Niklas Luhmann ermöglicht Nichtpolitik zur Unzeit

Die Luhmann Homestory zeigt einige Aufnahmen mit ungewöhnlichem Inhalt. Man sieht Niklas Luhmann seinen Zettelkasten streicheln und mit ihm flüsternd konversieren. Man sieht ihn über den Gang trotten und mit einer Kollegin interagieren: „Die autopoietische Struktur deines Fingernägelwachstums fasziniert mich, Sieglinde.

Man kann ihn dabei beobachten, wie er in der Institutsbibliothek Titel von den Buchrücken abliest und jedem der Titel den Zusatz „der Gesellschaft“ hinzufügt. Dabei entstehen Klassiker mit einem Hauch von Understatement: Die feinen Unterschiede der Gesellschaft. Verfall und Ende des öffentlichen Lebens der Gesellschaft. Risikogesellschaft der Gesellschaft. Die moderne Industriegesellschaft der Gesellschaft. Wirtschaft und Gesellschaft der Gesellschaft. Aber auch neue Soziologische Meisterwerke wie diese: Aphorismen zur Lebensweisheit der Gesellschaft. Vom Ewigen im Menschen der Gesellschaft. Oder: Philosophie des Abendlandes der Gesellschaft.

Wer das zwänglerisch findet, hat keinen Humor und von Soziologie sowieso keine Ahnung. Die Luhmann-Originale machen es vor. Da gibt es etwa „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ ein Buch in dem sinnfällige Sätze stehen, wie: „Der Anschluß von Kommunikation an Kommunikation [kann] nicht willkürlich, nicht zufällig geschehen, denn sonst wäre Kommunikation für Kommunikation nicht als Kommunikation erkennbar.“ Und auch wenn dieser Satz doch bei weitem mehr Sinn ergibt, als Martin Heideggers berühmteste Posse über die Sprache: „Die Sprache ist: Sprache.“ (Martin Heidegger: Die Sprache), so erinnert er doch an die magische Anrufung eines Begriffs zu dem einem ansonsten nicht allzuviel eingefallen ist. Oder sollte die Häufung des Wortes Kommunikation der Tatsache geschuldet sein, dass „Die Sprache spricht.“, wie Heidegger vermutet?

Der kleine Niklas war bereits 1943 Luftwaffenhelfer bei der Wehrmacht obwohl er erst 1944 eingezogen worden ist. Dafür trat er dann auch gleich der NSDAP bei. Dass er dann als Konsequenz einige Zeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft verbringen musste hat er den Amerikanern wohl nie verziehen. Vor allem weil deren Behandlung der Gefangenen, wie er noch in den 1990ern verlautbarte „gelinde gesagt nicht nach den Regeln der internationalen Konventionen“ gewesen ist.

Wie dem auch sei. Die Systemtheorie, laut Luhmanns Selbstbeschreibung „eine besonders eindrucksvolle Supertheorie“ (Soziale Systeme, ab hier SS) kennzeichnet sich durch das Ressentiment ihres Autors „gegenüber Systemkritikern“ wie Bernd Ternes schreibt. Es handelt sich also um eine Theorie des Systems, die das System richtig geil findet, oder jedenfalls nicht kritikwürdig.

Die Systemtheorie ist das akademische Eingeständnis, dass die Politik jeden Gestaltungswillen aufgegeben hat. Zugunsten einer Verwaltung der Misstände, einer Lobbyarbeit für wenige Privilegierte und einer Vertretung persönlicher Interessen.

Niklas Luhmann ist Michel Foucaults deutsches Äquivalent, ein Meister der humanistischen Unverbindlichkeit und der menschlichen Abgründe, der sein Denken in einen Zettelkasten ausgelagert hat. (Um den seine Kinder übrigens jahrelang vor Gericht gestritten haben.) Gemeinsam mit Foucault ist er Repräsentant einer Theorie, die Nichtpolitik zur Unzeit betreibt. Einer Theorie, die lieber fröhlich und provokant ist als kritisch oder lösungsorientiert.

Zwei Herren namens Narr und Runze kritisieren die Systemtheologie bereits 1974, als Luhmann noch nicht durch die neoliberale Totalunterwerfung aller akademischen Bereiche in seiner zynischen Theorie vollkommen belegt und damit sakrosankt war.

Bei der Systemtheorie handle es sich laut Narr und Runze um ein begrifflich-begriffloses Strudeln, eine Auseinandersetzung mit ihr droht daher stets im positiven oder negativen Faszinosum unterzugehen. Luhmann verwende scheinbar szientifische Termini zur Feier eines ekstatischen Commonsense gegenwärtiger „überkomplexer“ Gesellschaft.

Soweit ich verstanden habe, bedeutet das folgendes:

Der Hausverstand wird systemtheoretisch angereichert und in die deutsche Küche geschickt, um die leere Schüssel begrifflich fertig zu backen. Auf geistige Nahrungsmittel, den Inhalt der Schüssel, ein Rezept, oder gar die Kritik eines misslungenen Rezepts wird großzügig verzichtet. Selbst die Systemanalyse wird, nachdem die Theorieluft ausreichend erhitzt wurde, sofort mit Sagrotan abgewaschen und hinterlässt deshalb bei Fertigstellung nicht einmal im bakteriellen Bereich kritische Spuren.

Aber nicht nur so genannte Linke finden Luhmann peinlich. Auch Klaus von Beyme nennt ihn sehr treffend einen wohlgemuten Nihilisten. Nicht, oder gerade doch, zu verwechseln mit dem fröhlichen Positivisten Foucault. Die bloße relativ unreflektierte Übernahme von Worthülsen aus den Naturwissenschaften in die Sozialwissenschaften führt dazu, so von Beyme, dass Individuen nur mehr als Teile von Systemen, oder besser noch, deren Anhängsel, erscheinen. In seinem Werk wird dementsprechend eine immer stärkere Entfernung von konkreten Analysen sichtbar. Wer vom Menschen absieht, braucht auch das System nur mehr ungefähr zu beschreiben. Das Begriffssystem der Systemtheorie wird parallel dazu auf Selbstgenügsamkeit programmiert. Empirisch erfassbares wird zusehends weggeschoben. Handlungsorientierung ist in der späten Systemtheorie ohnehin nicht mehr angedacht.

Die vollständige Umstellung von Subjekt auf System tut der Kritik des Systems jedenfalls nicht gut. Denn auch wenn man nicht genau sagen kann was gesellschaftlich vernünftig wäre, könnte man doch im Hinblick auf Individuen und deren Leiden zumindest noch sagen, was unvernünftig ist. Wenn es Individuen im System noch gäbe. Aber der Mensch gehört laut Luhmann zur Umwelt des Systems. (Die Gesellschaft der Gesellschaft, ab hier DGdG) Die eindrucksvolle Supertheorie ersetzt Individuen und deren Leiden durch den Begriff der Komplexität („Gegen Komplexität kann man nicht Protestieren.“ (DGdG)), der funktionalen Differenzierung und der Kontingenz. Eine Kritik an schlechten Verhältnissen ist an diesem Punkt nicht mehr notwendig. Auch Zwangskollektive sind nur Systeme neben anderen und religiöse Zwangskollektive können gleichberechtigt neben dem Bildungssystem zum Stehen kommen, wenn die Evolution das so will. Denn Gesellschaft ist das Resultat von Evolution (DGdG) und nicht, wie naive Philosophen bisher angenommen haben, ein Ergebnis politischer Kämpfe oder historischer Entwicklungen. System neben System, feinsäuberlich wie im Zettelkasten, der für Luhmann das Denken übernommen hat. Die Evolutionstheorie der Gesellschaft nimmt „Emergenz und Destruktion von Systemen mit Gleichmut hin“ (DGdG). Sie ist also in Bezug auf gesellschaftliche (Selbst-)Zerstörungsprozesse voll Zen.

In dem Zusammenhang verblüfft der Status menschlicher Existenz innerhalb der Systemtheorie nicht mehr allzu sehr. Denn es geht nicht darum menschliches Individuum (mit allen möglichen Freiheiten) in einer Gesellschaft (mit allen notwendigen Restriktionen) zu sein, sondern vielmehr ums „Personsein“ (SS) an sich. Person ist im Zettelkastensprech eine Personalausweis-Persönlichkeit. Sie generiert ihre Komplexität, das was die Romantiker hintersinnig „Tiefe“ genannt haben, aus Eigen- und Fremderwartungen. Erwartungen zu entsprechen, ist also ihre vorzüglichste Übung und komplex zu sein bedeutet in diesem Fall Erwartungen zu haben oder zu erfüllen. Dementsprechend ist auch nicht das Individuum und seine Fähigkeit selbständig urteilen zu können Grundlage einer funktionierenden Zivilgesellschaft, sondern das Rechtssystem, das deshalb „Immunsystem“ (SS) des Gesellschaftssystems sein kann, weil es den Umgang mit Erwartungen regelt. Als habe es den Verfall rechtlicher Mindeststandards und die Aushebelung des Rechtsstaats nie gegeben. Das historische Faktum der möglichen Immunschwäche wird, gelinde gesagt, auf die leichte Schulter genommen. Die historisch mögliche Trennung von Normen- und Maßnahmenstaat, die Selbstausschaltung des Rechtsstaats durch Verordnungen und Antizipation des Führerwillens sollte aber die Frage dringend machen: Wo bleibt denn das Immunsystem, wenn die Menschen die es anwenden sollen kein Rückgrat haben?

Rückgrat brauchen die Menschen als Beiwohner des Systems nämlich nicht. Sie erscheinen bei Luhmann ohnehin nur unter dem systemischen Urteil ihrer „sozialen Justierung“ (SS). Gefühle werden demgemäß in einer Sprache beschrieben, die auf eine völlige Abwesenheit derselben schließen lässt: „zwischenmenschliche Interpenetration“ schreibt Luhmann über die Begegnung von zwei Menschen, die sich zu schätzen lernen. Gefühle sind nichts anderes als wiederum „Immunsysteme“ (SS) die der Aufrechterhaltung des Bewusstseinssystems dienen, also psychischer Stabilität.

Diese Stabilität ist wichtig, denn Abweichungen mag sich das System nicht leisten. Wo bei Foucault der Gegensatz von normal/annormal, gesund/ungesund aus der Warte der Anormalen problematisiert wird, findet bei Luhmann eine Kranzlegung für den (psychisch) gesunden, funktionstüchtigen und sozial justierbaren Menschen statt. Wie gut das zusammengeht mit den neuen Diskursen von höchster Flexibilität und (Orts-)Ungebundenheit, bei gleichzeitiger ständiger Abruf- und Einsatzbereitschaft für den Markt, den Staat und die Pandemiegesetzgebung! Aufrechterhaltung, Bestandswahrung, Weiterwursteln. Alles Begriffe die wir aus den aktuellen Zeitungsschlagzeilen zur Genüge kennen. Das entspricht der Verwaltung der völligen Verausgabung der individuellen Ressourcen zum Wohle der kollektiven Interessen und zum Reichtum derjenigen die es sich leisten können. Das System hat eine diabolische Funktion: Die Aufrechterhaltung aller Verhältnisse und damit auch der Ausbeutungs-, Missbrauchs- und Gewaltverhältnisse. Das Gewaltmonopol und die Corona-Maßnahmen haben natürlich eine Schutzfunktion, ein friedensschaffende und eine Pandemie-brechende Wirkung. Aber sie hebeln die Ignoranz der politischen Kaste, die ökonomischen Ungleichheiten und die strukturellen Ungerechtigkeiten nicht aus. Sie schaffen Ruhe und störungsfreien Betrieb, ohne Leiden zu lindern. Der Kapitalismus wird momentan auf Arbeit und Einsamkeit reduziert. Das Ausharren im System ist demnach eine Kampagne zur langsamen Zerstörung der individuellen Resistenzkräfte in einem Zermürbungskrieg, der die Lücken für jeglichen Eskapismus langsam versiegelt. Die Systemtheorie spielt dabei die Rolle eines akademisierten Nebelwerfers dieser Haupt- und Staatsaktion der Kritikzensur durch Fantasieblockade.

Luhmanns Hauptbotschaft ist ja, um noch einmal Klaus von Beyme zu zitieren: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.“ Das ist, auf Deutschland bezogen, Luhmannpolitik in Reinkultur. Also auch diesbezüglich war er ein Prophet. Und Angela Merkel ist die aktuelle spirituelle Anführerin (im Sinn einer Charaktermaske) dieser Nichtpolitik.

Die Bürger sollen ihre spärliche Freizeit zugunsten der Volksgesundheit aufgeben, damit das Geschäft weiterlaufen kann. Denn Tote zählen nicht, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen in Kauf genommen werden müssen. Also volle U-Bahnen, Großraumbüros, Fertigungshallen und Schilifte und die damit verbundenen Toten sind der Preis, den man halt zahlen muss für die Fortsetzung der wirtschaftlichen Ausbeutung weiter Teile der Bevölkerung. Aber Museen, Gastgärten, Mittelalterfeste oder Schulsport im Freien sind verboten. Das Risiko sich bei einem Vergnügen zu infizieren ist gegen das Risiko sich bei seiner Pflicht zu infizieren als unstatthaft festgelegt worden. Sich ruhig verhalten, ruhig bleiben, nicht in die Öffentlichkeit, außer zur Arbeit. Alles muss weiterlaufen, aber ruhig, unaufgeregt. Egal wie schlecht die Verwaltung des ganzen läuft. Egal wie sehr die Ungerechtigkeiten durch die Krise wachsen. Konzerne die bisher kaum Steuern zahlen, kassieren jetzt auch noch Corona-Hilfen vom Staat und die Regierung in Österreich fühlt sich nicht verpflichtet aufzudecken, an wen die großzügigen Hilfen konkret gehen und wie hoch sie ausfallen.

Die Systemtheorie hat sich, auch über den Umweg ihres einstigen Kontrahenten Jürgen Habermas, in die Gefühlsmitte der Deutsch-Europäischen Gesellschaft geschlichen. Ergänzt durch juristische und naturwissenschaftliche Expertise hat sie sich in der politischen Bürokratie als alternativloses Entscheidungs- und Gestaltungssystem etabliert und ist mit allen akademischen Meriten zur objektiven Gestalt der gesellschaftlichen Gesamtvernunft erkoren worden. Und das so subtil und stillschweigend, wie es die Evolution der Gesellschaft eben vorsieht. Der reaktionäre Stillstand ist also naturgegeben und es erübrigt sich ihn zu analysieren, alles was zu tun bleibt, ist ihn zu beschreiben und ab und an in moralistischen Appellen Durchhalten zu verordnen.

Wir schaffen das.

Das ist der aktuelle Stand der deutschen Befindlichkeitsideologie. Merkel kennt sie auswendig. Nicht umsonst liefert Deutschland weiterhin Waffen an beinahe alle Faschisten dieser Welt, und mit wenigen Staaten ist Merkels Regierung nachsichtiger als mit denen die wirklich auf jegliche Menschenrechte pfeifen. Griechenland hatte dieses Glück nicht. Tolerant ist die neue Deutsche Ideologie vor allem mit den Mörderregimen dieser Welt, denn die will man nicht allzusehr verärgern, das würde nur Unruhe in den Betrieb bringen.

Denn in der Praxis hat dieselbe konservative Merkelregierung das System, das jetzt etwas schaffen soll, über Jahrzehnte kaputtgespart. Krankenhäuser, Landesverteidigung, Katastrophenschutz, Sozialsystem, Wirtschaftsstandort, Innovation. Alles röchelt dahin. Begonnen bei der Agenda 2010, vom „Sozialdemokraten“ Schröder, bis heute, zieht sich ein konservativer Kontrollverlust durch alle Instanzen. Und in der Corona Pandemie wird auch noch der sogenannte Mittelstand durch Blödheitspolitik vernichtet. In Österreich übrigens von der so genannten Wirtschaftspartei. Mit Systemtheorie geht das. Der Mensch ist die Umwelt des Systems. Und ob kleine Unternehmer im digitalen Business heutzutage außer einem Laptop gar keine Arbeitsmittel brauchen und daher aus der Corona-Hilfe diese eben nicht geltend machen können, sondern ihre Lebenserhaltungskosten bestreiten müssen, das muss eine Wirtschaftspartei ja nicht wissen. Der Mensch ist eine moralische Variable, die Theorie und auch das System kennt aber keine Moral. Nur den Begriff davon.

Aktuelle Politik besteht aus dem Dauerappell weiterzumachen ohne die Ressourcen zum Weitermachen zur Verfügung zu stellen. Es herrscht Unplanbarkeit und Verunsicherung. Die Politik drückt sich vor kollektiv bindenden Entscheidungen, drückt sich vor Verantwortung, drückt sich vor Solidarität. Die Politik verlangt gleichzeitig vollen Einsatz von allen und diskreditiert diejenigen, die davon frustriert sind. Die Politik stellt zwar keinen Plan zur Verfügung, aber es sollen sich gefälligst alle daran halten.

Wenn man diese Begriffsmoral konkret ausbuchstabiert, fällt man auf einen Scherbenhaufen. Denn das theoretische „Wir schaffen das!“ hat ja praktische Konsequenzen gehabt. Menschen die auf der Suche nach Schutz vor Krieg und besseren Lebensbedingungen aufgebrochen sind, sind dem System in die Falle gelaufen. Denn die Merkelsche Begriffsmoral hat nicht vorgesehen der Theorie auch eine Praxis anzuschließen. Es gab und gibt keine ausreichende Infrastruktur für die Aufnahme und menschenwürdige Unterbringung geflüchteter Menschen. Menschen die vor islamistischer Gewalt Schutz gesucht haben, sind in Europa auf dieselben islamistischen Strukturen gestoßen, vor denen sie geflohen sind. Opfer sind in Lagern mit Tätern eingeschlossen und zugleich Familien voneinander getrennt. Das auch, weil zwar zur Flucht aufgefordert wurde, aber niemand sich verpflichtet gefühlt hat für sichere Fluchtrouten zu sorgen. Das deshalb, weil es beim Personsein eben nicht um Humanität geht, sondern um einen Amtstitel, den man durch Geburt erwirbt. Die europäische Politik insgesamt ist zynisch und unbedarft zugleich und hat doch ein System.

Die Kaltschnäuzigkeit der Systemtheorie ermöglicht den Zynismus und die Nichtpolitik der Elite, die den Ausgebeuteten auch noch feixend und moralisierend die Arschkarte der Eigenverantwortung und des Anstands zuschiebt, die sie selbst (während sie auf gut bezahlten und gut gesicherten Posten sitzt) schon längst nicht mehr vorlebt.

Es wird ja in Österreich schon deshalb nicht von einem politischen Posten zurückgetreten, weil man ja von vornherein keine Verantwortung für irgendetwas übernimmt. Niemand ist zuständig. Ob auf Moria Kinder von Ratten angenagt werden, geht niemanden etwas an und wenn zwischendurch doch eine Grüne Politikerin ein paar empörte Zeilen darüber schreibt, dann tut sie das in dem Wissen, dass sie mit dem Thema gar nicht zur Abstimmung kommen wird in der teilweise Grünen Regierung. Am Ende wird sie einfach sang und klanglos von ihrem Posten entfernt.

Da fresst und fühlt euch moralisch erhoben. Aber wisst auch, dass dieses Leiden naturgegeben ist und wir da nichts machen können.“ So flüstert es aus dem Zettelkasten, im Einklang mit Hayek und Mises und allen so genannten Marktliberalen, die doch in Wahrheit Marktfetischisten, Marktextremisten und Marktterroristen sind. Das System (die Natur der der Mensch beiwohnen darf) wird’s schon richten. Und hats ja schon gerichtet, sonst wären ja die oben nicht da wo sie sind und die unten nicht da wo sie nicht sein wollen.

Dass die politischen Verwaltungen Österreichs in den letzten 30 oder mehr Jahren zerstört worden sind, sieht man an dem durchgängigen Versagen in der Krise. Sei es in der Terrorismusbekämpfung, in der Aufnahme von Schutzbedürftigen, oder in der Bekämpfung einer Pandemie. Es dauert Wochen bis auch nur brauchbare Informationen veröffentlicht werden von einem längerfristigen Plan oder konsistenten Maßnahmen ganz zu schweigen. Es ist ein kopfloses, haltloses, machttrunkenes Herumstolpern aller Verantwortlichen, das sich bis in die Verästelungen mancher Verwaltung hineinzieht. Noch scheint es weniger um Korruption und mehr um wirkliche Unfähigkeit angesichts von Aufgaben, die man eigentlich nie bewältigen wollte, zu gehen. Das System ist auf Unfähigkeit codiert. Verantwortliche gibt es laut Systemtheorie nicht. Das Projekt lautet: Theorie der Gesellschaft. Laufzeit: Mehr als 30 Jahre. Kosten: Sehr hoch. Denn Menschen gehen zugrunde.

Die Systemtheorie beginnt mit Luhmanns Traum, den Humanismus seiner Bigotterie zu überführen. Zu zeigen, dass, solange moralische Ansprüche Druck auf das Denken ausüben, diese Ansprüche nicht eingelöst werden können. Dazu wird der Mensch vermittels Theorie all seiner intrinsischen Ansprüche und Fähigkeiten entkleidet und er wird aus dem Zentrum der Verantwortung an die Peripherie des Systems verbannt, damit er ja keinen Schaden mehr anrichten kann. Zurecht stellt Luhmann fest, dass menschliches Eingreifen im Namen des Humanismus oft Leid erzeugt hat. Aber diese Verantwortung an das System abzutreten verlagert die Problematik nur dorthin, wo sie von Menschen nicht mehr gelöst werden kann. Luhmann nimmt dem geschichtlichen Verlauf das einzige autonome Korrektiv das er hatte. Ermutigt von der postulierten systematischen Überlegenheit wird diesem ohnmächtig gehaltenen Korrektiv dann auch noch von den profitierenden Agentur-Eliten die volle Verantwortung zugeschoben, sodass letztlich niemand verantwortlich und doch alle Schuld sind an dem Unglück, das sich vor aller Augen ereignet.

Wir schaffen das!“ bedeutet, „Löst es selbst.“, denn überall sonst herrschen Sparzwänge und das Diktat der Wirtschaft. Der Moralismus der Herrschenden, die sich nach unten abputzen, belehrt dann, aus der gepanzerten Limousine heraus auch noch die, die ohnehin am Boden liegen, weil sie in der U6 zerquetscht worden sind: „Seid untereinander tolerant und teilt das bisschen was wir euch lassen.

Insofern ist diese Systemtheorie eine konsequente Fortsetzung des typischen deutschen Geschwurbels und Gemurmels, das stets verlässlich davon ablenkt, dass gerade alles schiefläuft. Nur dass es in der aktuellen Situation nicht mehr zur (stets nationalsozialistisch brauchbaren) Seinsphilosophie, sondern nur mehr zur Speibphilosophie gereicht hat, die das wiederholte Versagen des Systems über den Mittagstisch wieder hereingeholt hat in den engsten Familienbereich. Wo wir jetzt mit Corona und Wirtschaftskrise alleine sitzen und uns fragen: Wie konnte das passieren?

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