Als schmähstad bezeichnet man den österreichischen Zustand der Sprachlosigkeit in Anbetracht des Ausgeliefertseins an eine unerträgliche Realität, die einem auf der Zunge liegt wie ein rostiger Löffel. Das Pogrom in Israel vom 7.10.2023, das ca. 1.400 Menschen das Leben kostete und damit das größte Massaker an Juden in der jüngsten Geschichte darstellt, hatte leider nur bei den wenigsten Artgenossinnen eine solche Schmähstadheit zur Folge. Was sich die Jahre davor bereits „im Kleinen“ regelmäßig wiederholt hatte, führte nicht, wie von der kleinen Minderheit „nicht-israel-kritischer“ Linker angenommen, zur Erkenntnis, dass es sich um einen zivilisatorischen Bruch handelte und zur Solidarität mit den getöteten Israelis und ihren Familien, sondern entwickelte sich zum ausgewachsenen Relativierungsmanöver der antifaschistischenTM Internationale. Es stellte sich also, nicht wie von einigen naiverweise erwartet, ein großer Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung Israels ein, sondern es geschah, was auch bisher wiederholt der Fall war, wenn es sich um das Thema Israel handelte, die Verantwortung verschob sich auf die Angegriffenen, während man den Angreifern die Verantwortung entzog.
Organisationen wie Black Lives Matter Chicago, die zurecht auf rassistische Praxis und Strukturen in der US-amerikanischen Exekutive hingewiesen hatten, sahen sich bemüßigt sich über die 260 massakrierten Besucherinnen des „Supernova Sukkot Gathering“ lustig zu machen, indem Sie die schematische Darstellung eines Fallschirmspringers mit „I stand with Palestine“ Schriftzug teilten, ein Bild also jener Hamas-Kämpfer, die massenhaft in Fallschirmen auf dem Gelände gelandet waren, ehe sie sich über ihre Opfer hermachten. Fridays For Future Wunderkind Greta Thunberg veröffentlichte einige, im günstigsten Interpretationsfall, unbedarfte Äußerungen zum Terroranschlag der Hamas. Fridays for Future teilt mit den Kadern der Mordbande die Ansicht, die Killer von israelischen Babys seien „Märtyrer“.
Ereignisse wie diese sollten aber keine Überraschung sein, hatte sich ähnliches doch Jahr um Jahr wiederholt. 2019 behauptete die Black Lives Matter Aktivistin Tamika Mallory Trump habe sich mit seinen Reisebeschränkungen und Anti-Immigrationsgesetze ein Beispiel an Israel genommen. Unterstützerinnen von BLM zogen während der Demonstrationen nach der Tötung George Floyds durch die Polizei Parallelen zwischen seinem Schicksal und der Behandlung von Palästinenserinnen durch israelische Soldaten. Der ehemalige Musiker Roger Waters hatte zur selben Zeit in einem Interview behauptet der „Mord an George Floyd (…) wurde mit einer Technik verübt, die von den IDF, den Besatzungskräften, erfunden wurde. (…) Das ist eine israelische Technik, die den militarisierten Polizeikräften der USA von israelischen Experten beigebracht wird, die die USA in die Vereinigten Staaten fliegen lässt, um ihnen beizubringen, wie man Schwarze ermorden kann, weil sie gesehen haben wie effizient die Israelis bei der Ermordung von Palästinensern in den besetzten Gebieten waren (…)“
Apropos Märtyrer: Die ehemalige linke Vorzeigefeministin Nicole Schöndorfer postete am Tag nach dem Terroranschlag in Israel auf Instagram davon „auch die mehr als 300 Märtyrer von Gaza“ zu ehren, „die durch die feigen Luftangriffe des zerfallenden zionistischen Gebildes und seiner dezimierten Armee gefallen sind, die es nicht wagt, sich den heldenhaften Bewohnern des Streifens zu nähern, außer aus der Ferne in einem von den USA finanzierten Kampfflugzeug, das Bomben auf sie abwirft.“
Zwar wird ständig wiederholt Hamas repräsentiere nicht die Bevölkerung des Gazastreifens, was dann aber mit solchen Aussagen wieder zunichtegemacht wird. Wenn behauptet wird, dass die Palästinenserinnen nicht Hamas sind, Hamas aber dann doch den Freiheitskampf der Palästinenserinnen führt. Hamas repräsentiert übrigens buchstäblich die Bevölkerung des Gazastreifens. Denn Hamas ist die politische Vertretung des Gazastreifens. Wenn im Begriff „der Westen“ eine Deckungsgleichheit der Bevölkerungen sämtlicher westlicher Länder mit deren Regierungen mitschwingt, so gilt dies wohl auch für die Gazaner (44,45%), die Hamas 2006 gewählt haben. Wenn Teile der Bevölkerung noch dazu Süßigkeiten verteilen, um das Massaker zu feiern, sowie sich selbst an der Quälerei beteiligen, gilt dies umso mehr. Wenn man allerdings anerkennt, dass die politische Klasse und die Bevölkerung nicht zwingend deckungsgleich sind, muss man annehmen, dass dies auch nicht zwingend auf die Bewohner des Gazastreifens zutrifft. Auch die deutsche Bevölkerung stand nicht geschlossen hinter Hitler, jedoch geschlossen genug, dass diejenigen, die Widerstand leisteten, nicht deutlich genug ins Gewicht fielen. Ein vom palästinensischen Bildungsministerium 2004 herausgegebenes Schulbuch lehrt, zu den „Grundlagen des Zionismus, die auf dem Ersten Zionistenkongress 1897 beschlossen wurden“ gehöre „eine Gruppe vertraulicher Resolutionen (…) unter dem Namen ,Die Protokolle der Weisen von Zion‘“ mit dem Ziel der Weltherrschaft. Die Gründungscharta der Hamas spricht dezidiert von der Pflicht Israel zu erobern, da es sich um ein „islamisches Heimatland“ handle und damit für immer islamisch bleiben müsse. Ebenso in der Charta zu lesen ist „Das Jüngste Gericht wird nicht kommen, solange Muslime nicht die Juden bekämpfen und sie töten. Dann aber werden sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken, und die Steine und Bäume werden rufen: ,Oh, Muslim, ein Jude versteckt sich hinter mir, komm und töte ihn.‘“ Vom Fluss bis zum Meer!
Dass die andere Seite mittlerweile auch wahnhaft agiert, liegt nicht nur am Lagerkoller der nicht enden wollenden kriegerischen, terroristischen und propagandistischen Bedrängung durch die lieben Nachbarn, sondern auch daran, dass sich an der Spitze des israelischen Staates eine Clique breit gemacht hat, die mehr an ihrem Eigeninteresse als am Wohl ihrer Bürger, oder gar der Region orientiert ist.
„We don’t need no occupation – we don’t need no racist wall“ schrieb Roger Waters anlässlich eines Konzerts in Israel auf eine Schutzmauer an der Grenze zum Westjordanland und bringt damit den anti-israelischen Wahn auf eine Formel, die bei denen, die den so genannten Nahostkonflikt zu kompliziert finden, auf fruchtbaren Boden fällt. Denn natürlich sind Segregation und Rassismus dem friedlichen Zusammenleben nicht förderlich. Und natürlich ist die Besetzung eines anderen Landes ein völkerrechtliches Verbrechen. Und selbstverständlich ist eine Mauer das Symbol des Ausschlusses und der gewaltsamen Einhegung schlechthin.
Aber diese einfache Formel ist, wie man am 7.10. 2023 sehen konnte, in diesem konkreten Fall falsch. Denn die Mauer steht nicht nur als Symbol für die Spaltung, sondern auch als reale Schutzmöglichkeit vor eben dem Terror, der gerade verübt wurde. Bereits Aristophanes schreibt vor 2.500 Jahren: „Nicht von den Freunden, sondern von den Feinden lernen Städte die Lektion hoher Mauern.“ Die Mauer war jahrtausendelang ein Symbol der Verteidigungsfähigkeit von Gemeinschaften in einer kriegerischen Welt. Mauern sind in ihrer Funktion beschützend, nicht teilend, oder gar rassistisch. Aber Roger Waters lebt ja nicht gerade in der gefährlichsten aller Welten. Er kritisiert meist aus seinem Manhattan Townhouse mit Sicherheitsdienst und Portier heraus. Oder aus seiner 16,2 Millionen Dollar Villa im Vorort Bridgehampton nahe New York. Die historische Pferderennbahn dort wäre geeignet das Royal Ascot zu beherbergen.
Roger Waters selbst hat dieses Zweithaus übrigens an einer Stelle bauen lassen, an der sich ein aus dem 19. Jahrhundert stammendes historisches Wohnhaus befunden hat. Er hat es abreißen lassen, vermutlich mit Bulldozern, und mit einer Mauer umgeben, wie man sich auf virtualglobetrotting.com ansehen kann.
Das Mauerproblem wird in der Auseinandersetzung mit dem Konflikt gerne im Zusammenhang mit der Disproportionalität, von der der Konflikt dominiert sein soll, in den Raum gestellt. Zu viele Palästinenserinnen seien bisher im Konflikt gestorben, zu wenige Israelis. Man wirft also den Israelis vor, dass sie sich nicht oft genug ermorden lassen – man hofft wahrscheinlich auf einen weiteren Anlass zum Begehen eines Gedenktags – dass sie einfach nicht oft genug sterben, sich dagegen zu sehr und zu gut darauf eingestellt haben zu überleben, im Konflikt auf unfaire und unlautere Mittel zurückgreifen, die sie damit von den begrenzten Mitteln ihrer Angreifer abheben, um ihr eigenes Überleben sicherzustellen. So haben sie in Reaktion auf die Zweite Intifada 2000, als Reaktion auf Terroranschläge aus der Westbank also, mit dem Bau der Sperranlagen, der Mauer, erst begonnen. Zudem investierten sie, als Reaktion auf andauernde Raketenbeschüsse, in eine Luftabwehranlage, den Iron Dome. Der Vorwurf ist, dass der Staat Israel sich ein Raketenabwehrsystem zum Schutz der eigenen Bevölkerung leistet, während die hochsubventionierte Hamas ihre Bevölkerung für Special Effects verheizt? Mit welcher Begründung? Dass die Waffen des Gazastreifens schlecht sind? Dass gefälligst ausgeglichen oft gestorben werden soll? Dass gefälligst alle gleich schlechte Waffen haben sollten? Dass gefälligst beiden politischen Vertretungen die eigene Bevölkerung egal sein sollte? Ist eine strenge Kontrolle des Personenverkehrs an der Grenze eine disproportionale Reaktion auf Terroranschläge? Man weiß es einfach nicht. Seit Staatsgründung verzeichnete Israel über 1.600 Terroranschläge. Die Frage ist, ab wie vielen jüdischen Opfern wäre die Frage der Disproportionalität gelöst? Wie wäre es mit 6 Millionen? Wie wäre es mit 900.000 vertriebenen Juden aus den arabischen Ländern und der muslimischen Welt?
Disproportionalität. Wie wäre es mit einer Kriegserklärung gegen Israel einen Tag nach Ausrufung des Staates, durch fünf arabische Armeen, mit dem expliziten Ziel der Auslöschung aller Juden auf dem Gebiet des neuen Staates? Einer Kriegserklärung gegen das einen Tag alte Land ohne Heer, das nur mithilfe von paramilitärischen Gruppen siegte? Wie wäre es mit 103 Verurteilungen Israels vor dem UNO-Menschenrechtsrat zwischen 2006 und 2023, einem Rat in dem Saudi-Arabien 2015 den Vorsitz hatte? 2022 belief sich die Zahl der Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegen Israel auf 15, der Rest der Resolutionen wurden gegen 13 weitere Länder (je eine Resolution pro Land, bis auf Russland mit 6 Resolutionen) verhängt. Zu den Ländern zählten u. a. Nordkorea und Afghanistan.
Reden wir über Disproportionalität. Im Mai 2023 feuerte der Palästinensische Islamische Jihad 104 Raketen nach Israel, worauf Israel Luftangriffe flog, was wiederum zum Abschuss von 400 Raketen gegen Israel führte. Die Tagesschau kommentierte dies folgendermaßen „Aus Gaza sollen rund 400 Raketen auf Israel abgeschossen worden sein – als Reaktion auf die Luftangriffe.“ Disproportionalität. Ab wie vielen Raketen wäre ein Luftangriff Israels gerechtfertigt? Ab wie vielen israelischen Opfern wären Luftangriffe auf Hamas in Gaza gerechtfertigt?
Oder wollen wir über die Disproportionalität der Analogien sprechen? Was ist zum Beispiel Genozid? Und wie kann man einen jahrzehntelangen Genozid mit einem jährlichen Bevölkerungswachstum von 2,8% im Gazastreifen beschreiben? Als mäßig erfolgreich? Was ist nochmal ein Konzentrationslager? Was bedeutet Apartheid? Was Kolonialismus, Imperialismus, Nazismus, Faschismus? Wissen wir das? Gibt es dazu historische Forschung? Gibt es für diese Wörter überhaupt Definitionen? Wozu wurde Sprache erfunden? Etwa um zu kommunizieren? Ist es überhaupt noch notwendig, dass wir uns über die Bedeutung von Wörtern einig sind? Sollte es nicht möglich sein, dass man einfach alles mit allem vergleicht und jedes beliebige Wort für jedes beliebige zeitgenössische Phänomen verwendet?
Die UN stimmte nach dem größten Massaker an Juden in der jüngsten Geschichte über eine Resolution gegen Israel ab, damit es zum Waffenstillstand angehalten wird, eine Resolution die den Auslöser des Krieges, Hamas, mit keinem Wort erwähnte. 13 Länder stimmten dagegen.
Proportionalität. Israel ist das einzige Land der Welt, das dafür kritisiert wird, dass es LGBTQ-Rechte unterstützt und eine Gay Pride hat. Das nennt sich dann „Pinkwashing“. Die nicht vorhandenen Rechte von LGBTQ-Personen im Gazastreifen würdigte man zuletzt allerdings mit einer LGBTQ-Palestine-Crossover-Flagge bei einem Pro-Palästinensischen Protest in New York.
Proportionalität. Israel ist doppelt so groß wie Oberösterreich. Proportionalität. Ein jüdischer Staat weltweit. 50 muslimische Nationen weltweit. Juden machen 0,19% der Weltbevölkerung aus. Das sind 15 Millionen. Ca. 7 Millionen leben in Israel. 21% von Israels Bevölkerung sind muslimische Araberinnen, 5% gehören anderen Religionen an. Die letzte Zählung ergab dagegen eine Zahl von 13 Millionen Palästinenserinnen weltweit, Tendenz steigend. Warum? Auch weil der Flüchtlingsstatus der Palästinenserinnen vererbt wird. Sprechen wir noch einmal über das Rückkehrrecht? Im Gazastreifen leben keine Juden.
Proportionalität wäre auch gefragt beim Verteilen der Verantwortung. Denn Israel, das seit Jahren den Gazastreifen mit Wasser, Strom und Lebensmitteln versorgt, hat auch in Kriegszeiten das feindliche Gebiet mit Wasser, Strom und Lebensmitteln zu versorgen. Die Nichtlieferung in Zeiten des Krieges sei ein „Versuch den Gazastreifen auszuhungern“. Warum es im Gazastreifen allerdings keine funktionierende Wasserversorgung gibt und was mit den Trinkwasserrohren passiert ist, die vor Jahren aus Israel kamen, bleibt unbeantwortet. Man könnte meinen der Gazastreifen habe nur eine Grenze mit Israel. Wenn da nicht Ägypten wäre. Hungern eigentlich die Ägypter auch die Gazaner aus? Nein, so erfährt man in Diskussionen, denn „die Grenze zu Ägypten ist seit Jahren zu“ und „da bisher Lebensmittellieferungen aus Israel kamen“, war die „Konsequenz der ägyptischen Grenzsperre (…) nie, dass in den Gazastreifen keine Lebensmittel kommen“. Aha. Man könnte sich jetzt vielleicht fragen, ob die Konsequenz aus der ägyptischen Grenzsperre nicht doch ist, dass keine Lebensmittel in den Gazastreifen kommen. Israel hat zwar 2005 den Gazastreifen verlassen, aber: wer einmal liefert, hat eine lebenslange Verpflichtung, selbst im Kriegszustand, selbst wenn es sich um das feindliche Gebiet handelt, wer nie liefert, kann auch nie in der Pflicht sein zu liefern. Nun gut.
Ähnlich verhält es sich mit der Tötung von Zivilistinnen. Wenn Hamas sich hinter Zivilistinnen versteckt und von Krankenhäusern, Schulhäusern, Gebetshäusern aus Raketen schießt, damit also internationales Recht bricht, ist es Israels Schuld, wenn Zivilistinnen sterben, auch wenn Israel das Gebiet bombardiert, weil sich dort Terroristen und Kriegsmaterial befinden und davor Warnungen an die Zivilbevölkerung ausspricht das Gebiet zu verlassen. Wenn diesen Warnungen aus unterschiedlichen Gründen – weil beispielsweise Hamas die Bevölkerung nicht gehen lässt und damit internationales Recht bricht – nicht nachgekommen wird, ist es ebenfalls Israels Schuld. Die Bevölkerung des Gazastreifens verdient also keinen Schutz durch die eigene Führung, dafür soll der angrenzende Staat, mit dem man sich im Krieg befindet, auch Sorge tragen? Der Terrorakt sind nicht die entführten und gemetzelten israelischen Zivilistinnen und der andauernde Raketenbeschuss, sondern der Versuch Israels den Kriegsgegner und seine Waffenlager zu zerstören?
Natürlich ist es nur vernünftig, wenn man vollkommen absurde Dinge von Israel erwartet, die man von keinem anderen Staat der Welt verlangen würde, sich beschießen zu lassen zum Beispiel, seine Bürgerinnen der Metzelei freizugeben, ohne darauf reagieren zu dürfen. Oder die Bewohnerinnen des Gazastreifens – der unter der Kontrolle von Hamas steht – rechtlich genau gleich zu behandeln wie die eigenen Staatsbürger. Dann verfasst man Headlines wie „Israel erwidert trotz neuer Waffenruhe Beschuss aus Gaza“, ohne zu bemerken, dass eine Erwiderung eines Beschusses während eines Waffenstillstands wohl ohne vorangegangenen Beschuss während eines Waffenstillstands gar nicht notwendig gewesen wäre, und ohne sich zu fragen, ob man eigentlich irgendwo angerannt ist. Und wenn man dann doch drauf hingewiesen wird, brüllt man geistesgegenwärtig „Bitte, die unterstellen mir schon wieder Antisemitismus!“ Denn, wie weithin bekannt, ist der Vorwurf des Antisemitismus viel schlimmer als Antisemitismus selbst.

Mit Antisemitismus haben die sich seit dem 7. Oktober häufenden wahlweise „antizionistischen“, wahlweise „israelkritischen“ Ausschreitungen jedenfalls nichts zu tun. Eine Gruppe wahrscheinlich „israelkritischer“ Randalierer hat in Dagestan den Flughafen und ein Hotel gestürmt auf der Suche nach „Israelis“ oder „Juden“, so heikel waren sie dann nicht. Wahrscheinlich um zu diskutieren, man kennt es ja, da kann es schon mal heiß hergehen. Aber Putin weiß mehr. So machte er die Ukraine und den Westen für die Aufstände verantwortlich.
In Istanbul gibt es wieder „israelkritische“ Hinweisschilder auf Büchergeschäften, schön inklusiv gehalten, mit „Jews not allowed“. Der Ladenbesitzer erklärt dies so „Vielleicht hätte es Zionisten oder Israelis heißen sollen, aber ich war wütend und emotional“. Wut und Emotionalität dürften länger angehalten haben, denn das Ausbessern des Schildes ist sich nicht ausgegangen. In Berlin wurden Häuser und Straßen mit Davidsternen beschmiert. In den USA wurde das Oberhaupt der Detroiter Synagoge Samantha Woll wahrscheinlich von einem „Israelkritiker“ erstochen. In London und Sydney riefen „antizionistische“ Pro-Palästina-Demonstranten „Gas the Jews!“. Wiener „Antizionisten“ haben den Vorraum der Zeremonienhalle am jüdischen Teil des Zentralfriedhofs niedergebrannt und Hakenkreuze an die Außenmauern gemalt.
Der gazanische „antizionistische“ Filmemacher Soliman Hijjy postete ein Foto von Hitler in den sozialen Medien und behauptete er befinde sich „in einem ähnlichen Zustand der Harmonie wie Hitler während des Holocaust“. Der „israelkritische“ Vorsitzende des Ausschusses für Nationales Erbe und Kultur des Senats von Pakistan, Afnan Ullah Khan, hat als Reaktion auf die Behandlung der Gazaner durch Israel ein Foto von Adolf Hitler geteilt, mit der Überschrift „Wenigstens weiß die Welt jetzt, warum er getan hat, was er getan hat!“ Die jüdischen Opfer der Vergangenheit sollen damit im Voraus für die Taten der Juden Israels der Gegenwart mit dem Tod bestraft worden sein. Fragt sich nur, warum die präventive Strafe anscheinend noch nicht gereicht haben soll. Der Hamas-Anführer Hamad Al-Regeb hat für die Auslöschung der Juden gebetet, nicht, wegen des Konfliktes um das Land, sondern weil diese „schmutzige Tiere“ seien, „Schweine“ und „Schimpansen“ und laut dem Koran für ihre Sünden büßen müssten.
Antisemiten erkennt man oft daran, dass sie jeden Tag hunderte „israelkritische“ Artikel verfassen und teilen, in großen Tageszeitungen und Verlagen publizieren, dass sie den Vorsitz in transnationalen politischen Organisationen haben und eigene Konferenzen zu ihrem Herzensthema organisieren, dass sie längst dem politischen Mainstream angehören, das aber selbst nicht erkennen mögen, dass sie auf Facebook begeistert Postings kommentieren in denen Wörter wie „hebräisch“, „Israel“ oder „jüdisch“ vorkommen, es dabei aber dennoch schaffen – ohne dabei zu lachen – zu behaupten, „Israelkritik“ sei ein Tabuthema und niemand höre die Stimme der Palästinenserinnen. Sie verfassen Kommentar über Kommentar über Kommentar unter den Social Media Postings von Musikerinnen, Künstlerinnen und inzwischen sogar unter den Reels von Instagram-Z-Promis, und drangsalieren sie dafür, dass sie entweder das falsche, oder gar nichts, oder zu wenig über die Menschen im Gazastreifen gepostet haben.
Am Ende kann man feststellen, dass alle diese Versuche Israel zu dämonisieren Früchte tragen. Dass es wirklich mittlerweile so ist, dass man, egal wo auf der Welt, als Jude in Gefahr ist. Und, dass es dadurch den Menschen in Gaza um keinen Deut besser geht. Oder um es mit den aktuellen Worten eines Vertreters der Hamas im Deutschlandfunk zu formulieren: Auf die Frage eines Korrespondenten, weshalb die Hamas die Tunnel nicht für die eigenen Leute zum Schutz nütze, sagte der Mann von der Hamas: „Die Tunnel sind für uns. Um die Bevölkerung kümmert sich die UNO.“
Ela & Stefan