Stefan: Der Titel des Gesprächs entstammt einem Screenshot von einem echten Posting, das darauf hinausläuft, dass diejenigen, denen es im Kapitalismus nicht passt, halt abhauen sollen. Also im Grunde ein „Wenn es dir nicht passt, geh halt nach Nordkorea.“ Zum Jahresende könnten wir endlich den Kapitalismus verlassen, vielleicht nicht nach Nordkorea, sondern nach Uruguay, oder wie siehst du das?
Ela: Und wie denkst du, dass wir das hinbekommen? Spazieren wir einfach raus? Ziehen wir in den Wald? Gehen wir Walden? Lassen wir uns von einem Bären fressen?
Stefan: Der Autor von Walden, Henry David Thoreau, schreibt: „Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen, so hart und spartanisch leben, dass alles, was nicht Leben war, in die Flucht geschlagen wurde.“ Er war der Sohn eines Bleistiftfabrikanten und lernte den Dichter Ralph Waldo Emerson kennen. Er hat dann in dessen Haus einen Urlaub von der Welt gemacht. Offenbar konnte er es sich leisten nur 6 Wochen im Jahr zu arbeiten. Wahrscheinlich am Oktoberfest.
Aus dem Kapitalismus kann man mit noch so viel Urlaub nicht aussteigen. Das wäre nur möglich, wenn wir alle Millionäre werden, oder keiner mehr arbeiten müsste. Die Simulation des Ausstiegs aus der Arbeitswelt gelingt manchmal vorübergehend und teilweise, wenn man einen schönen Tag am See verbringt. Aber wer keinen See hat ist schon mit weniger zufrieden. Drogen zum Beispiel. Die können das Aussteigen sehr gut simulieren.
Ela: Der Einstieg danach ist dann aber besonders mühsam und die kapitalistische Realität erscheint noch unerträglicher. Was ja auch die Rückfallstatistiken bei härteren Drogen bestätigen. Aber das ist ja nicht die einzige Art, wie die Menschen versuchen dem Alltag zu entfliehen. Um auf den Bären zurückzukommen: Manche Methoden können auf ihre Mitmenschen verheerende Auswirkungen haben.
Stefan: In der Zeitung steht es wurde ein „Vergewaltigungsnetzwerk“ auf Telegram aufgedeckt. Dabei wurde in einer Online-Recherche systematische sexuelle Gewalt an bewusstlosen Frauen belegt. In dutzenden Telegram-Gruppen haben sich Nutzer offen darüber ausgetauscht, wie sie Frauen betäuben und sexuell missbrauchen können. „‚Sie ist jetzt sturzbesoffen und auf ein paar Schlafmedis. Ich sollte hoffentlich bald ein bisschen Spaß haben‘“, schreibt ein Nutzer in einer Gruppe. Andere Mitglieder reagieren mit Begeisterung und fordern weitere Details, wie aus der Doku des Reportageformats Strg_F des Norddeutschen Rundfunks hervorgeht. Teilweise werden Frauen in Echtzeit vor Publikum vergewaltigt.“ In Frankreich hat ein gewisser Dominique Pelicot seine Frau Gisèle fast zehn Jahre lang immer wieder mit Medikamenten betäubt, missbraucht und von Dutzenden Fremden vergewaltigen lassen. Er hat jetzt nur 20 Jahre Haft dafür kassiert. Seine Freilassung erlebt er hoffentlich nicht mehr.
Ela: Andererseits finde ich, dass es schon ein Fortschritt ist, dass im Fall Pelicot tatsächlich alle 51 Angeklagten, alle Vergewaltiger also die man ausfindig machen konnte (obwohl von bis zu 90 Tätern ausgegangen wird), verurteilt wurden. Egal wie sehr sie versuchten sich selbst als Opfer darzustellen. Es ist ja bezeichnend, wie diese Männer ihre Taten herunterspielten. Sie seien naiv gewesen, hätten sich nicht „Nein“ sagen getraut, hätten nicht gewusst, was Einverständnis bedeute, hatten angenommen, es reiche, wenn der Ehemann sein Einverständnis im Namen der Frau gebe. In vielen Fällen wurden die schreckliche Kindheit und andere traumatische Erfahrungen als Vorwand genutzt, um Gisèle Pelicot Gewalt anzutun. Die meisten behaupteten sie seien von Dominique Pelicot manipuliert oder gar selbst unter Drogen gesetzt worden, um keine Verantwortung für ihre Taten übernehmen zu müssen. Doch selbst das Schnarchen von Gisèle konnte sie nicht davon abhalten sich an ihr zu vergehen. Einer der Täter machte sich in seiner Aussage gar Sorgen: „Wenn niemand mehr jemandem vertraut, werden wir am Ende um eine schriftliche Genehmigung auf einem Stück Papier bitten müssen.“ Ein Talking-Point den man in Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen immer wieder gerne aus dem Ärmel zaubert.
Dass das Opfer medial auf solche positive Resonanz gestoßen ist, ist auch eher eine Seltenheit. Ich befürchte daher, dass es sich bei dem Fall in all seiner Extremität und dem gesellschaftlichen Umgang damit um eine Ausnahme handelt. Wir sehen nun was ginge, wenn man wollte. Das wird sich aber wahrscheinlich nicht besonders auf die gesellschaftliche und strafrechtliche Be- und Verurteilung von zukünftigen Vergewaltigungen auswirken. Immerhin ist die Beweislage nur selten so klar und eindeutig wie in diesem Fall. Gisèle Pelicot konnte sich erwiesenermaßen nicht wehren. Dominique Pelicot hatte die Taten alle sorgfältig auf seinem Laptop archiviert und diese auch von Beginn an nicht abgestritten.
Wenn wir uns jetzt die Recherche von Strg_F ansehen, sieht das Bild schon wieder weniger erfreulich aus. So haben sich im Schatten von sozialen Medien ganze Netzwerke für potenzielle Vergewaltiger gebildet. Man schickt sich Links für Betäubungsmöglichkeiten und erteilt sich Tipps. Die Strafverfolgungsbehörden sind dem kaum gewachsen. So berichtet Strg_F in Deutschland seien Übergriffe auf Bewusstlose zwar strafbar, jedoch könne man gegen das Verbreiten von Videos nichts unternehmen, da dies nicht unter die Strafbarkeit falle. Verbrechen wie jene an Pelicot und anderen Frauen sind aber nur in einem gesellschaftlichen Klima möglich das Täter schützt und Opfer die Bürde auferlegt mit den Konsequenzen umzugehen. Dabei wäre es erst einmal wichtig, wenn, so wie Gisèle Pelicot richtig anmerkte, die Scham die Seite wechseln würde und obwohl man sich auch Gedanken machen könnte, ob die Tatsache, dass so viele Männer sich in diesem Zusammenhang schuldig gemacht haben, eventuell etwas über unsere Gesellschaft und ihre Strukturen aussagt und darüber, welche Konsequenzen Straftaten wie diese haben.
Stefan: Die Möglichkeiten zur Betäubung sind in den letzten Jahren in unserer pharmakologisierten Arbeitswelt stark angestiegen. Es kommt zu einer neuen Vielfalt der Methoden zur Opferbetäubung. „Toxikologen wie Volker Auwärter vom Universitätsklinikum Freiburg warnen vor neuartigen K.-o.-Mitteln, die als harmlose Haarpflegeprodukte oder Mittel zur Entfernung von Wimpernkleber beworben und legal erworben werden können. Die untersuchten Substanzen enthalten eine gefährliche Mischung aus Tiernarkosemitteln, Designer-Benzodiazepinen und Medikamenten, die Erbrechen verhindern sollen. Viele Bestandteile sind in Standardtests nicht nachweisbar. Wie gefährlich derartige Mittel sind, wird vielen in den Telegram-Gruppen erst klar, wenn es zu spät ist. Immer wieder berichten die Mitglieder davon, dass ihre Opfer deutlich länger als geplant geschlafen oder gar Probleme beim Atmen gehabt hätten.“
Ela: Aber auch Alkohol wird ja in vielen Fällen dazu genutzt Frauen und ihre Abwehr außer Kraft zu setzen. In diesem Fall fällt es den Staatsanwälten dieser Welt oft besonders leicht, den Opfern die an ihnen begangenen Straftaten zum Vorwurf zu machen. Eine Tatsache ist allerdings, dass Männern, welche sich an Frauen vergehen, dies oft auch aus einem Strafbedürfnis heraus tun. Vergewaltigung kann sich also auch gegen vermeintliches Fehlverhalten von Frauen richten – wenn diese beispielsweise nicht ihrer zugeteilten Rolle entsprechen – für das sie bestraft werden müssen, oder gar als pauschale Strafe für die Frau an sich. In diesem Fall zeigt sich dann eindeutig, dass Vergewaltigung auch ein mächtiges Instrument darstellt, den Kapitalismus und die gesellschaftlichen Konventionen durchzusetzen.
Stefan: Ein Grund mehr den Kapitalismus echt zu verlassen. Wer sehr eindrucksvoll den Kapitalismus in den Privatkonkurs verlassen hat, war René Benko. Mittlerweile mein Lieblingsunternehmer, weil er den Kern des erfolgreichen Unternehmertums bloßgelegt hat: „Mafiöse Methoden“, wie der Spiegel schreibt. (Der Spiegel Nr. 50, 07.12.2024) Gegen Benko, „den mutmaßlichen Kopf der Bande“, den Capo, ermittelt jetzt in Italien die Mafiabekämpfung, wegen Verdachts auf kriminelle Vereinigung und den Vorwürfen der Bestechung, Manipulation, Korruption und des Betrugs.
Ela: Auch ein schönes Hobby. Dass der Name Benko für guten Geschmack steht, zeigt sich ja auch an seinen Bauprojekten. Zuerst hat er ja noch das alte Leiner-Gebäude auf der Mariahilferstraße, sowie das Schlosshotel Igls bei Innsbruck niedergerissen, denn Denkmalschutz ist in Österreich eher eine Verhandlungssache. Das Signa-Kaufhaus „Lamarr“ wurde ja inzwischen verkauft. Die Benko-Villa in Tirol ist im Besitz der Wiener Schlosshotel Igls Betriebs GmbH & Co KG, die zur Laura-Privatstiftung der Benkos gehört, an die die Mutter 235.000 Euro Miete zahlt, damit Rene weiterhin gratis dort wohnen darf. Keep it in the family sozusagen.
Stefan: Ein Grund den Kapitalismus zu verlassen wäre, dass wir zunehmend nicht nur ausgebeutet werden, sondern auch in Europa immer öfter, Opfer von extremistischer Gewalt werden. Das sich also die Gewalt, von der Peripherie, wo sie, auch aufgrund westlicher Beteiligung nicht enden kann, ins Zentrum verschiebt. Staatsversagen traue ich mich das nicht zu nennen, solange die Kapitalakkumulation ungestört weitergeht. Vorgestern am 19.12.2024 wurde den Opfern des islamistischen Terroranschlags am Breitscheidplatz in Berlin gedacht. 13 Menschen wurden dabei von einem Islamisten ermordet. Kurz davor, am 2. November, jährte sich der islamistische Terroranschlag in Wien, mit vier Toten und 23 Schwerverletzten. In der Nacht vom 20.12.2024 wurde in Magdeburg von einem saudi-arabischen Staatsbürger ein Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt verübt, mit mindestens 2 Toten und über 60 Verletzten. Angeblich war er AfD-Fan, angeblich Ex-Muslim, seine Methode ist dennoch die des islamistischen Terrors und sein Ziel, eben ein Weihnachtsmarkt und keine politische Veranstaltung von Nazis oder extremistischen Muslimen. Beinahe gleichzeitig hat ein politischer Vertreter des österreichischen Islam auf seinem Facebook-Account wortreich und öffentlich die Diskriminierungserfahrungen muslimischer Österreicher angeprangert. Er bezieht sich dabei auf einen Bericht der Europäischen Grundrechte Agentur und beklagt zurecht die dort aufgeführten Missstände, die real sind und zu Ungerechtigkeiten gegenüber Muslimen führen. Aber er sucht die Schuld dafür einseitig beim österreichischen Staat. Seine Vorschläge zu deren Behebung sind sicherlich teilweise legitim und seine Intention zielt auf ein funktionierendes Miteinander. So viel habe ich bisher von seinen Äußerungen wahrgenommen. Er ist ein Vertreter friedlicher Koexistenz und abstrakter demokratischer Werte. Aber der Unterton ist an manchen Stellen durchaus düster, eventuell missverständlich und vielleicht sogar für manche Beobachter bedrohlich, wenn er etwa feststellt: „Populistische Verbotspolitik birgt die Gefahr von ‚self fulfilling prophecies‘.“ Die Zuschreibung an extremistische Muslime, sie seien gewaltbereit, führt zur Gewaltbereitschaft? Die Angst vor islamistischer Gewalt ist schuld an islamistischer Gewalt?
Ela: Diese ganzen Zirkelschlüsse in diesem Zusammenhang fand ich schon immer interessant. Bei dem Anschlag in Magdeburg finde ich es zudem spannend, dass man so viel Wert auf die sogenannte AfD-Affiliation des Täters legt, während man gleichzeitig allen anderen Schwachsinn, den er auf den sozialen Medien verbreitet hat, geflissentlich ignoriert. So gibt es auch Tweets, wo er sich als Wahhabit bezeichnet und anderes konfuses Zeug, was ja dann wieder gegen die Behauptung stehen würde, es handle sich um einen Ex-Muslim. Also das ist spannend, wie man sich da jetzt auf dieses Bild festgefahren hat und gleichzeitig alles andere ignoriert.
Stefan: Da gibt es übrigens ein interessantes Verdrängungsmuster, beziehungsweise ein journalistisch-politisches Schaukelspiel. Während rechte Politiker und Medien jeden Anschlag sofort unbesehen dem extremistischen Islam zuordnen, was etwa beim Anschlag von Hanau völlig daneben war, tun sich die Linken dabei schwer einzusehen, dass Terroranschläge auch von extremistischen Muslimen verübt werden. Das übliche Muster der Verdrängung ist mehrstufig und beginnt mit: „Es ist zu früh um etwas Konkretes sagen zu können.“ Über: „Wahrscheinlich ein psychisch kranker Einzeltäter.“ Zu: „Wer das thematisiert, hilft der AfD, FPÖ, …“ Umgekehrt sind diese Linken dann bass erstaunt, wenn die Rechten das auch versuchen. Der Spiegel Nr. 52 vom 31.12.2024 dokumentiert dieses Erstaunen und die Empörung, die es auslöst, am Ableismus der AfD. Dass die AfD Menschen mit Behinderungen verabscheut und sich im Umgang mit ihnen wahrscheinlich verschiedener Nazimethoden bedienen würde, wenn sie könnte, brauchen wir nicht zu diskutieren. Aber gleichzeitig entsteht eine seltsame Spiegelung des Verdrängungsmusters, wenn ein AfD-Mann über den Terroranschlag von Hanau spricht. Der Spiegel schreibt: „2020 verharmloste der innenpolitische Sprecher der AfD, Gottfried Curio, die rechtsextremen Motive des Attentäters von Hanau, nannte ihn einen ‚Irren‘ und ‚verrückt‘, sagte, er habe nicht zu den ‚geistig gesunden‘ gehört.“ Eine Frechheit sondergleichen, wie kann nur ein Gewalttäter, der so brutal vorgeht und damit ein politisches Ziel verfolgt und sich dazu auch noch öffentlich oder in einem Manifest äußert als psychisch krank bezeichnet werden? Das geht natürlich nicht. Oder geht es doch und kommt es nur darauf an in wessen Interesse das geschieht? Jedenfalls haben diese Verharmlosungsversuche von links und rechts etwas gemeinsam mit den Verharmlosungsversuchen aller Populisten, wenn es darum geht die Gewalt der eigenen irregulären Klientel medial zu kaschieren.
Ela: Bei den Opfern solcher Anschläge kommen ähnliche Mechanismen ins Spiel. Wenn es die betrifft, die falschen politischen Affiliationen haben oder sonst wie der falschen Gruppe angehören, dann wird ihnen ja auch gern eine „übertriebene“ Reaktion auf ihre Traumata vorgeworfen. Ich erinnere mich da an Jesse Hughes von den Eagles of Death Metal, die während des Anschlages im Bataclan ein Konzert spielten. In einem Stern-Artikel wird Jesse Hughes in einem Satz zur Last gelegt er sei „für die amerikanische Waffenlobby, für Donald Trump, Anti-Obama, für Kriegseinsätze und gegen das Recht der Frau auf Abtreibung.“ Dass er nun einmal während eines der größten jüngeren Attentate in Frankreich auf der Bühne stand, bei dem 89 Menschen getötet wurden, kann natürlich die „übertriebene“ politische Entwicklung des Musikers nicht erklären. Dass sich da eventuell eine kleine Phobie im Zusammenhang mit dem Islam entwickeln könnte … Dem Team von Charlie Hebdo wurde auch regelmäßig Rassismus vorgeworfen, selbst noch nachdem es teilweise schon dahingemetzelt worden war.
Das ist jetzt eine freie Assoziation, aber passt nochmal kurz zu unserem vorigen Thema, weil es mich auch an dem Umgang mit den jungen Frauen erinnert, die im englischen Rotherham einem Kindesmissbrauchsring zum Opfer fielen. 1.400 Mädchen ab ca. 11 Jahren wurden dort zwischen 1997 und 2013 von Männern mit großteils pakistanischem Hintergrund entführt, sexuell missbraucht und „gehandelt“. Ähnliches passierte in Rochdale zwischen 2008 und 2010 und in Telford seit den 1980ern. In Rotherham äußerten sich „mehrere befragte() Ratsmitglieder“ man müsse vorsichtig sein, damit nicht „durch das Aufgreifen dieser Themen rassistische() Ansichten“ verbreitet würden, die „extremistische politische Gruppen anziehen und den Zusammenhalt der Gemeinschaft gefährden könnte(n)“. Ein Report der Independent Inquiry into Child Sexual Abuse hatte offengelegt, dass man mit einem „weitverbreitete(n) Versäumnis“ konfrontiert sei, „die ethnische Herkunft von Tätern und Opfern“ zu erfassen. Gleichzeitig wurden die Opfer dieser Gangs „während der Vergewaltigung mit üblen rassistischen Namen wie ‚weißer Abschaum‘ und ‚Kaffirmädchen‘ beschimpft“, während sie von den Behörden nicht ernst genommen wurden, weil sie als „Mädchen mit Problemen“ galten, die “durch ihr eigenes Verhalten selbst schuld“ trugen.
Stefan: Diese widerlichen Vorkommnisse werden sich in dieser extremen Form hoffentlich nicht mehr wiederholen können. Aber es kann schon Probleme mit sich bringen auf solche Dinge überhaupt hinzuweisen. Der Islampopulismus österreichischer Prägung hat mit solchen Vorkommnissen nichts am Hut. Die Vertreter, die ich bisher am Schirm habe, würden solche Vorkommnisse niemals verharmlosen. Aber beim Terrordiskurs sieht die Sache etwas anders aus. Hier hat sich der Islampopulismus ganz auf den Ton der hiesigen Debatten zu Magdeburg eingestellt. Linkspopulistisch werden Menschenrechte eingeklagt, und an den Minderheitenschutz appelliert, („Was heute die eine Minderheit trifft, könnte morgen eine andere zur Zielscheibe machen, wenn verfassungsmäßige Standards ausgehöhlt würden.“) sowie auf strukturelle Ungleichheiten verwiesen, ohne darauf einzugehen, wie diese nachhaltig behoben werden könnten. Denn die strukturelle Ungleichheit ist dem Kapitalverhältnis inhärent. Aber dieses wird durch die Gläubigen ja nicht in Frage gestellt, sondern nur dessen (neo-?)liberale Ausprägung. Die konkreten Vorschläge versanden in den Grabenkämpfen hiesiger Politik. Statt der Islamkommission der einen Partei, soll die Islamkommission der anderen Partei unter einem anderen Namen unwirksame Maßnahmen vorschlagen, die dann ohnehin nur so umgesetzt werden, dass niemand etwas davon hat. Stets wird im Rahmen der Verfassung argumentiert, aber zugleich durch ständiges Zuzwinkern und raunende Zwischenbotschaften, der Anteil der eigenen Klientel angesprochen, der dafür empfänglich ist – Stichwort Dogwhistling Politik. Die Zwischenbotschaften richten sich in FPÖ-Manier an die härtere Klientel, die den Populismus und den „Jargon der Demokratie“ (Gerhard Scheit) für die Durchsetzung ihrer eigentlichen Ziele in Kauf, aber nicht (mehr) ernst nimmt. Diese Klientel besteht aus ultrakonservativen, reaktionären, extremistischen und faschistischen Kräften und deren irregulären Einheiten. Von diesen Einheiten ist im Islampopulismus oft abstrakt die Rede. Wenn daran erinnert wird, dass Diskriminierung zu einer Reaktion führen kann. Es sind die wütenden Männer, die in Paris die Banlieues berüchtigt gemacht haben, die zu allem bereit sind, und auf das richtige Zuzwinkern lokale Bürgerkriege beginnen können. Aber auch die Einzeltäter und Terrorzellen gehören dazu. Sie sorgen dafür, das unliebsame Kritiker mundtot oder ganz tot gemacht werden, sobald die Aufmerksamkeit durch einen Islampopulisten auf sie gelenkt wurde. Diese sehr konkrete Bedrohung wird, wider besseren Wissens, von den Islampopulisten und ihren, meist links angestrichenen, Verbündeten (Islamo-Gauchisme), stets kleingeredet, die sich häufenden gewalttätigen Übergriffe werden in manipulierten Statistiken verschleiert und ständig wird das Thema gewechselt. Das läuft dann so ab, dass man bei einem konkreten Anschlag in Europa beginnt und in einem Konflikt in einem fernen Land endet, mit dem weder die Toten des Anschlags, noch deren Mörder jemals etwas zu tun hatten. Die Diskussion dazu kann man sich so vorstellen wie den Anschlag in München am 5. September 2024. Es war ein Angriff auf das israelische Generalkonsulat, der in einem Schusswechsel zwischen einem 18-jährigen Österreicher bosnischer Abstammung und Polizisten am Karolinenplatz in der Nähe des israelischen Generalkonsulats und des NS-Dokumentationszentrums endete.
Diskriminierungserfahrungen werden natürlich zurecht beklagt! Menschen mit „ausländisch klingenden“ Namen haben Nachteile bei der Wohnungssuche und auf dem Arbeitsmarkt und auch im beruflichen Leben haben sie die Erfahrung des Alltagsrassismus. Dieser kann auch bezogen auf islamische Kleidung auftreten und durchaus mit Gewalt verbunden sein. Es muss aber hinzugefügt werden, dass die von der Europäischen Grundrechte Agentur (https://fra.europa.eu/de/news/2024/muslime-europa-zunehmend-opfer-von-rassismus-und-diskriminierung) ermittelten Daten auf Umfragen und persönlichen Meinungen („face-to-face interviews and an online questionnaire“) basieren und nicht auf konkreten dokumentierten oder behördlich aktenkundigen Vorfällen. Das ist übrigens auch in Deutschland bei manchen Landesmeldestellen gegen Diskriminierung so. In NRW startet 2025 die „Meldestelle zu antimuslimischem Rassismus“ und fordert dazu auf „Fälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu melden“. Das bedeutet es geht bewusst darum auch das Gefühl der Menschen zu dokumentieren. Da werden dann vielfach persönliche Eindrücke, persönliche Missverständnisse und Enttäuschungen und persönliches Ressentiment in die Dokumentation einfließen, die dann einen gesellschaftlichen Tatbestand erahnen lassen. Das wiederum erzeugt eine Verstärkungsschleife, aus der heraus die Islampopulisten immer wieder auf die Opferrolle von Muslimen hinweisen können. Daraus kann eine Abwärtsspirale entstehen, denn natürlich können ständige Negativnachrichten das Gefühl der Diskriminierung noch verstärken und die innere Haltung gegenüber der als diskriminierend wahrgenommenen Gesellschaft verhärten. Oder mit den Worten Hans Rauschers im heutigen Standard 31.12.2024: „Pessimisten wählen rechtspopulistische bis rechtsextremistische Parteien. Das ist ein ehernes Gesetz der Politik. Abgesichert durch zig Umfragen, Erhebungen und soziokulturellen Studien.“ Wenn sich alle unwohl fühlen, profitieren davon die Konservativen, die Reaktionären, die Faschisten und natürlich die Islampopulisten.
Schlimm genug, wenn sich Muslime in der Gesellschaft nicht wohlfühlen, daran sollte sich schleunigst etwas ändern und es ist sicherlich an der Zeit, dass alle gemeinsam in funktionierenden Gremien zusammenkommen, mehr Räume für die Begegnung geschaffen werden und alle auf Augenhöhe und mit gleich lauter Stimme miteinander sprechen. Aber es muss auch kritische Bewusstsein dafür entstehen, dass die Gründe für die wahrgenommene Diskriminierung nicht nur bei strukturellem und individuellem Rassismus und ständigen Verfehlungen autochthoner Österreicher liegen, sondern auch bei den muslimischen Extremisten, der von ihnen mittlerweile regelmäßig verübten Gewalt und den empörenden Stellungnahmen der Islampopulisten dazu.
Murat Kayman, Mitbegründer der Alhambra-Gesellschaft, eines Vereins europäischer Musliminnen und Muslime, der von 2014 bis 2017 Jurist des muslimischen Verbandes Ditib in Köln war, warnt vor einer so einseitigen Darstellung der Verhältnisse. „Selbst wenn es ab morgen gar keinen Generalverdacht gegen Muslime mehr gäbe, wenn es nicht einen einzigen muslimfeindlichen Vorfall oder irgendwie antimuslimische Diskriminierung mehr gäbe, würde dennoch das Problem des islamistischen Extremismus unverändert fortbestehen. […] Denn islamistische Gewalt wird durch ihre Propagandisten als ‚legitimer Widerstand‘ gegen eine Muslimen gegenüber feindlich gesinnte Welt beworben. Mit dieser ‚Rechtfertigung‘ legitimieren sie eine totalitäre, freiheitsfeindliche, menschenverachtende Ideologie. […] Wer der fortschreitenden gesellschaftlichen Spaltung etwas entgegensetzen will, muss diese aus religiösen Überlegenheitsvorstellungen heraus vollzogene Selbstentfremdung muslimischer Organisationen hinterfragen.“ (Der Standard 14./15. September 2024: Muslime sollten sich unbequemen Debatten stellen, 38.)
Im Der Spiegel wird er noch deutlicher: „Vor dem Hintergrund der explodierenden Züge und Busse in Spanien und London, der ermordeten Satiriker, Lehrer, Passanten, Café- und Konzertbesucher in Frankreich, der überfahrenen Weihnachtsmarktbesucher in Berlin, der Opfer der Terroranschläge weltweit mussten die muslimische Verdrängung, dieses apathische Kopfschütteln muslimischer Vertreter und ihre immer phrasenhafter wirkende Verurteilungen irgendwann unglaubwürdig wirken.“ (Der Spiegel Chronik 2024, 106.)
Kayman hat auch ein Buch über dieses Thema geschrieben. Mal sehen, wie lange er sein Leben in Frieden fortsetzen kann, oder ob ihn das Schicksal Ayan Hirsi Alis und der dutzenden Religions- und Faschismuskritiker ereilt, die unter ständiger Todesdrohung leben müssen. Verfolgt von den verfolgenden Unschuldigen, die angeblich durch „populistische Verbotspolitik“ zu „self fulfilling prophecies“ des Gemetzels gemacht werden.
Extremistische Gewalt aller Couleur scheint fixer Bestandteil, oder wie der Londoner Bürgermeister einst nach einem islamistischen Anschlag sagte, „part and parcel“[1], des zukünftigen Zusammenlebens in Europa zu sein. Damit sollten wir uns nicht abfinden. Man kann den Kapitalismus nicht verlassen, aber man kann mit aller Kraft daran erinnern, dass ein „Minimum an Freiheit“ (Franz Neumann), nämlich Freiheit von terroristischer Gewalt, eine Grundbedingung sein muss, um diese ganze Scheiße zumindest stoisch und ironisch ertragen zu können.
[1] https://www.london.gov.uk/who-we-are/what-london-assembly-does/questions-mayor/find-an-answer/terror-attacks

