Meinung aus der Kulturrelativismus-Hölle

Wichtige Klarstellung im Exklusivinterview der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen mit documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann zum documenta 15-Skandal:

„Es war nur ein Missverständnis. Um Antisemit zu sein, muss man Deutscher sein.“*

Zum Interview

*dieses Zitat ist frei erfunden

Wo ist eigentlich „unterm Schirm“? – Ein Gespräch gegen Ladybrains und Schminkischminki


Dieser Text ist der Anfang eines langen und ausführlichen Gesprächs, das in seinem vollen Umfang in unserem nächsten Buch (im Print und als E-Book) beim Luftschacht Verlag erscheinen wird. Hier ein kurzer Teaser:


Gespräche gegen die Wirklichkeit

Von Sokrates haben wir gelernt, dass Selbsterkenntnis kein einsamer Akt ist, sondern nur im Gespräch mit anderen stattfinden kann. Sokrates war oft in Einigkeit mit der Wirklichkeit und hat an der Seite seiner Mitbürger so manche Schlacht für die Aufrechterhaltung seiner Polis gefochten. Einer Polis, die Sklaven und Leibeigene als Basis ihrer Ökonomie ausgebeutet, und die Frauenrechte mit Füßen getreten hat.

Im Gespräch lässt sich gleichzeitig Recht und Unrecht haben. Auch abwechselnd. Wir wollen beweisen, dass es längst überfällig ist, die Welt zu verändern. Wir wissen eigentlich, wie Freiheit geht. Aber mit Sokrates werden wir sie nicht erreichen. Die Welt ist falsch eingerichtet, dass sie aber gar so falsch eingerichtet ist, wäre noch dazu nicht einmal nötig. Sprechen wir darüber.


Stefan: Ich mach jetzt etwas, was wir sonst nicht tun und was eigentlich eh klar sein sollte. Aber ich stell jetzt erst mal was klar. Wir freuen uns natürlich auch bei diesem Text wieder auf sehr viele Zuschriften von wütenden Männern. Aber da wir möglichst wenige Zuschriften von wütenden Frauen haben wollen, soll trotzdem gesagt sein, dass dieser Text sich nicht gegen transsexuelle Menschen richtet. Es soll auf die Nöte von Frauen hingewiesen werden, die sich aus den vielen gesellschaftlichen und politischen Unklarheiten ergeben, die das Thema der Transsexualität begleiten.

Wir sind dafür, dass jeder Mensch seine sexuelle Identität auch in der Öffentlichkeit so ausleben kann, wie er/sie das gerne möchte. Wir fühlen uns solidarisch mit Menschen, die ihre sexuelle Identität offen leben oder wandeln wollen. Wir werten nicht die sexuellen Vorlieben oder Identitäten, die Menschen präferieren. Wir sprechen hier über ganz andere Dinge. Wir sprechen über Gewalt von Männern gegen Frauen. Über das Eindringen von Männern in absolut notwendige Schutzbereiche für Frauen und über Gewalt gegen Kinder. Wer Transrechte gegen die Rechte von Frauen und Kindern anwendet, ist selbst ein Täter und hat daher weder politische Toleranz und schon gar nicht den Schutz vor Polemik verdient.

Ich illustrier das mal mit einem Beispiel: Stell dir vor, du bist eine Frau, die sich ihr Leben lang für den Feminismus eingesetzt hat, mit allem was sie hat. 70 Jahre purer Feminismus in Wort und Schrift. Und dann kommt ein Mann, der, nachdem er sein Leben lang alle Vorteile eines heterosexuellen Mannes genossen hat, mit Ende seiner Karriere beschlossen hat, er ist jetzt auch eine Frau und lässt sich mit Lippenstift abbilden und kommt natürlich sofort aufs Cover der postfeministischen Nobelpreisjuryzeitschrift als „Frau des Jahres“. Und der Mann lässt dir dann über die Medien ausrichten, dass du eine alte weiße Frau bist und ab jetzt die Schnauze halten sollst.

Das ist übrigens wirklich passiert. Georgine Kellermann hat verdiente Feministinnen sehr undifferenziert als TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminist) bezeichnet und in den Kommentaren persönlich beschimpft. Da hat also ein Mann den Karriereschutzraum für Männer genutzt, um sein Leben lang eine schnelle Schiene nach oben zu haben und hat sich dann, als das alles vorbei war, entschieden, er ist jetzt auch eine Frau und will sozusagen sein Ruhestandsprivileg auch noch einfahren. Das ist prinzipiell nicht verwerflich. Was mich ankotzt daran ist, dass er es auf Kosten von Frauen tut, wenn er seine Selbstdefinition dann dazu nutzt feministische Frauen öffentlich anzupatzen. Und das ist genau, worum es hier geht. Nicht dass er eine Frau sein will, sondern, dass er seinen Status dazu benutzt Frauen runterzuziehen. Wie das ein klassischer Cis-Mann ebenso gemacht hätte.

Ela: Historisch betrachtet wurden Frauen immer durch Männer definiert. Wundert man sich da tatsächlich, dass sich Feministinnen (die sogenannte TERF-Fraktion) nun nicht schon wieder von Männern erklären lassen will, was jetzt eigentlich eine Frau ist? TERF ist man ja eigentlich schon, wenn man weiterhin als Feministin davon überzeugt ist, dass Gender ein – nicht nur für Frauen – schädliches Konstrukt von Stereotypen ist, das sie in der Entwicklung einschränkt; mit dessen Hilfe ihre Unterwerfung als natürlich legitimiert wurde und wird.

Stella: Kellermann sagte ja auch, er sei eine Frau, weil er zum Kaffee einen Eierlikör trinkt, hihi. Er mag denken, er hätte es scherzhaft gemeint, aber es lässt auf sein Frauenbild schließen, das im Grunde eine sexistische Karikatur ist. Ein Blick auf sein Twitterprofil bestätigt das: keine 63-jährige Journalistin, und schon gar keine, die es auf einen vergleichbar hohen Posten wie den des WDR-Studioleiters gebracht hat, würde in einer Tour Herzchen- oder Flamencotänzerinnenemojis und kesse Selfievideomontagen posten.

In einem Artikel für die ZEIT schreibt er: „Ich bin eine Frau, weil ich es schon immer war. Ich kann das auch nicht anders erklären. […] Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau. Das ist keine Frage äußerlicher Geschlechtsmerkmale. Da bin ich mir ganz sicher.“ Was bleibt also übrig von der Kategorie „Frau“, wenn man die Definition nicht anhand „äußerlicher Geschlechtsmerkmale“ festmacht? Klischees: die Vorstellung von einem Ladybrain, das auf Schminkischminki, Eierlikör und Stöckelschuhe steht – das sind die „inneren Geschlechtsmerkmale“, auf die er hinauswill. In Publikationen wie der ZEIT kann man das allerdings nur mehr implizieren, deswegen bleibt er beim beliebten Zirkelschluss „Frau ist, wer sich als Frau fühlt“. Umgekehrt heißt das dann, dass Frauen und Mädchen, die sich nicht mit stereotyper Femininität identifizieren wollen oder können, keine „echten“ Frauen sind (daher kommt meiner Meinung nach auch der plötzliche Anstieg an jungen Frauen, die sich als nicht-binär oder trans bezeichnen). Diese Denkweise steht Feminismus und Frauensolidarität diametral entgegen. Deswegen finde ich es mehr als bedenklich, dass besagter ZEIT-Artikel laut Kellermann in ein Schulbuch für Philosophie aufgenommen werden soll.

Stefan: Ich versuche gerade angestrengt nachzudenken, was Philosophie in dem Zusammenhang bedeuten könnte? Um welche Disziplin geht es da? Wenn ich Schulbuch höre, dann denk ich an Ethik. Aber Kellermann denkt doch sicher auch an die Anthropologie. Dort steht ja, neben der Abstammung und dem Wesen des Menschen, auch seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung unter Beobachtung. Der Mensch sollte als Subjekt untersucht werden. Und in der Hand der einschlägigen Philosophen ist dieses Subjekt gleich zu etwas Unangenehmem geworden.

Bei Althusser findet sich in seinen „Notizen zur Ideologie“ der Gedanke, dass die Ideologie die Individuen als Subjekte „anruft“. Er meint wir nehmen uns selbst als Subjekte nur wahr, weil wir „in den praktischen Ritualen des allereinfachsten Alltagslebens funktionieren“. Also beim Händedruck, bei der Nennung unseres Namens usw. Ein faszinierender Satz, wenn man ihn ernst nimmt. Es klingt als könnten sich alle durch Sprache definieren. Aber zugleich ist diese Anrufung auch ein Ritual. Diese Formulierung: „Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau.“, ist ja eine Anrufung. Also im Grunde ein magischer Satz, der eine Wirklichkeit erzeugen oder bestätigen soll, die eben nicht wirklich ist. Und darin kommt das ganze Tragische dieser Situation zum Ausdruck. Weil hier nicht unterschieden wird zwischen dem Anspruch alles durch Sprache erzeugen zu können, und der Möglichkeit Wirklichkeit durch Sprache zu erschaffen. Nicht die Wirklichkeit soll verändert werden, sondern die Sprache darüber.

Stella: Der mantraartig wiederholte Satz „Trans women are women“ funktioniert genauso. Es ist ein Glaubenssatz. Einerseits sollen damit Tatsachen geschaffen werden, die nicht diskutiert werden dürfen, andererseits sehe ich hier auch eine Art „Credo quia absurdum“, etwas, das man als Transaktivist, als guter Ally, als guter Mensch schlechthin glauben muss, auch wenn es offensichtlich der Realität, der eigenen Wahrnehmung widerspricht. Gewissermaßen eine Ermahnung, an sich selbst und die anderen in der Gemeinschaft der Guten: Don’t believe your lying eyes. Seht her, ich bin so tolerant, so un-transphob, so sophisticated, so gut, ich glaube etwas, das für den gemeinen Pöbel, der das alles nicht ist, augenscheinlich falsch ist.

Das Perfide an dem Satz ist außerdem, dass er für Menschen, die nett und höflich sein wollen, und sich nicht näher mit der Thematik auseinandergesetzt haben, als Falle fungiert. Wenn man glaubt, es geht hier nur um eine winzige, diskriminierte, harmlose Minderheit, die mit Geschlechtsdysphorie zu kämpfen hat und deshalb einfach ~Anerkennung~ und eine medizinische Behandlung haben möchte, fällt es leicht, diesen Satz als nicht wörtlich gemeinte Höflichkeitsfloskel zu wiederholen. Wer möchte schon jemanden, der darunter leidet, als „das falsche Geschlecht“ geboren worden zu sein, deswegen möglicherweise schon schwere Operationen und viele mühsame Amtswege hinter sich gebracht hat, mit (vermeintlicher) Pedanterie à la „Du bist aber keine richtige Frau!“ verletzen oder vor den Kopf stoßen? Niemand, es sei denn, man legt es darauf an, als unsensibles Arschloch aufzutreten. Sobald einem dann auffällt, dass Transrechtsaktivisten diese Floskel zu 100% wortwörtlich verstanden sehen wollen, in allen Lebensbereichen, also auch bei aus guten Gründen geschlechtergetrennten Schutzräumen wie Umkleiden und Frauenhäusern oder im Sport, und dass mit „trans Frauen“ auch solche gemeint sind, die sich keinerlei medizinischer oder kosmetischer Transition unterzogen haben (da Geschlechtsdysphorie für das Label „trans“ nicht mehr als Grundvoraussetzung gilt), sie sich von „cis“ Männern also nur durch eine subjektive Selbstidentifikation als Frau unterscheiden, ist es zu spät, um zurück zu rudern. Man hat zudem etwa an dem Backlash gegen J.K. Rowling gesehen, was einem bei Widerspruch droht, und möchte sich dem nicht aussetzen.

Ela: Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie hat vor Jahren schon einmal mit der ihr wenig kontrovers erscheinenden Aussage einen Shitstorm ausgelöst, für sie seien Transfrauen Transfrauen und man solle nicht so tun als erlebten Frauen dieselben Probleme wie Transfrauen, da diese oftmals eine Sozialisierung als Mann erfahren hätten.

Den Begriff Transsexualität hat man ja inzwischen durch den Unsinnsbegriff Transgender ersetzt, unter dem sich inzwischen so ziemlich alle versammeln können, denen danach ist. Gender-Bender, Crossdresser, Transvestiten, Transsexuelle und auch Autogynephile. Und als Feigenblatt streut man eine Prise Intersex drüber und hofft, dass niemand bemerkt, dass man die genitale Verstümmelung von 0,001 % der Weltbevölkerung („assigned at birth“) dazu nutzt, allen anderen unter diesem Schirmbegriff zusammengewürfelten Gruppen, ob verdient oder nicht, zu mehr Legitimität zu verhelfen, selbst wenn dies auf Kosten von Frauen geschieht.

Stella: Es gibt zum „Transgender Umbrella“ auch dutzende schöne Grafiken, die illustrieren, dass quasi jeder trans ist, der als Frau keine personifizierte Barbiepuppe oder als Mann keine GI-Joe Actionfigur ist. Der Wunsch, möglichst inklusiv sein zu wollen, führt zu einer Begriffsaufweichung, niemand weiß mehr genau, wovon bei „trans(gender)“ oder „gender“ generell überhaupt die Rede ist, Debatten werden durch die schwammigen Begriffe verunmöglicht und sie heißen je nach argumentativem Bedarf etwas anderes. Gleichzeitig schaffen sich Transrechtsaktivisten so einen viel größeren Zuständigkeitsbereich, indem sie die Identifikation mit dem Begriff erleichtern – denn wer will schon so eine fade, konformistische „cis“ Person sein – , inkludieren Menschen, die nicht inkludiert werden wollen, erklären retrospektiv historische Persönlichkeiten (hauptsächlich gegen gesellschaftliche Restriktionen rebellierende Frauen, wie etwa Jeanne d’Arc oder Frauen, die sich als Mann ausgeben mussten, um arbeiten oder selbstbestimmt leben zu können) zu Transmenschen, und können so sagen, Transmenschen habe es immer schon gegeben.

Ela: Lustigerweise hab ich kürzlich erst auf Facebook das Posting eines Bildes von Salvador Dalí gesehen, in dem er sich selbst als Mädchen gemalt hat, da er sich im Alter von sechs Jahren für ein Mädchen hielt, was einen Kommentierenden dazu inspiriert hat, sich zu fragen ob Salvador Dalí transgender war.

Stefan: Dalí ist faszinierend. Ein Verwandlungskünstler, der Uneindeutigkeiten geliebt hat. So sehr, dass er sie zum zentralen Erkenntnismittel erhoben hat. Mit seiner paranoisch-kritischen Methode fordert er Wahnbilder als Wirklichkeitsbilder zu betrachten. Im Text „Der Eselskadaver“ schreibt er, dass der Paranoiker über „unfaßbaren Scharfsinn“ verfügt und mit seiner Methode „zum Ruin der Wirklichkeit“ beitragen kann, um begleitet von surrealistischer Aktivität „zu den klaren Quellen der Onanie, des Exhibitionismus, des Verbrechens und der Liebe“ zurückzuführen. Ein Wahn-Projekt, in dem diese letzte Aufzählung im Zusammenhang mit der Möglichkeit von sexueller Gewalt einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt. Von Sigmund Freud war er bei ihrem Treffen in London jedenfalls enttäuscht. Vielleicht war er ihm nicht paranoisch genug.

Michel „IchbinkeinStrukturalist“ Foucault hat ja auch in seinem Urteil über Freud geschwankt. Freud ist für ihn, je nach Schaffensphase, der Schöpfer einer kritischen Gegenwissenschaft (Wahnsinn und Gesellschaft) oder im Spätwerk Diktator einer Disziplinarwissenschaft. Aber Foucault teilt mit Dalí die Liebe für das Uneindeutige, bis hinein in seine Methode. Und einige seiner gesellschaftstheoretischen Denkmodelle sind eindeutig paranoisch, wie z.B. der Panoptismus.

Foucault hat von dem Strukturalisten Claude Lévi-Strauss so viel gelernt, dass er eine ganze in sich widersprüchliche Methodenlehre entwickelt hat, in der sich die Systematik der Analyse des „wilden Denkens“, die Lévi-Strauss begonnen hat, wiederfindet. Das magische Denken, so Lèvi-Strauss „bildet ein genau artikuliertes System“, das zwar nicht die gleichen Ergebnisse wie das Wissenschaftssystem erbringt, aber ihm „bezüglich der Art der geistigen Prozesse“ gleicht, die sie jeweils voraussetzen. Magisches Denken erscheint als „Ausdrucksform eines Glaubens an eine zukünftige Wissenschaft“.

Die Erforschung von Dispositiven entstammt einem ähnlich magischen Denken. Nur, dass es sich hierbei um den Glauben an die Macht der Schrift über die Natur handelt. In dem Buch von Foucault über Hermaphrodismus befindet sich im Nachwort eine selten klare Darstellung von dieser Gedankenwelt. Hier wird im Grunde die Auffassung vertreten, dass die juristische moralische psychologische Sprache die Sexualität der Moderne erschaffen hat. Sie erzeuge einen Diskurs, der in „endlosen Oszillationen zwischen biologischen und kulturellen Determinanten den Ort und die Ontologie der Geschlechter vorantreibt“. Der moderne Körper ist „konstruiert“. Das bemerkenswerte an diesem magischen Glauben ist aber das Frankenstein-Grundelement. Denn so fährt der Verfasser fort: Der Körper der modernen Menschen wächst um das „Implantat seines Geschlechts“ herum. Das Geschlecht ist also nicht nur diskursiv konstruiert und durch Sprachmagie wirklichkeitsmächtig gemacht, sondern auch implantiert und somit nicht biologisch gewachsen, sondern von vornherein künstlich erzeugt und damit natürlich auch im Nachhinein beliebig amputierbar.

Ela: Judith Butler hat sich beim „Unbehagen der Geschlechter“ ja eh auf Foucault berufen. Wenn die Subjekte durch die Macht erst konstituiert werden, ist das feministische Subjekt – die Frau – auch durch das politische System – das auf Geschlechterbinarität aufbaut – diskursiv geschaffen. Sowohl Sex, wie auch Gender seien kulturell konstruiert, in den Begriff Sex sei bereits der politische Zweck hinter der Kategorisierung und Differenzierung, die Reproduktion, eingeschrieben, denn das System basiere auf Zwangsheterosexualität. Geschlecht (sowohl Sex als auch Gender) sei ein endloser performativer Prozess. Dem biologischen Geschlecht seien die Geschlechterrollen eingeschrieben und würden unablässig reproduziert und imitiert.

Butler schlägt vor, sich aus feministischer Perspektive darüber Gedanken zu machen, warum es überhaupt eines feministischen Subjektes – Frau – bedürfe, ob man sich nicht einfach gleich mit Geschlechtsidentität an sich und deren Repräsentation befassen sollte – da der Feminismus von einem Fundamentalismus geprägt sei, der die Subjekte einschränke, die er eigentlich befreien wolle – oder – in letztes Konsequenz – das feministische Subjekt einfach fallen lassen, und sich von jeder Einschränkung befreien.

Aber ist ein Feminismus ohne Frauen als politisches Subjekt, der situationselastisch heute diese, morgen jene Identität vertritt, ein Feminismus der Individuen, überhaupt ein Feminismus? Hat er Potenzial politische Veränderung zu erzielen? Und warum ist Butler der Meinung, dass man dieses Ziel nur unter Aneignung des Feminismusbegriffs erreichen kann? Und ist es Zufall, dass so ein Vorschlag gerade beim Feminismus gemacht wird, und beispielsweise nicht bei anderen Befreiungsbewegungen? Daraus ist meiner Meinung nach dann auch der Irrtum entstanden, dem der Liberale Feminismus aufsitzt, dass man nämlich jede unterdrückte Identität vertreten muss, wenn man eine richtige Feministin sein will.

Butler und andere Aktivisten zitieren dann auch gern Beauvoirs „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu (gemacht)“, und manche meinen darin bestätigt zu sehen, Beauvoir habe behauptet, dass eine Frau sei, was auch immer eine Frau sagt, dass sie ist. Self-Identification. So behauptet Butler, dass in Beauvoirs Formulierung von einem „Handlungsträger“ ausgegangen wird, der sich eine „Geschlechtsidentität“ aneignet und prinzipiell „auch eine andere Geschlechtsidentität annehmen könnte“. Doch Beauvoir befasst sich schon im ersten Kapitel von „Das andere Geschlecht“, „Schicksal“ mit der weiblichen Biologie:

„Die biologischen Gegebenheiten sind außerordentlich wichtig: sie spielen in der Geschichte der Frau eine herausragende Rolle und sind ein wesentliches Element ihrer Situation (…) Denn da der Körper das Instrument für unseren Zugriff auf die Welt ist, stellt sich diese, je nachdem, ob sie auf die eine oder auf die andere Weise erfaßt wird, ganz anders dar. (…) Was wir aber ablehnen, ist die Vorstellung, daß sie für die Frau ein festgelegtes Schicksal bedeuten. Sie reichen nicht aus, eine Hierarchie der Geschlechter zu bestimmen; sie erklären nicht, weshalb die Frau das Andere ist, und sie verurteilen sie nicht dazu, diese untergeordnete Rolle für immer beizubehalten.“

Für Beauvoir „entsteht“ Weiblichkeit im Zusammenspiel von biologischen und kulturellen Faktoren, die für die „weibliche Erfahrung“ konstitutiv sind. Der Entstehung der Ideen und Mythen rund um die Weiblichkeit geht aber die Existenz eines weiblichen Körpers voraus.

Andererseits haben wir ja dann auch auf der anderen Seite Feministinnen die dem „Transfrauen sind Frauen“ nichts als „Eine Frau ist ein erwachsener weiblicher Mensch“ entgegenzusetzen haben. Was ja dann auch nicht mehr als eine Phrase ist. Ich meine, dass die beiden Positionen schon alleine deswegen keine gemeinsame Basis finden können, weil sie aus zwei komplett unterschiedlichen Annahmen hervorgehen und aneinander vorbeiargumentieren.

Die eine Seite geht davon aus, dass die Geschlechtsidentität inhärent ist. Ein Mensch weiß demnach instinktiv welchem Geschlecht er sich zugehörig fühlt, mit welchem sozialen Geschlecht er sich identifiziert. Wie ein Mann weiß, dass er ein Mann ist, und eine Frau weiß, dass sie eine Frau ist, kann es der Annahme nach manchmal passieren, dass das Selbstkonzept eines biologischen Mannes abweicht und er sich den Frauen zugehörig fühlt. Er „weiß“ es sozusagen. Nur was genau dieses Gefühl ausmacht, ist oft ein diffuses Schweigen, unterspickt mit grellen Klischees.

Auf der anderen Seite hat man eben verstanden, dass es die Biologie ist und die Annahme, dass aus dieser Biologie heraus sich quasi „natürliche“ zugehörige Rollenkonzepte ergeben – das Konstrukt Gender – die den Frauen jahrhundertelang in einer unheiligen Liaison des Todes ihr Leben zur Hölle gemacht haben, ihnen Möglichkeiten verwehrt, ihr Leben in die Hand zu nehmen, und ökonomische und soziale Nachteile nach sich zogen. Und all das soll nun nebensächlich sein und einer willkürlichen Selbstdefinition Platz machen, basierend auf dem vermeintlichen innerlichen Gefühl einer Gruppe von vorwiegend MtF—Transitionern. Eine Frau wird aber nicht dadurch weniger Frau, dass sie gerne „Stirb langsam“ schaut, denn das macht sie nicht immun gegen sexistische Kommentare und sexuelle Übergriffe.

Stella: Ich denke, dass der Satz „Eine Frau ist ein erwachsener weiblicher Mensch“ (die Übersetzung der Definition „Woman: adult human female“) eher eine Erwiderung auf den unsinnigen Zirkelschluss „Frau ist, wer sich als Frau definiert“ ist, und als solche legitim ist, wobei diese Definition natürlich nur der Ausgangspunkt ist, von dem aus weitere Auseinandersetzungen möglich sind, und nicht zu einer hohlen für sich selbst stehenden Phrase wie „Trans women are women“ verkommen sollte.

Ela: Ja du hast Recht, als Erwiderung ist es sinnvoll.

Stefan: Mir kommt vor, die Debatte, die von manchen Transaktivisten geführt wird, klammert bewusst das Problem der Gewalt aus. Also viele Aspekte der Kritik am Feminismus die durch Transaktivisten vorgenommen wird, kann nur unter Absehung der wirklichen Verhältnisse passieren. Dass man einfach nicht erwähnt, dass Frauen überproportional oft Gewalt von Männern ausgesetzt sind, während es umgekehrt eine verschwindend geringe Anzahl an Männern gibt, die unter Gewalt von Frauen leiden müssen. Das verbindet diese Positionen übrigens mit denen von so genannten Männerrechtlern. Die sich ja auch weniger für die Rechte von Männern, als gegen die Rechte von Frauen einsetzen.

Ela: Da muss man ein bisschen ausholen.


Die Fortsetzung dieses Textes findet sich in unserem nächsten Buch „Gespräche gegen die Wirklichkeit“.


Zur Totaleskalation der Österreichischen Medienlandschaft nach dem Sieg der Grazer KPÖ

Ein Gespenst geht um in Österreich – das Gespenst des Kommunismus. Dieser Eindruck befällt einen zumindest beim genauen Studium der österreichischen Medien in der letzten Woche, seit dem Sieg der KPÖ-Vorsitzenden Elke Kahr bei der Gemeinderatswahl am 26.9.2021. Tage davor hatten die österreichischen Zeitungen noch einen klaren Sieg der ÖVP unter Nagl vorhergesagt.

Der Falter prognostizierte im Portrait über Elke Kahr „Die Wohlfühl-Marxistin“„Bei der Gemeinderatswahl am kommenden Sonntag wird Langzeitbürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) Platz eins halten. Die KPÖ, stabil zweitstärkste Kraft, dürfte zu ihren 20,3 Prozent aber dazugewinnen. Die ÖVP trommelt, weit übertrieben, gar schon einen „Zweikampf“.“

Der Standard verbreitete in einem Artikel mit dem klingenden Namen „Die rote Zelle in Graz“ auch das Red-Baiting diverser ÖVP-Politikerinnen, die warnend schon vor der Wahl aussprachen: „Graz ist kein marxistisches Versuchslabor für links-linke Träumereien, die dieser Stadt nachhaltig ihre Lebensqualität und ihre Attraktivität rauben.“ Weiter nahm man mahnend einen „Staatsbankrott“ und „Massenarbeitslosigkeit“ vorweg. Bezirksabteilungen der ÖVP Graz verbreiteten auf Facebook Bilder von aus der DDR fliehenden Soldaten. Man fühlte sich fast an die Wahlplakate der ÖVP zur Nationalratswahl 1949 erinnert: „Du wirst zum Knecht der Kolchose! Davor schützt Dich nur die ÖSTERREICHISCHE VOLKSPARTEI!

Mit der Fällung von 8.000 Bäumen für das „größte Klimaschutzprojekt der Stadt“, das Murkraftwerk, und der bahnbrechenden Idee in Graz – einer Stadt die man innerhalb von einer halben Stunde leicht zu Fuß durchquert – eine U-Bahn zu bauen, konnte die ÖVP dennoch viele Wählerinnen nicht davon überzeugen, ihre Politik werde die Lebensqualität vieler Grazerinnen steigern und der „Massenarbeitslosigkeit“ Einhalt gebieten. Der 18 Jahre amtierende Bürgermeister Nagl hatte sich besonders durch seine zukunftsweisenden, unverwirklichbaren und finanziell ruinösen Ideen einen Namen gemacht. Weder konnte er die Grazer Olympia-Kandidatur für 2026 durchsetzen, noch war die Idee des Baus einer Gondel auf den Plabutsch erfolgreich. Einen kleinen Erfolg erzielte man mit der Sanierung der vorsintflutlichen Murinsel, die es zumindest in die Verfilmung eines Brenner-Krimis geschafft hat. 

Nun aber hat Siegfried Nagl seine „helfende Hand von Graz“ zurückgezogen und es dem Untergang freigegeben, denn wider Erwarten konnte Elke Kahr die Wahl für sich entscheiden. Schon flackert die Angst vor der „roten Gefahr“ massenmedial auf. 

Armin Wolf ist es im ersten Interview nach Elke Kahrs Sieg besonders wichtig zu betonen, dass nur knappe 30% der zur Wahl erschienenen Wählerinnen Kahr tatsächlich gewählt hatten, um später draufzusetzen: „Jetzt präsentieren Sie sich im Alltag ja eher wie die Caritas und weniger wie eine KPÖ, aber Sie sagen ja auch ganz klar: Ich bin eine Marxistin, und Sie haben hier in der ZIB 2 mal gesagt: KPÖ ist ein guter Name für die Partei. Wieso ist Kommunistische Partei im Jahr 2021 noch ein guter Name, nach all den Verbrechen mit Abermillionen Toten die Kommunisten überall wo sie regiert haben in der Geschichte, begangen haben? (…) Ist vielleicht das das eigentliche Geheimnis Ihres Erfolges, dass Sie als Kommunistin in Graz eigentlich nichts anrichten können, weil ja niemand vermutet, dass Sie als Bürgermeisterin die Styria enteignen werden, oder die Villen in Rosenhain, oder eine Diktatur des Proletariats errichten, weil eh nicht so viel Kommunismus da sein wird an der kommunistischen Bürgermeisterin?“

Von „Leningraz“ ist wieder die Rede und von „Stalinismus“, der „noch in der Grazer KPÖ steckt“. Man postet Artikel über den niedrigen Lebensstandard und die kurze Lebenserwartung in den postsowjetischen Staaten Osteuropas und darüber, dass die KPÖ-Spitze 1947/48 „über eine Teilung Österreichs nachdachte“ und die sowjetische Besatzungszone in einen kommunistischen Staat umwandeln wollte. An anderer Stelle mahnt man die „dunklen Kapitel dieser Partei“ nicht zu vergessen, denn „Dort, wo die Kommunisten regierten, lief praktisch alles schlecht“. Christian Ortner bezeichnet den Wahlsieg Kahrs gar als „Die Schande von Graz“, denn mit der Wahl der Grazer KPÖ gebe man schließlich „ein Bekenntnis zu einer der verbrecherischsten Ideologien“ ab, „die je diesen Planeten geschunden haben“. „Kahrs Wähler haben kommunistisch gewählt“, zitiert er Thomas Eppinger „Ob sie geschichtsvergessen oder politisch ungebildet oder beides sind, spielt keine Rolle.“ Ortner mahnt abschließend: „(…) Angst kann man vor einem Souverän haben, der so wählt, wie das in Graz am letzten Sonntag der Fall war.

Elke Kahr führt das Erbe Ernest Kalteneggers fort. Dieser hatte mit Sprechstunden und Sozialberatungen für die Grazer Bürgerinnen begonnen. Realpolitik, die sich der Probleme der Einwohnerinnen konkret annimmt, konnte der KPÖ zu konstantem Zulauf verhelfen. Die KPÖ-Funktionäre treten 2/3 ihrer Politikergehälter ab, die in einem Sozialfonds landen und jenen zur Verfügung gestellt werden, die es brauchen. Mit Wohnungspolitik konnte man punkten. 

Im Standard spricht man angesichts dessen höhnisch vom „Caritasprinzip“ der Grazer KPÖ und weist darauf hin „Marx hätte es Almosen genannt“, in der Presse fantasiert man vom „Radical Chic am linken Mur-Ufer“ und davon “wie sich eine Marxistin als Sozialarbeiterin gibt“. Die Wahl der Kommunisten in Graz durch Bürgerliche könne nur dadurch erklärt werden, dass sie Bobos eine Möglichkeit „zur gepflegten Provokation“ biete. Denn: „Mit den alten leninistischen Hammer-und-Sichel-Kommunisten hat die Grazer KPÖ tatsächlich wenig zu tun.

Der Vorwurf des linken Populismus ändert aber nichts daran, dass solche Hilfsmaßnahmen für bedürftige Menschen akut mehr Unterschied machen, als das ideologische Beharren auf – zumindest theoretische – Veränderung des Systems – das der Grazer KPÖ auch von Seiten der Bundes-KPÖ immer wieder zum Vorwurf gemacht wird, denn es fehle der ideologische Überbau. Dass ein solcher Populismus wahrscheinlich mehr ausmacht, als die provokative Pose auf der Met-Gala im „Tax the Rich“-Fummel, darf man ja dann fast nicht mehr erwähnen. 

Da sich die weitgehend historisch ahnungslose „liberale“ Journalistenbubble in Österreich gerade derart neurotisch an einer Grazer Stadtregierung abarbeitet, eine kleine historische Erinnerung:

Nach den umfangreichen Wahlverlusten der Christlichsozialen Partei von 1927 […] setzten sich innerhalb der Christlichsozialen Partei immer deutlicher jene Kräfte durch, die auf eine Veränderung des parlamentarisch-demokratischen Systems in Richtung eines autoritären, „organisch-ständischen“ Aufbaues für Österreich hinarbeiteten.“ (Staudinger 2005)

Nun kann man sich mit Blick auf die politische Geschichte Österreichs hoffentlich einigen, dass die Austrofaschisten eine weit fatalere Rolle gespielt haben, als die Kommunisten, die in der Ersten Republik so gut wie einflusslos waren, da sie intern zerstritten waren und erst in Folge ihres Verbots durch die Austrofaschisten zur Massenpartei avancierten. Zur Zeit des Nationalsozialismus spielte die KPÖ – auch daran soll erinnert sein – eine wesentliche Rolle in der österreichischen Widerstandsbewegung. Man fragt sich, ob es das ist, was Liberale in Österreich besonders abstößt?

Was ist das besonders Erschreckende am Sieg der KPÖ in der Grazer Kommunalpolitik? Und sind ähnliche Reaktionen in Zukunft auch bei Wahlsiegen der Nachfolgepartei der Vaterländischen Front, ÖVP, zu erwarten? Werden wir mit massenweise Artikeln über Pinochet und Mussolini beglückt? 

Wird von besagten österreichischen Journalisten von nun an bei einem Wahlsieg der ÖVP ebenso reflexartig der Austrofaschismus und bei einem Wahlsieg der FPÖ, immerhin Nachfolgepartei des VdU – einem Zusammenschluss ehemaliger Nationalsozialisten – der Nationalsozialismus thematisiert? 

Im Sommer 2017 vermeldete die ÖVP nun bereit zu sein sich im Zuge eines Umbaus des Parlaments vom Dollfuß-Portrait in den Räumlichkeiten des Parlamentsklubs zu trennen. Das Bild wurde, neben anderen, dem Niederösterreichischen Landesmuseum zur Verfügung gestellt. Der damalige Clubchef Lopatka begründete dies damit, dass es im Übergangsquartier am Heldenplatz nicht genug Platz gäbe die Bilder aufzuhängen. Erst 2014 hatte man dem Portrait ein Taferl beigefügt, um zumindest daran zu erinnern, dass es einmal so etwas wie Austrofaschismus gegeben hat.

Unter Herausgeberinnen 3. Männer + Hoden + YouTube + Gewalt – Teil 3

Link zu Teil 1

Link zu Teil 2

Stefan: Die Gewalt in den Foren gehört als Vorbereitungsritual zum Mord mittlerweile dazu. Viele Medien spielen dabei mit. Nach dem Tod von Modell Kasia Lenhardt, die nach ihrer Trennung von einem Fußballer stark unter Onlinehetze gelitten hat, titelt ein online Schmierblatt „Ex-Freundin von Jérome Boateng“ um dann erst damit rauszurücken, dass die 25 jährige gerade unter schlimmen Umständen verstorben ist. 

Ela: Das ist ja auch interessant. Sie macht öffentlich, dass er sie verdroschen hat, darauf patzt er sie an und liefert sie dem Mob aus. Sie begeht Selbstmord. Jetzt findet man auf ihrem Körper Spuren von Misshandlung und leitet ein Verfahren gegen ihn ein. Das Beste ist aber, das war nicht der erste Vorwurf gegen ihn wegen Körperverletzung. Es gab schon einmal ein Verfahren, da ging es aber um eine andere Frau. Jedenfalls: Wie läuft die Diskussion? Man möchte die Vorwürfe mit Geldmacherei abtun. Man soll doch den armen Boateng endlich in Ruhe lassen, das Goldkind. Aber was bei ihr falsch lief, darf man sich schon fragen, weil schließlich hat sie sich am Geburtstag ihres Sohnes umgebracht.

Stefan: Die Frau als Anhängsel des Mannes. Ihr Tod dargestellt wie ein in Kauf zu nehmendes (natürliches) Ergebnis der Trennung. Mir ist bewusst, dass diese Analogie sehr subtil ist und manchen nicht überzeugen wird. Aber es ist ein Faktum, dass der Onlinehetze gegen Frauen massenweise Gewalt im echten Leben folgt. Und es ist ein Faktum, dass Behörden dieses Problem ignorieren. Ich kenne persönlich mehrere Fälle in denen Frauen gestalked, bedroht und verfolgt wurden und die Polizei sie mit der Auskunft alleine gelassen hat, dass sie erst handeln kann, wenn etwas passiert ist. 

Ela: Es ist ja nicht so, dass dann, wenn was passiert, die Polizei sich ermittlungstechnisch besonders positiv hervortut. 

Stefan: Das fängt damit an, dass die Gewalt im digitalen Raum und die analogen Taten zwar oft zusammen gehören, aber von polizeilicher Ermittlung jeweils getrennt analysiert und ermittelt werden. Dabei sind bereits sehr viele Fälle dokumentiert in denen Frauen zuerst jahrelang gestalked und bloßgestellt werden, bevor ihr Verfolger dann zur Tat schreitet. Diese Stalker nützen die digitale Technik und die sozialen Medien um ihren Opfern möglichst nahe zu kommen, sie auszuspionieren, zu manipulieren und letztendlich um sie jederzeit ausfindig zu machen. In Hannover war jetzt ein H&M Mitarbeiter zwei Jahre hinter einer jüngeren Kollegin her mit Trackern und Spyware, bevor er letztlich eine Nacht unter ihrem Bett verbracht hat um sie am nächsten Tag zu ermorden. Das ist eigentlich Stoff für einen Horrorfilm, aber passiert in unterschiedlichen Ausmaßen wahrscheinlich öfter als man glaubt. 

Es gibt jedenfalls gesellschaftliche Hintergründe für die Morde an Frauen und diese kann man teilweise ungefiltert auf sozialen Medien mitlesen. Leider nimmt die Gesellschaft sie meistens nicht ernst. Aber auch weil viele der frauenfeindlichen Aussagen die da getätigt werden auf eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz stoßen. Auch bei Frauen. 

Ich nehm aus unserem Gespräch mit, dass Männer nicht so blöd geboren werden, wie sie sich durch Nachdenken dann freiwillig machen. Und da fällt mir dann eine besondere Spezies Mann ein, die vor allem online eine gewisse Rolle spielt beim Nachdenken über und Zudecken von Gewaltverhältnissen. Ich nenne sie die linken Kulturmänner. Den Begriff habe ich mir gerade ausgedacht. Aber er basiert schon auf konkreten Beobachtungen. Es geht jetzt nicht um die ur Entdeckung. Es ist vielmehr der Hinweis auf ein Randphänomen des Hodenschaukelns, das viel zu oft unbeachtet bleibt, weils als nicht so wichtig erscheint. 

Die linken Kulturmänner sind große Jungs, manche Ende 50 oder älter, die aus unterschiedlichen Gründen seit Jahrzehnten in der Kulturbranche drinnen sind und sich auf ihre Leistungen sehr viel einbilden. Auch wenns nicht immer ganz so berühmt war, was sie gemacht haben. Aber sie haben irgendwie immer am Rand der High Society verbracht. Am Rand des politischen Geschehens. Am Rand der großen Partys. Und in ihrer Neuerzählung mit Ende 50 sind sie plötzlich im Mittelpunkt. Darum sind sie umgeben von Bewunderern und stellen sich den freiwilligen Adoranten als richtig dicke Fische dar. Sie haben alles schon einmal erlebt und teilen ihre Lebenserfahrung mit allen. Sie erklären die Welt und zeigen gerne wen sie alles kennengelernt haben auf ihrem langen Weg. Vor allem belehren sie gerne darüber, wie die Welt wirklich ist und was sie immer schon so gesagt haben in ihrem langen erfüllten beneidenswerten Leben. Am Ende läuft aber jede Statusmeldung darauf hinaus die eigene Wichtigkeit zu unterstreichen und der Welt zu offenbaren: „Ich habe es schon 1986 gewusst.“ 

Ela: Lustig, dass du das erwähnst. Ich hatte so einen in meiner Inbox, Künstler, der anscheinend nur schwer damit umgehen konnte, dass ich seinem ständigen Bedürfnis von mir unterhalten zu werden, nicht nachgekommen bin. Das war einer, der wahrscheinlich nur Leute um sich hat, die seine Genialität niemals hinterfragen würden. Seine Frustration darüber, dass er dachte man könne „Menschen konsumieren, wie guten Wein“, doch das sei nur ein „temporärer Genuss“, hat er mir dann natürlich sogleich mitgeteilt. Auf meine Erklärung, dass ich momentan aus persönlichen Gründen kein Interesse an längeren Gesprächen habe, warf er mir Narzissmus vor. Das ist das „Warum antwortest du nicht, du hässliche Fotze?“ der linken Kulturmänner. Ab und zu bekomme ich noch gehässige Nachrichten, ich denk das ist zyklusabhängig.

Das sind halt die Leute die mit 17 schon besoffen Schas geredet haben und das „philosophieren“ genannt haben, und leider hat ihnen nie jemand gesagt, dass es Schas ist, sondern alle sind auf ihren Schas immer total ernsthaft eingegangen und haben sie dadurch erst so richtig bestätigt in ihrem Schas, weil dann waren sie erst recht davon überzeugt, dass sie außergewöhnlich intelligent sein mussten. So haben sie sich in ihre eigenen Gedanken verliebt, dass sie inzwischen gar nicht mehr hinterfragen, ob es Schas sein könnte, weil sie immer bestätigt bekamen, was sie eh schon immer vermutet haben: Dass sie Genies sind. Und dann sagen sie: „Es werde Licht!“ und die Mutter dreht das Licht auf für den Burli.

Da gibt’s diesen Französischen Bildteppich aus dem 16. Jahrhundert, wo eine Frau mit genervten Gesichtsaudruck einen Spiegel für ein Einhorn hält, das sich begeistert betrachtet.

Stefan: Das Einhorn ist Jesus und die Frau ist die Jungfrau Maria.

Ela: Ich glaub das ist eine Referenz auf die Ehe, aber ja vielleicht eh Jesus und Maria, Mutter-Sohn-Beziehung. Die Frau hält den Spiegel für den Mann, der sich begeistert darin betrachtet. Sie bestätigt ihm seine Großartigkeit. Er ist tatsächlich ein Einhorn, ein ganz besonderer Junge.

Stefan: Selbstbewusstsein bedeutet im Kulturmännerjargon, dass sie wild und frei sein wollen. Auch beim Denken. Sie sind Verteidiger der Meinungsfreiheit, der Libertinage, der Gerechtigkeit, des guten Lebens. Über all das wissen sie persönlich Bescheid. Sie haben es ja erlebt. Und dieses lehrreiche Denken erledigen sie daher am liebsten öffentlich und in Form eines lehrreichen Vortrags bei dem alle Felder des Wissens von ihnen so expertenmäßig abgedeckt werden, dass die Stimmen von echten Experten für die jeweiligen Themenbereiche schon eher nur mehr Störgeräusche für sie sind. 

Sie machen diese öffentlichen Belehrungen ja für das Wohl aller Menschen. Der ganzen Hascherln für die sie alles durchdenken um ihr Leben nach ihrem Vorbild zu ordnen. Dieses Sendungsbewusstsein steht natürlich dann konträr zum Anspruch des freien Denkens, des antiautoritären Führers der sie so gern sein wollen. Daher sind sie dann dementsprechend auch peinlich berührt und schlagen wild um sich, wenn man sie ebenso öffentlich auf die kleinen Fehler aufmerksam macht, die beim großen Denken so passieren können und in aller Öffentlichkeit schnell sichtbar werden. Da entstehen narzisstische Kränkungen. Daher kontrollieren sie die Zusammensetzung ihres Publikums wie die kleinen Diktatoren die sie eigentlich gerne wären.

Ela: Der Otto Mühl, den du im ersten Teil erwähnt hast, hat das in den 60ern ganz konkret ausgesprochen: „Das Schlachten von Menschen darf nicht Staatsmonopol sein.

Stefan: Ja sie Konkurrieren eigentlich nur mit Gott und dem Staat in ihrem Anspruch. Manchem großen Verteidiger der Meinungsfreiheit ist die Meinung der anderen plötzlich nichts mehr wert, wenn sie der eigenen entgegensteht. Manchem großen Kritiker des Mainstreams ist die eine Gegenmeinung in seinem persönlichen Mainstream so sehr ein Dorn im Auge, dass er diese sofort und ohne weitere Diskussion aus diesem entfernen muss. 

Und oft genug wird beim öffentlichen Hodenschaukeln dann auch noch die Vernunft zugunsten des eigenen Egos ad acta gelegt. Denn wenn man so lebenserfahren, links und männlich ist wie diese Kulturmänner, dann kann man schon mal antifeministische, antisemitische und antiintellektuell Einstellungen pflegen ohne sich dadurch selbst in einem schlechten Licht betrachten zu müssen.

So gibt es Exemplare dieses Kulturmannes die Prostitution ganz super finden, weil Sexarbeit ist Arbeit, eine sehr wertvolle und wichtige Arbeit. Das älteste Gewerbe. Weil Sex darf nicht nur in der Ehe stattfinden. Und wo sollen denn die Männer hingehen, wenn sie Druck haben? Das führt ja sonst nur zur Gewalt, wenn man Frauen nicht mehr für Geld vergewaltigen darf. Und es gibt ja auch diese und jene Prostituierte die sie mal im Kulturmännerfernsehen gesehen haben und die hat persönlich versichert, dass Prostitution vollkommen selbstbestimmt und frei ist und alle Frauen das in Wahrheit gerne machen. Deshalb finden sie es auch Hetze, wenn Freier juristisch belangt werden sollen.

Ela: Brownmiller beschreibt ganz gut: „Mir graut vor reglementierter Prostitution nicht deshalb, weil sie kein Mittel gegen Vergewaltigung ist, sondern weil damit das finanzielle, wenn nicht gar gottgegebene Recht des Mannes auf den Körper einer Frau institutionalisiert und damit die Vorstellung nur fester verankert würde, daß Sex eine Dienstleistung der Frau sei, die keinem zivilisierten Mann verweigert werden sollte.“

Dieses Selbstbild, Libertines, Bohemiens, frei und wild, das kommt ja auch im Pro-Prostitutions-Diskurs nicht zu kurz, das ist eventuell ein Grund, warum das bei der Klientel so beliebt ist. Wie Kajsa Ekis Ekman zeigt in „Being and Being Bought“: Offenheit gegen Zensur, Liberalismus gegen Moralismus, alles mit etwas Gossenromantik, Hurenfetischismus und sexueller Revolution garniert. Antiporno- bzw. Anti-Prostitution werden nicht zufällig mit religiösem Lobbyismus vermischt. Die liberale Marktökonomie macht sich im Zusammenhang mit Prostitution den kartesianischen Dualismus zunutze. Die Trennung von Körper und Geist erfüllt sich in der Sexarbeit. Dissoziation als Business-Modell. 

Wichtig ist, zu wissen, dass man eine Prostituierte natürlich nicht vergewaltigen kann. 2005 stellte ein wegen Vergewaltigungen an Prostituierten angeklagter „Gürtel-König“ vor Gericht die Frage „Seit wann kann man a Hur‘ vergewaltigen?“ und der Richter überzeugte durch besondere Kenntnis der Küchenpsychologie, als er davon sprach, dass Prostituierte „wahrscheinlich“ eine „Vergewaltigung (…) leichter weg(stecken)“. Der Staatsanwalt unterbot dieses Theater noch, indem er als mildernden Umstand zugunsten des Angeklagten anführte „Prostituierte werden nicht besonders erniedrigt, wenn sie vergewaltigt werden“. Dass Studien zufolge ca. 60% der Prostituierten an Posttraumatischer Belastungsstörung leiden, tut natürlich nichts zur Sache, denn Justitia ist stets neutral, besonders bei Vergewaltigung. Der Angeklagte bekam übrigens 3 Jahre.

Der Weininger hat die Frauen in zwei Typen eingeteilt: Die Mutter und die Dirne. Seiner Meinung nach ist die Anlage zum „Dirnentum“ bei Frauen von Geburt an fix, ähnlich wie die Eignung zur Mutterschaft. „Die Prostitution kann also keineswegs als etwas betrachtet werden, wohin erst der Mann die Frau gedrängt hat. Oft genug wird sicherlich ein Mann die Schuld tragen, wenn ein Mädchen ihren Dienst verlassen mußte und sich brotlos fand. Daß aber in solchem Falle zu etwas gegriffen werden kann, wie es die Prostitution ist, muß in der Natur des menschlichen Weibes selbst liegen.“

Aber die Einteilung ist auch ein alter Hut. Ebenfalls unter Solon wurden staatliche Bordelle in Athen legalisiert. Man musste ja zwischen guten und schlechten Frauen unterscheiden können. Die guten Frauen waren natürlich Mütter. Ich fand das schon immer ein wenig neurotisch, dieser Wunsch dass eine Frau bestenfalls geschlechtslos zu sein hat, während sie gleichzeitig aber die Mutterrolle zu verkörpern hat. Denn, wie kommt sie denn zu ihren Kindern? Das hat die Kirche ganz gut hingekriegt, die hat die Maria ja zur Heiligen erhoben, die eine ewige Jungfrau war und Fleischeslust nicht einmal vom Hörensagen kannte. Damit hat sie den Frauen ganz gut aufgezeigt, dass sie diese Stufe an Tugendhaftigkeit nie erreichen werden. Die perfekte Frau hat geschlechtslos zu sein und gleichzeitig eine sorgende Mutter. Daraus entsteht dann diese kognitive Dissonanz, die bis heute nicht überwunden ist. 

Das haben sie in der Republik Gilead (Handmaid’s Tale) praktisch gelöst. Die Weltbevölkerung muss mit einer nie dagewesenen Unfruchtbarkeit umgehen und an der Ostküste der USA hat eine Junta bestehend aus Mitgliedern der Verschwörungsgruppe „Söhne Jakobs“ nach einem Putsch einen theokratischen Staat gegründet. Dort gibt es Frauen, die nur für die Reproduktion zuständig sind, die Handmaids. In der Bibel blieb Jakobs Ehe mit Rahel kinderlos, daher befahl Rahel Jakob ihr mit der Magd Bilha ein Kind zu zeugen. In einer monatlich stattfindenden Zeremonie, die durch die fruchtbaren Tage der Handmaids festgelegt wird, wohnen die Ehefrauen der Vergewaltigung der Handmaids durch die Commanders (Ehemänner) bei. Während der Commander die Magd vergewaltigt, liegt deren Kopf im Schoß der Ehefrau, die ihr die Hände festhält. Nach der Geburt des Kindes wird dieses von der Mutter getrennt, da es ihr nie „gehörte“. Die Kinder gehen an die Ehefrauen (Wives), unter Obhut des Commanders. Dann gibt’s natürlich noch andere Frauenrollen, Marthas, Tanten (Aunts), etc. und Prostituierte (eine Option für Unfrauen/gefallene Frauen die im Bordell „Jezebel’s“ arbeiten). In Athen hatte man halt Hetären, Konkubinen und Ehefrauen. Aber die Einteilung hat immer noch Wirkmacht. Kajsa Ekis Ekman beschreibt wie diese Einteilung heute durch Prostitution und Leihmutterschaft, in der Kommerzialisierung von Sexualität und Reproduktion, weiterwirkt.

In den 70ern hat es in Yorkshire, England, eine Mordserie gegeben. Frauenmorde. Die ersten Opfer waren Frauen aus der Arbeiterklasse, Alleinstehende, Mütter von Kindern, die mehr schlecht als recht über die Runden kamen. Dass sich der Fundort der ersten Leichen in der Nähe des Rotlichtviertels befand, hat sofort zur Annahme der Polizei geführt, dass es sich bei den Opfern um Prostituierte handeln muss, eine Behauptung, die die Presse nur zu gerne übernahm. Dass einige Opfer sich aus finanziellen Nöten heraus prostituiert haben, hat sich dann bestätigt. Deswegen hat man geglaubt, dass Frauen aus anderen Gesellschaftsschichten nichts zu befürchten haben. Das wurde ja auch von der Polizei bestätigt, die öffentlich aussagte, dass der Mörder Prostituierte hasst. Die Presse hat dann den passenden Namen gefunden. Jack The Ripper, der Prostituiertenmörder aus dem viktorianischen London, wurde zum Patron. Man einigte sich auf den Yorkshire Ripper. Vom dritten Opfer wusste die Polizei, dass es „bis 10 Tage vor dem Mord“ ein „respektables Leben“ geführt hatte. Dann hat es „einen Statusverlust“ durchgemacht und war auf der „Straße unterwegs“. Dann fand man das fünfte Opfer, ein 16-jähriges „unschuldiges“ Mädchen und hätte feststellen können, dass der Täter wohl doch Frauen im Allgemeinen hasste. Die Dichotomie zwischen „gefallener“ und „unschuldiger“ Frau zu verwerfen, schien aber keine Option zu sein. Stattdessen unterstellte man dem Ripper das Mädchen für ein Prostituierte gehalten zu haben. Es musste sich um ein Missverständnis handeln. Um dem Mörder seinen Irrtum zu erklären, hat man sich via Brief in der Zeitung direkt an ihn gewandt. „Wie hast du dich gestern gefühlt, als bekannt wurde, dass dein blutiger Feldzug gegen Strichmädchen so schrecklich missglückt ist, dass dein rachgieriges Messer solch ein unschuldiges Opfer fand? Geisteskrank, wie du sicher bist, musst du doch einen Funken Reue gefühlt haben, als du dich von Jaynes Blutflecken befreit hast.“ Später tötet er, zum Schrecken der Polizei, auch Frauen aus der Mittelschicht, was die Polizei zunächst aber noch immer nicht von ihrer Prostituiertenmörder-Theorie abbringen kann. Als der Groschen dann endlich fällt, spricht die Polizei die Empfehlung aus, dass Frauen halt einfach das Haus in der Nacht nicht mehr verlassen sollen. 

Das erinnert stark an die Entführung und den anschließenden Mord an Sarah Everard kürzlich in London. Diese Empfehlung ist immer schnell ausgesprochen, wenn dann aber eine Politikerin der Grünen Partei scherzhaft vorgeschlägt, dass man doch anstatt über eine Ausgangssperre für Frauen nachzudenken, eine Ausgangssperre für Männer überlegen könnte, kriechen die Empörten aus ihren Löchern. Man könne ja nicht ein gesamtes Geschlecht dafür bestrafen, was Einzelne machen. Dass umgekehrt diese einfache Lösung aber immer wieder als legitim zu gelten scheint, dafür hat die Empörung leider nicht mehr gereicht.

Stefan: Es ist in dem Zusammenhang auch interessant zu beobachten, wie schnell Politiker Personenschutz erhalten und wie lange es bei Künstler_innen, und eben bei Frauen, dauern kann bis sie wirksam geschützt werden. Ich würde gern mal sehen, wie diese Debatte laufen würde, wenn es einen Stadiongassen Ripper gäbe, der es nur auf Parlamentarier abgesehen hätte. Der wäre wahrscheinlich in Nullkommanichts gefasst bzw. die Schutzmaßnahmen für die Parlamentarier würden Unsummen verschlingen.

Ela: Aber lustig, dass der Yorkshire Ripper der Polizei quasi so offensichtlich unter die Nase gerieben hat, dass sie ihm eigentlich egal ist, diese Unterscheidung zwischen guter und schlechter Frau. In seinen Augen waren alle Frauen gleich schlecht. Sutcliffe, der Ripper,  ist übrigens 2020 an Corona gestorben. Die Presse hat jedenfalls eine große Rolle gespielt, gemeinsam mit der Polizei, weil sie sich so an die Dichotomie geklammert haben und dadurch dieses Bild medial verbreitet, bis sie letztendlich den Trugschluss zugeben mussten. 

Stefan: Im Umkehrschluss dürften ja Prostituierte für die Yorkshire Polizei keine Frauen bzw. schützenswerte Bürgerinnen gewesen sein.

Ela: Das kommt auch bei „The Fall“ vor.  Bei der Vorbereitung auf eine Pressekonferenz über die Frauenmorde legt Stella Gibson dar was problematisch ist an dieser Darstellung. „Bezeichnen wir sie nicht als unschuldig.“ Auf den Einwand ihres Kollegen „Sie waren unschuldig.“, antwortet Gibson: „Was ist, wenn er als nächstes eine Prostituierte tötet, oder eine Frau die spätnachts betrunken und in einem kurzen Rock nachhause geht? Wird sie auf irgendeine Art weniger unschuldig sein (…), schuldhafter? Die Medien lieben es Frauen in Jungfrauen und Vamps zu unterteilen, Engel oder Huren, ermuntern wir sie nicht dazu.“

Also wie über Frauen berichtet wird in solchen Fällen, das hat sicher einen großen Einfluss auf die Ereignisse. Und wie man über Prostituierte spricht sicher auch. Damit meine ich aber nicht diesen „Job wie jeder andere“ Schwachsinn.  Ja bitte, bei welchem anderen normalen Job hast du denn eine 18-fach höhere Wahrscheinlichkeit ermordet zu werden, eine 12-fach höhere Sterberate als die Durchschnittsbevölkerung und eine überdurschnittliche  Chance eine Posttraumatische Belastungsstörung davonzutragen? Aber bei dem ganzen „individuelle Entscheidung“ Gedöns, kann man schon mal Anti Sex Work mit Anti Sex Worker verwechseln. Wenn nämlich alles eine individuelle Entscheidung ist, die man zweifellos nicht anzweifeln darf, weil das wäre Hass, sind auch alle negativen Aspekte nur individuelle Probleme. Und Körper verkommen zur „Ressource in der Sexindustrie“. So einfach ist das. Wenn die Selbstaussage der gesellschaftlichen Zuschreibung Platz macht und zum bestimmenden Argument des sogenannten Feminismus wird, kommt es zur Dekonstruktion der Frau als politisches Subjekt. Dann kann es vorkommen, dass die Minderheit der selbstbestimmten Prostituierten für Personen wie Sibel Schick zur schützenswerten Minderheit wird, für die man dann die 90% nicht selbstbestimmte Mehrheit mit dem Verweis auf Minderheitenrechte opfern kann. Freiwilligkeit ist einfach kein Argument für die Bewertung reaktionärer, frauenfeindlicher Praktiken. Ob eine Frau sich für eine Rolle oder Tätigkeit entscheidet, ist kein Kriterium für die Beurteilung dieser Rolle bzw. Tätigkeit, sondern ob die Ausübung dieser Rolle/Tätigkeit für ein Gros der Frauen den negativen Effekt hat Frauen als Gruppe unterzuordnen und auszubeuten. Aber sicher wird den Leuten wieder ein zynischer Schwachsinn zur Lösung des Problems einfallen, wie der sarkastische Vorschlag eines Facebook-Kommentators, ein Biosiegel für Bordelle einzuführen, mit Kontrollbesuchen von Staatsbeamten, die die Jochbeine der Damen kontrollieren.  Blau sei schlecht, grün-gelb gehe gerade noch durch, wenn es keine Flecken gäbe, sei das ein Indiz für die Freiwilligkeit. Ich schlage als Draufgabe eine ähnliche Lösung wie CO2-Zertifikate auch für Freier vor. Beim Eingang ins Bordell könnte man Scheine kaufen, moderne Ablassbriefe, mit dem Geld werden Frauenhäuser erhalten, als Ausgleich für die Posttraumatische Belastungsstörung, die die Prostituierten davontragen. Die könnte man dann stolz sogar der Ehefrau zeigen. Übrigens, wie ich finde, eine bessere Idee als der Schutzbrief gegen Weibliche Genitalverstümmelung der Stadt Hamburg, den betroffene Mädchen bei einer Reise ins Heimatland vorweisen sollen, um einer Genitalverstümmelung durch die Familie zu entgehen.

In Deutschland hat ein Ermittler, der Undercover im Rotlichtmilieu arbeitete, eine Prostituierte erwischt, die während des Corona-Lockdown arbeitete. Die Frau musste 1.500 Euro Bußgeld bezahlen. Insgesamt wären es fast 8.100 Euro gewesen, dagegen hat sie aber Einspruch erhoben. Sie hat bestimmt illegal gearbeitet, weil es ihr so Spaß machte sich gegen Bezahlung von fremden Männern ficken zu lassen, die sich über ihre Grenzen hinwegsetzen. Das Bußgeld zahlt sie sicher ab, indem sie in Zukunft nicht gegen die Lockdown-Regelungen verstößt. Besonders schön an der Geschichte finde ich auch, dass der Ermittler, als Kunde getarnt, nicht nur einmal, sondern mehrmals „ihre Dienste in Anspruch genommen hat“, ehe er sie auffliegen ließ. Der hat seine Arbeit wahrscheinlich besonders ernst genommen. 

Eine andere Prostituierte wurde mit (vorbestraftem) Zuhälter an der Grenze zu Österreich festgenommen. Gegen ihn lief ein Verfahren wegen Zwangsprostitution. Trotzdem wurde er frei gelassen, die Frau haben sie wegen illegaler Prostitution in die Münchner Justizvollzugsanstalt gesperrt. Der Zuhälter hat zwar behauptet, dass er sie auslösen wird, hat das dann aber überraschenderweise nicht gemacht.

Das liberale Prostitutionsgesetz in Deutschland produziert aber nicht nur Polizisten, die sich einen Orden verdient hätten, sondern auch Menschenhandel, denn das Angebot hat sich nach der Nachfrage zu richten, wie wir wissen, und da überraschenderweise nur die wenigsten Frauen, obwohl es sich um „einen Job wie jeden anderen“ handelt, sich selbst oder ihren Töchtern wünschen, diesem normalen Job nachzugehen, besteht meist ein Ungleichgewicht zwischen der Nachfrage und dem tatsächlichen Angebot. Andrea K., eine junge Frau aus Hannover, wurde 2020 für 2.000 Euro von ihren bisherigen „Besitzern“ weiterverkauft und von den folgenden bald darauf in der Weser ertränkt da sie, aufgrund einer psychischen Krankheit, nicht mehr an Freier vermittelbar war und damit nichts mehr wert. Zur Sicherheit hat man sie mit einer Waschbetonplatte beschwert, nicht dass sie nochmal auftaucht! 

Dass Prostitution und Sklaverei nicht weit voneinander entfernt liegen, zeigt sich klar auch, wenn wir uns anschauen wie zb. der IS das heute handhabt. Übrigens auch wieder ein Beispiel dafür, dass Dschihadisten auch nur Konsumenten sind. So beschwert sich ein neuseeländischer Dschihadist in einem Zeitungsinterview, dass er zu arm war sich eine ezidische Sklavin zu leisten. Für eine ältere Frau hätte er 4.000 Dollar ausgeben müssen, für eine „ordentliche“ Sklavin mindestens 10.000-20.000 Dollar. In Christina Lambs „Our Bodies their Battlefield“ berichtet eine ehemalige ezidische Sklavin, dass im Online-Forum „Caliphate Market“ neben Playstations und Gebrauchtwägen Frauen angeboten wurden.

Stefan: Wie du oben eh schon geschrieben hast. Das was Freud als Kastrationskomplex beschreibt, ist Resultat der durchaus mangelhaften sexuellen Entwicklung vieler Männer. Kastrationsangst ist im Wortsinn das Ergebnis eines narzisstischen Interesses für die eigenen Genitalien. Die dann in der Alltagskultur im ständigen Schwanzvergleich zwanghaft hervorgehoben werden müssen. Es ist kein Zufall, dass darin auch, Weininger schau oba, ein Grundstein für den Judenhass gelegt ist. Denn mit derselben Intensität, mit der diese Männlichkeit das Weibliche bekämpft, dass es nur als kastriert, als weniger, wahrnehmen kann, mit dieser Intensität trennt es auch das Jüdische vom eigenen narzisstisch männlichen ab. Das Weibliche ist das Gegenmännliche, das Jüdische das Gegenvolk. Das steht so auch schon bei Hitler. Aber wenn die Juden das Gegenvolk sind, dann kann der Israelische Staat nur eine absolute narzisstische Kränkung sein, ein Unding, dass die Genitalnarzissten immer wieder zu neuen intellektuellen Tiefstleistungen anspornt. 

Apropos Djihadismus und Dummheit. Es gibt auch Exemplare von linken Kulturmännern, die waren mal in Iran und haben seither Ahnung vom Volk der Iraner und finden – das wird man ja wohl noch sagen dürfen – die Israelis haben den Iranern übel mitgespielt und das sollte auch in jeder Dokumentation über die Region eine Rolle spielen. Also wenn ein Dokumentarfilmer darauf besteht, dass die Vernichtungsdrohungen des Irans gegen Israel auf einer Spirale aus gegenseitiger Intoleranz basiert, das die iranische Revolution die Menschen befreit hat, oder versucht die Verwicklung des Iran in den Hisbollah Anschlag auf das Quartier der US-Marines in Beirut 1983 mit dem Satz die Wahrnehmung bestimme die Realität und die USA neigen ja prinzipiell zur Lüge zu relativieren, dann ist das für den Kulturmann natürlich legitim.  

Abgesehen davon kann man mit demselben linken Kulturmann-Furor dann auch noch die Kritiker der Doku als Nazibüttel beschimpfen, weil wenn der Macher von einer mit antiisraelischen Klischees spielenden Doku Jude ist, dann darf man die antiisraelischen Klischees darin keinesfalls kritisieren. Und als selbstbewusster Kulturmann kann man dem noch hinterherschicken man denke tatsächlich, dass nur Juden diesen Diskurs über diese Doku führen sollten. Weil man selber ist zwar auch kein Jude, aber jedenfalls ehrbar in den antisemitischen Klischees die man benutzt. Also aufgemerkt, der linke Kulturmann, der selber kein Jude ist, hat zwar gegen eine nachweisbar falsche Kritik am jüdischen Staat nichts einzuwenden, solange sie von Juden kommt, aber sieht kein Problem darin selbst den jüdischen Staat genau auf der Basis dieser nachweisbar falschen Kritik zu diskreditieren. 

Die Nazis sind jedenfalls beim linken Kulturmann immer die anderen. So wie ja auch die Frauen immer die anderen sind und jedenfalls aufgrund ihres Mangels an Penis nicht gleichwertig.

Damit ist nicht gesagt, dass diese Kulturmänner Gewalt gegen Frauen befürworten, es ist damit nur gesagt, dass wir mit reichweitenstarken öffentlichen Meinungen konfrontiert sind, die unsere politische Urteilskraft immer wieder neu auf die Probe stellen.

Die Frau ist auch im linken Männerdiskurs über männliche Gewalt oft nur Unterpfand. Sie wird als Projektionsfläche verwendet um die eigene Gesinnung in die Öffentlichkeit zu tragen. 

Ein Mädchen wurde vergewaltigt und ermordet. Den Rechten fallen dazu nur rassistische Kommentare ein. „Alle Ausländer sind Frauenmörder, sie gehören alle abgeschoben. Eine genaue Aufklärung der Tat ist nicht nötig.“ Der Tathergang wird in der Phantasie rekonstruiert und ausgeschmückt. 

Und den Linken?

Den Männern unter ihnen fällt auffallend wenig anderes ein. „Ein möglicher Tathergang könnte gewesen sein …“, so beginnen Sätze, die die Welt nicht braucht. „Das was dem Mädchen passiert ist, ist furchtbar, aber …“, erinnert an „Ich bin nicht gegen Ausländer, aber …“. Gewalt gegen Frauen und Mädchen vorbehaltlos zu verdammen, fällt denselben Männern, die sich jegliche rassistische Gewalt vollkommen selbstverständlich verbieten, oft sehr schwer. Wo im Fall eines rassistischen Anschlages vollkommen zu Recht unmissverständlich protestiert wird, wo ohne Wenn und Aber Stellung bezogen wird, ist das beim Mord an einem kleinen Mädchen nicht ganz so einfach. „Man muss diese Sache differenziert betrachten.“ „Der Mörder kommt aus einem Kriegsgebiet.“ „Er war selber noch ein Kind als er nach Österreich kam.“ „Was hat der Österreichische Staat ihm nicht ausreichend gegeben, dass er zum Mörder werden musste?“

Solche und ähnliche Fragen sind perfide. Nicht nur, weil sie die Gewalt, bevor der Fall noch aufgeklärt ist, relativieren und die Schuld überall, nur nicht beim voll strafmündigen Tatverdächtigen suchen. Sondern auch, weil sie den möglichen Täter zum Pawlowschen Hund erniedrigen. „Der konnte nicht anders.“ Das ist es, was sie sagen. Das ist es, was sie bei rassistischer Gewalt niemals gelten lassen würden. Bei Gewalt gegen Frauen und Mädchen offenbar teilweise schon.

Da werden Szenarien entworfen, wie der mögliche Tathergang gewesen sein könnte. „Sie ist von zu Hause weggelaufen, hat sich Drogen kaufen wollen, hat mit Sex für diese Drogen bezahlt. Ist dann eventuell einfach von selbst erstickt, hat sich womöglich die Hämatome alle selbst zugefügt.“ Jedenfalls hat sie womöglich „überreagiert“und „Atemprobleme bekommen“, 13 ist ja bekanntermaßen „für sowas ein schwieriges Alter“. „Vor allem bei Mädchen.“

Ela: Vergiss bitte nicht zu erwähnen, dass sie wie 18 bis 25 ausgesehen hat, das ist besonders wichtig für die Relativierung. Und die Frage ob das Mädchen einen Freund hatte, zu dem der Altersunterschied weniger als drei Jahre betrug. Am liebsten wäre es diesen Leuten jedenfalls, wenn das Mädchen einfach spontan selbst gestorben wäre, sich selbst unter Drogen gesetzt, sich sowohl selbst sexuell missbraucht und Hämatome zugezogen hätte, ein Verbrechen ohne Täter. Jedenfalls ist es wahrscheinlicher, dass sie sich für Drogen prostituierte, als dass die mehrfach vorbestraften Verdächtigen sie vergewaltigten, zu einem Baum in der Nähe schleppten und dagegen lehnten, weil warum sollten sie den Verdacht auf sich selbst lenken? Wahrscheinlich hat der Pürstl höchstpersönlich sie dort drapiert. 

Stefan: Naja man steht ja wirklich zwischen Skylla und Charybdis, wenn man wählen muss zwischen dem rechten Rassismus und dem linken Frauenhass. Aber das hat auch theoretische Grundlagen. Die linken Männer haben es nicht leicht. Hatten sie noch nie. Nach Marx ist ja der Hauptwiderspruch, den es zu bearbeiten gilt, der zwischen Kapital und Arbeit. Manchem linken Mann ist das mittlerweile zu wenig. Er hat neben dem Klassenkampf auch den Rassismus für sich entdeckt. Aber die Frauen, die waren immer eine Marginalie in diesem Denken. Ein Nebenwiderspruch, der mit der Reproduktionsarbeit irgendwo im unpolitischen Eck herumgelegen ist, bis ihn die Feministinnen in den Mittelpunkt gerückt haben. Kurz hats gedauert. Der Postfeminismus hat den Fokus auf die männliche Gewalt gegen Frauen durch endlose intersektionelle Ergänzungen wieder in den Hintergrund gedrängt. Geblieben ist das wichtige Gespür für Rassismus und die vielen strukturellen Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaften. 

Verschwunden ist aber das Bedürfnis die strukturelle männliche Gewalt aus einer weiblichen Perspektive anzugreifen. Unter den tödlichen gesellschaftlichen Widersprüchen ist die Gewalt von Männern gegen Frauen nur eine von vielen und wie man sieht nicht die wichtigste, sobald sie mit einer anderen konkurrieren muss.

Das wäre für sich noch nicht das Schlimmste. Aber der Antirassismus der linken Kulturmänner geht im Wortsinn diskursiv über Frauenleichen. Und sie merken es oft nicht einmal. Anstatt, dass sie beides gleich wichtig nehmen, den Kampf für die Rechte der Frauen und den Kampf gegen den Rassismus, wägen sie immer ab und entscheiden sich im Zweifelsfall gegen die Frauen. 

Wie steht es mit der in Österreich weltberühmten Internet-Schriftstellerin, die vor Jahren in einem FB Posting über ihre Vergewaltigung in einem Park geschrieben hat? Die überraschende Pointe war, dass sie ihren Vergewaltiger nicht angezeigt hat, weil sie fürchtete er würde abgeschoben werden.  Wenn sogar manche Frauen so unsicher über ihren Wert sind, dass sie lieber als Faktotum einer antirassistischen Attitüde herhalten wollen, als ihre Rechte zu verteidigen. Ist dann dieser Kulturmänner-Antifeminismus daran nicht mitbeteiligt? Was sagen die Frauen dazu die potentiell wieder Opfer dieses Mannes werden konnten? War es ihnen gegenüber solidarisch dieses Verbrechen nicht anzuzeigen?

Wieso ist es nicht möglich eine antirassistische Position zu beziehen, ohne ein kleines Mädchen dafür diskursiv opfern zu müssen? Wieso lässt sich Rassismus in den Augen diese Männer nur wirksam verurteilen, wenn ein vergewaltigtes und ermordetes Mädchen an seinem Leiden und Tod selber schuld ist? Was hilft das den 99% anständigen Afghanen, dass dieses Mädchen jetzt nach ihrem Tod öffentlich erniedrigt wird, nur um sagen zu können: der Staat oder die ÖVP ist schuld, dass ein junger Mann zu einem Gewalttäter wurde? Nicht, dass das keine Rolle spielen würde. Es ist wichtig, dass immer wieder zu erwähnen und strukturellen Rassismus sichtbar zu machen. Aber muss es wirklich auf den Schultern eines ermordeten Mädchens, auf den Körpern der unzähligen geschlagenen, vergewaltigten, missbrauchten Frauen geschehen, für die ein männlicher Täter halt immer noch in erster Linie ein männlicher Täter und nicht entweder ein armes afghanisches Hascherl oder ein authochtoner Nazi-Brutalomörder ist. 

Die Antwort der Männer auf solche Bedenken fällt bezeichnend aus. Von allen habe ich gegenüber ihrer in der absoluten Mehrzahl weiblichen Kritikern den Vorwurf gehört sie seien zu emotional. Die „hochkochenden Emotionen“ versperrten ihnen die Sicht auf die wahre Problematik und auch wenn die Sätze brutal klängen, so wären sie ja doch objektiv richtig und notwendig. Eine andere Strategie war Unverständnis zu unterstellen oder absichtliches Missverstehen.

Ela: Evan Stark spricht (im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt zwar, aber es passt auch hier ganz gut) von der Gleichsetzung der Maskulinität mit der Humanität, der unreflektierten Annahme, dass das „universelle Maskuline“ legitimer Standard dafür ist, was in menschlichen Beziehungen rational, räsonable und richtig ist, während das Feminine als irrational, emotional und unmoralisch gilt.

Stefan: Frauen, die Gewalt erfahren haben, verstehen auch die Sprache dieser strukturellen Gewalt. Sie kennen die Relativierungen von Polizisten, Ämtern und teilweise der eigenen Familie zur Genüge. Jeder Satz eine Re-Traumatisierung. „Warum sind sie nicht früher nach Hause gegangen?“ „Haben sie aufreizende Kleidung getragen?“ „Warum haben sie sich nicht gewehrt?“ „Vielleicht erinnern sie sich falsch.“ „Vielleicht haben sie sich einen Vorteil erhofft.“ „Vielleicht hat sich das 13 jährige Mädchen ja freiwillig für Drogen stundenlang misshandeln lassen.

Diese Sprache hinterlässt Narben. Sie wird von allen verstanden, außer von den Männern, die sie immer wieder verwenden um zu zeigen, dass ihnen ihre politische Agenda wichtiger ist als das Leben von Frauen und Mädchen.

Ela: Um Frauen geht es wahrscheinlich bei diesen Gesprächen aber gar nicht, die sind nur argumentative Verhandlungsmasse im Diskurs, die man bei Bedarf in Stellung bringt. Ob die von Afghanen oder autochthonen Österreichern vergewaltigt werden, spielt für sie aber keine Rolle. 

Stefan: Es ist ihnen egal, welche Männer ihnen Gewalt antun, es sind halt immer Männer. Und immer Männer, die es relativieren.

Ela: Je nach politischer Fasson. Die einen mokieren sich, dass Vergewaltigung nur bei afghanischen (migrantischen) Tätern öffentlich gemacht und (OH NO!) häufiger angezeigt wird, die anderen behaupten, dass Afghanen (bzw. Migranten) besonders zur Vergewaltigung neigen und drücken die Augen zu, wenn es um Fälle von vergewaltigenden Österreichern geht. Während sich aber die linken Kulturmänner darüber echauffieren, dass man sich rechts nur für Vergewaltigung interessiere, wenn es sich um afghanische Täter handle, sind für sie selbst doch auch allein die afghanischen Täter der Aufmacher, warum sie sich plötzlich für das Thema Vergewaltigung interessieren. Die einen beweinen die vergewaltigenden Afghanen, die anderen die vorverurteilten Afghanen. Um das eigentliche Problem (die Vergewaltigung von Frauen) geht es beiden nicht. 

Leichtherzig kommentiert es sich dann, als nicht Betroffener (Mann) über die philosophische Frage, ob es eine gute Lösung sei, wenn nach einer Abschiebung die afghanischen Männer eben die afghanischen Frauen vergewaltigten. Da kann man dann noch ein halblustiges „Unsere Frauen für unsere Leute!“ hinterherschieben, ein Schenkelklopfer, den sich ein österreichischer Journalist auf Facebook nicht entgehen lassen konnte. Dass in Österreich die Verurteilungsquote bei Vergewaltigung für die ca. 9% angezeigten Delikte zwischen 2012 und 2016 bei ungefähr 17 % lag und 2019 gar nur um die 10% herumgrundelte, kann ja dann das Problem der betroffenen Personen sein. Ebenso wie die Tatsache, dass sich durch Zuwanderung von gewaltbereiten Männern die Anzahl der bereits im Land ansässigen gewaltbereiten Männer nicht etwa proportional verringert. 

Besonders gut finde ich es auch immer, wenn sie dann kommentieren, dass man sich nach irgendwelchen US-Kriegen – sie schreiben allgemein von der „westlichen Welt“ – „nicht wundern“ braucht, wenn „sowas passiert“. Dass die sich des Zynismus der Aussage nicht bewusst sind! Sie bestehen darauf die Humanität von Flüchtlingen anzuerkennen, ihre Traumata einzubeziehen, wenn sie einem 13-jährigen Mädchen 10 Ecstasy-Tabletten verabreichen, es vergewaltigen und damit ihren Tod riskieren. Die Humanität der Frauen aber, die es tatsächlich betrifft, wenn Staatsanwaltschaften das Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ vorwegnehmen, so dass es gar nicht zur Gerichtsverhandlung kommen kann, wenn dadurch Vergewaltiger mit einem Fingerklopfen davonkommen, für die also eine steigende Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen tatsächlich eine Rolle spielt, die nehmen sie nicht einmal wahr. Das erinnert mich auch wieder an den Van der Bellen Kopftuchsager: „dann wird man halt alle Frauen bitten müssen…“.  Frauen sollen sich den Ideologien von Männern unterwerfen – wir erinnern uns an Kant – denn sie selbst sind gar nicht zu Prinzipien fähig, also muss man sie eben drum bitten, die Funzen. 

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