Foucault war Historiker. Die Geschichte von Wahnsinn, Sexualität und Strafvollzug sind Foucaults Folien für die Beurteilung der aktuellen Gesellschaft. Die Betrachtung der Vergangenheit liefert ihm Alibis für seine persönliche, biographisch bestimmte Sichtweise auf die ihm gegenwärtige Situation und speist seine Urteile darüber. So erblickt er überall wo er seinen Blick hinwendet das immergleiche Muster. Eine Struktur der Disziplinarinstitutionen. Die Welt besteht aus Gefängnissen. Schule, Nervenheilanstalt, Internat, Kaserne, Club Med und Big Brother Container sowieso. Alles das gleiche, wenn es nach Foucault geht. Und stimmt ja auch. Irgendwie sind alle bissl eingesperrt hier und werden von der panoptischen Regierung beobachtet. Ich sage nur Lockdown.
Aber jetzt Scherz beiseite, denn hier beginnt ja der Zynismus schon. Wir sind ja keineswegs alle gleich eingesperrt. Denn auch im Lockdown gilt, dass es sich in einem Palast leichter aushalten lässt, als in einer Wohnung mit einem Zimmer. Und wenn in den Zeitungen etwas über die häusliche Gewalt steht, die ansteigt, wegen der unangenehmen Situation im Lockdown, dann sind auch nicht alle gleich davon betroffen, sondern in erster Linie Frauen und Kinder. Machen wir uns nichts vor. Große Theorien sind immer großer Unsinn, wenns um die Wirklichkeit geht.
Im Grunde geht es Foucault doch darum, dass es ihm zu fad war nur Historiker zu sein. Sein Shtick besteht darin, Geltung als Gesellschaftskritiker einzuheimsen. Daher wird seine philosophisch angehauchte Großtheorie von ihm ständig erweitert und umgebaut. Daher verändern sich Begriffe von einem Text zum nächsten, darum sind dieselben Begriffe unzureichend definiert, unscharf abgegrenzt und unsauber verwendet. Was interessiert Foucault seine Theorie von vor drei Jahren?
Was ihn aber in seinem gesamten Werk beschäftigt, ist der große Zaubertrick (Ra-wu-rick) aus einem Historiker einen Gesellschaftskritiker zu machen. Und dafür geht Foucault in theoretischer Hinsicht über Leichen. Er entzieht mit jedem neuen Werk dem Begriff der Individualität mehr und mehr seine politische Dimension. Er drängt das Individuum so weit ins Subjekt der Macht zurück, dass man an manchen Stellen glauben könnte er habe sich heimlich an Niklas Luhmanns Zettelkasten bedient. Denn für den gehört der Mensch ohnehin nur zur Umwelt des Systems und soll froh sein, dass es in dem Irrenhaus der Systemtheorie, das Luhmann für ihn vorgesehen hat, zumindest nicht zieht. Denn die binäre Logik Luhmanns ist luftdicht und vor allem macht sie ihre evolutionäre Entwicklung unabhängig von menschlicher Gestaltung. Bei Foucault gibt es zwar noch Menschen, aber sie sind auch Anhängsel der Macht durch die sie erzeugt werden. Was natürlich für wirksame Gesellschaftkritik bissl hinderlich ist.
Weshalb Foucault so oft er kann sein persönliches politisches Engagement unter einem zur Schau gestellten fröhlichen Positivismus zum Verschwinden bringt. Nur nicht anecken in der Revolutionsbubble. Konsequenterweise hat ihn daher auch die iranische Revolution von 1978 zutiefst positiv beeindruckt.
Dieser Lapsus resultiert keineswegs aus einer mangelhaften Analyse heraus, sondern ist dem Werk Foucaults durchaus immanent. In bestimmten akademischen Zirkeln jedenfalls dankt man ihm die Behauptung, das moderne staatliche Gewaltmonopol sei eine Fiktion, so sehr, dass man die misogynen Anteile seines Denkens bewusst ignoriert. Obwohl sogar offen bekundet wird, dass Geschlechterverhältnisse in seinem Werk systematisch vernachlässigt werden, wird an seinem Denken festgehalten.
Individualität hat bei Foucault ihre Konnotationen von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung verloren. Zurück bleibt ein sich selbst verdinglichendes von Außenreizen produziertes Subjekt, das im System nur die Funktion eines Platzhalters für die Machtverhältnisse hat. Daher fühlt Foucault sich auch nicht verpflichtet der Entwicklung des Strafrechts in der Moderne seine Aufmerksamkeit zu schenken. Die Zugewinne an Liberalität und Rechtssicherheit interessieren ihn ebensowenig, wie die Ausweitung des Adressatenkreises der durch sie teilweise wirkungsvollen Schutz und Anerkennung erlangt.
Das liegt auch daran, dass er sich nur die Institutionen des Strafrechts ansieht, die ins Spiel kommen, wenn der zivile Rechtsrahmen ausgeschöpft ist. Er unterscheidet nicht zwischen sozialen Organisationen deren Mitgliedschaft auf der Basis rechtlich freier Verträge geregelt ist, und totalen Institutionen in denen die Mitgliedschaft durch rechtliche Verfügung erzwungen wird.
Nicht zwischen Gottesstaat und rechtstaatlicher Demokratie unterscheiden zu müssen, bietet natürlich den Vorteil mit Ideologien solidarisch sein zu können, die gesellschaftliche Unterdrückung vermehren, anstatt sie aufzuheben. Was wiederum bestimmte Teile der organisierten so genannten „Linken“ erheblich schätzen, die sich lieber mit reaktionären religiösen Vereinen solidarisieren, als mit von religiösem Terror verfolgten Dissidenten.
Foucault ging gern ins Gefängnis, hat sich mit Eingesperrten überall auf der Welt solidarisch gefühlt. Dabei hat er sich hauptsächlich auf die Konsistenz der Disziplinarsysteme konzentriert und nicht auf die Konflikte die darum bis heute ausgetragen werden. Dazu passt, dass er vor Studentendemos, an denen er öffentlichkeitswirksam teilgenommen hat, seinen Assistenten vorgeschickt hat, damit der Foucaults Porsche abseits der Krawalle in Sicherheit bringen konnte.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es zynisch ist und von überbordender Ignoranz zeugt, sich mehr mit den Tätern zu identifizieren, als mit den Opfern von Gewalt. Denn in rechtsstaatlichen Demokratien sitzen – im Gegensatz zu Diktaturen, Gottesstaaten oder Erbmonarchien – noch immer bei weitem mehr Täter ein, als Opfer. Fragt die Frauen, die in Foucaults Werk so gut wie nicht vorkommen, was sie mehr fürchten, das angebliche „Kerkersystem“ oder die reale Gewalt der Dunkelziffer.