„Die Natur ist Teile ohne Ganzes.“ (Alberto Caeiro / Fernando Pessoa). Gespräch mit Sabine von Vetsera über Umweltschutz und gesellschaftliche Irrationalität

Stefan: Mir hat die Beschreibung der Grünen Austauschgruppe, die du gegründet hast, sehr gut gefallen. Du verbindest die Erkenntnis, dass wir in Verhältnissen leben, die politisch und kollektiv gemacht werden, mit dem Ansatz, dass wir die Verhältnisse durch individuelles Handeln zumindest beeinflussen können. Kannst du etwas dazu sagen, wie das funktionieren kann?

Sabine: Zunächst möchte ich mich bei dir für die Einladung zu diesem Interview bedanken. Ich freue mich, dass Themen zu Umwelt und vor allem zu Umweltschutz und Nachhaltigkeit – kurz gesagt: grüne Themen – ein Interesse finden und ich mich dazu für Halbwertszeit äußern darf.

Zu meinen Grundannahmen zählt, dass wir als Konsumenten (und bei mir sind alle Menschen jeden Geschlechts in weiterer Folge immer miteinbezogen) wesentlich mehr Macht besitzen als wir glauben. Denn mit unseren Konsumentscheidungen bestimmen wir, ob z. B. der Bauer im regionalen Umfeld, der seine Mitarbeiter fair bezahlt und umweltschonend anbaut, überlebt oder Lebensmittel quer über den Globus verschifft werden. Ein Beweis für diese Macht ist ja paradoxerweise das sogenannte Green Washing. Denn kein Unternehmen würde sich darüber Gedanken machen und noch dazu Geld fürs Marketing investieren, würden sie wissen, dass es den Konsumenten egal ist.

Das bedeutet nicht, dass ich die gesamte Verantwortung beim Konsumenten verorte und vollkommen von den Konzernen und der Politik nehmen möchte, aber ich sehe im Konsumenten auch kein unmündiges Kind, das sich seiner Entscheidungen nicht bewusst ist. Die Frage nach den finanziellen Möglichkeiten ist eine andere, doch man kann sich heutzutage immer leichter über Produkte informieren.

Diese Aufklärung ist ein großer Teil meiner Motivation. Und ich wollte mit meiner Gruppe zumindest im kleinen Kreis zum Umdenken anstoßen sowie inspirieren. Letztlich entscheidet jedes einzelne Mitglied in welche Richtung sich die Gruppe entwickelt.

Stefan: Das finde ich einen wichtigen Punkt. Also sich auch abzugrenzen von einer rein aktivistischen Einstellung, die so tut, als könnte man alles dadurch lösen, dass man den Individuen alles aufbürdet, was eigentlich strukturelle Gründe hat. Du denkst aber viel mehr praktisch als aktivistisch. Du hast bei den Infos auch eine Liste von Dingen, die man in der Gruppe machen kann. Das gefällt mir. Über einige davon hatte ich davor noch gar nicht nachgedacht.

Sabine: Sieht so aus, als konnte ich mit dir schon einen kleinen Erfolg verbuchen. Dafür ist die grüne Öko-Austauschgruppe da: um neue Impulse zu setzen und Ideen zu liefern. Und nachdem die Themen breit gefächert sind, ist für jeden etwas dabei und jeder kann sich einbringen.

Seit meiner intensiven Beschäftigung mit Umweltthemen habe ich auch für mich enorm viel neues Wissen aufbauen können. Und das möchte ich Posting für Posting weitergeben.

Stefan: Der Dichter Ralph Waldo Emerson hat einige sehr berührende Sätze über die Natur niedergeschrieben. Einer der mir am besten gefällt, entstammt seinem Essay „Natur“: „Um die Wahrheit zu sagen, wenige Erwachsene können die Natur sehen. Die meisten sehen die Sonne nicht. Zumindest ist ihr Sehen sehr oberflächlich. Die Sonne bescheint nur das Auge des Mannes, aber in das Auge und das Herz des Kindes scheint sie hinein.“

Sabine: Bei diesem Satz kann ich an meine eigene Kindheit denken. Ich bin in einem 600 Seelen Kaff aufgewachsen. Eine der schönsten Erinnerungen war, wie ich in dem kleinen Bach, der unser Dorf durchfloss, Molche als Haustiere halten wollte. (Mein Vorhaben war kein Erfolg.) Ich habe versucht mit Steinen in dem seichten Gewässer ein Gehege zu bauen, um diese wunderschönen Tiere dort zu halten. Ich habe sie wirklich geliebt und immer gerne in meinen Händen gehalten. Das war bestimmt nicht richtig, aber als Kind wusste ich das noch nicht und habe sie einfach nur lieb gehabt. So eine Faszination zu damals eher unpopulären Tieren entwickeln Kinder wohl eher als Erwachsene.

Vielleicht sind daher auch jüngere Generationen durch ihre Empathie eher empfänglich für Umweltschutzgedanken als Erwachsene.

Stefan: Molche sind ja trotz ihres Namens sehr hübsche Amphibien. Kinder sehen die Schönheit der Natur viel deutlicher. Erwachsene freuen sich dann mehr über die Annehmlichkeiten einer gezähmten Natur. Meine Mutter war eine begeisterte Hobby-Gärtnerin. Sie ist stundenlang im Garten gewesen. Als Kind ist der Garten ein Spielplatz, für Erwachsene ist er Arbeit.

Die deutschen Romantiker haben die Natur auch mit Kinderaugen betrachtet. Ein später Zeitgenosse von Goethe, der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (oben sieht man ein Foto! von ihm) schreibt in seiner Naturphilosophie, dass der Mensch selbst gar nicht denkt, sondern die Natur denkt in ihm. Er hat da 1806 bereits über etwas gesprochen, das die moderne Wissenschaft beschäftigen wird. Er denkt darüber nach, dass die bis dahin blinde Natur im Menschen die Augen aufschlägt und versucht sich selbst zu erkennen. Das Ziel der Schöpfung ist also zu einem klaren Gedanken ihrer selbst zu kommen und zu verstehen was da eigentlich los ist. Die Rolle des Menschen beschränkt sich aber nicht darauf zu erkennen, sondern er versucht die Natur zu beherrschen, zu gestalten und lenken. Das kann mitunter sehr gefährlich sein.

In einem Aphorismus schreibt Schelling, dass der Naturforscher durch seine Tätigkeit zum Priester der Natur geweiht wird und diese bei der Erforschung andächtig pflegen soll. Das klingt nicht nach dem Ideal des modernen Naturwissenschaftlers, der eher experimentell vorgeht und mehr auf Falsifizierbarkeit und Effizienz seiner Ergebnisse achtet, als auf andächtige Pflege. Ich habe das Gefühl unser Zugang zur Natur ist nicht sehr bewusst und daraus entstehen viele Probleme.

Manchen Leuten scheint es schwer zu fallen sich über die Natur-Produkte, die sie konsumieren, ausreichend zu informieren.

Sabine: Du beschreibst hier ein Phänomen, das es in der Geschichte schon öfter gab. Die Romantisierung der Natur durch jene Menschen, denen sie fern liegt. Man denke an die Rosa-Zimmer in Schönbrunn. Der Adel, der keine Ahnung vom Leben der Bauern hatte, ließ sich dort berieseln von den Darstellungen von Bauernkindern, die in der idyllischen Landschaft rumlagen und scheinbar den ganzen Tag Zeit hatten, diese zu genießen …

Stefan: … während die armen Adeligen ihre Zeit in betreuten Parks mit kühlen Getränken verbringen mussten. Sie hatten kein existentielles Naturerlebnis und haben daher das Leben der Bauern verklärt. Dabei war das oft ein sehr kurzes und hartes Leben.


Sabine: Das passiert heute meiner Meinung nach wieder. Die Romantisierung lieblicher und idyllischer Landwirtschaft angefangen vom Ja-natürlich-Ferkel, bis hin zu freilaufenden Milchkühen auf blühenden Almen. Der Kunde will Produkte aus Bio-Anbau und regionaler Herkunft, aber er weiß noch nicht, dass deren makellose Erscheinung aus der Werbung ebenso bloß ein Produkt des Photoshop ist wie ein Top-Model auf dem Cover der Vogue.

Konsumenten, die sich dann in dem ganzen Gütesiegel-Dschungel gar nicht mehr auskennen oder denen die Beschäftigung mit Anbaubedingungen, der Herkunft und den Transportwegen von Produkten zu mühsam ist, fordern letztlich die Verantwortung von ihrer Kaufentscheidung hin zur Politik und dem Handel zu verschieben. Dabei ist gerade in Zeiten des Internets eine kritische Auseinandersetzung mit Lebensmitteln einfacher denn je. In der Regel kauft man doch eh meist die gleichen Produkte immer wieder. Man kann sich also im Laufe der Zeit auf eine gewisse Produktliste einigen, die den persönlichen Ansprüchen in Bezug auf Umweltschonung und Budget entsprechen. Gerade mit meiner grünen Öko-Austauschgruppe möchte ich hier noch eine Hilfestellung für Interessierte bieten.

Stefan: Henry David Thoreau, ein Schüler von Emerson ist mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Er hat sich geweigert seine Steuern in Massachusetts zu zahlen, angeblich weil er gegen die Sklaverei und gegen den Mexiko-Krieg der USA protestieren wollte. Er wurde nach einem Tag aus dem Gefängnis ausgelöst. Seine Steuerschulden waren aus der Zeit vor dem Mexiko Krieg.

Er ist aber darüber hinaus ein interessanter Zeitgenosse gewesen. Er hat zwei Jahre auf Emersons Grundstück in einer Waldhütte gelebt und für ein solches Leben in den Wäldern plädiert. Seiner Überlegung zufolge würden jedem Menschen, der sich auf so ein Leben besinnt, nur 6 Wochen Lohnarbeit im Jahr überbleiben. Die übrige Zeit könnte jeder dann nutzen zu lesen und die Natur zu erforschen. Es scheint beim Gedanken an den Schutz der Natur immer darum zu gehen kleinere Gruppen zu bilden.

Sabine: Ah, Thoreau! … Das Buch liegt bei mir im Bücherschrank und will auch mal gelesen werden. Es gibt aber auch jemanden, der Henry David Thoreau getoppt hat, und zwar Chris Knight. Er hat 27 Jahre vollkommen allein in Wäldern in den USA gelebt. Er sagte übrigens über Thoreau, dass dieser ja bloß ein Angeber war und der Welt nur sagen wollte, wie toll er ist. Denn er hat schließlich nur zwei Jahre in einer Hütte gewohnt und seine Mutter hat ihm sogar die Wäsche gewaschen.

Stefan: Interessant. Also auch das hehre Leben im Wald kommt nicht ohne weibliche Reproduktionsarbeit aus, die dann vom Philosophen verschwiegen wird.

Im Prinzip versuchst du ja mit deiner Gruppe auch eine kleine Dorfgemeinschaft zu erzeugen, in der Menschen gemeinsam versuchen ihr Verhalten in Bezug auf Nachhaltigkeit zu verändern. So ein kleines digitales Walden.

Hast du noch weitere Leseempfehlungen?

Sabine: Mein Wissen besteht aus über die Jahre angesammelte Infos aus Artikeln, Dokus und Reportagen. Als Expertin würde ich mich auch niemals bezeichnen, sondern bloß als stark an Umweltthemen interessierte Person. Ich bin dadurch versucht dieses Wissen darüber zusammen zu tragen und zu ergänzen und so in komprimierten Infoblöcken weiterzugeben. Das ist nur nicht immer einfach, denn man muss wirklich viel recherchieren und es kommen einem bei der Beschäftigung damit immer mehr neue Fragen auf als man Antworten darauf findet. Natürlich macht mir das auch Spaß und es ist eine gute Möglichkeit mein geisteswissenschaftliches Studium sinnvoll einzusetzen, aber es ist zeitintensiv und manchmal belasten mich die Fakten zu sehr. Ich möchte mich aktuell dem Thema Bodenversiegelung widmen, aber weil ich mich dabei der Ärger so überkommen hat, musste ich eine Pause davon einlegen. Dabei wäre es gerade jetzt so aktuell, wenn wir nur an die Hochwasserkatastrophe in Deutschland denken, die über 100 Tote gefordert hatte.

Stefan: Ja das ist ganz schrecklich, was da zur Zeit passiert. Das liegt aber auch am politischen Versagen. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass es ein europäisches Hochwasserwarnsystem namens Efas gibt. Eine Mitentwicklerin namens Hannah Cloke klagt jetzt die Behörden an, sie hätten Warnungen ignoriert und keine Maßnahmen ergriffen. Darüber hinaus sind manchmal auch wirklich die Gemeinden schuld, wenn Menschen im Hochwassergebiet bauen. Angeblich wird massenweise Schutzgebiet in Baugrund umgewidmet. Also handelt es sich bei diesen Katastrophen auch um ein Versagen der Politik.

Was gäbe es aktuell für Gründe die Grünen in Österreich zu wählen?

Sabine: Da ich überzeugt bin, dass ein umweltfreundlicher Wandel in unserer Lebensrealität direkt mit sozialer Gleichberechtigung verknüpft ist, haben sozial benachteiligte Menschen wenig Gründe die Grünen zu wählen. Ihre derzeitigen Ideen beziehen sich auf eine finanziell gut gestellte Klientel und grenzen sozial Schwache aus. Die CO2-Steuer wäre hier zu nennen, die von Armut direkt betroffenen oder bedrohten Personen schwer zur Last fallen kann und somit zu einer Ablehnung klimapolitischer Maßnahmen führen wird.

Stefan: Die erste Vorsitzende der Grünen in Österreich war Freda Meissner-Blau. Ihr Vater musste mit ihr 1939 nach Großbritannien fliehen, weil er als Nationalökonom gegen das Naziregime geschrieben hatte. Sie ist erst 1962 wieder nach Wien zurückgekehrt und 1972 ist sie der SPÖ beigetreten, die sie bald danach wegen Zwentendorf und der Hainburger Au wieder verlassen hat. Diese Frau war direkt an den gesellschaftlichen Kämpfen um die Umwelt beteiligt. Bei der heutigen Grünen Führung ist dieser direkte Zugang zur Politik interessanterweise hinter einer Kulisse der Professionalität verschwunden.

Früher hießen die Grünen in Österreich „Die Grüne Alternative“. Mittlerweile gibt es Alternativen zur Alternative und Gruppen, die die Grünen sehr stark kritisieren. Fridays for Future ist eine davon.

Sabine: Die Grünen täten wohl gut daran sich wieder mehr an Frau Meissner-Blau zu erinnern, denn sie ist elitär aufgewachsen, war aber, sicher auch aufgrund ihrer politischen Erfahrungen, dazu in der Lage ihre Position zu hinterfragen. Ich frage mich was sie wohl heute über ihre Nachfolger sagen würde. Über Frau Glawischnig, die nach jahrelangem Wettern gegen das Glücksspiel bei der Novomatic einstieg …

Stefan: Das hatte über den persönlichen Zynismus hinaus eine politische Komponente. Weil das so genannte kleine Glücksspiel besonders für arme Menschen verheerende Auswirkungen haben kann. Und diese Spielhallen werden ja bewusst in bestimmten Gretzln aufgestellt.

Sabine: … über das permanente Verleugnen der eigenen Überzeugungen für die Koalition mit der ÖVP oder über einen Pop-Up-Pool am Gürtel. Ihre Werte werden doch von der aktuellen Regierungstätigkeit der Grünen in den Dreck gezogen. Gerne würde ich auch hören, was sie unserem ehemaligen, gurkigen Bundeskanzlerbuberl gesagt hätte.

Und soweit ich weiß, haben Fridays for Future die Grünen in Deutschland massiv kritisiert, denn dort verdanken die Grünen ihren politischen Aufstieg der Tatsache, dass sie ihre Umweltforderungen zugunsten der Wirtschaft abgeschwächt haben. So eine Kritik wäre nun auch in Österreich angebracht.

Man muss aber auch sagen, dass die Fridays for Future Bewegung derzeit gerade selbst dabei ist zu einem reinen Prestigeprojekt für rich kids zu werden, die sich ihren Lebenslauf mit ihrem Engagement darin aufpeppen wollen. Sie haben keine aktuellen Forderungen und Überlegungen, sie wollen die Verantwortung auf eine Politik abtreten, die ihre eigenen Eltern gewählt haben, aber sind zu feige es ihren Eltern ins Gesicht zu sagen. Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Sie wüten gerne gegen die älteren Generationen, anstatt in ihrer eigenen Generation nach alternativen Lebensstilen zu suchen. Sie machen es sich bequem, so wie alle anderen Generationen vor ihnen es taten.

Stefan: Ist diese Bequemlichkeit vielleicht auch ein Resultat dessen, dass die Grünen zu einem gewissen Grad am Ziel angekommen sind ihre Politik zu normalisieren? (Recycling, Nachhaltigkeit, Bio …)

Sabine: Beim Ziel angekommen? Mitnichten. Es gibt zwar mehr Interesse in der Bevölkerung für Themen wie Nachhaltigkeit oder Bio-Lebensmittel (dieses Interesse möchte ich auch in meiner Gruppe befeuern), aber wenn man dann den Blick auf Themen wie Fast Fashion lenkt, wenn man einen Blick in Mülltonnen wirft, oder alleine schon an die 3. Piste beim Flughafen Wien denkt, dann sind wir weit von ihrem Ziel entfernt.

Zusätzlich glaube ich nicht, dass die bisherige Entwicklung einer Partei zuzuschreiben ist. Es waren doch eher Tierschutzaktivisten, Organisationen wie PETA oder der WWF, Kampagnen von Prominenten und mutiger Journalismus, welche das Bewusstsein der Bevölkerung geprägt haben. Allerdings ist das meine subjektive Sicht als Millennial, denn ältere Generationen werden das Wirken der Grünen auf sie und ihre Mitmenschen vielleicht anders bewerten.

Bei vielen ökologischen Punkten, wie die genannte Fast Fashion, die Bodenversiegelung, die Erhöhung des Tierwohls etc. gibt es jedenfalls noch viel für die Politik der Grünen zu tun.

Stefan: Kannst du den Begriff der Fast Fashion kurz erläutern? Gibt es da nicht auch das Paradox, dass wir durch unsere Kleiderspenden etwa die Textilindustrie im globalen Süden zerstören?

Sabine: Fast Fashion bezeichnet eine Unternehmensstrategie, deren Ziel es ist, so viele neue Modekollektionen wie möglich, so günstig wie möglich zu produzieren, um mit billigsten Preisen so viele Konsument(inn)en wie möglich zu gewinnen. Es gibt nicht mehr nur Sommer- und Winterkollektionen, sondern bereits mindestens 12 Kollektionen pro Jahr. Seit den 1990ern hat sich das Phänomen Fast Fashion verstärkt und durchgesetzt.

So wie diese Kleidungsstücke hergestellt werden, finden sie ihren Weg in die Kleiderspende ohnehin kaum, da sie nicht für Langlebigkeit produziert werden. Das ist geplante Obsoleszenz. Und in den asiatischen Ländern, die diese Fetzen herstellen, werden eh nur Hungerlohnjobs generiert, auf welche die Bevölkerung leider oft trotzdem nicht verzichten kann. Dazu verursacht die dortige Produktion nicht nur lebensgefährdende Arbeitsplätze in maroden Fabrikgebäuden, die kurz vor dem Zusammenbruch stehen, sondern vergiftet die Umwelt vor Ort auf massivste Art und Weise.

Diese Argumentation mit den Jobs in der dritten Welt stellt sich auf den zweiten Blick als billige Ausrede für westliche Kapitalisten heraus, bei der man Ausbeutung noch als Wohltätigkeit hinstellen möchte. Diese Produktionskette gehört durchbrochen, denn es kann nicht sein, dass Familien in Dritte-Welt-Ländern nur überleben können, indem ihre Frauen und Kinder ihre Gesundheit aufs Spiel setzen damit der reiche Westen Kleider in beschissener Qualität geliefert bekommt, damit sich auch hier die Ärmsten unter uns für Instagram mehr oder weniger tauglich präsentieren können. Das Lieferkettengesetz könnte solche Zustände womöglich verbessern.

Stefan: Es wirkt manchmal so als wäre das Grüne Ticket ein Franchise. Also eine Möglichkeit sich ein reines Umweltgewissen zu kaufen. Menschen ändern nicht ihr Konsumverhalten, sondern konsumieren einfach alles in Bio. Ist das jetzt besser?

Sabine: Nein. „Grüne“ Produkte zu kaufen ist erst mal ein guter Anfang und eine Voraussetzung für eine nachhaltige Produktion. Parallel dazu müssen sich aber auch die Rahmenbedingungen für die Produktherstellung ändern. Produkte sollten langlebig sein, um den Energie- und Rohstoffverbrauch zu reduzieren. Gelingen wird das allerdings nicht in einem wirtschaftlichen System, das auf endloses Wachstum, ergo ständigen Konsum, ausgerichtet ist. Hier könnten Konzepte wie die Gemeinwohlökonomie die Rahmenbedingungen verbessern.

Stefan: Die Grünen in Österreich sind ja sehr stark durch die Auseinandersetzung mit der Atomindustrie geprägt. Der Wiener Philosoph Günther Anders verwendet bereits in den 1960er Jahren den Begriff der Apokalypseblindheit und spricht von der Zerstörung der Zukunft durch die Atomenergie.

Sabine: Die Atomenergie und hier vor allem die ungelöste Frage des Atommülls, den sie hervorbringt, sind tatsächlich eine Gefahr, die man niemals kleinreden darf. Allerdings wird der Ruf danach wieder laut, weil durch die zunehmende Digitalisierung unser Stromverbrauch explodiert.

Es ist sehr fraglich, ob wir diesen Verbrauch jemals mit Strom aus erneuerbaren Quellen decken können werden. Besonders die Digitalisierung des Geldes, also Kryptowährungen, benötigen riesige Mengen an Strom, wie nun auch Elon Musk alle Welt wissen ließ. Die Digitalisierung verschärft also nicht nur die soziale Frage, da durch sie viele Jobs verlorengehen, sondern stellt uns auch bei der Energiegewinnung vor entscheidende Fragen.

Auch vor der Tatsache immer stärker werdender Wetterextreme gilt die Atomkraft als Gefahr. Man denke an den Tornado vom Juni 2021, durch den sogar ein Block des AKW Temelin abgedreht werden musste. Nicht auszudenken was passieren könnte, wenn sich die Verantwortlichen zu spät für eine Notabschaltung entscheiden würden, weil man auf die Energie des AKW aus wirtschaftlichen Gründen angewiesen ist.

Stefan: Atomenergie ist sehr effizient und solange kein Unglück passiert auch theoretisch sauberer als viele andere Formen Energie zu gewinnen. Aber dennoch hat sie etwas sehr Bedrohliches an sich. Günther Anders sagt, die Gefahr des atomaren Fallout wird unterschätzt, weil sie universal ist und ohne Kontrast, also trotz allgemeiner Präsenz unsichtbar bleibt. Weil Sie zu groß ist, überschreitet ihre Wirkung die Vorstellungskraft, gibt uns ein Gefühl der Ohnmacht und wird daher von uns als Angelegenheit anderer Instanzen wahrgenommen.

Wir schützen uns davor ständig unter der Angst davor zu leiden, indem wir so tun, als würde uns diese Gefahr nichts angehen. Zusätzlich wird sie von Zuständigen oft aktiv verbal bagatellisiert. Wenn man sich den Umgang japanischer Verantwortlicher mit Fukushima ansieht, trifft das ja auch zu. Wir sind blind gegenüber den Gefahren, die wir selbst erzeugen, weil wir uns nicht vorstellen können, dass uns eines Tages einfach die Luft ausgeht.

Sabine: Zur Frage von Macht und Ohnmacht sage ich nur: Zwentendorf! Hier hat sich die Bevölkerung nicht mit Ohnmacht abfertigen lassen und sich gegen ein Atomkraftwerk gewehrt. Genau deswegen sind Info-Kampagnen dazu so wichtig, weil dann ein Bewusstsein in der Bevölkerung darüber entstehen kann.

So unsichtbar die Gefahr einer Atomkatastrophe ist, so real wirkt sie sich aber auch auf unser Leben aus, wie COVID-19. Wenn wir unsere Eltern fragen, wie sie die ersten Jahre nach Tschernobyl erlebt haben, zeigt sich ein sehr eindeutiges Bild. Verbote in der Wiese zu spielen, Milch zu trinken oder Schwammerl zu suchen werden sehr häufig genannt. Es wundert mich allerdings sehr, dass diese jungen Erfahrungen nicht mehr Beachtung im allgemeinen Diskurs erhalten. Stellen wir uns das mal bei einem Unglück in Temelin vor.

Stefan: Ich durfte eine Weile nicht in der Sandkiste spielen damals. Und es gab ein Kinderbuch in dem das thematisiert wurde. Vor allem der atomar verseuchte Regen wurde dort als Gefahr dargestellt. Saurer Regen war damals auch ein Thema in Bezug auf das Waldsterben. Das hat mir Angst gemacht. Aber es hat unseren Alltag nicht grundsätzlich verändert und obwohl unter dem stählernen Sarg in Tschernobyl ja immer noch eine große Gefahr lauert geht das Leben halt weiter. Österreich ist übrigens umgeben von Kernkraftwerken von teilweise ziemlich alter Bauart. Mochovce, Bohunice, Krsko, Dukovany, Temelin, Isar, Grundremmingen, Mühleberg. Gleichzeitig gab es seit 1957 „nur“ acht große Unfälle in verschiedenen Kraftwerken auf der ganzen Welt. Das klingt aufs Ganze bezogen nach einer relativ geringen Risiko-Quote.

Sabine: Ich habe in den letzten Jahren gelesen, dass Sicherheitsprüfungen in einem deutschen AKW nicht ordentlich durchgeführt wurden. Man wiegt sich hier in einem falschen Sicherheitsgefühl. Und vor allem unterschätzt man die Schäden, falls es doch zu so einem Unglück kommt. Ein Sperrgebiet mit einem Radius von ca. 30 km rund um Tschernobyl ist bis heute eine unbewohnbare Zone. Stellen wir uns das doch einmal vor was wäre, wenn das 40 km entfernte AKW Dukovany in Tschechien einen Unfall hätte. Wien mit seinen knapp 2 Millionen Bewohnern wäre betroffen. Was glauben die Leute, wie sie dann leben werden?

Stefan: Das klingt nach einer Dystopie. Vielleicht sind wir ja doch auch mental so sehr Teil der Natur, dass wir uns eine menschengemachte Katastrophe mit so furchtbaren Auswirkungen gar nicht vorstellen können. Die Schweizer haben gerade zwei Umweltschutzinitiativen mit 61% Mehrheit abgelehnt. Bauern sollten Subventionen gestrichen werden, wenn sie künstlich hergestellte Mittel zur Bekämpfung von Schädlingen einsetzen und synthetischen Pestizide sollten ganz verboten und die Schweiz zu 100 Prozent zu einem Bio-Produzenten gemacht werden.

Warum verträgt sich die industrielle Landwirtschaft eigentlich so schlecht mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit? Elisabeth Köstinger, die zuständige Bundesministerin für Landwirtschaft, ist ja in Personalunion auch Tourismusministerin. Dem Tourismus könnte Nachhaltigkeit auch nicht schaden. Was haben die Regionen, in denen Massentourismus stattfindet, eigentlich vom Tourismus als Schaffer von billigen Arbeitsplätzen, von denen niemand so richtig leben kann (will)?

Sabine: Die konservative Bauernlobby in der Schweiz dürfte noch besser als in Österreich funktionieren…

Die industrielle Landwirtschaft ist auf Ertragsmaximierung ausgelegt, um dadurch auch den Gewinn zu maximieren. Die Auswirkungen auf die Umwelt, also das Sterben von Insekten oder Singvögeln, den Wasserverbrauch, die Minderung der Bodenqualität, etc. nimmt man in diesem Denken einfach in Kauf. Zum Glück gibt es vermehrt ein Umdenken bei den Bauern; ich hoffe sie können zeigen, dass man vom industriellen Weg wegkommen und trotzdem Gewinne erzielen kann. Hierfür müssen sie allerdings fair vom Handel entlohnt werden und dies wir auch nur mit der Rückendeckung der Konsumenten funktionieren.

Die Regionen des Massentourismus bringen wenige, aber dafür erfolgreiche, Profiteure hervor. Das Argument der Arbeitsplätze ist doch ein scheinheiliges, denn nicht umsonst wurden Köche und sonstige Gastroberufe 2021 auf die Liste der Mangelberufe gesetzt, obwohl so viele von ihnen derzeit arbeitslos gemeldet sind. Man möchte hier doch nur günstigere Arbeitskräfte aus dem Ausland importieren! Dafür bauen wir dann neue Skilifte, luxuriöse Chalets oder denken laut über Gletschersprengungen nach. Alles Maßnahmen, welche den Boden versiegeln, die natürliche landschaftliche Vielfalt zerstören und Tieren noch weitere Lebensräume rauben.

Stefan: Beim Thema der Klimagerechtigkeit schwingt immer ein gewisser Elitismus mit. Gerade erst hat Ministerin Köstinger gemeint, wir würden auf unseren 800 Euro Grills Fleisch für 80 Cent grillen und das wäre pervers. Ich als Normalsterblicher finde pervers, dass sie davon ausgeht, dass ich einen 800 Euro Grill haben könnte.

Sabine: Den 800 Euro Grill haben wohl sehr viele Österreicher bei sich zu Hause gesucht. Auch ich habe keinen gefunden. Man muss dazu auch sagen, dass knapp 1,5 Millionen Menschen in Ö von Armut gefährdet oder direkt betroffen sind. Diese Zahl stammt allerdings aus 2019, durch die Pandemie sind es sicher noch mehr geworden. Da stellen sich einige Fragen: Wieviel Geld haben diese Menschen für Grillfleisch zur Verfügung? Wollen wir, dass diese Menschen auf dieses Essensvergnügen verzichten sollen? Und vor allem: Profitieren der Handel oder die Bauern von höheren Preisen?

Der Diskurs übers Klima wird in jedem Bereich von elitären Schichten bestimmt. Schon alleine, weil sie sich die Muße leisten können über ihrem Bio-Steak über Veränderungen zu philosophieren. Wer den ganzen Tag anstrengende Arbeit leistet und trotzdem noch jeden Euro umdrehen muss, wird ganz andere Sorgen haben. Somit wird die Gesellschaft aber niemals gemeinsam an einem Strang ziehen können.

Stefan: Wie können einzelne Menschen im Alltag nachhaltig leben?

Sabine: Das ist für eine Einzelperson mit geringem Einkommen sehr schwierig und vor allem sehr individuell zu entscheiden. Daher möchte ich hier einfach 3 Beispiele anführen, die leicht umzusetzen sind, wobei sie alle voraussetzen, dass man sich bewusst für ein Umdenken entscheiden muss:

I) Es gibt bereits Apps wie togoodtogo, wo man als Konsument erfährt, wo gerade Restaurants oder Händler Lebensmittel kurz vor Ladenschluss noch zu günstigeren Preisen verkaufen möchten, um diese nicht in den Müll schmeißen zu müssen.

II) Man kann bei Geburtstags-, Weihnachts- oder sonstigen Geschenken, bei denen man ohnehin mehr Geld investieren würde, gezielt auf regional und fair hergestellte Schmankerl, Dekoartikel aus Recycling oder fair produzierte Mode sowie Kinderspielzeug setzen.

Ganz nach dem Motto: Qualität vor Quantität.

Der Hintergrund: Auch wenn man es sich nicht traut für sich selbst, sich z. B. den in Österreich hergestellten Bio-Honig zu leisten, so stellt er dann für Freunde ein wertschätzendes Geschenk dar.

Stefan: Diese spezifischen Feiertagsgeschenke sind mir meistens suspekt. Halloweenzeugs kann auch Spaß machen, vor allem wenn man Kinder hat. Wir haben Plastiktotenköpfe mit denen kann man nicht nur dekorieren. Aber vieles ist wirklich einfach nur Ramsch mit einem Feiertags-Logo darauf. Die Steigerungsform ist dann, wenn es deklarierte „Geschenkartikel“ gibt. Also Dinge, die man niemals schenken würde, außer, wenn man gerade ein „Geschenk“ sucht und nicht weiß, was man schenken soll. Dann wechseln Dinge die Besitzer, die gefühlsmäßig eh einfach nur weitergeschenkt werden.

Jedenfalls produzieren solche Feiertagsgeschenke einen Haufen Abfall, den man sich eventuell sparen könnte.

Sabine: Genau das meine ich eben mit meinem zweiten Punkt: Nicht einfach Ramsch schenken. Gerade zu Halloween kann es doch ein Körbchen mit Bio-Kürbissen sein, die der Beschenkte zu guten Speisen verarbeiten kann.

III) Der Natur etwas zurückgeben und wenn es nur ein Tag im Jahr ist. Das kann ein Tag sein, an dem man Müll einsammelt an öffentlichen Plätzen (hier gibt es Angebote der MA48); indem man im Winter Vogelfutter anbietet (Bitte kein Brot!); oder auf ein kleines Fleckchen im Garten Wiesenblumen anbaut, die eine Nahrungsquelle für Bienen und Schmetterlinge bieten.

Ich selbst habe vor Kurzem zwei Veränderungen in meinem Alltag eingebracht: Für das Wuzzeln meiner Zigaretten (das Rauchen ist immer noch meine Nemesis) verwende ich jetzt Papierfilter und ich kaufe vermehrt die Eier von Zurück zum Ursprung „Hahn im Glück“, da werden keine Brüderküken mehr getötet, sondern aufgezogen und erst als Erwachsene für Fleischprodukte geschlachtet. Das sind Beiträge zur Gesamtsituation, die sehr individuell gestaltet sind und auf einer Makroebene als Nichtigkeit betrachtet werden können, aber ich bin überzeugt, dass eine Vielzahl solcher kleiner Alltagsentscheidungen auf der Mikroebene das große Ganze bedeutend lenken können. Der Anbau einer einzelnen Blume kann einen Schmetterling herbeilocken und der Flügelschlag eines einzigen Schmetterlings soll ja bekanntlich die ganze Welt verändern können.

Stefan: Der Schmetterlingseffekt geht davon aus, dass auch die kleinsten Änderungen in der Formation eines Systems sich langfristig auf die Entwicklung des Systems auswirken können. In Wien kann man sagen, dass die frühe Sozialdemokratie mit der Errichtung von Gemeindebauten und der Durchmischung verschiedener Bevölkerungs- und Einkommensgruppen so einen Flügelschlag zur positiven Entwicklung des Systems Wien geleistet haben. Auch die ganzen Wiener Grünflächen und Parks sind wirksame Einsprüche gegen das Einerlei der normalen Städte. Beim Schrebergarten ist das wieder anders.

Dem wilden natürlichen Garten stehen im städtischen Bereich meist nur die Regeln der Schrebergartenvereine im Weg. Obwohl sie sich beinahe alle am naturnahen Gärtnern orientieren (Gießen mit Regenwasser usw.), sehen die Gärten oft sehr geordnet und homogen aus. 1903 wurde der „Erste Österreichische Naturheilverein“ gegründet. 1904 entstand die erste Schrebergartenkolonie im Süden von Purkersdorf. Sie wollten ein erschwingliches Naherholungserlebnis für Arbeiter. Sie sollten dort eine Gartenhütte haben und ihre Freizeit in der Natur verbringen können. Mittlerweile stehen auf den kleinen Parzellen oft mehrstöckige Einfamilienhäuser. Eine Verbürgerlichung des ursprünglichen Gedankens.

Sabine: Das ist doch typisch. Überall, wo eine Idylle geschaffen wird, die dem Zeitgeist entspricht, verdrängen die Bürgerlichen die Arbeiter. Die Preise schießen dann in die Höhe und der Ursprungsgedanke bleibt auf der Strecke.

Stefan: Du sprichst da das Phänomen der Gentrifizierung an. Henri Lefèbvre hat in den 1970er Jahren darüber nachgedacht, dass nach der Agrarrevolution die „Revolution der Städte“ noch ausstehen würde. Die Agrarrevolution hat im 18. Jahrhundert stattgefunden und dazu geführt, dass sich die Produktivität der europäischen Landwirtschaften durch Düngung und Züchtung drastisch erhöht hat. Lefèbvre plädiert für einen „Urbanismus“ der die Stadt als Kampffeld für die Interessen der Zukunft wahrnimmt. Nicht im Sinne der Produktivitätssteigerung, sondern der politischen Gestaltung. Der Stadt Wien wurde gerade in einem Zeitungsartikel bescheinigt zu wenig mutig an die Neugestaltung der Stadt heranzugehen. Autofahrerlobbys laufen gegen jegliche Veränderung Sturm. Werden wir die kommenden Hitzesommer in den Städten überstehen, wenn wir nicht radikal umdenken und eine Revolution der Städte einleiten?

Sabine: Wien will gerne mutig sein mit ihren Vorhaben den Autoverkehr zugunsten der Umwelt zu reduzieren und denkt über Fahrverbote in der Innenstadt nach, baut die U5 und will Radwege ausbauen. Ein extrem wichtiger Punkt wird dabei aber immer vergessen: Der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel in den Industrievierteln wie es sie im 22. oder 23. Bezirk, also in den Außenbezirken gibt. Durch das schlechte Angebot sind viele Arbeiter und Angestellte auf den PKW angewiesen, vor allem, wenn sie bei den angebotenen Anbindungen noch etwas von ihrer Freizeit haben wollen. Eine U-Bahn, welche die Außenbezirke miteinander verbindet, wäre bestimmt sinnvoller als eine U5.

Viel wichtiger wäre es allerdings Neubauten innerhalb der Stadt klimaneutral zu gestalten. Jüngste Betonschandflecken stellen der Hauptbahnhof, der Erste Campus, der neue Reumannplatz und vor allem die Station Altes Landgut am Verteilerkreis dar. Reden von Stadtplanungsräten über coole Streets und wasserverschwendende Sprühnebel, die in die Richtung der Straßen gerichtet sind, mögen vielleicht weniger nachdenkliche Wähler anlocken, aber definitiv nichts gegen die Hitzewellen in der Stadt unternehmen. Mehr Mut zu realen Aktionen und ein Verzicht auf heiße Luft aus Politikermäulern wären ein Anfang bei unserer weiten Reise hin zur CO2-Neutralität.

Stefan: Für das bürgerliche Selbstverständnis war zumindest die Goethesche Italienreise als Bildungsurlaub mehrere hundert Jahre lang Pflichtprogramm. Allerdings hatte Goethe auch Zeit sich nachhaltige Eindrücke anzueignen. Seine Reise hat fast 2 Jahre gedauert. Was darf/muss Fleisch kosten? Dürfen alle mit dem Flugzeug verreisen? Ist Reisen ein Privileg eventuell sogar eine Errungenschaft?

Sabine: Grundsätzlich ist meine Einstellung, dass der Konsum gewisser angesehener Produkte und Dienstleistungen nicht zum elitären Privileg erhoben werden darf, denn dann wird es ein stetiges Streben nach diesen prestigeträchtigen Statusgütern geben so wie es im 20. Jh. (und auch davor) passiert ist, was den Klimawandel ja erst befeuert hat. Da würde sich bloß die Geschichte wiederholen, was auch die Kontraproduktivität einer CO2-Steuer unterstreicht.

Ein Beispiel hierfür ist der laufend steigende Fleischkonsum in den Schwellenländern China und Indien. Dort gilt Fleisch als Prestigelebensmittel und wird genutzt, um den Status einer neu aufsteigenden Mittelschicht zu zeigen. Für diese Märkte wird also enorm viel Fleisch und dadurch CO2 erzeugt.

Auch beim Thema Reisen bin ich davon überzeugt, dass dies Menschen aller Vermögensschichten zustehen sollte. Vor allem, weil das Reisen die Persönlichkeitsbildung fördert, der Weiterbildung im Allgemeinen guttut und auch, weil es dazu beiträgt, dass künstlich gezogene Grenzen der Staaten geistig überwunden werden können. Das Reisen hilft den Menschen die Gesamtheit unserer Erde, die Gleichheit der Menschen und das grenzübergreifende Wirken der Natur zu begreifen.

Stefan: Der Wohlstand führt zu verändertem Konsumverhalten. Also einerseits gibt es Grund zur Freude, weil Menschen durch diese Globalisierungseffekte in die Lage versetzt werden sich aus der Armut zu befreien, andererseits entstehen dadurch ökologische Probleme. Ich stelle mir vor, wie die CO2-Bilanzen sich verändern werden, wenn die Menschen in Indien und China ebenso durchmotorisiert sind wie unsere hiesigen Automobilfetischisten. Die Geschichte von den Stadtbewohnern, die zur Trafik an der Ecke mit dem Auto fahren, ist im Kern ja wirklich wahr.

Sabine: Nun, hier muss man immer zwischen Wohlstand und unnötiger Verschwendung unterscheiden. Ein Auto zu besitzen, um damit den Arbeitsplatz oder ein Ausflugsziel im Grünen zu erreichen ist Wohlstand. Jeden 10 Minuten Fußweg mit dem Auto zu fahren ist verschwenderisch und dekadent. Aber es ist wahr, dass diese Dekadenz in der ersten Welt, vornehmlich den USA, geboren wurde. Gerade dort wird diese Lebensweise stolz aufrechterhalten, wohl auch, weil ihnen durch geographische Gegebenheiten eine Zersiedelung möglich ist, während man in Europa immer mehr auf den Ausbau der Bahnnetze setzt. Es bleibt fraglich auf welchen Star sich die chinesische und indische Bevölkerung als Vorbild einigen können werden: Auf den first-world-star westlich oder östlich des atlantischen Ozeans?

Stefan: Menschen gehören zur Natur. Zimmerpflanzen und Schoßhunde aber auch. Was ist eigentlich Natur? Oder was ist das, was wir daran schützen sollten?

Sabine: Das sind Fragen, die wir gesellschaftlich mehr zur Diskussion stellen müssen. Zimmerpflanzen können unser Wohlbefinden fördern (sofern wir nicht vergessen sie zu gießen) und Schoßhunde tun das auch, aber ihre fleischhaltige Ernährung ist wiederum negativ für die CO2-Bilanz. Hauskatzen sind als natürliche Jäger sogar für den bedrohten Status einiger Vögel verantwortlich. Wer solche Themen anspricht, macht sich leider sofort unbeliebt. Haustierbesitzer können sich sehr schnell angegriffen fühlen, denn Haustiere sind auch immer geliebte Familienmitglieder. Besser als die Natur in unsere unnatürlichen Lebensräume zu holen wäre es allerdings die Natur, die uns umgibt, so gut wie möglich zu schützen. Dieser Ansatz sollte Vorrang haben.

Stefan: Sind Hunde gute Haustiere für die Stadt?

Sabine: Da will ich mich jetzt nicht unbeliebt machen. Diese Frage sollte ein Stadthund beantworten.

Stefan: Menschen sind auch Teil von Staaten. Organisationen, die sich für die Umwelt engagieren geraten oft in Konflikt mit dem Staat. Wieso sind die Interessen der Allgemeinheit im Fall des Umweltschutzes so schwer mit den allgemeinen Interessen des Staates zu vereinbaren? Im Wiener Neustädter Tierschützer Prozess wurden aktionistische Tierschützer als kriminelle Vereinigung angeklagt, weil sie für über 200 Straftaten verantwortlich gemacht wurden.

Sabine: Es kann daran liegen, dass Umweltschützer ja doch Grenzen übertreten. Die Videos aus Tierfabriken sind manchmal so schockierend, dass die Menschen ihren Anblick nicht ertragen und sofort abschalten. Wenn es dann noch provokante Aktionen, Gesetzesübertretungen und schlechte Propaganda über sie gibt, wie dass sie dem Österreicher sein Schnitzel wegnehmen wollen, dann sinkt auch das öffentliche Verständnis für sie. Ich glaube aber genau dieses öffentliche Interesse würde es brauchen, damit auch die Politik ihren Umgang mit ihnen und den Themen, die sie an die Oberfläche tragen, verändert.

Stefan: In Rom erwarten sie gerade einen Müllsommer. Rom hat drei Millionen Einwohner und keine eigene Müllverbrennungsanlage. Das Amt, dass den Müllberg organisiert ist auch für die Friedhöfe zuständig. Während der Pandemie haben sich dort sprichwörtlich die Leichen gestapelt. Diesen Sommer werden es wohl die Müllsäcke sein. Manchmal scheitert es also auch an der Fähigkeit der Menschen sich rational zu organisieren.

Sabine: Wenn Produkte immer kurzlebiger gestaltet werden, sind wir zum stetigen Neukauf gezwungen. Das wirkt sich besonders bei Elektrogeräten und Kleidung im Alltag aus. Das ist gewollt, weil Unternehmen durch günstige Produkte Kunden anwerben wollen und sie gleichzeitig durch den schnellen Verschleiß der Produkte die Kunden zum raschen Neukauf zwingen wollen. Das fördert den Verbrauch von Rohstoffen und schafft Müllberge, die dann die Umwelt belasten. Nur langlebige Produkte und Mehrwegverpackungen können diese Müllansammlungen so klein wie möglich halten.

Stefan: Günther Anders hat das einmal so schön formuliert, dass die Mode der Trick der Industrie ist, die Nachfrage aufrecht zu erhalten.

Sabine: Ich glaube, mit diesem Gedanken hat er eine der umweltschädlichsten Manipulationen unserer Gesellschaft entlarvt.

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