Johnny Depp, Jack Unterweger und die ganz normalen Psychopathen im Leben von Frauen

Große und kleine Skandale in Promi-Kreisen, wie der Verleumdungsprozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard oder metoo sind nur die Spitze des Eisbergs. In Österreich ist jede dritte Frau von Gewalt betroffen.

Das hat eine Studie der Statistik Austria gezeigt, die man hier nachlesen kann. Wir – drei Frauen – Ela, L. und Nele diskutieren im Podcast über Gewalt an Frauen, ihre Formen (psychische, körperliche, sexuelle Gewalt und Stalking) und darüber, wie sich Täter als Opfer darstellen.

Unser verspätetes Valentins-Special für euch liebe LeserInnen und HörerInnen. Enjoy!

Wo ist eigentlich „unterm Schirm“? – Ein Gespräch gegen Ladybrains und Schminkischminki


Dieser Text ist der Anfang eines langen und ausführlichen Gesprächs, das in seinem vollen Umfang in unserem nächsten Buch (im Print und als E-Book) beim Luftschacht Verlag erscheinen wird. Hier ein kurzer Teaser:


Gespräche gegen die Wirklichkeit

Von Sokrates haben wir gelernt, dass Selbsterkenntnis kein einsamer Akt ist, sondern nur im Gespräch mit anderen stattfinden kann. Sokrates war oft in Einigkeit mit der Wirklichkeit und hat an der Seite seiner Mitbürger so manche Schlacht für die Aufrechterhaltung seiner Polis gefochten. Einer Polis, die Sklaven und Leibeigene als Basis ihrer Ökonomie ausgebeutet, und die Frauenrechte mit Füßen getreten hat.

Im Gespräch lässt sich gleichzeitig Recht und Unrecht haben. Auch abwechselnd. Wir wollen beweisen, dass es längst überfällig ist, die Welt zu verändern. Wir wissen eigentlich, wie Freiheit geht. Aber mit Sokrates werden wir sie nicht erreichen. Die Welt ist falsch eingerichtet, dass sie aber gar so falsch eingerichtet ist, wäre noch dazu nicht einmal nötig. Sprechen wir darüber.


Stefan: Ich mach jetzt etwas, was wir sonst nicht tun und was eigentlich eh klar sein sollte. Aber ich stell jetzt erst mal was klar. Wir freuen uns natürlich auch bei diesem Text wieder auf sehr viele Zuschriften von wütenden Männern. Aber da wir möglichst wenige Zuschriften von wütenden Frauen haben wollen, soll trotzdem gesagt sein, dass dieser Text sich nicht gegen transsexuelle Menschen richtet. Es soll auf die Nöte von Frauen hingewiesen werden, die sich aus den vielen gesellschaftlichen und politischen Unklarheiten ergeben, die das Thema der Transsexualität begleiten.

Wir sind dafür, dass jeder Mensch seine sexuelle Identität auch in der Öffentlichkeit so ausleben kann, wie er/sie das gerne möchte. Wir fühlen uns solidarisch mit Menschen, die ihre sexuelle Identität offen leben oder wandeln wollen. Wir werten nicht die sexuellen Vorlieben oder Identitäten, die Menschen präferieren. Wir sprechen hier über ganz andere Dinge. Wir sprechen über Gewalt von Männern gegen Frauen. Über das Eindringen von Männern in absolut notwendige Schutzbereiche für Frauen und über Gewalt gegen Kinder. Wer Transrechte gegen die Rechte von Frauen und Kindern anwendet, ist selbst ein Täter und hat daher weder politische Toleranz und schon gar nicht den Schutz vor Polemik verdient.

Ich illustrier das mal mit einem Beispiel: Stell dir vor, du bist eine Frau, die sich ihr Leben lang für den Feminismus eingesetzt hat, mit allem was sie hat. 70 Jahre purer Feminismus in Wort und Schrift. Und dann kommt ein Mann, der, nachdem er sein Leben lang alle Vorteile eines heterosexuellen Mannes genossen hat, mit Ende seiner Karriere beschlossen hat, er ist jetzt auch eine Frau und lässt sich mit Lippenstift abbilden und kommt natürlich sofort aufs Cover der postfeministischen Nobelpreisjuryzeitschrift als „Frau des Jahres“. Und der Mann lässt dir dann über die Medien ausrichten, dass du eine alte weiße Frau bist und ab jetzt die Schnauze halten sollst.

Das ist übrigens wirklich passiert. Georgine Kellermann hat verdiente Feministinnen sehr undifferenziert als TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminist) bezeichnet und in den Kommentaren persönlich beschimpft. Da hat also ein Mann den Karriereschutzraum für Männer genutzt, um sein Leben lang eine schnelle Schiene nach oben zu haben und hat sich dann, als das alles vorbei war, entschieden, er ist jetzt auch eine Frau und will sozusagen sein Ruhestandsprivileg auch noch einfahren. Das ist prinzipiell nicht verwerflich. Was mich ankotzt daran ist, dass er es auf Kosten von Frauen tut, wenn er seine Selbstdefinition dann dazu nutzt feministische Frauen öffentlich anzupatzen. Und das ist genau, worum es hier geht. Nicht dass er eine Frau sein will, sondern, dass er seinen Status dazu benutzt Frauen runterzuziehen. Wie das ein klassischer Cis-Mann ebenso gemacht hätte.

Ela: Historisch betrachtet wurden Frauen immer durch Männer definiert. Wundert man sich da tatsächlich, dass sich Feministinnen (die sogenannte TERF-Fraktion) nun nicht schon wieder von Männern erklären lassen will, was jetzt eigentlich eine Frau ist? TERF ist man ja eigentlich schon, wenn man weiterhin als Feministin davon überzeugt ist, dass Gender ein – nicht nur für Frauen – schädliches Konstrukt von Stereotypen ist, das sie in der Entwicklung einschränkt; mit dessen Hilfe ihre Unterwerfung als natürlich legitimiert wurde und wird.

Stella: Kellermann sagte ja auch, er sei eine Frau, weil er zum Kaffee einen Eierlikör trinkt, hihi. Er mag denken, er hätte es scherzhaft gemeint, aber es lässt auf sein Frauenbild schließen, das im Grunde eine sexistische Karikatur ist. Ein Blick auf sein Twitterprofil bestätigt das: keine 63-jährige Journalistin, und schon gar keine, die es auf einen vergleichbar hohen Posten wie den des WDR-Studioleiters gebracht hat, würde in einer Tour Herzchen- oder Flamencotänzerinnenemojis und kesse Selfievideomontagen posten.

In einem Artikel für die ZEIT schreibt er: „Ich bin eine Frau, weil ich es schon immer war. Ich kann das auch nicht anders erklären. […] Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau. Das ist keine Frage äußerlicher Geschlechtsmerkmale. Da bin ich mir ganz sicher.“ Was bleibt also übrig von der Kategorie „Frau“, wenn man die Definition nicht anhand „äußerlicher Geschlechtsmerkmale“ festmacht? Klischees: die Vorstellung von einem Ladybrain, das auf Schminkischminki, Eierlikör und Stöckelschuhe steht – das sind die „inneren Geschlechtsmerkmale“, auf die er hinauswill. In Publikationen wie der ZEIT kann man das allerdings nur mehr implizieren, deswegen bleibt er beim beliebten Zirkelschluss „Frau ist, wer sich als Frau fühlt“. Umgekehrt heißt das dann, dass Frauen und Mädchen, die sich nicht mit stereotyper Femininität identifizieren wollen oder können, keine „echten“ Frauen sind (daher kommt meiner Meinung nach auch der plötzliche Anstieg an jungen Frauen, die sich als nicht-binär oder trans bezeichnen). Diese Denkweise steht Feminismus und Frauensolidarität diametral entgegen. Deswegen finde ich es mehr als bedenklich, dass besagter ZEIT-Artikel laut Kellermann in ein Schulbuch für Philosophie aufgenommen werden soll.

Stefan: Ich versuche gerade angestrengt nachzudenken, was Philosophie in dem Zusammenhang bedeuten könnte? Um welche Disziplin geht es da? Wenn ich Schulbuch höre, dann denk ich an Ethik. Aber Kellermann denkt doch sicher auch an die Anthropologie. Dort steht ja, neben der Abstammung und dem Wesen des Menschen, auch seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung unter Beobachtung. Der Mensch sollte als Subjekt untersucht werden. Und in der Hand der einschlägigen Philosophen ist dieses Subjekt gleich zu etwas Unangenehmem geworden.

Bei Althusser findet sich in seinen „Notizen zur Ideologie“ der Gedanke, dass die Ideologie die Individuen als Subjekte „anruft“. Er meint wir nehmen uns selbst als Subjekte nur wahr, weil wir „in den praktischen Ritualen des allereinfachsten Alltagslebens funktionieren“. Also beim Händedruck, bei der Nennung unseres Namens usw. Ein faszinierender Satz, wenn man ihn ernst nimmt. Es klingt als könnten sich alle durch Sprache definieren. Aber zugleich ist diese Anrufung auch ein Ritual. Diese Formulierung: „Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau.“, ist ja eine Anrufung. Also im Grunde ein magischer Satz, der eine Wirklichkeit erzeugen oder bestätigen soll, die eben nicht wirklich ist. Und darin kommt das ganze Tragische dieser Situation zum Ausdruck. Weil hier nicht unterschieden wird zwischen dem Anspruch alles durch Sprache erzeugen zu können, und der Möglichkeit Wirklichkeit durch Sprache zu erschaffen. Nicht die Wirklichkeit soll verändert werden, sondern die Sprache darüber.

Stella: Der mantraartig wiederholte Satz „Trans women are women“ funktioniert genauso. Es ist ein Glaubenssatz. Einerseits sollen damit Tatsachen geschaffen werden, die nicht diskutiert werden dürfen, andererseits sehe ich hier auch eine Art „Credo quia absurdum“, etwas, das man als Transaktivist, als guter Ally, als guter Mensch schlechthin glauben muss, auch wenn es offensichtlich der Realität, der eigenen Wahrnehmung widerspricht. Gewissermaßen eine Ermahnung, an sich selbst und die anderen in der Gemeinschaft der Guten: Don’t believe your lying eyes. Seht her, ich bin so tolerant, so un-transphob, so sophisticated, so gut, ich glaube etwas, das für den gemeinen Pöbel, der das alles nicht ist, augenscheinlich falsch ist.

Das Perfide an dem Satz ist außerdem, dass er für Menschen, die nett und höflich sein wollen, und sich nicht näher mit der Thematik auseinandergesetzt haben, als Falle fungiert. Wenn man glaubt, es geht hier nur um eine winzige, diskriminierte, harmlose Minderheit, die mit Geschlechtsdysphorie zu kämpfen hat und deshalb einfach ~Anerkennung~ und eine medizinische Behandlung haben möchte, fällt es leicht, diesen Satz als nicht wörtlich gemeinte Höflichkeitsfloskel zu wiederholen. Wer möchte schon jemanden, der darunter leidet, als „das falsche Geschlecht“ geboren worden zu sein, deswegen möglicherweise schon schwere Operationen und viele mühsame Amtswege hinter sich gebracht hat, mit (vermeintlicher) Pedanterie à la „Du bist aber keine richtige Frau!“ verletzen oder vor den Kopf stoßen? Niemand, es sei denn, man legt es darauf an, als unsensibles Arschloch aufzutreten. Sobald einem dann auffällt, dass Transrechtsaktivisten diese Floskel zu 100% wortwörtlich verstanden sehen wollen, in allen Lebensbereichen, also auch bei aus guten Gründen geschlechtergetrennten Schutzräumen wie Umkleiden und Frauenhäusern oder im Sport, und dass mit „trans Frauen“ auch solche gemeint sind, die sich keinerlei medizinischer oder kosmetischer Transition unterzogen haben (da Geschlechtsdysphorie für das Label „trans“ nicht mehr als Grundvoraussetzung gilt), sie sich von „cis“ Männern also nur durch eine subjektive Selbstidentifikation als Frau unterscheiden, ist es zu spät, um zurück zu rudern. Man hat zudem etwa an dem Backlash gegen J.K. Rowling gesehen, was einem bei Widerspruch droht, und möchte sich dem nicht aussetzen.

Ela: Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie hat vor Jahren schon einmal mit der ihr wenig kontrovers erscheinenden Aussage einen Shitstorm ausgelöst, für sie seien Transfrauen Transfrauen und man solle nicht so tun als erlebten Frauen dieselben Probleme wie Transfrauen, da diese oftmals eine Sozialisierung als Mann erfahren hätten.

Den Begriff Transsexualität hat man ja inzwischen durch den Unsinnsbegriff Transgender ersetzt, unter dem sich inzwischen so ziemlich alle versammeln können, denen danach ist. Gender-Bender, Crossdresser, Transvestiten, Transsexuelle und auch Autogynephile. Und als Feigenblatt streut man eine Prise Intersex drüber und hofft, dass niemand bemerkt, dass man die genitale Verstümmelung von 0,001 % der Weltbevölkerung („assigned at birth“) dazu nutzt, allen anderen unter diesem Schirmbegriff zusammengewürfelten Gruppen, ob verdient oder nicht, zu mehr Legitimität zu verhelfen, selbst wenn dies auf Kosten von Frauen geschieht.

Stella: Es gibt zum „Transgender Umbrella“ auch dutzende schöne Grafiken, die illustrieren, dass quasi jeder trans ist, der als Frau keine personifizierte Barbiepuppe oder als Mann keine GI-Joe Actionfigur ist. Der Wunsch, möglichst inklusiv sein zu wollen, führt zu einer Begriffsaufweichung, niemand weiß mehr genau, wovon bei „trans(gender)“ oder „gender“ generell überhaupt die Rede ist, Debatten werden durch die schwammigen Begriffe verunmöglicht und sie heißen je nach argumentativem Bedarf etwas anderes. Gleichzeitig schaffen sich Transrechtsaktivisten so einen viel größeren Zuständigkeitsbereich, indem sie die Identifikation mit dem Begriff erleichtern – denn wer will schon so eine fade, konformistische „cis“ Person sein – , inkludieren Menschen, die nicht inkludiert werden wollen, erklären retrospektiv historische Persönlichkeiten (hauptsächlich gegen gesellschaftliche Restriktionen rebellierende Frauen, wie etwa Jeanne d’Arc oder Frauen, die sich als Mann ausgeben mussten, um arbeiten oder selbstbestimmt leben zu können) zu Transmenschen, und können so sagen, Transmenschen habe es immer schon gegeben.

Ela: Lustigerweise hab ich kürzlich erst auf Facebook das Posting eines Bildes von Salvador Dalí gesehen, in dem er sich selbst als Mädchen gemalt hat, da er sich im Alter von sechs Jahren für ein Mädchen hielt, was einen Kommentierenden dazu inspiriert hat, sich zu fragen ob Salvador Dalí transgender war.

Stefan: Dalí ist faszinierend. Ein Verwandlungskünstler, der Uneindeutigkeiten geliebt hat. So sehr, dass er sie zum zentralen Erkenntnismittel erhoben hat. Mit seiner paranoisch-kritischen Methode fordert er Wahnbilder als Wirklichkeitsbilder zu betrachten. Im Text „Der Eselskadaver“ schreibt er, dass der Paranoiker über „unfaßbaren Scharfsinn“ verfügt und mit seiner Methode „zum Ruin der Wirklichkeit“ beitragen kann, um begleitet von surrealistischer Aktivität „zu den klaren Quellen der Onanie, des Exhibitionismus, des Verbrechens und der Liebe“ zurückzuführen. Ein Wahn-Projekt, in dem diese letzte Aufzählung im Zusammenhang mit der Möglichkeit von sexueller Gewalt einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt. Von Sigmund Freud war er bei ihrem Treffen in London jedenfalls enttäuscht. Vielleicht war er ihm nicht paranoisch genug.

Michel „IchbinkeinStrukturalist“ Foucault hat ja auch in seinem Urteil über Freud geschwankt. Freud ist für ihn, je nach Schaffensphase, der Schöpfer einer kritischen Gegenwissenschaft (Wahnsinn und Gesellschaft) oder im Spätwerk Diktator einer Disziplinarwissenschaft. Aber Foucault teilt mit Dalí die Liebe für das Uneindeutige, bis hinein in seine Methode. Und einige seiner gesellschaftstheoretischen Denkmodelle sind eindeutig paranoisch, wie z.B. der Panoptismus.

Foucault hat von dem Strukturalisten Claude Lévi-Strauss so viel gelernt, dass er eine ganze in sich widersprüchliche Methodenlehre entwickelt hat, in der sich die Systematik der Analyse des „wilden Denkens“, die Lévi-Strauss begonnen hat, wiederfindet. Das magische Denken, so Lèvi-Strauss „bildet ein genau artikuliertes System“, das zwar nicht die gleichen Ergebnisse wie das Wissenschaftssystem erbringt, aber ihm „bezüglich der Art der geistigen Prozesse“ gleicht, die sie jeweils voraussetzen. Magisches Denken erscheint als „Ausdrucksform eines Glaubens an eine zukünftige Wissenschaft“.

Die Erforschung von Dispositiven entstammt einem ähnlich magischen Denken. Nur, dass es sich hierbei um den Glauben an die Macht der Schrift über die Natur handelt. In dem Buch von Foucault über Hermaphrodismus befindet sich im Nachwort eine selten klare Darstellung von dieser Gedankenwelt. Hier wird im Grunde die Auffassung vertreten, dass die juristische moralische psychologische Sprache die Sexualität der Moderne erschaffen hat. Sie erzeuge einen Diskurs, der in „endlosen Oszillationen zwischen biologischen und kulturellen Determinanten den Ort und die Ontologie der Geschlechter vorantreibt“. Der moderne Körper ist „konstruiert“. Das bemerkenswerte an diesem magischen Glauben ist aber das Frankenstein-Grundelement. Denn so fährt der Verfasser fort: Der Körper der modernen Menschen wächst um das „Implantat seines Geschlechts“ herum. Das Geschlecht ist also nicht nur diskursiv konstruiert und durch Sprachmagie wirklichkeitsmächtig gemacht, sondern auch implantiert und somit nicht biologisch gewachsen, sondern von vornherein künstlich erzeugt und damit natürlich auch im Nachhinein beliebig amputierbar.

Ela: Judith Butler hat sich beim „Unbehagen der Geschlechter“ ja eh auf Foucault berufen. Wenn die Subjekte durch die Macht erst konstituiert werden, ist das feministische Subjekt – die Frau – auch durch das politische System – das auf Geschlechterbinarität aufbaut – diskursiv geschaffen. Sowohl Sex, wie auch Gender seien kulturell konstruiert, in den Begriff Sex sei bereits der politische Zweck hinter der Kategorisierung und Differenzierung, die Reproduktion, eingeschrieben, denn das System basiere auf Zwangsheterosexualität. Geschlecht (sowohl Sex als auch Gender) sei ein endloser performativer Prozess. Dem biologischen Geschlecht seien die Geschlechterrollen eingeschrieben und würden unablässig reproduziert und imitiert.

Butler schlägt vor, sich aus feministischer Perspektive darüber Gedanken zu machen, warum es überhaupt eines feministischen Subjektes – Frau – bedürfe, ob man sich nicht einfach gleich mit Geschlechtsidentität an sich und deren Repräsentation befassen sollte – da der Feminismus von einem Fundamentalismus geprägt sei, der die Subjekte einschränke, die er eigentlich befreien wolle – oder – in letztes Konsequenz – das feministische Subjekt einfach fallen lassen, und sich von jeder Einschränkung befreien.

Aber ist ein Feminismus ohne Frauen als politisches Subjekt, der situationselastisch heute diese, morgen jene Identität vertritt, ein Feminismus der Individuen, überhaupt ein Feminismus? Hat er Potenzial politische Veränderung zu erzielen? Und warum ist Butler der Meinung, dass man dieses Ziel nur unter Aneignung des Feminismusbegriffs erreichen kann? Und ist es Zufall, dass so ein Vorschlag gerade beim Feminismus gemacht wird, und beispielsweise nicht bei anderen Befreiungsbewegungen? Daraus ist meiner Meinung nach dann auch der Irrtum entstanden, dem der Liberale Feminismus aufsitzt, dass man nämlich jede unterdrückte Identität vertreten muss, wenn man eine richtige Feministin sein will.

Butler und andere Aktivisten zitieren dann auch gern Beauvoirs „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu (gemacht)“, und manche meinen darin bestätigt zu sehen, Beauvoir habe behauptet, dass eine Frau sei, was auch immer eine Frau sagt, dass sie ist. Self-Identification. So behauptet Butler, dass in Beauvoirs Formulierung von einem „Handlungsträger“ ausgegangen wird, der sich eine „Geschlechtsidentität“ aneignet und prinzipiell „auch eine andere Geschlechtsidentität annehmen könnte“. Doch Beauvoir befasst sich schon im ersten Kapitel von „Das andere Geschlecht“, „Schicksal“ mit der weiblichen Biologie:

„Die biologischen Gegebenheiten sind außerordentlich wichtig: sie spielen in der Geschichte der Frau eine herausragende Rolle und sind ein wesentliches Element ihrer Situation (…) Denn da der Körper das Instrument für unseren Zugriff auf die Welt ist, stellt sich diese, je nachdem, ob sie auf die eine oder auf die andere Weise erfaßt wird, ganz anders dar. (…) Was wir aber ablehnen, ist die Vorstellung, daß sie für die Frau ein festgelegtes Schicksal bedeuten. Sie reichen nicht aus, eine Hierarchie der Geschlechter zu bestimmen; sie erklären nicht, weshalb die Frau das Andere ist, und sie verurteilen sie nicht dazu, diese untergeordnete Rolle für immer beizubehalten.“

Für Beauvoir „entsteht“ Weiblichkeit im Zusammenspiel von biologischen und kulturellen Faktoren, die für die „weibliche Erfahrung“ konstitutiv sind. Der Entstehung der Ideen und Mythen rund um die Weiblichkeit geht aber die Existenz eines weiblichen Körpers voraus.

Andererseits haben wir ja dann auch auf der anderen Seite Feministinnen die dem „Transfrauen sind Frauen“ nichts als „Eine Frau ist ein erwachsener weiblicher Mensch“ entgegenzusetzen haben. Was ja dann auch nicht mehr als eine Phrase ist. Ich meine, dass die beiden Positionen schon alleine deswegen keine gemeinsame Basis finden können, weil sie aus zwei komplett unterschiedlichen Annahmen hervorgehen und aneinander vorbeiargumentieren.

Die eine Seite geht davon aus, dass die Geschlechtsidentität inhärent ist. Ein Mensch weiß demnach instinktiv welchem Geschlecht er sich zugehörig fühlt, mit welchem sozialen Geschlecht er sich identifiziert. Wie ein Mann weiß, dass er ein Mann ist, und eine Frau weiß, dass sie eine Frau ist, kann es der Annahme nach manchmal passieren, dass das Selbstkonzept eines biologischen Mannes abweicht und er sich den Frauen zugehörig fühlt. Er „weiß“ es sozusagen. Nur was genau dieses Gefühl ausmacht, ist oft ein diffuses Schweigen, unterspickt mit grellen Klischees.

Auf der anderen Seite hat man eben verstanden, dass es die Biologie ist und die Annahme, dass aus dieser Biologie heraus sich quasi „natürliche“ zugehörige Rollenkonzepte ergeben – das Konstrukt Gender – die den Frauen jahrhundertelang in einer unheiligen Liaison des Todes ihr Leben zur Hölle gemacht haben, ihnen Möglichkeiten verwehrt, ihr Leben in die Hand zu nehmen, und ökonomische und soziale Nachteile nach sich zogen. Und all das soll nun nebensächlich sein und einer willkürlichen Selbstdefinition Platz machen, basierend auf dem vermeintlichen innerlichen Gefühl einer Gruppe von vorwiegend MtF—Transitionern. Eine Frau wird aber nicht dadurch weniger Frau, dass sie gerne „Stirb langsam“ schaut, denn das macht sie nicht immun gegen sexistische Kommentare und sexuelle Übergriffe.

Stella: Ich denke, dass der Satz „Eine Frau ist ein erwachsener weiblicher Mensch“ (die Übersetzung der Definition „Woman: adult human female“) eher eine Erwiderung auf den unsinnigen Zirkelschluss „Frau ist, wer sich als Frau definiert“ ist, und als solche legitim ist, wobei diese Definition natürlich nur der Ausgangspunkt ist, von dem aus weitere Auseinandersetzungen möglich sind, und nicht zu einer hohlen für sich selbst stehenden Phrase wie „Trans women are women“ verkommen sollte.

Ela: Ja du hast Recht, als Erwiderung ist es sinnvoll.

Stefan: Mir kommt vor, die Debatte, die von manchen Transaktivisten geführt wird, klammert bewusst das Problem der Gewalt aus. Also viele Aspekte der Kritik am Feminismus die durch Transaktivisten vorgenommen wird, kann nur unter Absehung der wirklichen Verhältnisse passieren. Dass man einfach nicht erwähnt, dass Frauen überproportional oft Gewalt von Männern ausgesetzt sind, während es umgekehrt eine verschwindend geringe Anzahl an Männern gibt, die unter Gewalt von Frauen leiden müssen. Das verbindet diese Positionen übrigens mit denen von so genannten Männerrechtlern. Die sich ja auch weniger für die Rechte von Männern, als gegen die Rechte von Frauen einsetzen.

Ela: Da muss man ein bisschen ausholen.


Die Fortsetzung dieses Textes findet sich in unserem nächsten Buch „Gespräche gegen die Wirklichkeit“.


Unter Herausgeberinnen. Kein Empfang du Sau: A self fulfilling prophecy

Stefan: Hast du gewusst, dass die Simpsons mit der Folge „Marge in Chains“ das gesamte Repertoire des Jahres 2020 prophezeit haben? In der Folge kommt eine asiatische Grippe vor, die sich über die Luft verbreitet, Killerhornissen, die sich auch über die Luft verbreiten, ein Mob der Statuen aus politischen Gründen stürzt und ein Mob der daraufhin plündert. Ja und Marge muss ins Gefängnis, weil sie unabsichtlich etwas aus dem Kwik-E-Mart stiehlt. Aber das passiert ihr nur, und da sind die Simpsons auch Propheten, weil sie ihre gesamte kranke Familie pflegen muss. Also sie wird als einzige nicht krank und kümmert sich um alles. Und während sie im Gefängnis ist, kommen die Leute der Gemeinde drauf, wie wichtig ihr Beitrag für alle immer war. Und sie sagen das auch wörtlich. So in etwa, „Leider können wir den Schulausflug nicht machen, weil uns die 15,50 Dollar fehlen, die wir beim Wohltätigkeitsbacken immer durch Marges Kuchen reinkriegen.“

Ela: Ja, aber in der nächsten Folge ist alles wieder vergessen, Marge macht weiterhin was sie macht, aber keine Sau interessiert es. Dann dürfen Frauen sich wieder solidarisch opfern, aber bitte im Stillen. Dann sollen sie anderen Zuliebe ein paar Einschränkungen in Kauf nehmen, weil daran sind sie eh gewöhnt, damit sich alle wohler fühlen. Stell dir vor Frauen würden wegen jedem Furz Amok laufen, oder besser: misandrische Terroranschläge verüben, wie beispielsweise das Incel-Vorbild Elliot Rodger und davor schicksalsschwangere Videobotschaften hochladen, in der sie die Ungerechtigkeit anprangern, dass Männer einen eigenen Kopf haben, nicht nur Frauen. Oder einfach weil sie PMS haben. Stell dir vor nach Morden, oder jeder Gewalttat, verübt unter dem Einfluss von PMS, würde es heißen „Naja, kannst nichts machen. Sind ja die Hormone. Girls will be Girls. Das ist halt ihre Natur. Hätten sie halt Männer mieten sollen, denen sie eine in die Goschn hauen, einmal im Monat, wäre das legal, wär das nicht passiert. Irgendwo muss man seine Bedürfnisse ja befriedigen.“ Und bei Körperverletzung würde man ihre Opfer fragen: „Haben Sie ihr vielleicht das Gefühl gegeben, dass sie raufen wollen? Haben Sie eventuell provokativ geschaut?“ Entschuldige, mir geht’s grad ein bisschen durch! Was ich sagen will, unsere Gesellschaft baut ja darauf auf, dass sich ein Teil der Bevölkerung opfert, zum Wohle des anderen Teils – wobei das natürlich nicht nur Frauen betrifft, aber ich will nicht zu weit ausholen. Prostitution ist ja auch so ein Thema, aber nicht in dem Sinne wie das viele glauben. Ein Teil der Frauen soll sich ja opfern, zum Wohl aller Frauen, damit sie nicht vergewaltigt werden, so das Narrativ. Tatsächlich opfern sie sich aber nicht für das Wohl aller Frauen, Vergewaltigungen geschehen doch weiterhin. Sie opfern sich für das Narrativ selbst. Denn eine Gesellschaft in der Frauenkörper zum sexuellen Gebrauch gekauft werden können, und das geschieht vorwiegend durch Männer, ist eine Gesellschaft die davon ausgeht, dass ebendiese Frauenkörper dem Mann zur Verfügung zu stehen haben, unabhängig davon ob es sich um Prostituierte handelt oder andere Frauen, eine Gesellschaft in der Männer sich nicht unter Kontrolle zu haben brauchen, wenn es andere Möglichkeiten gibt. Und in letzter Konsequenz müssen dann halt die Frauen sich unter Kontrolle haben, oder werden unter Kontrolle gehalten. Es ist ja nicht so, dass Frauen keine sexuellen Bedürfnisse haben, teilweise, je nach Zyklusphase, sind diese sogar recht stark ausgeprägt und schwer zu bändigen. Aber dennoch schaffen sie es irgendwie, sich zusammen zu reißen. Bei Männern soll das aber eine unmögliche Aufgabe sein? Erzählt mir doch bitte keinen Schwachsinn. Wenn Frauen es schaffen, dass sie nicht einmal im Monat Unbekannte bespringen oder ermorden, muss das auch von einem Teil der Bevölkerung zu erwarten sein, von dem einige Vertreter bis heute behaupten der vernunftbegabtere zu sein.

Aber der übt sich lieber in stellvertretender Großzügigkeit, wenn es um Dinge geht, die ihn persönlich nicht betreffen. Wenn es zb. darum geht stellvertretend von Frauen zu verlangen solidarisch Kopftuch zu tragen oder die Selbstidentifikation von Genderidentität inklusive rechtlicher Konsequenzen offiziell durchzusetzen, was dann wiederum die Möglichkeit mit sich bringt, dass auch Menschen Zutritt zu geschützten Frauenräumen erlangen, denen es nicht um das Wohl von Frauen geht. Simone de Beauvoir hat ja bereits festgestellt, dass die Frau immer als das Andere gegolten hat. Das ist ja gerade die Ironie, weil im biologischen Sinne ist eigentlich die Frau der Standard und der Mann das Andere. Vielleicht sollte man sich etwas besinnen, kollektiv Demut walten lassen, sich erst einmal mit der Realität konfrontieren und akzeptieren dass das männliche Geschlecht eine genetische Mutation ist. Natürlich kann das einige Minderwertigkeitskomplexe auslösen, und weil ich schon so Freudianisch meine Assoziationen frei fließen lasse – der war ja bekannt dafür, dass er seine Theorien eher locker aus der Hüfte geschossen hat – frage ich, könnte dieser Minderwertigkeitskomplex aus der unterbewussten Erkenntnis des eigenen Status als Mutation des weiblichen Geschlechtes, dann den Wunsch befeuert haben sich den Standardstatus anzueignen und der Frau den Status der Anderen zuzuschreiben? Könnte man nicht sagen: Frauen sind. Männer versuchen zu werden?

Stefan: Du hast dich da mitten zwischen deinen besten Sätzen kurz entschuldigt. Das find ich gar nicht nötig. Wir machen ja nicht im Wortsinn etwas Seriöses, wie das Wissenschaftler machen. Oder Bischöfe, oder Installateure. Wir haben keinen Chef der uns sagt, dass es jetzt so sein muss. Kein Paradigma von Kuhn, keinen Gott, keinen Oberinstallateur der die Regeln macht für die Rohrzangen. Das dürfen wir nicht haben, weil sonst gibt’s keine Pointe. Und es ist halt mal so, dass Frauen sich zivilisatorischer verhalten als Männer. Sieht man ja auch an den Leuten die von sich behaupten Wissenschaftler zu sein und am Ende des Tages dann doch nur Sexisten und Verschwörungsgläubige sind. Unser Job ist sowas wie Magie. Wir brechen die Regeln mit unerhörten Mitteln.

Ela: …oder wie ein anderer Pseudowissenschaftler, Axel Stoll der alte Antisemit, zu Lebzeiten gesagt hätte, Physik durch Wollen. Nur, dass wir oft zwar Wollen, die Magie aber nicht. Jetzt interessiert uns aber genau das, Leute wie Stoll aufzublattln, die momentan ja mit ihren Verschwörungstheorien nur so aus den modrigen Kellern der Unvernunft hervorkriechen. Und da fahren wir mit unserer Kritik rein, nicht weil wir uns für besonders kompetent halten den Leuten die Welt zu erklären, sondern weil wir nicht anders können, als zu versuchen sie uns selbst zu erklären. Es ist eine Art Familienaufstellung für sozialmedial Geschädigte.

Stefan: Wie würdest du soziale Medien beschreiben?

Ela: Es war einmal ein Facebook. Und Menschen wollten Krieg.

Stefan: Warum ist das so?

Ela: Facebook ist voll mit Menschen über dreißig, die ihr Drama ins Internet mitnehmen.

Stefan: Das ist ein gutes Stichwort. Es wird ja so viel sichtbar momentan. Moderne Zeiten brechen aus. Weil man jetzt alles live sehen kann. Wie die Menschen denken und wie sich ihre Gedanken entwickeln. Oder besser gesagt Rückabwickeln. Die Gedankenregression wird live über die sozialen Medien übertragen. Faszinierend.

Ela: Es ist auf jeden Fall ein reicher Fundus an Blödsinn, den man nur noch ausheben muss. Und ich hab ein Faible für Blödsinn, das geb‘ ich zu. Daher arbeite ich mich schon seit Jahren an dummen Analogien ab. Und ich kann ja nichts wegwerfen, da ist es mir zu Schade drum – ich bin Facebook-Messie – deshalb haben es einige auch ins zweite Buch geschafft.

Stefan: Ahja, das Buch. Das verlangt schon einige Fähigkeiten von uns und von den LeserInnen. Kritik gibt’s nicht ohne Kritikfähigkeit. Und die muss immer neu erarbeitet werden. Unsere gesellschaftliche Kommunikation ist zwar voll mit Anspielungen und Witzen, aber Kritik ist da eigentlich nicht dabei. Der Kogler kritisiert den Kurz eigentlich nicht. Oder wer kritisiert den Mahrer, wenn er wiedermal versucht aus Arbeitslosen Menschen ohne Würde zu machen? Also natürlich die zuständigen Sozialpartner usw. Aber das gilt ja eigentlich nicht.

Ela: Oder wenn so ein Metaller-Chef laut überlegt ob man nicht Mehrarbeit ohne Lohnausgleich durchboxen könnte und am besten gleich auch das 13. und 14. Monatsgehalt abschaffen, weil es unzeitgemäß ist.

Stefan: Vor allem find ich‘s immer so super, wenn Leute, die mit dem Gehalt von ihren Angestellten wahrscheinlich nicht einmal frühstücken gehen könnten, denen dann so Empfehlungen geben, was man grad machen müsste und dass sie halt sparen müssen usw….

Jedenfalls sieht man schon, aufmerksam machen, kritisieren, Bewusstsein schaffen ist sauzach und es interessiert keine Sau, aber wenn man‘s nicht macht ist man eine Sau. Ich glaub das ist die Dialektik von dem. Dialektik jetzt im Sinn von Sokrates. Also durch heftige immerwährende Gegenrede irgendwann zur „Wahrheit“, zumindest irgendeiner Wahrheit zu kommen. Empfang hat man deswegen noch nicht. Aber man lernt vielleicht Leute auf Facebook kennen.

Ich schweif jetzt ab: In dem Satirebuch „Wörterbuch der Marxistisch-Leninistischen Philosophie“ von Alfred Kosing, dass der Dietz Verlag noch 1987 herausgebracht hat, wird Dialektik viel weiter gemacht. Da geht’s um Entwicklungsgesetze von Natur, Gesellschaft und Denken. Das wär jetzt bissl viel für so einen einzelnen Kritiker oder Gegenredner. Und vor allem unter Gesetzen lässts sich ja nicht so leicht denken wie manche glauben. Vor allem, wenn der „IX. und der X. Parteitag der SED“ die „Philosophen“ dann wörtlich dazu auffordert sich „in diesem Sinne“ auf die „intensivere Erforschung der Dialektik“ hinzuorientieren. Eine kleine Aufforderung an die Philosophen, von politischer Seite, doch bitte mal richtig zu denken, verzeichnet im Wörterbuch. Das ist ein netter Touch. Ein linker Todeshauch, der über dem Denken weht. Soll man überhaupt noch links sein?

Ela: Das Schwierige ist ja für mich, wenn ich dann draufkomm, dass ich ja doch weiterhin links bin, und dann ärger ich mich besonders über den Blödsinn, den manche in der österreichischen Kulturlinken verzapfen. Die du (Stefan) ja einmal als die schäbigste Linke der Welt bezeichnet hast. Wenn es dann diesen Fetischismus für ebenso schäbige kanadische Linke wie Justin Trudeau gibt, oder die Amerikanerin Alexandria Ocasio-Cortez. Bei denen man dann als progressiv bezeichnet, was man hier als rechts niederbrüllen würde, wie zb die Einwanderungspolitik bei Trudeau. Aber dann erkennt man eh recht schnell, dass es auch bei denen nur um ein paar Slogans geht um das Bingo zu füllen. Und natürlich ärgert man sich mehr über den Blödsinn aus den eigenen Reihen. Weil an der FPÖ haben wir uns bestimmt schon seit Jahrzehnten abgearbeitet. Und von denen erwarten wir nicht wirklich etwas und bei den Sachen die wir von ihnen erwarten, werden wir nur selten enttäuscht.

Stefan: Die FPÖ enttäuscht so gut wie nie. Ich fand den Trinkwettbewerb von Strache und Nepp den du dokumentiert hast sehr nett. Da sieht man auf einem Bild die ganze FPÖ und man hat eigentlich keine Fragen mehr.

Still a better love story than Twilight

Der FPÖ geht’s ja viel ums Eigentum. Also um das ihrer Spitzenpolitiker. Da wird sehr viel umgesetzt, die bemühen sich. Aber uns geht’s nicht ums Eigentum, oder? Das können die Leute vorerst behalten. Uns geht’s um den Alltag. Um dieses Aufstehen im kalten Todeslicht der Weckerlampe und dieses Kaffee reinzwingen, die wunde Kehle hinunter und das weinende U-Bahnfahren und das Schluchzen beim Weg in den Lift im Büroturm. Das ist doch auch ein Teil von der ganzen unangenehmen Angelegenheit des täglichen Lebens. Ich hab immer gehört der Markt regelt das, aber gerade das regelt doch der Intervall der Öffis und die Ampelschaltung und meine Geldbörse (bei der Kaffee-Tschick Question) und meine relative Nähe zum Office oder wie ich geschlafen hab. (Mehr Yoga, weniger Tschick. Vielleicht podologische Einlagen. Ein gutes Nackenkissen.) Da kann man natürlich sagen, es geht ums Geld und die Wirtschaft bringt irgendwie magisch das Geld daher. Aber bringt die Wirtschaft auch den Chef, der sexuell anzügliche Witze macht, wenn er drauf Lust hat? Oder ist da wieder nur das Individuum schuld? Weil bei den guten Sachen, Gleichberechtigung, Wahlrecht, Personenfreiheit, „Fortschritt“, die ja eigentlich Errungenschaften der radikalen Demokraten (im 19. Jahrhundert, dazu gehören Marxisten auch übrigens) und nicht „des Kapitalismus“ waren, da bimmelt immer die Kapitalismusglocke hab ich das Gefühl. Die bimmelt immer, wenn man über heute erkämpfte Rechte spricht (zb. Wahlrecht) und reklamiert einen politischen Vorgang für die Ökonomie. So als hätten die Sklavenhändler, die sehr gut kapitalistisch gewirtschaftet haben die längste Zeit, ohne politischen Druck aufgehört mit der Sklaverei. Fast so als glaubten die das wirklich: Erzwungene Gratisarbeit von Sklaven ist ja schon deshalb im Kapitalismus nicht mehr möglich, weil es sich gar nicht auszahlt. Da verdient ja niemand was dran. Vor allem seit der Kapitalismus noch kapitalistischer geworden ist, gibt es ja so gut wie niemanden mehr der Gratis arbeiten muss oder so wenig verdient, dass er trotz mehrere Jobs arm bleibt.

Ela: Deswegen bittet beispielsweise der Thalia auch ganz zahm seine Angestellten aufgrund von Corona zu Weihnachten gratis Überstunden zu machen. Fragen kann man ja mal.

Stefan: Auch die Kinderarbeit ist ja vollständig vom Angesicht der Erde verschwunden seit es überall den freien Markt gibt. Die Globalisierung hat ja bekanntermaßen auch die Sklaverei völlig abgeschafft. Vor allem in Bezug auf Human Trafficking nach Europa zur Zwangsprostitution oder im Fall des Sklavenhandels von Afrika nach Arabien. Das gibt es ja alles nicht mehr.

Wobei es stimmt schon, im Wörterbuch der Marxistisch-Leninistischen Philosophie steht ein Haufen Schwachsinn drinnen, der uns sicher niemals weitergebracht hat. Das Frauenbild des Kathedermarxismus ist jedenfalls ein Schas. Das Kapital ist ja Hauptwiderspruch, also kann die Versklavung von Frauen weltweit nur ein Nebenwiderspruch sein und damit irgendwie nicht so wichtig. Das lebt mancher 68er ja bis heute. Aber wart ich hör grad wieder die Glocke. „Ding Ding!“, wieder was erreicht durch den freien Markt, der so frei ist, dass er alles regelt.

Aber eine Regel halten wir bei der halbwertszeit jedenfalls eisern ein: Nichts ist einfach. Wir schaffens ja schon seit Monaten nicht den Blog aufzusetzen. Also es scheint nicht möglich zu sein. Ich glaub das Internet hasst uns, weil wir es durchschauen.

Ela: Ich glaub wir haben keinen Empfang, du Sau. Ich habe eigentlich eine recht gute Beziehung zum Internet, wenn auch ungesund. Nur dieser Blog will und will nicht, selbst wenn wir wollen. Dabei wär der so wichtig, um uns unsere eigene Seilschaft zu bauen, damit wir dann zu unseren Veranstaltungen der österreichischen Tradition entsprechend immer nur dieselben Leute einladen können und uns damit selbst feiern.

Stell dir vor, unser erstes Buch ist direkt, nach mehr als zwei Jahren Produktionsdauer, zielsicher ins Corona-Loch geschossen worden. Ich glaub das Buch existiert gar nicht. Die einzige Person die es in freier Wildbahn, bei Morawa, zu Gesicht bekommen hat, hatte keine Möglichkeit ein Foto davon zu machen, weil der Handyakku just in diesem Moment leer war. Es ist ein Mythos. Leider ein sehr unbekannter.

Und auch die anderen Projekte hängen noch in den Seilen. Unsere Parteigründung zb, die wir erwägt haben, damit wir auf Parteikosten teuren Wein saufen können. Dann würde der Stefan sicher sogar überlegen nochmal mit Rotwein anzufangen, wenn er sich die Histamin-Tabletten über die Partei abrechnen lassen könnte.

Stefan: Sobald ich eine Partei finde die mich bezahlt, bin ich raus hier. Ich weiß jetzt aber nicht wo ich hingehen würde. Schirch ist es ja mittlerweile überall. Vor Antisemitismus ist man nur mehr auf dem Mond sicher, hat die Hannah Arendt mal geschrieben. Ich frag mich immer woher sie das wußte. Damals gabs den Mond ja noch gar nicht in der Form wie heute. Dass man eine Mondbasis plant aus mondeigenem Beton und sich vorstellt wie man dort die Moonforce aufmarschieren sieht vom Donald. Ich denk immer an Moonraker den James Bond Film. Da gabs die ganzen Irren dann auch am Mond und am Ende vom Film fliegen sie mit Weltraum Jetpacks herum und erschießen sich gegenseitig mit Laserkanonen. Da war sicher mindestens ein Antisemit dabei. Also Arendt widerlegt im Endeffekt. Vielleicht hat sie ja kurz bevor sie das geschrieben hat mit ihrem Gspusi Martin Heidegger telefoniert und war noch ganz seinsdurchdrungen, wie ein Mondkalb.

Trinkst du Kaffee?

Ela: Selbstverständlich.

Stefan: Siehst, ich nicht. Ich hab nie Kaffee getrunken in meinem Leben. Ich glaub sowas wollen Menschen wissen. Ob einer Kaffee trinkt, oder nicht. Die Seiten die am besten gehen sind solche wo Leute sich Filme anschauen und darauf „reacten“. Sind einfach zu produzieren und wissen muss man auch nichts, weil die Zuschauer wollen ja keine Fachmeinungen, das wär zu viel. Sie wollen authentische Reaktionen. Also Lachen, Weinen, Schauen. Vor allem Schauen sieht man sehr oft bei sowas.

Ela: Schaust du dir sowas an? Ist das die Fortsetzung von diesem Voyeurismus der Reality-Formate?

Stefan: Ich schau einen Menschen, der Spiele durchspielt. Der ist meine Youtube-Familie. Er gibt mir Geborgenheit in stürmischen Nächten. Aber sonst schau ich natürlich nur knallharte Politikformate. Wir könntens uns auch einfacher machen. Sollen wir hier eine Kolumne machen in der wir Bücher empfehlen? „Mein Lieblingsbuch der Woche.“ „Mein Reiseführer des Jahres.“ „Mein Kochbuch der Minute.“ Können wir überhaupt drüber reden, was wir im Blog machen wollen und was wir dann nicht machen werden?

Ela: Das ist unser Spielplatz, wir können prinzipiell machen was wir wollen. Aber eine Regel sollte es geben, schreiben nur im Bademantel.

Stefan: Ist ein Bademantel ein Statement? Ich hab letztens einen Artikel gelesen der Hugh Hefner lobt, weil er angeblich Homeoffice erfunden hat. Der hatte immer seinen Bademantel an und manchmal eine Kapitänsmütze auf, glaub ich. Ist auch ein Statement, oder? Aber der hatte auch ein Schwimmbad und einen Garten zum Grillen und musste nie selbst einkaufen. Vielleicht ergibt sich das mit der Badebekleidung dann von selbst. Wenn das Wetter passt.

Die Werbung in den Playboys aus den 1970er Jahren ist toll. Überhaupt war das eine große Sache damals. Die Playboys waren das Internet. Im Leserforum schreiben berühmte Schriftsteller, Politiker, Professoren usw. alle ihre Meinungen zu Playboyartikeln und überhaupt gibt es sehr viele Leserbriefe mit teilweise völlig wahnsinnigen Anfragen oder Aussagen. Ich such das raus, wenn es jemanden interessiert. Ich mach eine Kolumne im Blog über den Playboy der 1970er Jahre. Im Bademantel.

Was hast du für einen Bademantel?

Ela: Mehrere. Einen aus Fleece, einen aus Frottee, einen Morgenmantel aus Satin. Je nach Laune, Wetter und Anlass, kann ich den passenden Bademantel vorweisen.

Stefan: Wow. Ich hab nur einen. Der ist geerbt. Sieht aus wie schwarze Seide, aber ist irgendein Poly und er hat ein asiatisch anmutendes Muster hinten drauf. Sehr geschmackvoll. Aber gut für den Sommer. Welchen würdest du am liebsten im Internet sehen wollen?

Ela: Von mir? Geh ma Partnerlook, ich nehm auch den Satinkimono.