Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern

Vorsicht: Dieser Text handelt von Florian Teichtmeister und dem Papst!

Auf Zuruf weniger rational agierender Journalisten in Österreich habe ich mir Zeit genommen diesen Text zu schreiben, da ich im Augenblick der tatsächlichen Ereignisse und ihrer Aufarbeitung in den österreichischen Medien „zu emotional“ war, um fair zu bleiben gegenüber den tatsächlichen Opfern von kriminell gewordenen Pädophilen: den kriminell gewordenen Pädophilen.

Einem der Opfer dieser kriminell gewordenen Pädophilen möchte ich nun diesen überlegt rationalen Text widmen: Florian Teichtmeister. Ihm passierte es, dass sich zwischen 2008 und 2021 eine große Menge – achtundfünfzigtausend Dateien – von Kindesmissbrauchsmaterial auf seinem Computer ansammelte, was schließlich in seiner Verhaftung kulminierte, wofür er schließlich auch medial an den Pranger gestellt wurde, obwohl seine Ex-Freundin ihn nur angezeigt hatte, um sich an ihm zu rächen – und nicht, weil er sie körperlich misshandelt hatte.

Es handelt sich beim Konsum von sogenannter „Kinderpornografie“ tatsächlich um ein Verbrechen ohne Opfer, denn die missbrauchten Kinder sind bereits ihren Missbrauchern zum Opfer gefallen, als man Bild- und Videomaterial von ihrer Pein anfertigte. Ihr Leid ist Vergangenheit, sie können also nicht noch einmal Opfer werden von denjenigen, die ihr Martyrium immer wieder zur sexuellen Gratifikation durchspielen, es unendlich wiederholen und sie dadurch auf ewig daran binden – und die schließlich die Nachfrage generieren, die durch Bereitstellung eines Angebots befriedigt werden muss.

Man wird bereits erraten, dass diese Regeln nicht für die tatsächlichen Opfer gelten, deren mehrmaliger Opferstatus nicht hinterfragt werden darf: Die Konsumenten solcher Erzeugnisse. Sie sind nicht nur Opfer der eigenen Libido, die sie dazu zwingt, Straftaten an Kindern zu begehen, sondern immer wieder auch Opfer einer medialen Hetzjagd – Journalisten sprachen gar von „Mistgabeln und Fackeln“ – und werden „wahrscheinlich ihr Leben lang“ darunter leiden, ihren guten Ruf verlieren, und – das tut dem Österreicher besonders weh – werden wahrscheinlich NIE WIEDER ARBEITEN können. Obwohl, wie bei Teichtmeister der Fall, es sich nur um ein rein „digitales Delikt“ handelt, und er „Kinder [nicht] eigenhändig missbraucht“ hat, so der Anwalt des Opfers Teichtmeister. Freilich ließ es sich Teichtmeister auch nicht entgehen bei einem parlamentarischen Staatsakt zum Thema Kindesmissbrauch die Texte missbrauchter Kindern öffentlich vorzutragen.

Wie viele Menschen in Österreich Opfer ihrer eigenen Neigungen zu digitalen Delikten werden, zeigen die Zahlen des BKA von 2021, wo die Rede von 1.900 Anzeigen ist. Der Psychotherapeut der Männerberatung in Wien, Alex Seppelt, geht zudem davon aus, dass es sich bei einem Großteil der Betroffenen nicht um Pädophile im herkömmlichen Sinne handelt, die mit dieser Neigung geboren wurden, sondern um Männer, die durch den Konsum von Pornografie eine Paraphilie entwickelt haben. Solcherlei Perversionen entstehen aus einer Pornosucht, die mit normaler Pornografie schließlich nicht mehr befriedigt werden kann. Die Attraktion ergibt sich zunächst vor allem aus der Grenzüberschreitung. Ted Bundy beschrieb seine Pornosucht als „(…) craving something harder, which gives you a greater sense of excitement until you reach a point where the pornography only goes so far.” Laut der Psychologin Anna Salter ist eine solche Fixierung in den meisten Fällen chronisch und unveränderlich.

Natürlich sollte auch hier beachtet werden Pornografie stets von ihren Konsumenten zu trennen, denn was jemand konsumiert, hat nichts mit dem Konsumenten zu tun. Hier gilt allgemein: Das Ausagieren der immergleichen Machtposition zu Ungunsten der unterworfenen Partei gilt der Bestätigung der persönlichen Freiheit und hat nichts mit dem Ausagieren gesellschaftlicher Konventionen zu tun, vielmehr wird die Überspitzung der immergleichen Klischees in der Pornografie erst durch die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse interessant und damit subversiv. Wer die Subversion aber nicht erkennen mag, ist prüde. Konsumenten prägen weder die Entwicklung der Pornografie, noch prägt die Pornografie die Entwicklung der Konsumenten.

Ein kurzer Exkurs: Ein nicht unerheblicher Teil der Online-Diskussionen zum Thema Teichtmeister widmete sich der Differenzierung von Pädophilie und Hebephilie (Zuneigung zu präpubertären vs. pubertären Minderjährigen) und der Frage, ob Mütter mit Töchtern im Teenager-Alter es problematisch finden dürfen, wenn ihre Lebensgefährten ausschließlich Pornografie der Kategorie „Teen“ konsumieren. Dazu nur so viel: Man folgt natürlich allein seiner biologischen Determination, wonach Frauen kurz nach der Geschlechtsreife zu Fortpflanzungszwecken besonders attraktiv für Männer sind, was evolutionär betrachtet kaum kontraproduktiv ist, besonders weil sehr junge Frauen – verglichen mit Frauen zwischen 20 und 25 – kaum gesundheitlichen Nachteile von einer frühen Schwangerschaft haben: weder kommt es häufiger zu Frühgeburten und Infektionen, Fehlentwicklungen bei Neugeborenen, einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Säuglingssterblichkeit, noch bringen sie vermehrt untergewichtige Kinder zur Welt. It’s Science!

Aber zurück zur Pädophilie: Der seliggesprochene Papst Johannes Paul II. soll während seiner Zeit als Bischof, sowie als Kardinal, pädophile Priester vor der Strafverfolgung geschützt haben. Dies bewerkstelligte er dadurch, dass er sie nach vollbrachter Tat einfach in andere Gemeinden versetzte, wo sich ihnen dann die Möglichkeit auftat weitere Kinder zu missbrauchen, zu denen sie davor keinen Zugang hatten. Dieses umgekehrte Running-Sushi-Prinzip wurde über mehrere Jahrzehnte praktiziert und milderte so den „Leidensdruck“ der Opfer ihrer Neigungen, die damals noch nicht den Zugang zum Internet hatten, sich dadurch aber auch nicht dem Online-Mob ausgesetzt sahen. Er schrieb ihnen zudem Empfehlungsschreiben, damit diese in neuen Gemeinden eine Anstellung finden konnten – auch in Österreich. So vermittelte er einen der Priester mit der Begründung er interessiere sich für „Entwicklungspsychologie“.

Bereits 2010 berichtete der Falter von einem burgenländischen Pfarrer, der im Interview gestanden hatte „sieben, acht“ Buben – wer zählt schon so genau – missbraucht zu haben. In Folge der Berichterstattung trat er zurück. Er war seit den 1970ern „tätig“ und auch versetzt worden. In der Gemeinde, in der er zuletzt in seelsorgender Funktion Anstellung fand, war er bekannt dafür, seine „Lämmchen“ zu maßregeln, wenn diese nicht oft genug zum Gottesdienst erschienen. Christoph Schönborn verkündete im Zuge der erzwungenen medialen Aufarbeitung voll Jammer, dass „(d)ie Kirche (…) Ja [sage] zur schmerzlichen Reinigung, die ohne Jammern auch das Unrecht von Pauschalurteilen erträgt“.

Gegen einen steirischen Pfarrer hatte die Staatsanwaltschaft Graz in mehreren Fällen ermittelt, aber dann die Ermittlungen eingestellt, weil es zu wenig Beweise gab und die Taten bereits verjährt waren. Die Staatsanwaltschaft begründete die Einstellung mit „Fingerspitzengefühl: Wenn nichts dran ist, ist der Mann ruiniert.“ Die ruinierten Buben waren dem ruinierten Mann vorzuziehen. Das geringere Übel war es ihn einfach zu versetzen, anstatt ihn zum Opfer der Justiz werden zu lassen. Später wurde er unter Zustimmung der römischen Glaubenskongregation wegen Missbrauchs verurteilt, das Urteil 2006 aber unter Kardinal Schönborn wieder aufgehoben. Ich möchte auch hier ganz rational vom Unrecht des Pauschalurteils Abstand nehmen.

Florian Teichtmeisters Prozess wurde indes bis auf weiteres wegen akuter Erkrankung des Protagonisten verschoben. Man wünscht ihm, dass auch dieser Kelch rasch an ihm vorübergehen möge, wie eine Folge „Die Toten von Salzburg“.