Dieser Text ist der Anfang eines langen und ausführlichen Gesprächs, das in seinem vollen Umfang in unserem nächsten Buch (im Print und als E-Book) beim Luftschacht Verlag erscheinen wird. Hier ein kurzer Teaser:
Gespräche gegen die Wirklichkeit
Von Sokrates haben wir gelernt, dass Selbsterkenntnis kein einsamer Akt ist, sondern nur im Gespräch mit anderen stattfinden kann. Sokrates war oft in Einigkeit mit der Wirklichkeit und hat an der Seite seiner Mitbürger so manche Schlacht für die Aufrechterhaltung seiner Polis gefochten. Einer Polis, die Sklaven und Leibeigene als Basis ihrer Ökonomie ausgebeutet, und die Frauenrechte mit Füßen getreten hat.
Im Gespräch lässt sich gleichzeitig Recht und Unrecht haben. Auch abwechselnd. Wir wollen beweisen, dass es längst überfällig ist, die Welt zu verändern. Wir wissen eigentlich, wie Freiheit geht. Aber mit Sokrates werden wir sie nicht erreichen. Die Welt ist falsch eingerichtet, dass sie aber gar so falsch eingerichtet ist, wäre noch dazu nicht einmal nötig. Sprechen wir darüber.
Stefan: Ich mach jetzt etwas, was wir sonst nicht tun und was eigentlich eh klar sein sollte. Aber ich stell jetzt erst mal was klar. Wir freuen uns natürlich auch bei diesem Text wieder auf sehr viele Zuschriften von wütenden Männern. Aber da wir möglichst wenige Zuschriften von wütenden Frauen haben wollen, soll trotzdem gesagt sein, dass dieser Text sich nicht gegen transsexuelle Menschen richtet. Es soll auf die Nöte von Frauen hingewiesen werden, die sich aus den vielen gesellschaftlichen und politischen Unklarheiten ergeben, die das Thema der Transsexualität begleiten.
Wir sind dafür, dass jeder Mensch seine sexuelle Identität auch in der Öffentlichkeit so ausleben kann, wie er/sie das gerne möchte. Wir fühlen uns solidarisch mit Menschen, die ihre sexuelle Identität offen leben oder wandeln wollen. Wir werten nicht die sexuellen Vorlieben oder Identitäten, die Menschen präferieren. Wir sprechen hier über ganz andere Dinge. Wir sprechen über Gewalt von Männern gegen Frauen. Über das Eindringen von Männern in absolut notwendige Schutzbereiche für Frauen und über Gewalt gegen Kinder. Wer Transrechte gegen die Rechte von Frauen und Kindern anwendet, ist selbst ein Täter und hat daher weder politische Toleranz und schon gar nicht den Schutz vor Polemik verdient.
Ich illustrier das mal mit einem Beispiel: Stell dir vor, du bist eine Frau, die sich ihr Leben lang für den Feminismus eingesetzt hat, mit allem was sie hat. 70 Jahre purer Feminismus in Wort und Schrift. Und dann kommt ein Mann, der, nachdem er sein Leben lang alle Vorteile eines heterosexuellen Mannes genossen hat, mit Ende seiner Karriere beschlossen hat, er ist jetzt auch eine Frau und lässt sich mit Lippenstift abbilden und kommt natürlich sofort aufs Cover der postfeministischen Nobelpreisjuryzeitschrift als „Frau des Jahres“. Und der Mann lässt dir dann über die Medien ausrichten, dass du eine alte weiße Frau bist und ab jetzt die Schnauze halten sollst.
Das ist übrigens wirklich passiert. Georgine Kellermann hat verdiente Feministinnen sehr undifferenziert als TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminist) bezeichnet und in den Kommentaren persönlich beschimpft. Da hat also ein Mann den Karriereschutzraum für Männer genutzt, um sein Leben lang eine schnelle Schiene nach oben zu haben und hat sich dann, als das alles vorbei war, entschieden, er ist jetzt auch eine Frau und will sozusagen sein Ruhestandsprivileg auch noch einfahren. Das ist prinzipiell nicht verwerflich. Was mich ankotzt daran ist, dass er es auf Kosten von Frauen tut, wenn er seine Selbstdefinition dann dazu nutzt feministische Frauen öffentlich anzupatzen. Und das ist genau, worum es hier geht. Nicht dass er eine Frau sein will, sondern, dass er seinen Status dazu benutzt Frauen runterzuziehen. Wie das ein klassischer Cis-Mann ebenso gemacht hätte.
Ela: Historisch betrachtet wurden Frauen immer durch Männer definiert. Wundert man sich da tatsächlich, dass sich Feministinnen (die sogenannte TERF-Fraktion) nun nicht schon wieder von Männern erklären lassen will, was jetzt eigentlich eine Frau ist? TERF ist man ja eigentlich schon, wenn man weiterhin als Feministin davon überzeugt ist, dass Gender ein – nicht nur für Frauen – schädliches Konstrukt von Stereotypen ist, das sie in der Entwicklung einschränkt; mit dessen Hilfe ihre Unterwerfung als natürlich legitimiert wurde und wird.
Stella: Kellermann sagte ja auch, er sei eine Frau, weil er zum Kaffee einen Eierlikör trinkt, hihi. Er mag denken, er hätte es scherzhaft gemeint, aber es lässt auf sein Frauenbild schließen, das im Grunde eine sexistische Karikatur ist. Ein Blick auf sein Twitterprofil bestätigt das: keine 63-jährige Journalistin, und schon gar keine, die es auf einen vergleichbar hohen Posten wie den des WDR-Studioleiters gebracht hat, würde in einer Tour Herzchen- oder Flamencotänzerinnenemojis und kesse Selfievideomontagen posten.
In einem Artikel für die ZEIT schreibt er: „Ich bin eine Frau, weil ich es schon immer war. Ich kann das auch nicht anders erklären. […] Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau. Das ist keine Frage äußerlicher Geschlechtsmerkmale. Da bin ich mir ganz sicher.“ Was bleibt also übrig von der Kategorie „Frau“, wenn man die Definition nicht anhand „äußerlicher Geschlechtsmerkmale“ festmacht? Klischees: die Vorstellung von einem Ladybrain, das auf Schminkischminki, Eierlikör und Stöckelschuhe steht – das sind die „inneren Geschlechtsmerkmale“, auf die er hinauswill. In Publikationen wie der ZEIT kann man das allerdings nur mehr implizieren, deswegen bleibt er beim beliebten Zirkelschluss „Frau ist, wer sich als Frau fühlt“. Umgekehrt heißt das dann, dass Frauen und Mädchen, die sich nicht mit stereotyper Femininität identifizieren wollen oder können, keine „echten“ Frauen sind (daher kommt meiner Meinung nach auch der plötzliche Anstieg an jungen Frauen, die sich als nicht-binär oder trans bezeichnen). Diese Denkweise steht Feminismus und Frauensolidarität diametral entgegen. Deswegen finde ich es mehr als bedenklich, dass besagter ZEIT-Artikel laut Kellermann in ein Schulbuch für Philosophie aufgenommen werden soll.
Stefan: Ich versuche gerade angestrengt nachzudenken, was Philosophie in dem Zusammenhang bedeuten könnte? Um welche Disziplin geht es da? Wenn ich Schulbuch höre, dann denk ich an Ethik. Aber Kellermann denkt doch sicher auch an die Anthropologie. Dort steht ja, neben der Abstammung und dem Wesen des Menschen, auch seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung unter Beobachtung. Der Mensch sollte als Subjekt untersucht werden. Und in der Hand der einschlägigen Philosophen ist dieses Subjekt gleich zu etwas Unangenehmem geworden.
Bei Althusser findet sich in seinen „Notizen zur Ideologie“ der Gedanke, dass die Ideologie die Individuen als Subjekte „anruft“. Er meint wir nehmen uns selbst als Subjekte nur wahr, weil wir „in den praktischen Ritualen des allereinfachsten Alltagslebens funktionieren“. Also beim Händedruck, bei der Nennung unseres Namens usw. Ein faszinierender Satz, wenn man ihn ernst nimmt. Es klingt als könnten sich alle durch Sprache definieren. Aber zugleich ist diese Anrufung auch ein Ritual. Diese Formulierung: „Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau.“, ist ja eine Anrufung. Also im Grunde ein magischer Satz, der eine Wirklichkeit erzeugen oder bestätigen soll, die eben nicht wirklich ist. Und darin kommt das ganze Tragische dieser Situation zum Ausdruck. Weil hier nicht unterschieden wird zwischen dem Anspruch alles durch Sprache erzeugen zu können, und der Möglichkeit Wirklichkeit durch Sprache zu erschaffen. Nicht die Wirklichkeit soll verändert werden, sondern die Sprache darüber.
Stella: Der mantraartig wiederholte Satz „Trans women are women“ funktioniert genauso. Es ist ein Glaubenssatz. Einerseits sollen damit Tatsachen geschaffen werden, die nicht diskutiert werden dürfen, andererseits sehe ich hier auch eine Art „Credo quia absurdum“, etwas, das man als Transaktivist, als guter Ally, als guter Mensch schlechthin glauben muss, auch wenn es offensichtlich der Realität, der eigenen Wahrnehmung widerspricht. Gewissermaßen eine Ermahnung, an sich selbst und die anderen in der Gemeinschaft der Guten: Don’t believe your lying eyes. Seht her, ich bin so tolerant, so un-transphob, so sophisticated, so gut, ich glaube etwas, das für den gemeinen Pöbel, der das alles nicht ist, augenscheinlich falsch ist.
Das Perfide an dem Satz ist außerdem, dass er für Menschen, die nett und höflich sein wollen, und sich nicht näher mit der Thematik auseinandergesetzt haben, als Falle fungiert. Wenn man glaubt, es geht hier nur um eine winzige, diskriminierte, harmlose Minderheit, die mit Geschlechtsdysphorie zu kämpfen hat und deshalb einfach ~Anerkennung~ und eine medizinische Behandlung haben möchte, fällt es leicht, diesen Satz als nicht wörtlich gemeinte Höflichkeitsfloskel zu wiederholen. Wer möchte schon jemanden, der darunter leidet, als „das falsche Geschlecht“ geboren worden zu sein, deswegen möglicherweise schon schwere Operationen und viele mühsame Amtswege hinter sich gebracht hat, mit (vermeintlicher) Pedanterie à la „Du bist aber keine richtige Frau!“ verletzen oder vor den Kopf stoßen? Niemand, es sei denn, man legt es darauf an, als unsensibles Arschloch aufzutreten. Sobald einem dann auffällt, dass Transrechtsaktivisten diese Floskel zu 100% wortwörtlich verstanden sehen wollen, in allen Lebensbereichen, also auch bei aus guten Gründen geschlechtergetrennten Schutzräumen wie Umkleiden und Frauenhäusern oder im Sport, und dass mit „trans Frauen“ auch solche gemeint sind, die sich keinerlei medizinischer oder kosmetischer Transition unterzogen haben (da Geschlechtsdysphorie für das Label „trans“ nicht mehr als Grundvoraussetzung gilt), sie sich von „cis“ Männern also nur durch eine subjektive Selbstidentifikation als Frau unterscheiden, ist es zu spät, um zurück zu rudern. Man hat zudem etwa an dem Backlash gegen J.K. Rowling gesehen, was einem bei Widerspruch droht, und möchte sich dem nicht aussetzen.
Ela: Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie hat vor Jahren schon einmal mit der ihr wenig kontrovers erscheinenden Aussage einen Shitstorm ausgelöst, für sie seien Transfrauen Transfrauen und man solle nicht so tun als erlebten Frauen dieselben Probleme wie Transfrauen, da diese oftmals eine Sozialisierung als Mann erfahren hätten.
Den Begriff Transsexualität hat man ja inzwischen durch den Unsinnsbegriff Transgender ersetzt, unter dem sich inzwischen so ziemlich alle versammeln können, denen danach ist. Gender-Bender, Crossdresser, Transvestiten, Transsexuelle und auch Autogynephile. Und als Feigenblatt streut man eine Prise Intersex drüber und hofft, dass niemand bemerkt, dass man die genitale Verstümmelung von 0,001 % der Weltbevölkerung („assigned at birth“) dazu nutzt, allen anderen unter diesem Schirmbegriff zusammengewürfelten Gruppen, ob verdient oder nicht, zu mehr Legitimität zu verhelfen, selbst wenn dies auf Kosten von Frauen geschieht.
Stella: Es gibt zum „Transgender Umbrella“ auch dutzende schöne Grafiken, die illustrieren, dass quasi jeder trans ist, der als Frau keine personifizierte Barbiepuppe oder als Mann keine GI-Joe Actionfigur ist. Der Wunsch, möglichst inklusiv sein zu wollen, führt zu einer Begriffsaufweichung, niemand weiß mehr genau, wovon bei „trans(gender)“ oder „gender“ generell überhaupt die Rede ist, Debatten werden durch die schwammigen Begriffe verunmöglicht und sie heißen je nach argumentativem Bedarf etwas anderes. Gleichzeitig schaffen sich Transrechtsaktivisten so einen viel größeren Zuständigkeitsbereich, indem sie die Identifikation mit dem Begriff erleichtern – denn wer will schon so eine fade, konformistische „cis“ Person sein – , inkludieren Menschen, die nicht inkludiert werden wollen, erklären retrospektiv historische Persönlichkeiten (hauptsächlich gegen gesellschaftliche Restriktionen rebellierende Frauen, wie etwa Jeanne d’Arc oder Frauen, die sich als Mann ausgeben mussten, um arbeiten oder selbstbestimmt leben zu können) zu Transmenschen, und können so sagen, Transmenschen habe es immer schon gegeben.
Ela: Lustigerweise hab ich kürzlich erst auf Facebook das Posting eines Bildes von Salvador Dalí gesehen, in dem er sich selbst als Mädchen gemalt hat, da er sich im Alter von sechs Jahren für ein Mädchen hielt, was einen Kommentierenden dazu inspiriert hat, sich zu fragen ob Salvador Dalí transgender war.
Stefan: Dalí ist faszinierend. Ein Verwandlungskünstler, der Uneindeutigkeiten geliebt hat. So sehr, dass er sie zum zentralen Erkenntnismittel erhoben hat. Mit seiner paranoisch-kritischen Methode fordert er Wahnbilder als Wirklichkeitsbilder zu betrachten. Im Text „Der Eselskadaver“ schreibt er, dass der Paranoiker über „unfaßbaren Scharfsinn“ verfügt und mit seiner Methode „zum Ruin der Wirklichkeit“ beitragen kann, um begleitet von surrealistischer Aktivität „zu den klaren Quellen der Onanie, des Exhibitionismus, des Verbrechens und der Liebe“ zurückzuführen. Ein Wahn-Projekt, in dem diese letzte Aufzählung im Zusammenhang mit der Möglichkeit von sexueller Gewalt einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt. Von Sigmund Freud war er bei ihrem Treffen in London jedenfalls enttäuscht. Vielleicht war er ihm nicht paranoisch genug.
Michel „IchbinkeinStrukturalist“ Foucault hat ja auch in seinem Urteil über Freud geschwankt. Freud ist für ihn, je nach Schaffensphase, der Schöpfer einer kritischen Gegenwissenschaft (Wahnsinn und Gesellschaft) oder im Spätwerk Diktator einer Disziplinarwissenschaft. Aber Foucault teilt mit Dalí die Liebe für das Uneindeutige, bis hinein in seine Methode. Und einige seiner gesellschaftstheoretischen Denkmodelle sind eindeutig paranoisch, wie z.B. der Panoptismus.
Foucault hat von dem Strukturalisten Claude Lévi-Strauss so viel gelernt, dass er eine ganze in sich widersprüchliche Methodenlehre entwickelt hat, in der sich die Systematik der Analyse des „wilden Denkens“, die Lévi-Strauss begonnen hat, wiederfindet. Das magische Denken, so Lèvi-Strauss „bildet ein genau artikuliertes System“, das zwar nicht die gleichen Ergebnisse wie das Wissenschaftssystem erbringt, aber ihm „bezüglich der Art der geistigen Prozesse“ gleicht, die sie jeweils voraussetzen. Magisches Denken erscheint als „Ausdrucksform eines Glaubens an eine zukünftige Wissenschaft“.
Die Erforschung von Dispositiven entstammt einem ähnlich magischen Denken. Nur, dass es sich hierbei um den Glauben an die Macht der Schrift über die Natur handelt. In dem Buch von Foucault über Hermaphrodismus befindet sich im Nachwort eine selten klare Darstellung von dieser Gedankenwelt. Hier wird im Grunde die Auffassung vertreten, dass die juristische moralische psychologische Sprache die Sexualität der Moderne erschaffen hat. Sie erzeuge einen Diskurs, der in „endlosen Oszillationen zwischen biologischen und kulturellen Determinanten den Ort und die Ontologie der Geschlechter vorantreibt“. Der moderne Körper ist „konstruiert“. Das bemerkenswerte an diesem magischen Glauben ist aber das Frankenstein-Grundelement. Denn so fährt der Verfasser fort: Der Körper der modernen Menschen wächst um das „Implantat seines Geschlechts“ herum. Das Geschlecht ist also nicht nur diskursiv konstruiert und durch Sprachmagie wirklichkeitsmächtig gemacht, sondern auch implantiert und somit nicht biologisch gewachsen, sondern von vornherein künstlich erzeugt und damit natürlich auch im Nachhinein beliebig amputierbar.
Ela: Judith Butler hat sich beim „Unbehagen der Geschlechter“ ja eh auf Foucault berufen. Wenn die Subjekte durch die Macht erst konstituiert werden, ist das feministische Subjekt – die Frau – auch durch das politische System – das auf Geschlechterbinarität aufbaut – diskursiv geschaffen. Sowohl Sex, wie auch Gender seien kulturell konstruiert, in den Begriff Sex sei bereits der politische Zweck hinter der Kategorisierung und Differenzierung, die Reproduktion, eingeschrieben, denn das System basiere auf Zwangsheterosexualität. Geschlecht (sowohl Sex als auch Gender) sei ein endloser performativer Prozess. Dem biologischen Geschlecht seien die Geschlechterrollen eingeschrieben und würden unablässig reproduziert und imitiert.
Butler schlägt vor, sich aus feministischer Perspektive darüber Gedanken zu machen, warum es überhaupt eines feministischen Subjektes – Frau – bedürfe, ob man sich nicht einfach gleich mit Geschlechtsidentität an sich und deren Repräsentation befassen sollte – da der Feminismus von einem Fundamentalismus geprägt sei, der die Subjekte einschränke, die er eigentlich befreien wolle – oder – in letztes Konsequenz – das feministische Subjekt einfach fallen lassen, und sich von jeder Einschränkung befreien.
Aber ist ein Feminismus ohne Frauen als politisches Subjekt, der situationselastisch heute diese, morgen jene Identität vertritt, ein Feminismus der Individuen, überhaupt ein Feminismus? Hat er Potenzial politische Veränderung zu erzielen? Und warum ist Butler der Meinung, dass man dieses Ziel nur unter Aneignung des Feminismusbegriffs erreichen kann? Und ist es Zufall, dass so ein Vorschlag gerade beim Feminismus gemacht wird, und beispielsweise nicht bei anderen Befreiungsbewegungen? Daraus ist meiner Meinung nach dann auch der Irrtum entstanden, dem der Liberale Feminismus aufsitzt, dass man nämlich jede unterdrückte Identität vertreten muss, wenn man eine richtige Feministin sein will.
Butler und andere Aktivisten zitieren dann auch gern Beauvoirs „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu (gemacht)“, und manche meinen darin bestätigt zu sehen, Beauvoir habe behauptet, dass eine Frau sei, was auch immer eine Frau sagt, dass sie ist. Self-Identification. So behauptet Butler, dass in Beauvoirs Formulierung von einem „Handlungsträger“ ausgegangen wird, der sich eine „Geschlechtsidentität“ aneignet und prinzipiell „auch eine andere Geschlechtsidentität annehmen könnte“. Doch Beauvoir befasst sich schon im ersten Kapitel von „Das andere Geschlecht“, „Schicksal“ mit der weiblichen Biologie:
„Die biologischen Gegebenheiten sind außerordentlich wichtig: sie spielen in der Geschichte der Frau eine herausragende Rolle und sind ein wesentliches Element ihrer Situation (…) Denn da der Körper das Instrument für unseren Zugriff auf die Welt ist, stellt sich diese, je nachdem, ob sie auf die eine oder auf die andere Weise erfaßt wird, ganz anders dar. (…) Was wir aber ablehnen, ist die Vorstellung, daß sie für die Frau ein festgelegtes Schicksal bedeuten. Sie reichen nicht aus, eine Hierarchie der Geschlechter zu bestimmen; sie erklären nicht, weshalb die Frau das Andere ist, und sie verurteilen sie nicht dazu, diese untergeordnete Rolle für immer beizubehalten.“
Für Beauvoir „entsteht“ Weiblichkeit im Zusammenspiel von biologischen und kulturellen Faktoren, die für die „weibliche Erfahrung“ konstitutiv sind. Der Entstehung der Ideen und Mythen rund um die Weiblichkeit geht aber die Existenz eines weiblichen Körpers voraus.
Andererseits haben wir ja dann auch auf der anderen Seite Feministinnen die dem „Transfrauen sind Frauen“ nichts als „Eine Frau ist ein erwachsener weiblicher Mensch“ entgegenzusetzen haben. Was ja dann auch nicht mehr als eine Phrase ist. Ich meine, dass die beiden Positionen schon alleine deswegen keine gemeinsame Basis finden können, weil sie aus zwei komplett unterschiedlichen Annahmen hervorgehen und aneinander vorbeiargumentieren.
Die eine Seite geht davon aus, dass die Geschlechtsidentität inhärent ist. Ein Mensch weiß demnach instinktiv welchem Geschlecht er sich zugehörig fühlt, mit welchem sozialen Geschlecht er sich identifiziert. Wie ein Mann weiß, dass er ein Mann ist, und eine Frau weiß, dass sie eine Frau ist, kann es der Annahme nach manchmal passieren, dass das Selbstkonzept eines biologischen Mannes abweicht und er sich den Frauen zugehörig fühlt. Er „weiß“ es sozusagen. Nur was genau dieses Gefühl ausmacht, ist oft ein diffuses Schweigen, unterspickt mit grellen Klischees.
Auf der anderen Seite hat man eben verstanden, dass es die Biologie ist und die Annahme, dass aus dieser Biologie heraus sich quasi „natürliche“ zugehörige Rollenkonzepte ergeben – das Konstrukt Gender – die den Frauen jahrhundertelang in einer unheiligen Liaison des Todes ihr Leben zur Hölle gemacht haben, ihnen Möglichkeiten verwehrt, ihr Leben in die Hand zu nehmen, und ökonomische und soziale Nachteile nach sich zogen. Und all das soll nun nebensächlich sein und einer willkürlichen Selbstdefinition Platz machen, basierend auf dem vermeintlichen innerlichen Gefühl einer Gruppe von vorwiegend MtF—Transitionern. Eine Frau wird aber nicht dadurch weniger Frau, dass sie gerne „Stirb langsam“ schaut, denn das macht sie nicht immun gegen sexistische Kommentare und sexuelle Übergriffe.
Stella: Ich denke, dass der Satz „Eine Frau ist ein erwachsener weiblicher Mensch“ (die Übersetzung der Definition „Woman: adult human female“) eher eine Erwiderung auf den unsinnigen Zirkelschluss „Frau ist, wer sich als Frau definiert“ ist, und als solche legitim ist, wobei diese Definition natürlich nur der Ausgangspunkt ist, von dem aus weitere Auseinandersetzungen möglich sind, und nicht zu einer hohlen für sich selbst stehenden Phrase wie „Trans women are women“ verkommen sollte.
Ela: Ja du hast Recht, als Erwiderung ist es sinnvoll.
Stefan: Mir kommt vor, die Debatte, die von manchen Transaktivisten geführt wird, klammert bewusst das Problem der Gewalt aus. Also viele Aspekte der Kritik am Feminismus die durch Transaktivisten vorgenommen wird, kann nur unter Absehung der wirklichen Verhältnisse passieren. Dass man einfach nicht erwähnt, dass Frauen überproportional oft Gewalt von Männern ausgesetzt sind, während es umgekehrt eine verschwindend geringe Anzahl an Männern gibt, die unter Gewalt von Frauen leiden müssen. Das verbindet diese Positionen übrigens mit denen von so genannten Männerrechtlern. Die sich ja auch weniger für die Rechte von Männern, als gegen die Rechte von Frauen einsetzen.
Ela: Da muss man ein bisschen ausholen.
Die Fortsetzung dieses Textes findet sich in unserem nächsten Buch „Gespräche gegen die Wirklichkeit“.