Mädchens entschieden, dass es sich zwar um Nötigung handelte, als der Angeklagte das Kind verfolgte, es als seine Frau bezeichnete und von hinten umarmte. Eine sexuelle Belästigung ist es aber anscheinend nicht, wenn man eine fremde und noch dazu nicht einverstandene Person von hinten umarmt, und dieser dabei zufällig seine Genitalien in den Rücken drückt.

Da kommen wir dann wieder auf das Thema zurück, ab wann eine Vergewaltigung eine Vergewaltigung ist. Das hat sich ja in Deutschland bei Gina-Lisa Lohfink ganz klar gezeigt. Die hat sich leider (nicht nur) ihre Brüste operieren lassen und steht besonders gern im Rampenlicht, weshalb sie schon mal einen schlechten Stand hatte. Sie hat bereits davor Aufmerksamkeit mit privaten Sexvideos erregt. Jetzt gab es ein neues Video von ihr, das sie beim „Sex“ mit zwei Männern zeigte. Das Video wurde von den beiden online geteilt. Sie konnte sich an den Abend nicht erinnern. Zunächst machte sie eine Anzeige wegen der Weiterverbreitung des Videos ohne ihrer Zustimmung. Später erstattete sie Anzeige wegen Vergewaltigung. Auf dem Video ist übrigens mehrmals klar und deutlich zu hören, dass sie „Hör auf!“ sagt. Leider konnte das Gericht nicht feststellen, dass es sich um eine Vergewaltigung handelte und Gina-Lisa wurde wegen falscher Anschuldigung zu einer Geldstrafe von 24.000 Euro verurteilt. Denn das „Hör auf!“ hätte ja auch dem Umstand gelten können, dass sie beim Sex gefilmt wurde. Interessant ist jetzt übrigens, dass einer der beiden Männer inzwischen wieder vor Gericht stand. Wegen „Stealthing“ einer Prostituierten, was als sexueller Übergriff gilt. Er hatte während des Sex, bei dem sie auf ein Kondom bestand, dieses heimlich entfernt. Zudem hatte er die Frau geschlagen. Auch in diesem Fall wurde der Prozess wegen Vergewaltigung und Nötigung eingestellt und er bekam lediglich 500 Euro Strafe für Drogenbesitz und den Schlag auf den Hinterkopf der Frau.

Aber auch gut, in Wien ist ein Typ vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden, weil es bei der Aussage des 16-jährigen Mädchens, das die Anzeige gemacht hatte, zu Widersprüchen kam. Zwar konnte es Fotos von Würgemahlen und Biss- sowie Kratzspuren vorweisen, doch, wie der Verteidiger anmerkte, hätte es ja die „Chance“ gehabt, „schon früher zu gehen“. Ein Argument übrigens, das nicht zum ersten Mal in einem Vergewaltigungsprozess fällt. Die Wohnung eines Mannes zu betreten, scheint damit juristisch einer Einwilligung zum darauffolgenden Sex zu entsprechen. Die Vergewaltigung als Sportveranstaltung (Passend dazu: Mithu Sanyal, die Vergewaltigungsopfer zu „Erlebenden“ euphemisiert), von der man sich nur abzumelden braucht. Aber so lernt man als Frau einer Vergewaltigung dadurch zu entgehen, dass man vor der Vergewaltigung geht, sich also nicht vergewaltigen lässt. Dies entspricht in etwa dem Argumentationsniveau der Person auf dem Steg, die dem Ertrinkenden zuruft, er hätte halt schwimmen lernen sollen.

Stefan: Da schwingen zwei Begriffe mit „Eigenverantwortung“ und „Natur“. Es ist die Natur des Mannes, einer Frau, die sich nicht (ausreichend) wehrt, Gewalt anzutun und es liegt in ihrer Eigenverantwortung, sich nicht in eine Situation zu bringen, dass ein Mann ihr das antun kann. Das ist ein naturrechtliches Denken, das den Rechtsstaat partiell außer Kraft setzt. Das aber immer noch von Richtern geteilt wird.

Ela: Susan Brownmiller schrieb in „Gegen unseren Willen“ schon in den 70ern: „Das Gesetz hält es für höchst unwahrscheinlich, daß ein Mensch freiwillig sein Geld einem Räuber gibt oder sich bereitwillig prügeln, mißhandeln und verletzen läßt. Von den Opfern einer Vergewaltigung und anderer sexueller Übergriffe werden all diese Beweise verlangt, weil das Gesetz bisher noch nicht in der Lage war, zwischen einem Akt gemeinsam gewünschter sexueller Vereinigung und krimineller sexueller Aggression zu unterscheiden. (…) Der Hauptgrund für die fortdauernde Unsicherheit über den Unterschied (…) besteht in der kulturell geprägten Vorstellung, daß es die natürliche Rolle des Mannes sei, sich der Frau auf aggressive Weise zu nähern, und die natürliche Rolle des Weibes, sich zu „sträuben“ und zu „fügen“. Und so schützt das Gesetz männliche Interessen, indem es in dem Glauben, daß Gewalt oder Gewaltandrohung nicht entscheidend seien, die Verurteilung des Täters vom Verhalten des Opfers während des Verbrechens abhängig macht.“

Vergewaltigung war ja früher nur eine Art Eigentumsdelikt zwischen Männern. Da hat ein Mann dem andren Mann die Tochter gestohlen, die dadurch ihren Besitzer wechselte. Bei einer „klassischen“ Vergewaltigung wurde dem Täter oft angeboten den Brautpreis zu zahlen und die Frau zu heiraten um der Strafe zu entgehen. Das galt natürlich nur, wenn die Frau noch nicht verlobt war.

Da fällt mir jetzt wieder Artemisia Gentileschi ein, das passt auch gut zu Judith und Holofernes und zur Behauptung, dass Frauen nicht zur Kunst fähig sind. Die Gentileschi hat bereits im 17. Jahrundert gelebt, in Italien. Sie war Vertreterin des Caravaggismus. Ihr Vater war selbst Künstler und hat es begrüßt, dass seine Tochter gemalt hat. Damit sie ihre Talente entfalten kann, dachte er, engagiert er ihr einen Lehrer, Agostino Tassi. Leider war Gentileschi hübsch, wollte aber von Tassi nichts wissen, ein schwerer Fehler. Tassi vergewaltigte sie. Sie hat sich zwar gewehrt, das hat ihr aber im Endeffekt nicht viel geholfen. Der Vater war besonders empört, dass Tassi seine Tochter nicht nur entjungfert hatte, sondern noch dazu nicht heiraten wollte und erstattete daher Anzeige. Artemisia musste sich darauf mehreren gynäkologischen Untersuchungen unterziehen – das ist auch schön, erinnert an Jungfräulichkeitstests wie man sie heute noch aus verschiedenen Weltgegenden kennt – ihr wurden Daumenschrauben angelegt, ihrem Vergewaltiger nicht. Der hat ganz einfach behauptet, dass er nichts getan hat. Der Prozess wurde Monate später eingestellt. Tassis Karriere ging weiter wie bisher und Gentileschis Vater hat ihm auch verziehen. Artemisia heiratete und ging nach Florenz. An Tassi rächte sie sich indem Sie ihn zumindest künstlerisch, in Gestalt des Holofernes, köpfte. Diese Szene malte sie in sechs unterschiedlichen Versionen. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie als Künstlerin wiederentdeckt und fand Anerkennung.

Stefan: Eine berühmte italienische Ehebrecherin ist Francesca da Rimini. Ihr begegnet man in Dantes Komödie in der Hölle. Witzigerweise ist ihr Mörder dort nicht anzutreffen, wenn ich mich richtig erinnere. Bros before hoes in der Renaissance.

Ela: Das ist sowieso ein beliebtes Motto, wenn man sich zb. Gruppenvergewaltigungen und Vergewaltigungen in Kriegszeiten ansieht. Brownmiller meint, dass die Ideologie der männlichen Überlegenheit, des Machismo, die in den großteils männlichen Armeen verbreitet ist, hier ihren Höhepunkt erreicht. Und wo die Geschichte nichts von vergewaltigten Frauen in Kriegen zu erzählen weiß, tauchen auf einmal Zwangsprostituierte auf. Von Armeen, in denen auch Frauen dienen, sind dagegen kaum Vergewaltigungsfälle bekannt, siehe das Beispiel Israel.

Vergewaltigung ist laut Brownmiller oft eine Art „Bonding-Möglichkeit“ für Männergruppen, die die beteiligten Männer auf Kosten der vergewaltigten Frauen näher zueinander bringt und Allianzen stärkt. Brownmiller geht davon aus, dass (das Damoklesschwert der) Vergewaltigung für die Aufrechterhaltung männlicher Herrschaft von großer Bedeutung ist. Sie schreibt dazu: „Eine Welt ohne Vergewaltiger wäre eine Welt, in der Frauen sich frei, ohne Angst vor Männern, bewegen könnten. Daß einige Männer vergewaltigen, reicht als Bedrohung aus, um die Frauen im Zustand fortwährender Einschüchterung zu halten, (…) Vergewaltigende Männer sind nicht Außenseiter der Gesellschaft oder „Besudeler der Reinheit“, sondern vielmehr männliche Stoßtrupps, terroristische Guerillas im längsten Krieg, den die Welt jemals gesehen hat.“

Besonders Gruppenvergewaltigung dient oft als Mittel sozialer Kontrolle. Federici schreibt etwa über die Entkriminalisierung der Vergewaltigung von Frauen aus den niederen Klassen im Mittelalter in Teilen Europas zur Bändigung der revolutionären Energien männlicher Arbeiter. Damit einher ging auch die Etablierung staatlicher Bordelle.

Hunter S. Thompson hat eine Zeit lang die Hell’s Angels in Kalifornien begleitet und sie geradezu romantisiert. Da beschreibt er zum Beispiel wie Frauen, die es wagten einen Angel zu verlassen oder zu verraten, zur Disziplinierung von mehreren Angels vergewaltigt wurden. Diese Strafmaßnahme beschreibt er als „Zeremonie“ und „Hexenaustreibung“. Die Verherrlichung der Täter ist keine Seltenheit.

Stefan: Analog dazu gibt es eine digitale Männlichkeit, die sich auch im Rudel zeigt. Es gibt eine männliche Online-Kultur, die Frauen im digitalen Raum erniedrigt und damit Gewalt gegen Frauen in der analogen Welt verstärkt. Da gibt es die Männer die jahrelang auf allen möglichen sozialen Medien öffentlich ihre Frauenverachtung zum Ausdruck bringen und weil sie da nicht gestoppt werden, dann irgendwann so viel Selbstsicherheit aufbringen und auch in der analogen Welt zur Tat schreiten.

Und das ist definitiv ein gesamtgesellschaftliches Problem. Da steht ein Oberösterreichischer Bürgermeister wegen sexueller Belästigung und Vergewaltigung in Wels vor Gericht und die Krone titelt „Abgeordneter wegen Sex angeklagt“. Da reckts mich schon. Aber die Liste solcher Sachen lässt sich ja unendlich fortführen.

Aber dann gibt es Sachen, die sind trotzdem nochmal schockierender. Der russische Youtuber ReeFlay hat sich damit eine Marktnische erkämpft, dass er seiner Freundin immer wieder Gewalt antut. Er hat Zuschauer abstimmen lassen und von ihnen Geld dafür kassiert, dass er sie live quält. Jetzt ist sie während einer seiner Übertragungen am Balkon erfroren, auf den er sie stundenlang gesperrt hatte. Sie war schwanger, und er hat damit 900 Euro verdient.

Ela: Also ja, es gibt da diese historisch gewachsenen Vorurteile und Annahmen, die sich über die Jahrhunderte summiert haben und bis heute nachwirken, auf die eine oder andere Weise immer wieder auftauchen, auch um, nach Bourdieu, die männliche Herrschaft zu legitimieren und zu bestätigen. Eine „Vergesellschaftlichung des Biologischen und (…) Biologisierung des Gesellschaftlichen in den Körpern und in den Köpfen“ die eine „Verkehrung der Beziehung von Ursachen und Wirkungen zur Folge“ hat. Auf Grundlage der biologischen Unterschiede wurden die gesellschaftlichen Unterschiede konstruiert und naturalisiert. Am Ende sieht es dann so aus, als wären die sozialen Unterschiede Produkt der biologischen Unterschiede. Man spricht vom „ewig Weiblichen“.

Der „supreme Gentleman“ Elliot Rodger, der 2014 sechs Menschen in Isla Vista getötet hat, und 14 verletzte, um sich an Frauen allgemein zu rächen, weil er keine Chance bei ihnen hatte, gilt in Incel-Foren als Vorbild. Der hat auch online angefangen. In seinem „Manifesto“ schreibt er, dass Frauen sich zu den „falschen“ Männern hingezogen fühlten, nicht zu ihm. Um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen und zugleich der Welt zu beweisen, dass er der RICHTIGE Mann gewesen wäre, begab er sich auf einen Amoklauf in der Nähe der Universität von Kalifornien, um dort das Haus der „hottest Sorority“ zu betreten und „jede einzelne verzogene, hochnäsige, blonde Schlampe“ dort zu „schlachten“.

Er schreibt Frauen seien Bestien, und da spielen dann wieder die ganzen schönen Sachen rein, die schon die großen Philosophen so gern verbreitet haben, „Frauen sind nicht fähig, moralisch und rational zu denken, sie werden vollständig von ihren verdorbenen Emotionen und abscheulichen sexuellen Impulsen gesteuert“. Zum Glück hatte Rodger auch gleich eine Lösung für die Probleme der Menschheit. „Frauen sollten nicht das Recht haben zu wählen, mit wem sie sich paaren und fortpflanzen wollen. Diese Entscheidung sollte von rationalen, intelligenten Männern für sie getroffen werden. (…) Wenn Frauen weiterhin Rechte haben, werden sie nur den Fortschritt der menschlichen Rasse behindern, indem sie sich mit degenerierten Männern fortpflanzen und dumme, degenerierte Nachkommen erzeugen.“

Und dann passieren Sachen wie in Atlanta, wo ein Typ acht asiatische Frauen ermordet und die Medien tun sich richtig schwer, das als Misogynie zu erkennen. Laut Selbstaussage handelte es sich um keine rassistische Tat. Er sei sexsüchtig und habe die „Versuchung“ eliminieren wollen, sagt er von sich.

Stefan: Mann tötet 8 Frauen. Presse: Rassismus!

Ela: Also ja, es spielen sicher auch stereotype Darstellungen von Asiatinnen da rein und die Assoziationen dieser Massagesalons mit Prostitution.

Stefan: Vor allem haben ja meistens „Yellow Riders“, wie sie sich selbst nennen, deshalb ein Faible für asiatische Frauen, weil sie glauben die sind dankbar für einen kleinen Penis, somit ist das wieder etwas das zwar rassistisch konnotiert ist, aber letztlich mit Frauenverachtung zu tun hat.

Ela: Im Endeffekt war Frauenhass doch immer mit rassistischen Klischees durchsetzt oder? Sartre hat über die Fetischisierung von jüdischen Frauen gesagt, dass gerade in diesem Zusammenhang den besonderen Reiz der „Geruch von Vergewaltigung und Massaker“ ausmacht. „Die schöne Jüdin ist die, welche die Kosaken des Zaren an den Haaren durch ihr brennendes Dorf schleifen (…)“

Die Pickup-Leute bewerten Frauen auch nach Herkunft, nach dem Motto: Welche Nationalität gilt als besonders unterwürfig, zb., oder sonst irgendein Porno-Fetisch.

Stefan: Und es hat meistens mit Merkmalen zu tun, die man vom Machoverhalten der Männer ableitet, die in der Gegend wohnen.

Ela: Und man wünscht sich eigentlich den Platz mit diesen Männern zu tauschen.

Stefan: Man wünscht sich den eigenen Penis riesig und die Vagina der Frauen möglichst eng. Das ist auch im Wunsch nach Jungfräulichkeit versinnbildlicht.

Ela: Unangenehm.

Stefan: Sex ist offenbar wie Moral, es muss die Frauen recken dabei.

Link zu Teil 3

„The mother and the weeping child“ by Shambhavi Pataskar
2021, gouache and ink on paper
https://instagram.com/shyamanist
„There’s a mother in every one of us that’s not made for taking care of another life. This mother is made for our internal self, and it nourishes the child within us that suffers from things we’re oblivious to. Some call it God, while others call it a „voice in their head“, but time and time again I realized that not listening to this mother leaves me as a weeping child; because for once – it is good to let go and take care of ourselves without putting ourselves through unnecessary atonement.“

Unter Herausgeberinnen 3. Männer + Hoden + YouTube + Gewalt – Teil 1


Link zu Teil 2

Ela: Der Mann ist laut Aristoteles der Frau von Natur aus überlegen und damit dazu bestimmt sie zu beherrschen.

Stefan: Jetzt wird der Briefkasten übergehen mit den Beschwerden von akademischen Philosophen. Weil das kann man ja nicht so undifferenziert sagen. Der Aristoteles hat das sicher irgendwie philosophisch gemeint. Wenn man sowas aus dem Zusammenhang reißt und ohne Fußnote einfach hinstellt, dann ist es notwendig falsch. Also wir machen uns völlig unglaubwürdig gerade.

Ela: Das ist lustig, das sagen sie auch immer bei den heiligen Büchern. Glaubwürdigkeit ist in dem Zusammenhang ein großes Thema. Weil es oft drauf ankommt, ob etwas ein Mann erzählt. Die Frauen übertreiben immer so. Sie landen meistens in den Apokryphen.

Stefan: Die Frauen machen ja auch immer die falschen Diskriminierungserfahrungen. Weshalb dann Journalisten sich als Frau verkleiden müssen, um mal aus erster Hand zu erfahren was Diskriminierung bedeutet.

Ela: Ja. Ich find es gut, weil die sind von Geburt an objektiv. Spatzimeter haben die eingebaut.

Stefan: Frauen sehen alles subjektiv. Männer haben ihre objektiven Hoden, wie ja schon Hegel geschrieben hat. Insofern hast du uns mit deiner einleitenden Behauptung doppelt in Teufels Küche gebracht. Sollen wir die jetzt nachträglich noch rausnehmen? Sonst kommen die Philosophen und halten uns ihre ontologischen Hoden hin.

Ela: Nein das bleibt drinnen.

Stefan: Ok.

Ela: Ich liebe es immer so, wenn manche Männer bei sexueller Belästigung oder sexuellen Übergriffen von feschen Frauen auf Minderjährige sagen „Also von der wäre ich als Kind auch gern missbraucht worden“. Hoits bitte eicha blede Pappn.

Stefan: Von der Asia Argento zb?

Ela: Ja. Oder irgendwelche hot teacher (pornogeschädigt).

Stefan: Ich glaub dass viele Menschen mit Hoden den Begriff „Missbrauch“ inhaltlich nicht verstehen wollen.

Ela: Ich glaub das sind dieselben Leute, die dann behaupten Frauen sehen es nur als sexuelle Belästigung, wenn jemand schirch ist, wenn jemand hübsch ist, ist es ok.

Stefan: Es dürfte schon so sein, dass Männer es kulturell ausnützen, dass sie durchschnittlich und schematisch betrachtet körperlich kräftiger sind als Frauen. Außer bei den ständig vorgezeigten Hoden. Da haben sie ihre Achillesferse. Apropos, in der Ilias (die auch von einem Mann geschrieben wurde wahrscheinlich) kommt eine Frau namens Briseis vor. Im Film Troja mit Brad Pitt trifft Achilles Briseis zum ersten Mal, da ist sie schon eine Gefangene. Sie ist an eine Zeltstange gefesselt und sieht sehr mitgenommen aus. Der Youtuber, der die Filmszene reingestellt hat, hat übrigens drunter geschrieben: „I love this part, Achilles looks SO hot here… Almost unstandable.“. Da sprechen wiedermal die Hoden. Aber abgesehen davon ist Briseis die Tochter von einem Fürsten, der mit Troja verbündet war und bereits von den Griechen fertiggemacht worden ist. Historisch gesehen kommt sie, als sie auf Achilles trifft, vielleicht gerade aus einem Vergewaltigungscamp der griechischen Soldaten. Aber der nächste Mann, der das Recht haben wird sie zu vergewaltigen, ist eben Achilles, und der sieht SO hot aus, dass alles andere zur Nebensache verkommt.

Ela: Das war sicher ein Incel, der das hochgeladen hat. Die sind ja auch von den Griechen besessen. Vergleichen sich selbst mit Hephaistos, der als besonders hässlich den prototypischen unfreiwilligen Zölibatären repräsentiert, während das Objekt ihrer Begierde, Aphrodite (die unerreichbare Stacy), sich mit Ares (dem Chad) vergnügt. Auch lustig, dass sie Feministinnen mit Gorgonen vergleichen, weil die auch angeblich so hässlich waren, aber natürlich nicht in jeder Version der Geschichte. Die Medusa ist in einer Version von Poseidon vergewaltigt worden, in der andren „lag“ mit ihr „der Dunkelhaarige (Poseidon) auf einer weichen Wiese inmitten von Frühlingsblumen“.

Stefan: Molly Haskell schreibt in ihrer erhellenden Studie „From reverence to rape. The treatment of women in movies“, dass Frauen in den meisten Filmen, aufgrund der Logistik der Filmproduktion, die aus den ungeschriebenen Regeln der Gesellschaft hervorgeht, zu Projektionsflächen männlicher Werte degradiert werden. Entweder als Ergebnis der Projektion des Auteurs oder des Studiosystems. Frauen treten als Vehikel männlicher Fantasie auf.

Ela: Das zieht sich eh so durch. Der Tarantino zb. baut in jeden seiner Filme seinen Fußfetisch ein. Ich hab mir zuletzt wieder Fight Club angeschaut, weil ich einigermaßen perplex war, dass der Film und das Buch so eine Art Bibel für Incels ist. Ich mein, die müssen die Satire ja komplett ausblenden. Der Typ bastelt sich quasi unbewusst eine zweite Persönlichkeit, die das macht, was er sich nicht traut, was aber gleichzeitig eine Karikatur des Männlichkeitsbildes ist, das er romantisiert. Anfangs leidet er an Schlafstörungen und muss feststellen, dass er nur dann schlafen kann, wenn er ordentlich heult. Dafür besucht er verschiedenste Selbsthilfegruppen, für Leiden, von denen er selbst nicht betroffen ist. Am einfachsten fällt ihm das Heulen in einer Selbsthilfegruppe für Männer mit Hodenkrebs, an die riesigen Brüste von Bob gedrückt, der früher Bodybuilder war und dem die Hoden entfernt wurden. Lustigerweise heißt die Gruppe noch dazu „Remaining men together“ (Gemeinsam Männer bleiben). Dann fällt dem Narrator/Protagonisten auf, dass er nicht der einzige Tourist in den Selbsthilfegruppen ist, sondern es eine weitere Touristin gibt, Marla Singer, die so frech ist, die Hodenkrebs-Gruppe ebenso zu besuchen, denn im Gegensatz zu ihm hat sie zumindest keine Hoden, also mehr Recht auf die Teilnahme. Er wirft Marla das vor, woran er sich selbst schuldig gemacht hat. Von Beginn an redet er sich ein, dass er sie verachtet, da ist er nicht weiter als ein Bub im Kindergarten, der Mädchen dumm findet. Eine potentielle Partnerin auf derselben Wellenlänge in ihr zu sehen, so weit ist er noch nicht.

Nebenher bastelt er bereits an seiner Persönlichkeitsspaltung, dem Übermensch-Alter-Ego Tyler Durden, das sich damit brüstet sich gegen Konsumerismus einzusetzen und predigt ihn zu befreien. Im Endeffekt erschafft er sich also eine Persönlichkeit, nur damit er der Realität entflieht und keine Verantwortung übernehmen muss, weil er Angst hat eine Beziehung mit einer erwachsenen Frau einzugehen, denn das würde für ihn den Verlust seiner neu gewonnen Freiheit bedeuten, sich wöchentlich im Fight Club mit anderen Männern zu treffen und sich gegenseitig den Schädel einzuschlagen. Gleichzeitig beginnt aber Tyler Durden eine Fickbeziehung mit Marla Singer, weil ganz kann der Narrator die Anziehung zu ihr anscheinend nicht abspalten. Da gibt’s auch die lustige Szene, wo Durden einen Dildo auf ihrer Kommode entdeckt und sie zu ihm sagt „Keine Sorge, der ist keine Gefahr für dich!“ Der Protagonist ist relativ genervt von den Besuchen Marlas bei Tyler Durden, weil sie (wieder einmal) in seinen Raum eindringt.

Tyler Durden hat große Pläne und aus dem Fight Club entwickelt sich schließlich das Project Mayhem, in dem die anfangs so freie Männergruppe streng hierarchisch organisiert, einem Kult gleichend, sich ihrem Anführer Tyler Durden unterwirft. Das geht wiederum mit einem Individualitätsverlust einher. Sie haben keine Namen, bis sie sterben. Der Narrator bemerkt inzwischen, dass seine Erinnerungslücken immer größer werden. Er reist Tyler Durden durch die USA hinterher und muss erkennen, dass er selbst Durden ist und zudem einen Terroranschlag auf die großen Kreditkartengebäude San Franciscos plant. In dem Moment wo der Protagonist sich seiner romantischen Gefühle für Marla Singer bewusst wird und Tyler Durden Andeutungen macht, sie loswerden zu wollen, denn sie steht dem Narrator und der Ideologie im Weg, beschließt er endlich sich auf die Beine zu stellen, schießt sich ins Gesicht und erschießt damit Durden. Zum Schluss steht er Händchenhaltend mit Marla Singer am Fenster und schaut dabei zu wie ein Gebäude nach dem anderen zusammenstürzt.

Ich mein, wie ist es möglich die Ironie so stark zu verdrängen, dass man Tyler Durden als Vorbild heranzieht und den Blödsinn, den er verzapft in sich aufsaugt als handle es sich um eine Religion? Allein die Aussage „Wir sind eine Generation von Männern, die von Frauen erzogen wurden, ich weiß nicht, ob eine weitere Frau wirklich die Antwort auf unsere Fragen ist.“ Ich mein, welche Generation wurde nicht von Frauen erzogen?

Stefan: Der Fußballer Ronaldo ist ja dafür bekannt, dass seine Liebe zu seiner Mutter „ebenso imposant wie sein Kontostand“ ist, schreibt irgendeine Zeitung im Internet. Der wohnt mit seiner Mutter zusammen und kümmert sich um sie. Weil er ihr so dankbar ist für ihre Erziehung. Mit anderen Frauen nimmt er es vielleicht nicht so genau. Aber um Ironie zu verstehen, müsste man vielleicht wissen warum ein Kater Stiefel trägt.

Beim Friedrich Schlegel gibt’s die Überlegung, dass es ironisch ist, wenn ein Kunstwerk seine eigenen Produktionsbedingungen gleich mit thematisiert. Der Film Fight Club hat in seinem ganzen Pathos auch etwas Ironisches. Die Abspaltung des Hauptdarstellers, die Figur die von Brad Pitt gespielt wird, ist so männlich, dass es weh tut. Das fängt schon beim Wohnen an. Aber setzt sich in jeder Geste fort. Auch das lässige Rauchen beim Kämpfen oder kurz vorm Kämpfen. Und diese Selbstgefangenheit, die du vorher so schön beschrieben hast. Dieser schmächtige Mann bricht aus dem Käfig des Großraumbüros aus, befreit sich von der Autorität seines Chefs und verlässt seine Ikea Wohnung um in einer Ruine zu hausen in der ständig Wasser von der Decke tropft. Diese Flucht ist rein materiell betrachtet schon deshalb männlich, weil sie dumm ist. Und das reflektiert dann im Kunstwerk die Produktionsbedingungen der Kunst gleich mit. Weil wenn es in diesem Film um etwas geht, dann darum, dass man zwar aus den unmännlichen Zusammenhängen der Zivilisation leicht rausspringen kann. Aber dann im Endeffekt nur in der Männersteinzeit landet, in der Mann dann Bandenchef werden muss um überleben zu können.

Der IS kritisiert übrigens auch Konsumerismus und prangert die Dekadenz der westlichen Konsumgesellschaften an. (Als gäbs im globalen Kapitalismus Gesellschaften die keine Konsumgesellschaften sind. Zählts mal die Plastiksackerln die nach der Eroberung von Rakka herumgelegen sind.) Und die haben sogar ähnliche Neurosen. Verbindend wirkt sicher der Hass auf Frauen.

Ela: Da gab es einmal einen Tumblr von einem IS-Kämpfer aus England in Syrien, der so eine Art Tagebuch drüber geschrieben hat. Die Seite gibt es leider nicht mehr, aber ich hab damals einen Eintrag davon übersetzt, das will ich dir nicht vorenthalten, weil es so lustig ist. Jeden Tag beim Mittagessen, schreibt er, wird die Essensausgabe einem von ihnen zugeteilt. Wenn er selbst an der Reihe ist, moniert er, drängen sich schon alle um ihn und er weigert sich so lange das Essen auszuteilen, bis alle zivilisiert am Tisch sitzen. Leider scheint seine Lehrmethode nicht so erfolgreich wie erhofft. „Die Araber“ sabotieren außerdem die in England so beliebte Bildung von Warteschlangen. Nicht nur das, auch administratorisch scheint ISIS Schwierigkeiten gehabt zu haben. So musste ein deutscher „Kämpfer“ nach seiner Heirat einen Monat lang auf einen Kühlschrank warten. Dennoch, so schreibt er weiter, soll man sich von diesen Schwierigkeiten nicht davon abhalten lassen sich dem Dschihad anzuschließen. „Die Lösung“ sei es „zu Allah zu beten, damit dieser die Araber (in der Administration) durch andere ersetzt, die wissen was sie tun.“ Das ist ja irgendwie wieder ein bisschen so das Problem, das du bei Fight Club mit der „Männersteinzeit“ angedeutet hast. Man begibt sich da quasi unbedarft in einen Zusammenhang der Vorzivilisation, der rohen Gewalt und wundert sich dann, dass sich das auch in anderen Bereichen fortsetzt. Aber immerhin hat er seinen Kühlschrank dann noch bekommen, also ja, Dschihadisten sind im Endeffekt auch Konsumenten. Ich glaub, wenn ich mir den Tumblr anschau, da sind auch ganz viele LARPer dabei, die einfach bisschen Kalifat spielen, am Abend aber am Liebsten doch im gemütlichen Bettchen in St. Pölten liegen würden. Also auch nichts andres, als dem Kater die Stiefel anzuziehen.

Stefan: Und vielleicht ist diese Reaktion des Publikums, dieses männlich-konsumistische Terrorspielen, auch ein Teil der Ironie. Der gestiefelte Kater von Tieck ist ja das erste Stück im deutschen Sprachraum in dem explizit ein Publikum eingeplant ist, das nach Plan des Autors auf das Stück reagiert und mit den Schauspielern planvoll interagiert. Bei Leuten die unvorbereitet sind, löst das natürlich Verwirrung aus. Tieck hat übrigens auch ein kleines Stück geschrieben, das sich „Die männliche Mutter“ nennt. Darin rettet eine Mutter ihre Tochter indem sie sich als Graf verkleidet und um ihre Hand anhält.

Ich glaube viele Rollenklischees gibt es ja deshalb, weil Menschen Ironie nicht verstehen. Kant beschreibt die Ehe so, dass man eigentlich gar nicht anfangen mag damit. Die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum „lebenswidrigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften“ und zu den Geschlechtseigenschaften gehört nun mal dazu, dass die Frau schwächer ist als der Mann und beruflich ungeeignet und daher das Eigentum des Mannes.

Ela: Kant hat ja auch gemeint moralisches Verhalten ist es besonders dann, wenn man etwas tut wozu man eigentlich keine Lust hat, aber weiß, dass es das Richtige/Vernünftige ist. Frauen sind das schöne Geschlecht, im Gegensatz zum noblen Geschlecht der Männer, und damit sind sie quasi gar nicht in der Lage RICHTIG moralisch zu handeln, weil sie so sanfte, oberflächliche, aber einfühlsame Wesen sind und das ihr Naturell ist. Zu Prinzipien sind sie nicht fähig. Sie streben nach Tugend, weil sie (moralisch) schön ist! Sie machen Dinge aus Mitgefühl, nicht aus Pflichtbewusstsein oder Vernunft, Igitt! Moralisch ist es nur, wenn einem davor graut! Wenn es einen nicht mindestens reckt, dann hat es keinen Wert!

Stefan: Es muss jemand geschädigt werden, sonst ist es keine Moral! Und da das so ist, dann bitte eine Frau schädigen, weil die Männer sind zu wertvoll, weil sie so moralisch sind.

Ela: Moral sollte stets Selbstverleugnung, wenn nicht sogar Selbstverletzung beinhalten!

Stefan: Schiller ist da ein wenig nachsichtiger, wenn er konstatiert, dass die Frau nicht unterworfen, sondern eher als Partnerin angesehen werden sollte. Sie ist zwar zu sachlichem Gespräch, Abstraktionsfähigkeit und selbsttätiger Vernunft nicht in der Lage, aber dafür für Gefühl und Phantasie zuständig und sowas kann ein Künstler immer an seiner Seite brauchen. Künstlerisch sollten sich die Frauen bei Schiller aber trotzdem nicht betätigen. Das wär bissl zu viel wegen ihrer Tendenz zur Mütterlichkeit. Wobei diese Mütterlichkeit beinahe immer auch Hausarbeit miteinschließt. Also den Bereich der Arbeit, der bis heute nur widerstrebend anerkannt und noch widerstrebender bezahlt wird, wenn überhaupt.

Goethe ist ja ein Freund Schillers gewesen und lässt in den Gesprächen mit Eckermann folgendes ausrichten: „Die Frauen sind silberne Schalen, in die wir goldene Äpfel legen.“ Das braucht sicher eine eingehendere Analyse. Müsste man mal im Eissler nachschlagen. Macht ja eh wieder niemand.

Aber ein anderer Mann, der wahrscheinlich eine Psychoanalyse gut vertragen hätte, war der Fichte. Der Philosoph der Freiheit, der Eroberer der Subjektivität, der revolutionäre Denker und Denker der Revolution sieht den Mann als Verwalter aller Rechte der Frau. Fichte war wahrscheinlich ein genialer Denker, aber er hat sich nachweislich mit menschlichen Beziehungen und dem Leben im Allgemeinen sehr schwer getan, mehrere gute Posten verloren, sich mit allen Förderern zerstritten und immer Geldprobleme gehabt. Also ein Philosoph, der zeitlebens einen Sachwalter gebraucht hätte, hält Frauen für ungeeignet sich selbst politisch zu verwalten. Für diesen Philosophen der Freiheit ist die Freiheit der Frau eher eine Nebensache. Für ihn ist der Mann natürlicher Repräsentant im Staate und die Frau halt ohne ihn überfordert ihre Rechte auszuüben.

To add insult to injury, fügt Hegel dem noch eine Zote auf der sexuellen Ebene hinzu. Nämlich, dass der männliche Testikel das tätige Gehirn ist, die Klitoris aber nur das untätige Gefühl. Ist ja bekannt, dass Hoden die ur Action machen beim Sex, die Klitoris ist dagegen zum Handeln total unfähig.

Ela: Naja das erinnert mich ja wieder an Aristoteles, der auch gemeint hat, dass Frauen beim Fortpflanzungsprozess so eine Art Gefäß sind – ist das wieder die silberne Schale vom Goethe? – dessen Beitrag nur darin besteht das Material zur Verfügung zu stellen, während der Mann das Prinzip der Bewegung selbst beisteuert, ohne die kein Leben entstehen kann!!!

Stefan: Eigentlich interessant wie naiv diese Vorstellungen sind. Also wenn dieser Volltopfen sich nicht aus der Philosophie heraus wieder zurück in die Gesellschaft gedrückt hätte, dann wär‘s fast lustig. Dass man so spürt, diese gscheiten Männer haben die halbe Menschheit eigentlich gar nicht verstanden.

Ela: Thomas von Aquin hat von der aktiven Zeugungskraft von Männern gesprochen, im Gegensatz zum passiven Prinzip bei den Frauen. Am oberen Ende der Skala befindet sich der Mann, der eine noblere Funktion einnimmt, der Dinge versteht, da freut sich der Kant. In ihrer Natur ist die Frau mangelhaft (Manqué). Das aktive Prinzip der Fortpflanzung im Samen des Mannes tendiert dazu etwas ähnlich perfekt maskulines wie den Mann selbst zu erschaffen, während weiblicher Nachwuchs das Resultat einer Schwäche dieser aktiven Kraft ist, einer Untauglichkeit des Materials, einer Veränderung die durch externe Einflüsse hervorgerufen wird. Bezogen auf die gesamte Spezies aber ist die Frau nicht mangelhaft, denn schließlich ist ohne sie keine Fortpflanzung möglich.

Interessant ist, dass das Y-Chromosom ja eine Mutation des X-Chromosoms ist. Gleichzeitig wurden aber historisch diese ganzen Mythen aufgebaut, die aus der Frau die Abweichung machen wollen, während es eigentlich umgekehrt ist.

Leicht abgewandelt kommt das Thema in der Krimiserie „The Fall“ mit Gillian Anderson vor. Da geht es um einen Serienfrauenmörder in Nordirland. Gillian Anderson, in ihrer Rolle als Stella Gibson, antwortet auf die Frage eines Kollegen und ehemaligen Liebhabers „Warum sind Frauen emotional und spirituell so viel stärker als Männer?“: „Die menschliche Grundform ist weiblich. Männlichkeit ist eine Art Geburtsfehler.“ Später zitiert Gibson auch eine Aussage die Margaret Atwood zugeordnet wird. Die hat erzählt, dass sie einmal einen männlichen Freund fragte, warum sich Männer von Frauen bedroht fühlten. Er antwortete ihr „Sie haben Angst, dass Frauen sie auslachen könnten.“ Als sie eine Gruppe Frauen fragte, warum sich Frauen von Männern bedroht fühlten, war die Antwort „Wir haben Angst ermordet zu werden.“

Der Neurobiologe Gerald Hüther bezeichnet Männer übrigens als schwaches Geschlecht. Da auf dem X-Chromosom besonders viele Enzyme und Strukturproteine gespeichert sind, kann ein zweites X-Chromosom ein fehlerhaft kodiertes Strukturprotein auf dem einen X ausgleichen. Das ist nicht möglich, wenn es nur ein X-Chromosom gibt. Damit hat man mit einem Y-Chromosom von Geburt an bereits einen Nachteil – männliche Babys sind konstitutionell schwächer – den man dann im Leben auszugleichen versucht, mit demonstrativer Stärke zb. Die Art wie damit umgegangen wird, ist dann eine Frage der Sozialisierung.

Aber zurück zu den Philosophen. David Hume macht sich besonders Sorgen darüber, dass er ein Kind heranziehen könnte, das biologisch nicht das seine ist. Das wäre ja auch wirklich tragisch, wenn man ein Kind lieb gewinnen würde, das nicht der eigenen Manneskraft entsprang. Männer sollten nur für die Erhaltung und Erziehung ihrer eigenen Kinder Sorge tragen müssen! Und daher ist es wichtig die Frauen unter Kontrolle zu halten und ihnen wenigstens ein bisschen Schamgefühl einzuimpfen, wenn sie schon so liederliche Wesen sind von Natur aus. Er hat übrigens damals schon gewusst, dass die männliche Ehre mit der Sittsamkeit der Frauen verknüpft ist.

Aber das hatte er wahrscheinlich von den Römern. Die haben schon die weibliche Sittsamkeit mit der Familienehre und dem Staatswohl verknüpft. Das hat die Lucretia am eigenen Leibe erfahren. Die war ja ein Ausbund an Sittlichkeit, leider hat ihr Mann damit zu gern angegeben und das hat der Lucius Tarquinius Superbus als Herausforderung gesehen und sie vergewaltigt. Er hat ihr gedroht, wenn sie nicht mit ihm schläft, tötet er sie und einen Sklaven und legt sie nackt nebeneinander ins Bett. Das würden heute (und damals: Titus Livius) einige übrigens zum Anlass nehmen zu fragen, ob das überhaupt eine Vergewaltigung war. Jedenfalls hat Lucretia die Geschichte ihrem Mann und ihrer Familie erzählt und sich darauf selbst erdolcht. Ehre gerettet quasi.

Stefan: Die Frage, ab wann eine Vergewaltigung keine Vergewaltigung mehr ist, ist völlig absurd. Aber, dass man so eine Frage stellen kann, hat eine gewisse philosophische Tradition. Zumindest im Deutschen Denken. Fichte arbeitet sich ja in der Wissenschaftslehre an der Formel A = A (Ich bin ich) ab. Also daran, dass die Natur des Menschen das ist, was seinem Bewusstsein eine Identität gibt. Der „Ich bin“-Teil ist die Bedingung für den Vollzug der Identität jedes in Form von A = A Gedachten und fällt zugleich nicht darunter.

In der Gegenüberstellung von Ich und Welt abstrahiert Fichte vom empirischen Ich des Individuums, weil es nur die Vorstellung des ihm zugrundeliegenden Geistes, also des reinen Ichs ist. Ihm gelingt also eine Philosophie der Identität, die darin besteht das Ich durch Wegdenken zu erzeugen. Dieses Wegdenken der Individualität ist aber genau das, was das Denken der konkreten gesellschaftlichen Frau und ihrer Bedürfnisse unmöglich macht. Denn bei allem idealistischen Pathos ist Fichte halt nur ein Mann und sein Ich halt ein männliches. „Ich bin schlechthin, d.i. ich bin schlechthin, weil ich bin; und bin schlechthin, was ich bin; beides für das Ich.“ Aber dieses Männliche schleicht auch in weitaus weniger abstrakten Philosophien herum.

Ela: Hume meint jedenfalls, zwar haben die Männer auch die Pflicht sittsam zu sein, aber da ihr Interesse an fleischlichen Genüssen weniger stark ausgeprägt ist, als bei Frauen, muss für sie auch die moralische Obligation zur Sittsamkeit proportional schwächer sein.

Aber Rousseau muss natürlich dann noch ein Schäufelchen drauflegen und behauptet überhaupt: „Bei Männern ist es nur Betrug, bei Frauen ist es Verrat!!!!! 1!! 1“ Denn eine treuelose Frau zerstört Familie und natürliche Bindungen, indem sie ihrem Mann Kinder gebiert, die nicht seine eigenen sind.

Rousseau mag ich besonders, er sagt ja sinngemäß auch sowas wie: „Frauen kann man nur dazu bringen sich anständig zu verhalten, wenn man ihnen damit droht ihren Ruf zu zerstören, daher sollte man schon kleine Mädchen so erziehen, dass ihnen nix wichtiger ist als ihr guter Ruf!“

Stefan: Actually ist das eine sehr gute Zusammenfassung der gesamten Geschichte bisher.

Ela: Eine Frau muss Rousseau zufolge schwach und passiv sein, der Mann stark und aktiv, das ist eh wieder das alte Prinzip, kennen wir schon. Es reicht, wenn der Mann die Macht und den Willen hat, bei der Frau reicht es, wenn sie wenig Widerstand leistet. Das klingt überhaupt nicht rapey und war bestimmt nicht so gemeint. Die Frau hat also nur die Pflicht in seinen Augen gefällig auszusehen, weil ihr Charme ihre Stärke ist, während seine Stärke die Stärke ist, die sie in ihm erwecken soll, indem sie sich ihm ein bisschen widersetzt. Zurückhaltung ist also ein gottgegebenes Geschenk an die Frauen, das im Mann die Leidenschaft erwecken soll. Wenn sie sich entscheidet wirklich keinen Sex zu wollen, kann sie sich ja immer noch RICHTIG wehren.

Um zu garantieren, dass eine Frau aber treu ist, reicht es nicht, dass die Frau tatsächlich treu ist, sondern ihr Mann, ihre Freunde und am besten die gesamte Nachbarschaft muss ihr glauben, dass sie treu ist. Sie muss also sittsam, ergeben, zurückhaltend sein. Sie muss nicht nur ein reines Gewissen haben, sondern einen guten Ruf.

Stefan: Das erinnert aber schon sehr stark an heutige patriarchalische Zwangsgemeinschaften. Sind die iranischen Mullahs Rousseauianer?

Ela: Rousseau wäre stolz auf sie.

Stefan: Man könnte zum Eindruck kommen männliches Denken tue der weiblichen Selbstbestimmung oft nicht gut. Zumindest ein männliches Denken, das noch im Prozess der Emanzipation gefangen ist. Dieses Denken ist nicht abgeschlossen, fasst seine Gedanken nicht richtig, versteht die eigenen Begriffe, aber vor allem die eigenen Bedürfnisse nicht. Denn auch die großen Denker wollen guten Sex. Und so ist der sicher nicht zu haben. Wenn Frauen nur Dinge der Verfügung sein sollen. Und Kitzler von Testikeln dominiert werden. Man könnte fast sagen, bei allem Starken und Klugen was diese Männer gedacht haben, waren sie doch letztlich hilflos. Sie waren hilflos, weil sie in Klischees von Frauen gefangen waren, die ihnen durch Religion, Sitte und Moralismus auferlegt waren und sie zu schwach waren diese zu durchschauen.

Man kann das auch stärker formulieren: Überall da, wo Männer ungestört denken, werden Frauen missverstanden. Überall, wo religiöse Männer bestimmen, wird Frauen Gewalt angetan.

Aber es gibt natürlich auch weit über den Kosmos der reaktionär-religiösen Speibmänner hinaus Feinde der Frauen. Was auch wieder bisschen was mit der Bandenherrschaft vom Tyler Durden zu tun hat.

Die Wunschvorstellung von der Auflösung des Staates zugunsten von patriarchalischen Sippengemeinschaften verbindet Anarchopunks mit Islamisten. Deshalb tun sich die linken Jungmänner oft leichter den obrigkeitshörigen AKP-Fan zu verstehen („Der ist halt wütend wegen der strukturellen Diskriminierung.“) als den demokratischen israelischen Staat („Imperialismus“) anzuerkennen.

Der unreflektierte Hass auf das staatliche Gewaltmonopol und die seltsamen Querfronten die daraus entstehen, sind sicherlich im Zusammenhang damit zu sehen, was diese Männer miteinander verbindet. Ihr Wunsch ohne Eingreifen einer Schlichtungsstelle Gewalt ausüben zu können. Die Kommunarden haben es von linker Seite vorgemacht.

Rainer Langhans, der die Damen die mit ihm für die Freiheit in einer lebenslangen Gemeinschaft gelebt haben, bis heute offen als „Harem“ bezeichnet. Oder Otto Mühl, der im Namen der Freiheit von staatlicher Gewalt Zweierbeziehungen ablehnte und dann 1991 „wegen Sittlichkeitsdelikten, Unzucht mit Minderjährigen bis hin zur Vergewaltigung, Verstößen gegen das Suchtgiftgesetz und Zeugenbeeinflussung“ zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.

Das ist die Freiheit, die sie meinen. Das ist der Grund, warum sie sich in absoluter Konkurrenz zum Staat sehen und das ist, was sie mit den Islamisten und Paternalisten dieser Welt verbindet. Nämlich, dass immer, wenn sie ihre Hoden auspacken wollen, ihnen der Staat eine mit den riesigen Staatshoden drübergibt und sie auf die stille Treppe schickt. Das ertragen sie nicht.

Du hast mal in einer Scherzwut so einen wunderbaren Satz über manche Männer gesagt:

„Diese scheiss autoritären Idioten, die nicht einmal besonders gescheit sind.“

Ich hab das als sehr befreiend empfunden.

Ela: Es gibt da diese oage Kurzgeschichte von der Nöstlinger. Da geht ein Typ in Pension und sitzt dann deppat im Wohnzimmer herum und beobachtet seine Frau bei der Hausarbeit. Und nach ein paar Tagen erklärt er ihr, dass sie ur viele Umwege macht und sie könnte total viele Schritte sparen, wenn sie ein wenig anders gehen würde.

Stefan: Das beschreibt irgendwie auch das Verhältnis von Religion zu Frauen. Gott beobachtet und stellt fest: Frauen sind zu aufreizend gekleidet und lässt ihnen das über seine beauftragten Männer mitteilen.

Ela: Gott erschafft also Frau, um ihr dann auszurichten: „Du Schlampn, zieh dir was an!“

Stefan: … und die stehen dann an der Straßenecke und sitzen in den Cafés und lassen die Frauen das spüren und zeigen durch sexuelle Gewalt permanent die Grenzen auf.

Ela: Weil sie der Meinung sind, dass Frauen keine gleichwertigen Personen sind, dass man die (wie früher Kinder und Tiere) bissl schlagen muss, damit sie sich benehmen.

Stefan: Wir sind ja Erben der Griechischen Philosophie. Also unser aufgezeichnetes Denken beginnt mit Homer und da sind schon interessante Parallelen zu heutigen patriarchalischen Denkmustern drin. Der Perikles sagt in der Überlieferung vom Thukydides „Am größten ist der Ruhm der Frau, von der bei den Männern in Lob und Tadel am wenigsten die Rede ist.“ Also die Frau hat, wie im Scharia Recht, keinen Platz in der Öffentlichkeit. Nur das es bei den Griechen zumindest Priesterinnen gab und Philosophinnen, die durften dann sogar beim Festmahl dabei sein. Die Frau des Hauses übrigens nicht. Aber das ist dann auch wieder so eine Ideologie, die alles mit den Hoden lösen will. Also sicher wieder was von einem Philosophen, oder?

Ela: Die Frauen in Athen sind gesetzlich ja Kinder geblieben und waren immer unter männlicher Vormundschaft. Frauen konnten ohne Aufsicht nicht das Haus verlassen. Die haben sogar in einem eigenen abgetrennten Teil des Hauses gelebt. Unter Solon blieben Athenerinnen selbst nach der Heirat unter der Kontrolle ihres Vaters. Athener durften übrigens keine Athener als Sklaven verkaufen, es sei denn es handelte sich um Vater und Tochter und zweitere hatte vor der Ehe ihre Unschuld verloren.

Apropos. Schopenhauer hält Frauen für eine Zwischenstufe zwischen Kind und ausgewachsenem Mann. Ein Mann ist nobel und gar perfekt, er reift erst später als die Frau, denn je nobler und perfekter ein Ding ist, desto langsamer und später erreicht es seine Reife. Von Reife kann man aber eigentlich bei der Frau gar nicht sprechen, denn sie bleibt ein Leben lang ein großes Kind. Sie verfügt über nur rudimentär vorhandenen Scharfsinn. Sie ist geradezu intellektuell kurzsichtig, sie hat ein begrenztes Blickfeld, sie denkt weder an die Vergangenheit, noch an die Zukunft. Zwar besitzt sie die Hauptelemente die einen rechtschaffenen Charakter ausmachen, dafür fehlt es ihr an sekundären Qualitäten die bei der Formation eines solchen Charakters benötigt werden. Dies führt dazu, dass sie keinen Sinn für Gerechtigkeit hat, weil es ihr an Verstand und Bedacht fehlt.

Da hauts den Schopenhauer dann wieder ein wenig auf die Goschn, weil dann behauptet er, dass Frauen deshalb auf List, Heuchelei und Täuschung zurückgreifen müssen. Wenn sie aber mental so einfach gestrickt sind, dann verwundert es doch recht stark, wie sie mit ihrem kaum vorhanden Verstand zur List überhaupt fähig sein sollen. Aber das lässt sich bestimmt wieder mit dem Sextrieb des Mannes erklären, der seinen Verstand trübt, der auch dazu führt, dass Frauen, die laut Schopenhauer mit ihrer Kleinwüchsigkeit, ihren schmalen Schultern, den breiten Hüften und kurzen Beinen, eigentlich das unästhetische Geschlecht genannt werden sollten, trotzdem als das schöne Geschlecht gelten. Es fehlt ihnen an rein objektivem Interesse an der Kunst, an der Poesie, Musik… Ihr Interesse ist reine Simulation, es beschränkt sich darauf, durch ihr Interesse das Interesse eines Mannes an ihnen zu erwecken. Dies, und nicht, dass ihnen der Zugang zu diesen Bereichen verwehrt blieb, ist der Grund, weshalb im Laufe der Geschichte kaum Kunstwerke berühmter Künstlerinnen bekannt wurden.

Stefan: Kunst von Frauen ist immer aktiv unterdrückt worden. Also selbst wenn sie sich künstlerisch betätigt haben, sieht man in vielen Einzelbiographien dann, wie ihre Männer sie nicht wertschätzen und behindern. Die Vereinbarkeit von Familie und künstlerischer Tätigkeit steht oft im Vordergrund. Es gibt mehrere überlieferte Ehegelübde von heute noch bekannten Künstlern, die beinhalten, dass sich ihre Frauen gefälligst nicht zu sehr der Kunst widmen sollen. Gustav Mahler empfand es als Selbstverständlichkeit, dass seine Frau Alma, ihre eigene Kompositionstätigkeit aufzugeben hat. Malerinnen wie Charlotte Andri-Hampel, Gattin von Maler Ferdinand Andri, und Doris Engelhart, Gattin von Maler Josef Engelhart, stellten nach der Verehelichung ihre künstlerische Tätigkeit ein. Schopenhauer hatte ja keine Frau. Der hat mit Pudeln fraternisiert.

Ela: Aber Schopenhauer ist da noch nicht einmal der Schlimmste, was seine Meinung über Frauen anbelangt. Den Vogel schießt Otto Weininger mit dem fettesten Incel-Manifest aller Zeiten ab, das er 1903 veröffentlichte, bevor er Selbstmord beging, „Geschlecht und Charakter“. Weininger war überzeugt, dass „jede einzelne Zelle eine Sexualität besitzt“. Dies sah er etwa in der „Tatsache“ bestätigt, dass bei einer Bluttransfusion das Blut durch „Blut eines gleichgeschlechtlichen Wesens“ ersetzt werden muss. Weininger geht davon aus, dass Emanzipationsbedürfnis und –fähigkeit einer Frau davon abhängt, wie viele Anteile Männlichkeit sie besitzt. Unter Emanzipation versteht er den „Wille(n) eines Weibes, dem Manne innerlich gleich zu werden, zu seiner geistigen und moralischen Freiheit, zu seinen Interessen und seiner Schaffenskraft zu gelangen“, denn all dies liegt weder in den Bedürfnissen, noch in der Fähigkeit der Frauen. Doch nicht nur hat die Frau, die zur Emanzipation fähig ist, zu viele männliche Anteile, sie nähert sich auch körperlich dem Mann an.

Eine homosexuelle Frau ist Weininger zufolge männlicher und damit höherstehender als eine heterosexuelle Frau. Homo-, mindestens aber Bisexualität ist bei Weininger Grundbedingung für Frauen mit zumindest „nur einigermaßen in Betracht kommender Begabung“. Seine Theorie, dass Schriftstellerinnen Männernamen annahmen, weil sie sich als Männer fühlten, nicht, weil sie dadurch eher ernst genommen wurden, ist fast so amüsant, wie jene Schopenhauers über die Unfähigkeit der Frau zur Kunst. Weiningers Pamphlet ist ein einziger Zirkelschluss. Es beginnt mit der Annahme Frauen seien nicht zur Emanzipation bestimmt und endet mit dem Fazit: weil Frauen nicht zur Emanzipation bestimmt sind. Das Emanzipationsbedürfnis von Frauen begründet er mit den Männlichkeitsanteilen jener Frauen mit Emanzipationsbedürfnis, was er versucht mit der Sexualität, und/oder Physiognomie von willkürlich ausgewählten, ihm durch Promiklatsch geläufigen und für eine Frau begabt erscheinenden, Künstlerinnen und Autorinnen zu belegen. Die einzige Möglichkeit wie Weininger gleichzeitig rechthaben und trotzdem diesen logischen Fehlschluss publizieren konnte, ist, dass er zu viele weibliche Anteile in sich trug.

Link zu Teil 2

Link zu Teil 3

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c5/Kali_Devi.jpg
Richard B. Godfrey (1728 – N/A), Public domain, via Wikimedia Commons

Unter Genießerinnen

Unter Redakteurinnen 2. Aneignen, Kochen, Kannibalisieren

Ela: Diesmal machen wir ein Koch-Special, weil unser Publikum darum gebeten hat.

Vice hat Anfang November einen Artikel darüber veröffentlicht, wie man am besten sein Thanksgiving Dinner dekolonialisiert. Der beginnt mit der Behauptung „Wenn dein Lieblingsfleisch, -gemüse und deine Lieblingsfrüchte dieses Thanksgiving mit dir reden könnten, würden sie dir wahrscheinlich von allen historischen Traumen erzählen, die sie erdulden mussten, als sie durch die Alte und Neue Welt reisten, sich entwickelten, und schließlich als Zutaten in deinem Lieblingsgericht landeten.“ Die dekolonialisierte Küche soll Menschen dazu bringen ihre indigenen Wurzeln durch die Ernährungswahl zu ehren. Als Beispiel werden dann auch gleich mexikanische Amerikaner genannt, die sich gefälligst mit Mais, Tomaten, Kakao, Spirulina, Avocado und anderen indigen mexikanischen Nahrungsmitteln vollfressen sollen.

Aber ist es nicht einfach so, dass Kochen und Ernährung immer stark von den Umständen und der Zeit abhängig sind? Natürlich ist es logisch, dass sich ein vorkapitalistischer indigener Stamm irgendwo in Zentralamerika, abgeschieden vom Rest der Welt, von Früchten und Gemüse ernährt, das sich vor Ort befindet. Aber sollen sich die modernen Mexikaner dann auch wieder von den rückgezüchteten Maishalmen der Vergangenheit ernähren? Sollen wir Österreicher uns jetzt die nächsten 100 Jahre mit Kriegsrezepten und Restlessen die Arterien verstopfen? Grenadiermarsch, Schinkenfleckerl, Krautfleckerl, Bohnensterz, Einbrennsuppe, Paprikahendl, Gulasch? Ist ja nicht schlecht ab und zu, aber ab einem gewissen Zeitpunkt dann doch wenig abwechslungsreich.

Stefan, du als nativer Niederösterreicher, wie ehrst du deine Wurzeln ernährungstechnisch?

Stefan: Ich hab mich vor dem Essen in NÖ immer ein bissl gegraust. Die böhmischen Anteile fand ich gut. Aber wieso man zb gehobelte Gurken kochen sollte, hab ich nie verstanden. Oder warum isst man Knackwurscht oder Zeller? Ich muss das jetzt abbrechen, ich würd mich sonst retraumatisieren. Ich hab aber schon als Kleinkind vom Opa ein Bier ins Glasl gekriegt, wenn ich bei ihm gesessen bin. Also ich will nicht alles schwarz malen. Die Niederösterreicher haben übrigens einen durchaus nüchternen Blick auf sich selber. Wenn man das in diesem Zusammenhang so sagen kann. Das Zwettler Bier bewerben sie jedenfalls mit den Worten: „Gutes Land. Gutes Bier.“ Ein Gut ist bekanntermaßen ja ein Zweier im Zeugnis. Also das ist doch mal eine realistische Selbsteinschätzung. Knapp neben der Wiener Selbsteinschätzung: „Oarsch.“ Die ist ein Dreier im Zeugnis, oder?

Ela: Mich graust es besonders vor unnatürlich aussehenden Farben und Formen. Ein gutes Beispiel ist da auch der Aspik-Wahn in den 70er-Jahren. Wo man das gesamte Buffet in einen riesigen Pudding des Grauens gepackt hat. Ich weiß aber gar nicht, ob ich das grausliger finden soll, als die bunten Einhorn-Cubcakes mit grün gefärbtem Fondant, übrigens eine der abscheulichsten Arten der Glasur überhaupt, mit rosa Streusel und Glitzer.

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bratwursts%C3%BClze_Br%C3%BCckkanal.jpg

Andererseits erfindet der Ruf nach einer Dekolonialisierung der Küche jetzt auch nicht das Rad neu. Nach den Experimenten der Molekularküche in den 90ern und frühen 2000ern, wo man Tomatenketchup mit Räucheraromen in Alginatkaviarform zu einem Burgermousse mit Pommeszuckerwatte bekommen hätte, herrscht schon seit fast 20 Jahren in der gehobenen Küche eine Rückkehr zu saisonalen und regionalen Lebensmitteln. Heute serviert man Pastinaken mit einer leichten Erdkruste auf Moos mit fermentierten Tomatengatsch zu Pumpernickel gefüllt mit Pferdegrammeltatar und Vogerl-Zimtfarn-Salat.

Arg ist aber, dass wir vor ein paar Wochen noch Witze gemacht haben und einen Kochworkshop geplant. „Decolonize Gault Millau“. Du hast ja sogar ein Menü zusammengestellt.

Stefan: Roher Vollkornreis mit Algengelatine in Salzwasser mit einem Hauch Jojoba-Öl in einem am Strand von Guinea gefundenen Krebspanzer serviert, dazu selbstvergorene Bananenjauche mit Palinquè-Wurzelsauce.

Ela: Das Klingt nach Kolonialküche. Schäm dich!

Stefan: Sautierte Sandburg muss vorher durch den Kaurimuschelfilter, man will sich ja keine außer-europäische Währung aneignen. Ist Sauerteig eine Deutsche Speise? Und warum heißt bei den lieben Nachbarn alles so grauslich? Eisbein. Sauerteig. Klöpse. Das sind keine Sachen die man isst, sondern Zeugs aus dem Werkzeugkasten. Und dann plötzlich wieder sowas weiches und tropfendes wie „Sahne“. Da sagen wir Schlagobers und jetzt bin ich verwirrt.

Sauerkraut gehört uns dafür allen. Wobei auch Krauts zu den Deutschen gesagt wurde. Die Franzosen haben Butter zu den Deutschen gesagt. Das verstehe wer will.

Ela: Naja, Butter muss man schlagen, damit sie Form annimmt. Das ist ein brutales Handwerk. Sauerteig ist die Mutter aller Teige, im Burgenland ist das das Ura, ich glaub das war das Treibmittel aus dem schon damals, vor 6000 Jahren Adam und Eva entstanden. Das heißt die waren Deutsche? Und Gott ein Sauerteig?

Stefan: Die Deutschen sind im Gegensatz zur Schaumgeburt eher ein Volk das aus einem aufgehenden Teig herausquillt. Ein überschießendes Soufflee. Ein Ameisenvulkan mit lauter fleißigen kleinen Tierchen, die der Königin was zu essen holen und die ruft mit matter Stimme „Wir schaffen das.“ hinterher. Österreicher dagegen sind eher mit einer Grießnockerlsuppe vergleichbar. So völlig diffuse Leute ohne Geruchssinn. Schwimmen in der Suppe herum und manchmal kommt der Schnittlauch und kontrolliert den Ausweis. Dann setzt man kurz das Spritzerglasl vom Mund ab und zückt den Führerschein. Also ich glaub nicht, dass mich das ständige Biertrinken als 3 Jähriger auf lange Sicht irgendwie geschädigt hat.

Habts ihr im Burgenland auch so Großeltern die euch sofort nach der Geburt zum Alkoholiker gemacht haben?

Ela: Das ist witzig. Das muss so eine Kriegsgenerationen-Kaprize sein. Bei mir war’s die Uroma. Die hat meiner Kusine und mir oft Bier eingeschenkt. Ich mochte das aber nicht. Aber bei meiner Großtante durfte ich mir Rum in den Tee schütten, den mag ich schon seit ich denken kann.

Stefan: Rum- und Mohnzutz kenn ich auch nur ausm Marchfeld. Selber habe ich das nicht genossen, aber ich glaub meine unmittelbaren Vorfahren teilweise schon. Das Wort vom Rauschkind kommt ja daher. Apropos Rauschkinder.

Es gibt ja auch die Sage, dass die Philosophie beim Fressen und Saufen geboren wurde. Bei den Gastmählern der alten Griechen, wo dann die Männer, die sonst nichts konnten, groß dahergeredet haben, damit man ihnen zumindest beim Gastmahl was zu Saufen gibt.

Beim Gastmahl des Lukian haben sie dann aber mit Weinbehältern aufeinander geworfen und aufeinander eingeprügelt. Im 2. Jahrhundert nach Christus. Da waren die Griechen schon Barbaren.

Ela: Ich habe als Kind regelmäßig mit gekochten Spaghetti gehäkelt, das war aber auch mein einziger Ausflug in die Handarbeit. Meine Schwester hat sich wie Arielle mit der Gabel gekämmt. Aber sich mit Weingläsern zu prügeln, das geht zu weit. Das werden aber wahrscheinlich dann massivere Gläser gewesen sein, wir haben daheim welche, die bekommen schon einen Sprung wenn man sie zu lange ansieht.

Stefan: Der Egon Friedell hat das für uns recherchiert. Er bemerkt: „Das Glas sagt den Griechen offenbar nichts.“ Also sie hätten es schon kennen können, von den Persern, Ägyptern, Phöniziern, aber sie wollten nicht. Die fanden das dekadent. Ich glaub die Griechen hatten eher Holz- oder Tonbecher, oder irgendein Metall. Also da sind sicher ein paar blutige Nasen rausgekommen. Ich kenn das schon, dass Gläser fliegen. Ich sag jetzt nicht wo, aber ich kenn das aus mehreren Wiener Lokalen, dass das möglich ist. Kommt auch bisschen auf die Leute an mit denen man unterwegs ist. Weil oft lassen sich Leute ja leicht beleidigen, wenn sie schon bisschen was intus haben. Da kann auch ein Streit übers Essen zu fliegenden Glasln führen.

„Des Schnitzel is a panierte Serviettn.“„Na.“„Doch!“„Stirb!“ … Klirr.

Ela: Was unbestritten ist: rassistisches Essen muss weg.

Stefan: Aber vielleicht gleich das ganze Essen und nicht nur der Name? Schokolade mit Schokoladenbutter und Schokoladenteig mit Schlagobers dazu ist ja sowieso laut Versicherungstrojaner ein Grund um zwei Stufen in der Gunst der Versicherer zu fallen. Und Paprika und Zwiebeln vertragen auch nicht alle. Dann wird die Gebühr beim dritten Teller in der Woche unbezahlbar.

Dabei denk ich mir: Wird Essen eine Frage der Versicherung? Wenn man feststellt, dass ich ein Risiko habe für Diabetes und ich lasse nicht vom Met ab, werde ich dann entversichert? Meine Versicherung rückabgewickelt? Sozusagen mein Leben per E-Card darmgespiegelt und ich dann gesellschaftlich enterbt von jeder Gesundheitsleistung?

Müssen wir dann eingeschläfert werden bei Wagnermusik oder Smetana und zu Soylent Green verarbeitet werden mit knallenden Fanfaren in einer Hinterhoffabrik der Regierung, die bisher niemand entdeckt hat? Gehen die Leute die dort arbeiten dann noch essen?

Kann man aus Menschen etwas anderes als Soylent Green machen, ohne dass sie es bemerken? So ein halbkannibalischer Chefkoch, der bei einer dieser Kochwettbewerbsendungen jeden zweiten Ausscheidenden (zwinky-zwonky) filetiert und dann mit Couscous an Minzjauche verspeist? Der also den Geschmack von Menschenfleisch sofort rausschmeckt aus dem angeblichen Veggieburger. Veggiezeugs und Würste eignen sich ja hervorragend um seltsame Geschmäcker drinnen zu verstecken. Die Liste an Inhaltsstoffen ist oft so lang, dass man sie nicht fertig lesen kann an einem Tag. Wenn da an vorletzter Stelle steht: „Menschenaroma“ dann liest das bestimmt nur jeder zehntausendste und von denen hat dann nur jeder tausendste was einzuwenden. Und von denen ist nur jeder 150.000 nicht zu depressiv um etwas zu unternehmen.

Ela: Weil du gefragt hast, ob man aus Menschen auch etwas anderes als Soylent Green machen kann… Ich find das kann man mit der Hannibal Serie (2013) von Bryan Fuller ganz gut belegen. Das war ja auch ein kulinarisches Highlight. Die Folgen waren nach Gängen oder Gerichten benannt, die erste Staffel nach Begriffen aus der französischen Küche, die zweite nach japanischen und die dritte nach italienischen. Da hat man immer abwechselnd gesehen wie Hannibal oder ein anderer Mörder auf Menschenjagd gegangen sind und nach dem Schnitt ist Hannibal dann in seiner Küche mit Edelstahl-Arbeitsplatte gestanden und hat ein nicht näher bestimmtes Stück Fleisch filetiert. Da hat man immer einer Mischung aus Grauen und Hunger verspürt. Dann gab es natürlich die episodische Dinner-Szene, wo dann noch einmal alles pompös inszeniert war. Die hatten ja extra eine Food-Designerin, Janice Poon, engagiert. Das war dann immer ein wunderschön und grotesk arrangiertes Memento Mori, mit Früchten und Trauben, bisschen mexikanisch anmutend, eine Mischung aus Blumenbouquet und makabrem Vanitas-Stillleben. Obwohl man natürlich sagen kann, dass Gillian Andersons Bein keine Janice Poon braucht um gut auszusehen. Es gibt übrigens zur Serie auch ein Kochbuch „Feeding Hannibal“, seh ich gerade. Das wünsch ich mir jetzt zu Weihnachten, wenn der Finale Cliffhanger schon für die Ewigkeit sein wird.

Stefan: Kannibalismus ist ja jetzt nicht unbedingt ein Kavaliersdelikt. Aber der Hannibal kommt dann doch sympathisch rüber. Der deutsche Herr Lecter wirkt ja nicht so ur sympathisch. Der Armin M. Aber hat jetzt auch eine Freundin, oder?

Ela: Sagt zumindest die Krone. Die hat ihm kurz nach der Verhaftung einen Brief ins Hefn geschickt, zur Aufmunterung. Jetzt sind sie mehr als Brieffreunde. Sie sei eine „nette Frau“, das klingt so ähnlich wie die Zwettler-Werbung, find ich. Er träumt sogar davon eine „echte Beziehung“ mit ihr zu führen. Ich wär‘ da ja ein wenig misstrauisch, wenn ich die Frau wäre, hätte ihm aber wahrscheinlich auch keinen „Aufmunterungsbrief“ geschickt. Man wundert sich was da drin stand. „Lieber Armin, gräm dich nicht, wir wissen alle, dass du nichts falsch gemacht hast, du warst halt neugierig und hast dem Mann was Gutes tun wollen. Bussi.“ Armin M. wird auf Wikipedia übrigens als Computertechniker geführt. Der Boulevard weiß auch, dass er sein Abendessen gern mit einem Schlückchen Rotwein genoss, das hat er sich vorher mit seinem Opfer ausgemacht, dass das ganz besonders zelebrierte Mahlzeiten sein sollten. Auf die Idee Menschen zu verspeisen, hat ihn Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ gebracht. Ich bin mir aber sicher, dass er populärkulturell auch nicht ganz unbefleckt war und den einen oder anderen Thomas Harris gelesen hat. Ich finde, synonym zur Videospieldebatte nach Amokläufen, könnte man sich da auch fragen ob man Bücher verbieten sollte.

Stefan: Nebenbei bemerkt titelt der National Geographic „Kannibalismus-Studie: Menschen sind nicht sehr nahrhaft“. Menschen können demnach nicht mit Mammuts mithalten. Also wahrscheinlich zahlt es sich wiedermal gar nicht aus das zu beginnen. Tendenzen dazu hätte ich schon. Wenn man jemanden sehr liebt und auf die Person körperlich steht, hat man wirklich manchmal das Bedürfnis sie zu essen. Das ist, glaube ich, ein sexueller Fetischismus. Das einem der Partner so gut gefällt, dass man dauernd an ihm herumknabbern will.

Ela: Im Türkischen sagt man das, wenn man jemand süß findet „Yerim“ oder „Seni yerim“, ich esse (dich).

Stefan: Oh das find ich lieb. Es gibt ja auch so viele süße Köstlichkeiten aus der Türkei.

Ela: Weniger süß, … ich hab jüngstens wieder den Eingangsdialog aus „You only live twice“ gehört. Den möchte ich dir nicht vorenthalten. Bond liegt im Bett mit einer nicht näher definierten Chinesin und fragt „Warum schmecken Chinesinnen eigentlich anders als unsere Frauen?“ Die Chinesin antwortet „Du meinst hoffentlich besser“, worauf Bond nachlegt „Hm, nur ein bisschen anders. So wie Peking-Ente sich von russischem Kaviar unterscheidet. Aber ich mag beides.“ Erinnert mich bisschen an „Das Parfum“, in dem der Serienmörder Grenouille dann am Ende von einem Mob aufgefressen wird, weil er endlich sein perfektes Parfum hergestellt hat, aus dem Duft der von ihm getöteten Mädchen, und unwiderstehlich geworden ist.

Stefan: Das ist nicht süß. Aber wenn wir schon vom Fernsehen reden. Baby Yoda ist ur süß.

Spoiler Alert! Sein Name ist Grogu.

Die Serie The Mandalorian ist jetzt nicht völlig gelungen. Da gibt es in der ersten Staffel ein paar sehr naive Folgen. Aber der kleine Yoda ist natürlich immer sehenswert. In der zweiten Staffel gibt es eine Folge, da begleiten sie eine Echsenfrau die mit einem Behälter unterwegs ist, in dem sie ihre Eier transportiert. Der kleine Yoda verdrückt ja gern mal alles was er so findet. Öfters auch einen lebenden Frosch. Und er beginnt die Eier zu snacken. Dabei sind die Eier von einer aussterbenden Spezies. Also literally die letzten ihrer Art. Das hat dann natürlich zu einem shitstorm geführt, weil das ja Genozid ist und nicht lustig. Ich geb‘ zu ich hatte auch ein mulmiges Gefühl jedesmal wenn der kleine Vielfraß allein war mit diesen Eiern. Aber ich hab etwas verstanden, was die Leute die sich gar so aufregen glaub ich nicht kapiert haben: Das ist eine fiktive Gschicht. Und außerdem frisst er nur drei von den Eiern und man sieht am Ende wie sie glücklich mit ihren übrigen Babys die Art retten.

Womit wir wieder bei den grauslichen Sachen sind. Es gibt unzählige Gründe für Kannibalismus. Also es geht nicht immer nur um Sex.

Den finde ich am ungewöhnlichsten: „Pietätskannibalismus – den Verwandten, sei es ein Vorfahre oder ein eigenes Kind, aus Respekt, Liebe oder Trauer würdevoll ehren, aber auch sicher verwahren.“ Dadurch, dass man ihn aufisst. „Hallo Gerti, ja ich hab den Nazl-Onkel grad tot am Klo gefunden. Ja schaut schrecklich aus der Arme. Ur peinlich. Einfach umgekippt beim großen Geschäft. Sag, kannst du mit den Kindern vorbeikommen und wir essen den gleich gemeinsam auf, sonst schämt sich seine Leiche nachher beim Abholen. Ja super danke. Bis gleich.“ Es gibt auch Menschen die heben sich bei der Geburt ihrer Kinder die Plazenta auf und essen das dann. Nabelschnur könnte man auch essen, oder?

Ela: Das ist wieder so eine Art Restlessen, oder? Laut Herodot waren die Massageten, ein zentralasiatisches Volk im heutigen Iran, Endokannibalen. Alte Menschen wurden geopfert, ihr Fleisch gekocht und gemeinsam verzehrt. Kranke Menschen dagegen wurde begraben und betrauert, dass sie nicht zu den Glücklichen zählten. Die aßen ihre verstorbenen Verwandten also um sie zu ehren.

Stefan: Aber gscheid, wenn sie die Kranken nicht gegessen haben. Das hat eventuell medizinische Gründe.

Ela: Madonna schmiert sich angeblich ihre Plazenta ins Gesicht zur Verjüngung. Aber Lourdes ist jetzt doch schon ein wenig älter. Ob die noch gut ist? Aber das bringt mich wieder auf ganz was anderes. Da kommen wir wieder in die Welt der Mythen, die ja periodisch immer etwas abgeändert auftauchen, wo man auch ein bisschen erkennt, dass Antisemitismus und Misogynie oft parallel auftreten. Wenn man sich die Succubus-Geschichten anschaut, die ganzen Kindsmörderinnen und Hexen.

Dann die Mär von der Blutgräfin Erzsébet Báthory, die übrigens selbst im Prozess gegen sich keine Aussage machen durfte und die Geständnisse durch ihre Mitangeklagten wurden erfoltert. Von ihr sagt man sie habe im Blut ihrer zahlreichen Opfer gebadet um schön und jung zu bleiben.

Im Horrorfilm „Dumplings“ aus Hong Kong, kocht die Protagonistin Teigtascherl, die mit Föten aus Abtreibungskliniken gefüllt sind und von reichen Frauen gegessen werden um äußerlich jung zu bleiben. Immer wieder machen auch Geschichten über Kosmetikunternehmen die Runde, die angeblich Föten aus Abtreibungskliniken einkaufen und in ihren Cremes verwenden.

Und schau dir die Adrenochrom-Geschichten an. Die Performance-Kunst von Marina Abramović, die übrigens Vegetarierin ist, ihr „Spirit Cooking“ Event wird vollkommen unironisch als satanistisches Ritual gedeutet. In einer Galerie schrieb Abramovic in den 90ern mit Schweineblut „Anleitungen“ wie „with a sharp knife cut deeply into the middle finger of your left hand eat the pain.” an die Wand. Zudem zirkuliert ein Foto von Abramović und Lady Gaga bei einer Performance-Benefizveranstaltung im Watermill-Center, New York, wo Abramović mit dem Finger den Körper einer in einem Sarg/Becken liegenden Frau berührt, der mit einer rötlichen Flüssigkeit überzogen ist. Bei der Flüssigkeit handelt es sich aber um Honig, nicht um Blut. Die Performance ist von Lisa Lozano und nennt sich „Funerailles de Miel“. Das passt leider nicht so toll zu der Geschichte, dass Abramović, gemeinsam mit anderen einflussreichen Menschen Ritualmorde an Kindern vollziehen und die Super-Anti-Aging-Droge Adrenochrom aus ihnen gewinnen soll.

Stefan: In Zeiten in denen Fleisch essen als uncool gilt und es gleichzeitig zum Anti-Statussymbol erhoben wird hat das vielleicht einen neuen Stellenwert? Wer Teile seiner Kinder isst oder anderweitig verwertet, lebt im Sinne von Nachhaltigkeit.

Ela: Eigentlich hast du Recht. Wo wir nochmal bei Hannibal wären, in der zweiten Folge „Amuse-Bouche“ verwendet ein Mörder seine Opfer um Pilze zu züchten, weil er Ähnlichkeiten zwischen Pilzen und dem menschlichen Verstand erkennt. So sagt er über eines seiner Opfer „We all evolved from mycelium. I’m simply reintroducing her to the concept“. Der Charakter basiert übrigens auf Paul Stamets, einem Wissenschafter der sich tatsächlich mit Pilzen befasst und das Myzel als natürliches Internet der Erde bezeichnet, mit dem wir eines Tages kommunizieren werden. Warum ich aber jetzt diese ganzen Pilzgeschichten anschneide… In den Niederlanden hat ein Mann einen Sarg entworfen, der aus Myzel besteht und seine Erfindung mit den Worten anpreist „Dieser Sarg ermöglicht es uns die Erde tatsächlich mit unseren Leichen zu füttern. Wir sind Nährstoffe, kein Abfall.“ Das dahinterstehende Menschenbild dürfte der ein oder anderen aus ähnlichen Diskussionen bekannt sein.

Vielleicht könnte man sein Plazenta-Bokashi auch für das nächstjährige Biogemüse-Beet verwenden, für die Tomaten, die man sich auf der Dachterrasse selbst züchtet? Das ist übrigens ungefähr auch das Niveau auf dem die meisten Lebensmitteldiskussionen ablaufen. Fleischessen wird durchaus in den sozialen Medien mit Ferrarifahren verglichen, wie ich aus dem Facebook-Freundeskreis vernehmen durfte. Weil Ferrari kann sich auch nicht jeder leisten, warum sollte also jeder Fleisch essen können? Womit wir wieder bei der Verteilungsfrage wären, die aber auch eine Geschmacksfrage ist.

Bourdieu schreibt in „Die feinen Unterschiede“ schon in den 80ern: „Der Gegensatz von Quantität und Qualität, von ausladendem Teller und kleiner Platte, Substanz und Form wie Formen deckt sich mit der (…) Opposition zweier Varianten von Geschmack: dem aus Not und Zwang geborenen, der zu gleicherweise nahrhaften und kostensparenden Speisen greifen läßt; dem aus Freiheit – oder Luxus – geborenen Geschmack, der, anders als beim Drauflos-Essen der populären Kreise, das Hauptaugenmerk von der Substanz auf die Manier (des Vorzeigens, Auftischens, Essens, usw.) verlagert, und dies vermittelt über die Intention zur Stilisierung, die der Form und den Formen eine Verleugnung der Funktion abverlangt.“ Mit ein wenig Polemik, könnte man behaupten der Veganismus sei sowohl Distinktionsversuch wie auch Rache des Kleinbürgertums an den niederen Klassen, deren vulgärer Fleischkonsum, mit dem sie die Fleischindustrie am Leben zu erhalten scheinen, den mittleren Klassen schon länger ein Dorn im Auge ist.

PETA Deutschland hat übrigens 2013 stolz verkündet, dass sie Armin M. zum Vegetarismus bekehrt hätten, weil sie ihm nach seiner Festnahme eine „Veggie-Broschüre“ schickten. Ich finde PETA könnte sich langsam auch eine sympathische Werbeaktion mit dem bekanntesten Vegetarier Deutschlands, der ja Österreicher war, überlegen. Da wird Fleischkonsum auf eine Stufe mit Kannibalismus gesetzt.

Dass nicht nur der Teufel in der Not die Fliegen frisst, zeigt sich insbesondere wenn sich Bourdieu und Thomas Harris die Hand reichen und dabei zusehen, wie hungernde litauische Deserteure 1941 Hannibals Schwester vertilgen. Hannibals Kannibalismus als reine Traumabewältigung?

Stefan: Bourdieu schreibt ja in diesem Buch, das bis auf einige Schlussfolgerungen bis heute brauchbar ist, an einer anderen Stelle auch, dass der jeweilige Geschmack zunächst einmal aus Ekel resultiert. Also, dass wir unseren Geschmack dadurch definieren, dass wir was anderes ekelhaft finden und ablehnen. Über Geschmack streitet man nicht, weil jeder Geschmack als Habitus sich anfühlt als wär er uns angeboren. Der Geschmack der anderen ist indiskutabel, weil er ansonsten als abartig verworfen werden müsste.

Gleichzeitig verwerfen wir ja trotzdem ständig die schlechten Angewohnheiten von „Anderen“. Aber ich überlege noch, ob wir wirklich „absoluten Ekel und metaphysischen Zorn“ empfinden, wie das Bourdieu postuliert, oder eher ein ungläubiges Staunen. Weil was wir da in den sozialen Medien an Erbrochenem beobachten hat ja auch einen sakralen Charakter, insofern es besonders shiny puke ist, oder? Die „Ästhetik des Häßlichen“, wie sie Karl Rosenkranz mal runtergeschrieben hat um 1853 herum, betrachtet Ekelhaftes in diesem Sinn als Verwesendes, also Totes, vom Organismus Ausgeschiedenes. Aber manche Sachen die wir da beobachten, sind so grauslich, die kann man sich auch mit Fäkalausdrücken nicht ganz fassbar machen. Demnächst wird es da einige mit Triggerwarning versehene Gustostückerln auf unserem Blog zu sehen geben.

Ela: Kurze Anmerkung: Das ist ja insofern interessant für uns, weil es Erinnerungen an die alten Kuriositätenkabinette und Wunderkammern hervorruft, die Schönes und Bizarres für die Welt aufbewahrten und etwas zeitversetzt vor Freak Shows, ab dem 17. Jahrhundert in England populär wurden. Und genau da gehören dann auch wieder die Kannibalen hin und die Facebook-Screenshots.

Und man muss sagen, der Kannibalismus-Vorwurf wurde ja auch gerne gegen die Anderen erhoben, die Unzivilisierten. Kannibalen waren eine Attraktion, ein Spektakel. Avramescu weist nach, dass das Aufkommen der Reiseliteratur im 17. Jahrhundert einherging mit der Aufzeichnung und Erfassung bizarrer Sitten, resultierend aus der Faszination mit der Groteske. Auf diesen Listen taucht auch der Kannibalismus auf. Da der Kannibale gegen die „natürliche Ordnung der Dinge“ verstößt, regt er im 17. Jahrhundert zu Diskussionen über das Naturrecht an. Im Krieg aller gegen alle nimmt er einen zentralen Platz ein. Zunächst wird seine Existenz im moralischen Kontext wahrgenommen, im Zusammentreffen zivilisierter und unzivilisierter Völker. Kannibalen verstoßen gegen das Naturgesetz, zivilisierte Menschen essen keine Menschen. Oft wird ihnen die Menschlichkeit aberkannt, sie werden zum Monster erklärt. Oft sind sie Produkt extremer Umstände: Hunger, Zorn, religiöser Wahn, Leidenschaft. Ab dem 18. Jahrhundert verwandeln sie sich in Bürger, gezähmte Monster, Kriminelle. Kannibalismus wird nun gelernt. Er ist eine Frage des Geschmacks, der Erziehung, Sitten und sozialen Umgebung. Die Trennlinie zwischen zivilisierten und unzivilisierten Menschen ist oft die Geschmacksfrage. Wo wir dann aber wieder bei Bourdieu sind. Weil die Distinktion zwischen gutem Geschmack und schlechtem Geschmack eine Frage des Kapitalverhältnisses ist.

Stefan: Ja stimmt, nur weil etwas scheinbar Geschmackssache ist, kann es nicht auch zutiefst politisch sein. Die Gleichsetzung von Menschen und Schwammerl ist ja nicht nur eine witzige wienerische Beschimpfung, sondern auch der Versuch den Menschen ein bisserl zu relativieren. Und dabei noch mit dem argumentativen Schmäh, dass wir ja lieber Nährstoffe als Abfall sein wollen sollten. Als wär der Mensch, auch in seiner Zerfallsform auf das reduzierbar. Natürlich kann man sagen, dass einem die Seele wichtiger ist als der Körper und dass es einen Cycle of Life gibt und wir halt Staub zu Staub werden und wieder zurückkehren ins Universum, aber gleichzeitig liegt da natürlich die ganze Herrschaftsideologie aller Weltreligionen und aller Naturidealisten drinnen. Ich will das niemandem wegnehmen. Nur einmal anmerken, dass man da auch in Teufels Küche kommen kann. Denn vom „harmlosen“ „Menschen sind Nährstoffe und kein Abfall“ kommt man schnell zum Begriff des Menschenmaterials. Bei dessen Verurteilung sich übrigens Theodor Fontane (1852) und Karl Marx (1867) beinahe einig waren.  In Hitlers „Mein Kampf“ taucht der Begriff übrigens lobend an mehreren Stellen auf. Noch erweitert um das Wort „unbrauchbares“ Menschenmaterial, das dann eben ausgelöscht werden sollte. Ein essbarer Mensch ist auf drastische Weise verwertbar. Ein essbarer Mensch ist ein Schwammerl.

Unter Herausgeberinnen. Kein Empfang du Sau: A self fulfilling prophecy

Stefan: Hast du gewusst, dass die Simpsons mit der Folge „Marge in Chains“ das gesamte Repertoire des Jahres 2020 prophezeit haben? In der Folge kommt eine asiatische Grippe vor, die sich über die Luft verbreitet, Killerhornissen, die sich auch über die Luft verbreiten, ein Mob der Statuen aus politischen Gründen stürzt und ein Mob der daraufhin plündert. Ja und Marge muss ins Gefängnis, weil sie unabsichtlich etwas aus dem Kwik-E-Mart stiehlt. Aber das passiert ihr nur, und da sind die Simpsons auch Propheten, weil sie ihre gesamte kranke Familie pflegen muss. Also sie wird als einzige nicht krank und kümmert sich um alles. Und während sie im Gefängnis ist, kommen die Leute der Gemeinde drauf, wie wichtig ihr Beitrag für alle immer war. Und sie sagen das auch wörtlich. So in etwa, „Leider können wir den Schulausflug nicht machen, weil uns die 15,50 Dollar fehlen, die wir beim Wohltätigkeitsbacken immer durch Marges Kuchen reinkriegen.“

Ela: Ja, aber in der nächsten Folge ist alles wieder vergessen, Marge macht weiterhin was sie macht, aber keine Sau interessiert es. Dann dürfen Frauen sich wieder solidarisch opfern, aber bitte im Stillen. Dann sollen sie anderen Zuliebe ein paar Einschränkungen in Kauf nehmen, weil daran sind sie eh gewöhnt, damit sich alle wohler fühlen. Stell dir vor Frauen würden wegen jedem Furz Amok laufen, oder besser: misandrische Terroranschläge verüben, wie beispielsweise das Incel-Vorbild Elliot Rodger und davor schicksalsschwangere Videobotschaften hochladen, in der sie die Ungerechtigkeit anprangern, dass Männer einen eigenen Kopf haben, nicht nur Frauen. Oder einfach weil sie PMS haben. Stell dir vor nach Morden, oder jeder Gewalttat, verübt unter dem Einfluss von PMS, würde es heißen „Naja, kannst nichts machen. Sind ja die Hormone. Girls will be Girls. Das ist halt ihre Natur. Hätten sie halt Männer mieten sollen, denen sie eine in die Goschn hauen, einmal im Monat, wäre das legal, wär das nicht passiert. Irgendwo muss man seine Bedürfnisse ja befriedigen.“ Und bei Körperverletzung würde man ihre Opfer fragen: „Haben Sie ihr vielleicht das Gefühl gegeben, dass sie raufen wollen? Haben Sie eventuell provokativ geschaut?“ Entschuldige, mir geht’s grad ein bisschen durch! Was ich sagen will, unsere Gesellschaft baut ja darauf auf, dass sich ein Teil der Bevölkerung opfert, zum Wohle des anderen Teils – wobei das natürlich nicht nur Frauen betrifft, aber ich will nicht zu weit ausholen. Prostitution ist ja auch so ein Thema, aber nicht in dem Sinne wie das viele glauben. Ein Teil der Frauen soll sich ja opfern, zum Wohl aller Frauen, damit sie nicht vergewaltigt werden, so das Narrativ. Tatsächlich opfern sie sich aber nicht für das Wohl aller Frauen, Vergewaltigungen geschehen doch weiterhin. Sie opfern sich für das Narrativ selbst. Denn eine Gesellschaft in der Frauenkörper zum sexuellen Gebrauch gekauft werden können, und das geschieht vorwiegend durch Männer, ist eine Gesellschaft die davon ausgeht, dass ebendiese Frauenkörper dem Mann zur Verfügung zu stehen haben, unabhängig davon ob es sich um Prostituierte handelt oder andere Frauen, eine Gesellschaft in der Männer sich nicht unter Kontrolle zu haben brauchen, wenn es andere Möglichkeiten gibt. Und in letzter Konsequenz müssen dann halt die Frauen sich unter Kontrolle haben, oder werden unter Kontrolle gehalten. Es ist ja nicht so, dass Frauen keine sexuellen Bedürfnisse haben, teilweise, je nach Zyklusphase, sind diese sogar recht stark ausgeprägt und schwer zu bändigen. Aber dennoch schaffen sie es irgendwie, sich zusammen zu reißen. Bei Männern soll das aber eine unmögliche Aufgabe sein? Erzählt mir doch bitte keinen Schwachsinn. Wenn Frauen es schaffen, dass sie nicht einmal im Monat Unbekannte bespringen oder ermorden, muss das auch von einem Teil der Bevölkerung zu erwarten sein, von dem einige Vertreter bis heute behaupten der vernunftbegabtere zu sein.

Aber der übt sich lieber in stellvertretender Großzügigkeit, wenn es um Dinge geht, die ihn persönlich nicht betreffen. Wenn es zb. darum geht stellvertretend von Frauen zu verlangen solidarisch Kopftuch zu tragen oder die Selbstidentifikation von Genderidentität inklusive rechtlicher Konsequenzen offiziell durchzusetzen, was dann wiederum die Möglichkeit mit sich bringt, dass auch Menschen Zutritt zu geschützten Frauenräumen erlangen, denen es nicht um das Wohl von Frauen geht. Simone de Beauvoir hat ja bereits festgestellt, dass die Frau immer als das Andere gegolten hat. Das ist ja gerade die Ironie, weil im biologischen Sinne ist eigentlich die Frau der Standard und der Mann das Andere. Vielleicht sollte man sich etwas besinnen, kollektiv Demut walten lassen, sich erst einmal mit der Realität konfrontieren und akzeptieren dass das männliche Geschlecht eine genetische Mutation ist. Natürlich kann das einige Minderwertigkeitskomplexe auslösen, und weil ich schon so Freudianisch meine Assoziationen frei fließen lasse – der war ja bekannt dafür, dass er seine Theorien eher locker aus der Hüfte geschossen hat – frage ich, könnte dieser Minderwertigkeitskomplex aus der unterbewussten Erkenntnis des eigenen Status als Mutation des weiblichen Geschlechtes, dann den Wunsch befeuert haben sich den Standardstatus anzueignen und der Frau den Status der Anderen zuzuschreiben? Könnte man nicht sagen: Frauen sind. Männer versuchen zu werden?

Stefan: Du hast dich da mitten zwischen deinen besten Sätzen kurz entschuldigt. Das find ich gar nicht nötig. Wir machen ja nicht im Wortsinn etwas Seriöses, wie das Wissenschaftler machen. Oder Bischöfe, oder Installateure. Wir haben keinen Chef der uns sagt, dass es jetzt so sein muss. Kein Paradigma von Kuhn, keinen Gott, keinen Oberinstallateur der die Regeln macht für die Rohrzangen. Das dürfen wir nicht haben, weil sonst gibt’s keine Pointe. Und es ist halt mal so, dass Frauen sich zivilisatorischer verhalten als Männer. Sieht man ja auch an den Leuten die von sich behaupten Wissenschaftler zu sein und am Ende des Tages dann doch nur Sexisten und Verschwörungsgläubige sind. Unser Job ist sowas wie Magie. Wir brechen die Regeln mit unerhörten Mitteln.

Ela: …oder wie ein anderer Pseudowissenschaftler, Axel Stoll der alte Antisemit, zu Lebzeiten gesagt hätte, Physik durch Wollen. Nur, dass wir oft zwar Wollen, die Magie aber nicht. Jetzt interessiert uns aber genau das, Leute wie Stoll aufzublattln, die momentan ja mit ihren Verschwörungstheorien nur so aus den modrigen Kellern der Unvernunft hervorkriechen. Und da fahren wir mit unserer Kritik rein, nicht weil wir uns für besonders kompetent halten den Leuten die Welt zu erklären, sondern weil wir nicht anders können, als zu versuchen sie uns selbst zu erklären. Es ist eine Art Familienaufstellung für sozialmedial Geschädigte.

Stefan: Wie würdest du soziale Medien beschreiben?

Ela: Es war einmal ein Facebook. Und Menschen wollten Krieg.

Stefan: Warum ist das so?

Ela: Facebook ist voll mit Menschen über dreißig, die ihr Drama ins Internet mitnehmen.

Stefan: Das ist ein gutes Stichwort. Es wird ja so viel sichtbar momentan. Moderne Zeiten brechen aus. Weil man jetzt alles live sehen kann. Wie die Menschen denken und wie sich ihre Gedanken entwickeln. Oder besser gesagt Rückabwickeln. Die Gedankenregression wird live über die sozialen Medien übertragen. Faszinierend.

Ela: Es ist auf jeden Fall ein reicher Fundus an Blödsinn, den man nur noch ausheben muss. Und ich hab ein Faible für Blödsinn, das geb‘ ich zu. Daher arbeite ich mich schon seit Jahren an dummen Analogien ab. Und ich kann ja nichts wegwerfen, da ist es mir zu Schade drum – ich bin Facebook-Messie – deshalb haben es einige auch ins zweite Buch geschafft.

Stefan: Ahja, das Buch. Das verlangt schon einige Fähigkeiten von uns und von den LeserInnen. Kritik gibt’s nicht ohne Kritikfähigkeit. Und die muss immer neu erarbeitet werden. Unsere gesellschaftliche Kommunikation ist zwar voll mit Anspielungen und Witzen, aber Kritik ist da eigentlich nicht dabei. Der Kogler kritisiert den Kurz eigentlich nicht. Oder wer kritisiert den Mahrer, wenn er wiedermal versucht aus Arbeitslosen Menschen ohne Würde zu machen? Also natürlich die zuständigen Sozialpartner usw. Aber das gilt ja eigentlich nicht.

Ela: Oder wenn so ein Metaller-Chef laut überlegt ob man nicht Mehrarbeit ohne Lohnausgleich durchboxen könnte und am besten gleich auch das 13. und 14. Monatsgehalt abschaffen, weil es unzeitgemäß ist.

Stefan: Vor allem find ich‘s immer so super, wenn Leute, die mit dem Gehalt von ihren Angestellten wahrscheinlich nicht einmal frühstücken gehen könnten, denen dann so Empfehlungen geben, was man grad machen müsste und dass sie halt sparen müssen usw….

Jedenfalls sieht man schon, aufmerksam machen, kritisieren, Bewusstsein schaffen ist sauzach und es interessiert keine Sau, aber wenn man‘s nicht macht ist man eine Sau. Ich glaub das ist die Dialektik von dem. Dialektik jetzt im Sinn von Sokrates. Also durch heftige immerwährende Gegenrede irgendwann zur „Wahrheit“, zumindest irgendeiner Wahrheit zu kommen. Empfang hat man deswegen noch nicht. Aber man lernt vielleicht Leute auf Facebook kennen.

Ich schweif jetzt ab: In dem Satirebuch „Wörterbuch der Marxistisch-Leninistischen Philosophie“ von Alfred Kosing, dass der Dietz Verlag noch 1987 herausgebracht hat, wird Dialektik viel weiter gemacht. Da geht’s um Entwicklungsgesetze von Natur, Gesellschaft und Denken. Das wär jetzt bissl viel für so einen einzelnen Kritiker oder Gegenredner. Und vor allem unter Gesetzen lässts sich ja nicht so leicht denken wie manche glauben. Vor allem, wenn der „IX. und der X. Parteitag der SED“ die „Philosophen“ dann wörtlich dazu auffordert sich „in diesem Sinne“ auf die „intensivere Erforschung der Dialektik“ hinzuorientieren. Eine kleine Aufforderung an die Philosophen, von politischer Seite, doch bitte mal richtig zu denken, verzeichnet im Wörterbuch. Das ist ein netter Touch. Ein linker Todeshauch, der über dem Denken weht. Soll man überhaupt noch links sein?

Ela: Das Schwierige ist ja für mich, wenn ich dann draufkomm, dass ich ja doch weiterhin links bin, und dann ärger ich mich besonders über den Blödsinn, den manche in der österreichischen Kulturlinken verzapfen. Die du (Stefan) ja einmal als die schäbigste Linke der Welt bezeichnet hast. Wenn es dann diesen Fetischismus für ebenso schäbige kanadische Linke wie Justin Trudeau gibt, oder die Amerikanerin Alexandria Ocasio-Cortez. Bei denen man dann als progressiv bezeichnet, was man hier als rechts niederbrüllen würde, wie zb die Einwanderungspolitik bei Trudeau. Aber dann erkennt man eh recht schnell, dass es auch bei denen nur um ein paar Slogans geht um das Bingo zu füllen. Und natürlich ärgert man sich mehr über den Blödsinn aus den eigenen Reihen. Weil an der FPÖ haben wir uns bestimmt schon seit Jahrzehnten abgearbeitet. Und von denen erwarten wir nicht wirklich etwas und bei den Sachen die wir von ihnen erwarten, werden wir nur selten enttäuscht.

Stefan: Die FPÖ enttäuscht so gut wie nie. Ich fand den Trinkwettbewerb von Strache und Nepp den du dokumentiert hast sehr nett. Da sieht man auf einem Bild die ganze FPÖ und man hat eigentlich keine Fragen mehr.

Still a better love story than Twilight

Der FPÖ geht’s ja viel ums Eigentum. Also um das ihrer Spitzenpolitiker. Da wird sehr viel umgesetzt, die bemühen sich. Aber uns geht’s nicht ums Eigentum, oder? Das können die Leute vorerst behalten. Uns geht’s um den Alltag. Um dieses Aufstehen im kalten Todeslicht der Weckerlampe und dieses Kaffee reinzwingen, die wunde Kehle hinunter und das weinende U-Bahnfahren und das Schluchzen beim Weg in den Lift im Büroturm. Das ist doch auch ein Teil von der ganzen unangenehmen Angelegenheit des täglichen Lebens. Ich hab immer gehört der Markt regelt das, aber gerade das regelt doch der Intervall der Öffis und die Ampelschaltung und meine Geldbörse (bei der Kaffee-Tschick Question) und meine relative Nähe zum Office oder wie ich geschlafen hab. (Mehr Yoga, weniger Tschick. Vielleicht podologische Einlagen. Ein gutes Nackenkissen.) Da kann man natürlich sagen, es geht ums Geld und die Wirtschaft bringt irgendwie magisch das Geld daher. Aber bringt die Wirtschaft auch den Chef, der sexuell anzügliche Witze macht, wenn er drauf Lust hat? Oder ist da wieder nur das Individuum schuld? Weil bei den guten Sachen, Gleichberechtigung, Wahlrecht, Personenfreiheit, „Fortschritt“, die ja eigentlich Errungenschaften der radikalen Demokraten (im 19. Jahrhundert, dazu gehören Marxisten auch übrigens) und nicht „des Kapitalismus“ waren, da bimmelt immer die Kapitalismusglocke hab ich das Gefühl. Die bimmelt immer, wenn man über heute erkämpfte Rechte spricht (zb. Wahlrecht) und reklamiert einen politischen Vorgang für die Ökonomie. So als hätten die Sklavenhändler, die sehr gut kapitalistisch gewirtschaftet haben die längste Zeit, ohne politischen Druck aufgehört mit der Sklaverei. Fast so als glaubten die das wirklich: Erzwungene Gratisarbeit von Sklaven ist ja schon deshalb im Kapitalismus nicht mehr möglich, weil es sich gar nicht auszahlt. Da verdient ja niemand was dran. Vor allem seit der Kapitalismus noch kapitalistischer geworden ist, gibt es ja so gut wie niemanden mehr der Gratis arbeiten muss oder so wenig verdient, dass er trotz mehrere Jobs arm bleibt.

Ela: Deswegen bittet beispielsweise der Thalia auch ganz zahm seine Angestellten aufgrund von Corona zu Weihnachten gratis Überstunden zu machen. Fragen kann man ja mal.

Stefan: Auch die Kinderarbeit ist ja vollständig vom Angesicht der Erde verschwunden seit es überall den freien Markt gibt. Die Globalisierung hat ja bekanntermaßen auch die Sklaverei völlig abgeschafft. Vor allem in Bezug auf Human Trafficking nach Europa zur Zwangsprostitution oder im Fall des Sklavenhandels von Afrika nach Arabien. Das gibt es ja alles nicht mehr.

Wobei es stimmt schon, im Wörterbuch der Marxistisch-Leninistischen Philosophie steht ein Haufen Schwachsinn drinnen, der uns sicher niemals weitergebracht hat. Das Frauenbild des Kathedermarxismus ist jedenfalls ein Schas. Das Kapital ist ja Hauptwiderspruch, also kann die Versklavung von Frauen weltweit nur ein Nebenwiderspruch sein und damit irgendwie nicht so wichtig. Das lebt mancher 68er ja bis heute. Aber wart ich hör grad wieder die Glocke. „Ding Ding!“, wieder was erreicht durch den freien Markt, der so frei ist, dass er alles regelt.

Aber eine Regel halten wir bei der halbwertszeit jedenfalls eisern ein: Nichts ist einfach. Wir schaffens ja schon seit Monaten nicht den Blog aufzusetzen. Also es scheint nicht möglich zu sein. Ich glaub das Internet hasst uns, weil wir es durchschauen.

Ela: Ich glaub wir haben keinen Empfang, du Sau. Ich habe eigentlich eine recht gute Beziehung zum Internet, wenn auch ungesund. Nur dieser Blog will und will nicht, selbst wenn wir wollen. Dabei wär der so wichtig, um uns unsere eigene Seilschaft zu bauen, damit wir dann zu unseren Veranstaltungen der österreichischen Tradition entsprechend immer nur dieselben Leute einladen können und uns damit selbst feiern.

Stell dir vor, unser erstes Buch ist direkt, nach mehr als zwei Jahren Produktionsdauer, zielsicher ins Corona-Loch geschossen worden. Ich glaub das Buch existiert gar nicht. Die einzige Person die es in freier Wildbahn, bei Morawa, zu Gesicht bekommen hat, hatte keine Möglichkeit ein Foto davon zu machen, weil der Handyakku just in diesem Moment leer war. Es ist ein Mythos. Leider ein sehr unbekannter.

Und auch die anderen Projekte hängen noch in den Seilen. Unsere Parteigründung zb, die wir erwägt haben, damit wir auf Parteikosten teuren Wein saufen können. Dann würde der Stefan sicher sogar überlegen nochmal mit Rotwein anzufangen, wenn er sich die Histamin-Tabletten über die Partei abrechnen lassen könnte.

Stefan: Sobald ich eine Partei finde die mich bezahlt, bin ich raus hier. Ich weiß jetzt aber nicht wo ich hingehen würde. Schirch ist es ja mittlerweile überall. Vor Antisemitismus ist man nur mehr auf dem Mond sicher, hat die Hannah Arendt mal geschrieben. Ich frag mich immer woher sie das wußte. Damals gabs den Mond ja noch gar nicht in der Form wie heute. Dass man eine Mondbasis plant aus mondeigenem Beton und sich vorstellt wie man dort die Moonforce aufmarschieren sieht vom Donald. Ich denk immer an Moonraker den James Bond Film. Da gabs die ganzen Irren dann auch am Mond und am Ende vom Film fliegen sie mit Weltraum Jetpacks herum und erschießen sich gegenseitig mit Laserkanonen. Da war sicher mindestens ein Antisemit dabei. Also Arendt widerlegt im Endeffekt. Vielleicht hat sie ja kurz bevor sie das geschrieben hat mit ihrem Gspusi Martin Heidegger telefoniert und war noch ganz seinsdurchdrungen, wie ein Mondkalb.

Trinkst du Kaffee?

Ela: Selbstverständlich.

Stefan: Siehst, ich nicht. Ich hab nie Kaffee getrunken in meinem Leben. Ich glaub sowas wollen Menschen wissen. Ob einer Kaffee trinkt, oder nicht. Die Seiten die am besten gehen sind solche wo Leute sich Filme anschauen und darauf „reacten“. Sind einfach zu produzieren und wissen muss man auch nichts, weil die Zuschauer wollen ja keine Fachmeinungen, das wär zu viel. Sie wollen authentische Reaktionen. Also Lachen, Weinen, Schauen. Vor allem Schauen sieht man sehr oft bei sowas.

Ela: Schaust du dir sowas an? Ist das die Fortsetzung von diesem Voyeurismus der Reality-Formate?

Stefan: Ich schau einen Menschen, der Spiele durchspielt. Der ist meine Youtube-Familie. Er gibt mir Geborgenheit in stürmischen Nächten. Aber sonst schau ich natürlich nur knallharte Politikformate. Wir könntens uns auch einfacher machen. Sollen wir hier eine Kolumne machen in der wir Bücher empfehlen? „Mein Lieblingsbuch der Woche.“ „Mein Reiseführer des Jahres.“ „Mein Kochbuch der Minute.“ Können wir überhaupt drüber reden, was wir im Blog machen wollen und was wir dann nicht machen werden?

Ela: Das ist unser Spielplatz, wir können prinzipiell machen was wir wollen. Aber eine Regel sollte es geben, schreiben nur im Bademantel.

Stefan: Ist ein Bademantel ein Statement? Ich hab letztens einen Artikel gelesen der Hugh Hefner lobt, weil er angeblich Homeoffice erfunden hat. Der hatte immer seinen Bademantel an und manchmal eine Kapitänsmütze auf, glaub ich. Ist auch ein Statement, oder? Aber der hatte auch ein Schwimmbad und einen Garten zum Grillen und musste nie selbst einkaufen. Vielleicht ergibt sich das mit der Badebekleidung dann von selbst. Wenn das Wetter passt.

Die Werbung in den Playboys aus den 1970er Jahren ist toll. Überhaupt war das eine große Sache damals. Die Playboys waren das Internet. Im Leserforum schreiben berühmte Schriftsteller, Politiker, Professoren usw. alle ihre Meinungen zu Playboyartikeln und überhaupt gibt es sehr viele Leserbriefe mit teilweise völlig wahnsinnigen Anfragen oder Aussagen. Ich such das raus, wenn es jemanden interessiert. Ich mach eine Kolumne im Blog über den Playboy der 1970er Jahre. Im Bademantel.

Was hast du für einen Bademantel?

Ela: Mehrere. Einen aus Fleece, einen aus Frottee, einen Morgenmantel aus Satin. Je nach Laune, Wetter und Anlass, kann ich den passenden Bademantel vorweisen.

Stefan: Wow. Ich hab nur einen. Der ist geerbt. Sieht aus wie schwarze Seide, aber ist irgendein Poly und er hat ein asiatisch anmutendes Muster hinten drauf. Sehr geschmackvoll. Aber gut für den Sommer. Welchen würdest du am liebsten im Internet sehen wollen?

Ela: Von mir? Geh ma Partnerlook, ich nehm auch den Satinkimono.