Zur Totaleskalation der Österreichischen Medienlandschaft nach dem Sieg der Grazer KPÖ

Ein Gespenst geht um in Österreich – das Gespenst des Kommunismus. Dieser Eindruck befällt einen zumindest beim genauen Studium der österreichischen Medien in der letzten Woche, seit dem Sieg der KPÖ-Vorsitzenden Elke Kahr bei der Gemeinderatswahl am 26.9.2021. Tage davor hatten die österreichischen Zeitungen noch einen klaren Sieg der ÖVP unter Nagl vorhergesagt.

Der Falter prognostizierte im Portrait über Elke Kahr „Die Wohlfühl-Marxistin“„Bei der Gemeinderatswahl am kommenden Sonntag wird Langzeitbürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) Platz eins halten. Die KPÖ, stabil zweitstärkste Kraft, dürfte zu ihren 20,3 Prozent aber dazugewinnen. Die ÖVP trommelt, weit übertrieben, gar schon einen „Zweikampf“.“

Der Standard verbreitete in einem Artikel mit dem klingenden Namen „Die rote Zelle in Graz“ auch das Red-Baiting diverser ÖVP-Politikerinnen, die warnend schon vor der Wahl aussprachen: „Graz ist kein marxistisches Versuchslabor für links-linke Träumereien, die dieser Stadt nachhaltig ihre Lebensqualität und ihre Attraktivität rauben.“ Weiter nahm man mahnend einen „Staatsbankrott“ und „Massenarbeitslosigkeit“ vorweg. Bezirksabteilungen der ÖVP Graz verbreiteten auf Facebook Bilder von aus der DDR fliehenden Soldaten. Man fühlte sich fast an die Wahlplakate der ÖVP zur Nationalratswahl 1949 erinnert: „Du wirst zum Knecht der Kolchose! Davor schützt Dich nur die ÖSTERREICHISCHE VOLKSPARTEI!

Mit der Fällung von 8.000 Bäumen für das „größte Klimaschutzprojekt der Stadt“, das Murkraftwerk, und der bahnbrechenden Idee in Graz – einer Stadt die man innerhalb von einer halben Stunde leicht zu Fuß durchquert – eine U-Bahn zu bauen, konnte die ÖVP dennoch viele Wählerinnen nicht davon überzeugen, ihre Politik werde die Lebensqualität vieler Grazerinnen steigern und der „Massenarbeitslosigkeit“ Einhalt gebieten. Der 18 Jahre amtierende Bürgermeister Nagl hatte sich besonders durch seine zukunftsweisenden, unverwirklichbaren und finanziell ruinösen Ideen einen Namen gemacht. Weder konnte er die Grazer Olympia-Kandidatur für 2026 durchsetzen, noch war die Idee des Baus einer Gondel auf den Plabutsch erfolgreich. Einen kleinen Erfolg erzielte man mit der Sanierung der vorsintflutlichen Murinsel, die es zumindest in die Verfilmung eines Brenner-Krimis geschafft hat. 

Nun aber hat Siegfried Nagl seine „helfende Hand von Graz“ zurückgezogen und es dem Untergang freigegeben, denn wider Erwarten konnte Elke Kahr die Wahl für sich entscheiden. Schon flackert die Angst vor der „roten Gefahr“ massenmedial auf. 

Armin Wolf ist es im ersten Interview nach Elke Kahrs Sieg besonders wichtig zu betonen, dass nur knappe 30% der zur Wahl erschienenen Wählerinnen Kahr tatsächlich gewählt hatten, um später draufzusetzen: „Jetzt präsentieren Sie sich im Alltag ja eher wie die Caritas und weniger wie eine KPÖ, aber Sie sagen ja auch ganz klar: Ich bin eine Marxistin, und Sie haben hier in der ZIB 2 mal gesagt: KPÖ ist ein guter Name für die Partei. Wieso ist Kommunistische Partei im Jahr 2021 noch ein guter Name, nach all den Verbrechen mit Abermillionen Toten die Kommunisten überall wo sie regiert haben in der Geschichte, begangen haben? (…) Ist vielleicht das das eigentliche Geheimnis Ihres Erfolges, dass Sie als Kommunistin in Graz eigentlich nichts anrichten können, weil ja niemand vermutet, dass Sie als Bürgermeisterin die Styria enteignen werden, oder die Villen in Rosenhain, oder eine Diktatur des Proletariats errichten, weil eh nicht so viel Kommunismus da sein wird an der kommunistischen Bürgermeisterin?“

Von „Leningraz“ ist wieder die Rede und von „Stalinismus“, der „noch in der Grazer KPÖ steckt“. Man postet Artikel über den niedrigen Lebensstandard und die kurze Lebenserwartung in den postsowjetischen Staaten Osteuropas und darüber, dass die KPÖ-Spitze 1947/48 „über eine Teilung Österreichs nachdachte“ und die sowjetische Besatzungszone in einen kommunistischen Staat umwandeln wollte. An anderer Stelle mahnt man die „dunklen Kapitel dieser Partei“ nicht zu vergessen, denn „Dort, wo die Kommunisten regierten, lief praktisch alles schlecht“. Christian Ortner bezeichnet den Wahlsieg Kahrs gar als „Die Schande von Graz“, denn mit der Wahl der Grazer KPÖ gebe man schließlich „ein Bekenntnis zu einer der verbrecherischsten Ideologien“ ab, „die je diesen Planeten geschunden haben“. „Kahrs Wähler haben kommunistisch gewählt“, zitiert er Thomas Eppinger „Ob sie geschichtsvergessen oder politisch ungebildet oder beides sind, spielt keine Rolle.“ Ortner mahnt abschließend: „(…) Angst kann man vor einem Souverän haben, der so wählt, wie das in Graz am letzten Sonntag der Fall war.

Elke Kahr führt das Erbe Ernest Kalteneggers fort. Dieser hatte mit Sprechstunden und Sozialberatungen für die Grazer Bürgerinnen begonnen. Realpolitik, die sich der Probleme der Einwohnerinnen konkret annimmt, konnte der KPÖ zu konstantem Zulauf verhelfen. Die KPÖ-Funktionäre treten 2/3 ihrer Politikergehälter ab, die in einem Sozialfonds landen und jenen zur Verfügung gestellt werden, die es brauchen. Mit Wohnungspolitik konnte man punkten. 

Im Standard spricht man angesichts dessen höhnisch vom „Caritasprinzip“ der Grazer KPÖ und weist darauf hin „Marx hätte es Almosen genannt“, in der Presse fantasiert man vom „Radical Chic am linken Mur-Ufer“ und davon “wie sich eine Marxistin als Sozialarbeiterin gibt“. Die Wahl der Kommunisten in Graz durch Bürgerliche könne nur dadurch erklärt werden, dass sie Bobos eine Möglichkeit „zur gepflegten Provokation“ biete. Denn: „Mit den alten leninistischen Hammer-und-Sichel-Kommunisten hat die Grazer KPÖ tatsächlich wenig zu tun.

Der Vorwurf des linken Populismus ändert aber nichts daran, dass solche Hilfsmaßnahmen für bedürftige Menschen akut mehr Unterschied machen, als das ideologische Beharren auf – zumindest theoretische – Veränderung des Systems – das der Grazer KPÖ auch von Seiten der Bundes-KPÖ immer wieder zum Vorwurf gemacht wird, denn es fehle der ideologische Überbau. Dass ein solcher Populismus wahrscheinlich mehr ausmacht, als die provokative Pose auf der Met-Gala im „Tax the Rich“-Fummel, darf man ja dann fast nicht mehr erwähnen. 

Da sich die weitgehend historisch ahnungslose „liberale“ Journalistenbubble in Österreich gerade derart neurotisch an einer Grazer Stadtregierung abarbeitet, eine kleine historische Erinnerung:

Nach den umfangreichen Wahlverlusten der Christlichsozialen Partei von 1927 […] setzten sich innerhalb der Christlichsozialen Partei immer deutlicher jene Kräfte durch, die auf eine Veränderung des parlamentarisch-demokratischen Systems in Richtung eines autoritären, „organisch-ständischen“ Aufbaues für Österreich hinarbeiteten.“ (Staudinger 2005)

Nun kann man sich mit Blick auf die politische Geschichte Österreichs hoffentlich einigen, dass die Austrofaschisten eine weit fatalere Rolle gespielt haben, als die Kommunisten, die in der Ersten Republik so gut wie einflusslos waren, da sie intern zerstritten waren und erst in Folge ihres Verbots durch die Austrofaschisten zur Massenpartei avancierten. Zur Zeit des Nationalsozialismus spielte die KPÖ – auch daran soll erinnert sein – eine wesentliche Rolle in der österreichischen Widerstandsbewegung. Man fragt sich, ob es das ist, was Liberale in Österreich besonders abstößt?

Was ist das besonders Erschreckende am Sieg der KPÖ in der Grazer Kommunalpolitik? Und sind ähnliche Reaktionen in Zukunft auch bei Wahlsiegen der Nachfolgepartei der Vaterländischen Front, ÖVP, zu erwarten? Werden wir mit massenweise Artikeln über Pinochet und Mussolini beglückt? 

Wird von besagten österreichischen Journalisten von nun an bei einem Wahlsieg der ÖVP ebenso reflexartig der Austrofaschismus und bei einem Wahlsieg der FPÖ, immerhin Nachfolgepartei des VdU – einem Zusammenschluss ehemaliger Nationalsozialisten – der Nationalsozialismus thematisiert? 

Im Sommer 2017 vermeldete die ÖVP nun bereit zu sein sich im Zuge eines Umbaus des Parlaments vom Dollfuß-Portrait in den Räumlichkeiten des Parlamentsklubs zu trennen. Das Bild wurde, neben anderen, dem Niederösterreichischen Landesmuseum zur Verfügung gestellt. Der damalige Clubchef Lopatka begründete dies damit, dass es im Übergangsquartier am Heldenplatz nicht genug Platz gäbe die Bilder aufzuhängen. Erst 2014 hatte man dem Portrait ein Taferl beigefügt, um zumindest daran zu erinnern, dass es einmal so etwas wie Austrofaschismus gegeben hat.