Unter Genießerinnen

Unter Redakteurinnen 2. Aneignen, Kochen, Kannibalisieren

Ela: Diesmal machen wir ein Koch-Special, weil unser Publikum darum gebeten hat.

Vice hat Anfang November einen Artikel darüber veröffentlicht, wie man am besten sein Thanksgiving Dinner dekolonialisiert. Der beginnt mit der Behauptung „Wenn dein Lieblingsfleisch, -gemüse und deine Lieblingsfrüchte dieses Thanksgiving mit dir reden könnten, würden sie dir wahrscheinlich von allen historischen Traumen erzählen, die sie erdulden mussten, als sie durch die Alte und Neue Welt reisten, sich entwickelten, und schließlich als Zutaten in deinem Lieblingsgericht landeten.“ Die dekolonialisierte Küche soll Menschen dazu bringen ihre indigenen Wurzeln durch die Ernährungswahl zu ehren. Als Beispiel werden dann auch gleich mexikanische Amerikaner genannt, die sich gefälligst mit Mais, Tomaten, Kakao, Spirulina, Avocado und anderen indigen mexikanischen Nahrungsmitteln vollfressen sollen.

Aber ist es nicht einfach so, dass Kochen und Ernährung immer stark von den Umständen und der Zeit abhängig sind? Natürlich ist es logisch, dass sich ein vorkapitalistischer indigener Stamm irgendwo in Zentralamerika, abgeschieden vom Rest der Welt, von Früchten und Gemüse ernährt, das sich vor Ort befindet. Aber sollen sich die modernen Mexikaner dann auch wieder von den rückgezüchteten Maishalmen der Vergangenheit ernähren? Sollen wir Österreicher uns jetzt die nächsten 100 Jahre mit Kriegsrezepten und Restlessen die Arterien verstopfen? Grenadiermarsch, Schinkenfleckerl, Krautfleckerl, Bohnensterz, Einbrennsuppe, Paprikahendl, Gulasch? Ist ja nicht schlecht ab und zu, aber ab einem gewissen Zeitpunkt dann doch wenig abwechslungsreich.

Stefan, du als nativer Niederösterreicher, wie ehrst du deine Wurzeln ernährungstechnisch?

Stefan: Ich hab mich vor dem Essen in NÖ immer ein bissl gegraust. Die böhmischen Anteile fand ich gut. Aber wieso man zb gehobelte Gurken kochen sollte, hab ich nie verstanden. Oder warum isst man Knackwurscht oder Zeller? Ich muss das jetzt abbrechen, ich würd mich sonst retraumatisieren. Ich hab aber schon als Kleinkind vom Opa ein Bier ins Glasl gekriegt, wenn ich bei ihm gesessen bin. Also ich will nicht alles schwarz malen. Die Niederösterreicher haben übrigens einen durchaus nüchternen Blick auf sich selber. Wenn man das in diesem Zusammenhang so sagen kann. Das Zwettler Bier bewerben sie jedenfalls mit den Worten: „Gutes Land. Gutes Bier.“ Ein Gut ist bekanntermaßen ja ein Zweier im Zeugnis. Also das ist doch mal eine realistische Selbsteinschätzung. Knapp neben der Wiener Selbsteinschätzung: „Oarsch.“ Die ist ein Dreier im Zeugnis, oder?

Ela: Mich graust es besonders vor unnatürlich aussehenden Farben und Formen. Ein gutes Beispiel ist da auch der Aspik-Wahn in den 70er-Jahren. Wo man das gesamte Buffet in einen riesigen Pudding des Grauens gepackt hat. Ich weiß aber gar nicht, ob ich das grausliger finden soll, als die bunten Einhorn-Cubcakes mit grün gefärbtem Fondant, übrigens eine der abscheulichsten Arten der Glasur überhaupt, mit rosa Streusel und Glitzer.

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bratwursts%C3%BClze_Br%C3%BCckkanal.jpg

Andererseits erfindet der Ruf nach einer Dekolonialisierung der Küche jetzt auch nicht das Rad neu. Nach den Experimenten der Molekularküche in den 90ern und frühen 2000ern, wo man Tomatenketchup mit Räucheraromen in Alginatkaviarform zu einem Burgermousse mit Pommeszuckerwatte bekommen hätte, herrscht schon seit fast 20 Jahren in der gehobenen Küche eine Rückkehr zu saisonalen und regionalen Lebensmitteln. Heute serviert man Pastinaken mit einer leichten Erdkruste auf Moos mit fermentierten Tomatengatsch zu Pumpernickel gefüllt mit Pferdegrammeltatar und Vogerl-Zimtfarn-Salat.

Arg ist aber, dass wir vor ein paar Wochen noch Witze gemacht haben und einen Kochworkshop geplant. „Decolonize Gault Millau“. Du hast ja sogar ein Menü zusammengestellt.

Stefan: Roher Vollkornreis mit Algengelatine in Salzwasser mit einem Hauch Jojoba-Öl in einem am Strand von Guinea gefundenen Krebspanzer serviert, dazu selbstvergorene Bananenjauche mit Palinquè-Wurzelsauce.

Ela: Das Klingt nach Kolonialküche. Schäm dich!

Stefan: Sautierte Sandburg muss vorher durch den Kaurimuschelfilter, man will sich ja keine außer-europäische Währung aneignen. Ist Sauerteig eine Deutsche Speise? Und warum heißt bei den lieben Nachbarn alles so grauslich? Eisbein. Sauerteig. Klöpse. Das sind keine Sachen die man isst, sondern Zeugs aus dem Werkzeugkasten. Und dann plötzlich wieder sowas weiches und tropfendes wie „Sahne“. Da sagen wir Schlagobers und jetzt bin ich verwirrt.

Sauerkraut gehört uns dafür allen. Wobei auch Krauts zu den Deutschen gesagt wurde. Die Franzosen haben Butter zu den Deutschen gesagt. Das verstehe wer will.

Ela: Naja, Butter muss man schlagen, damit sie Form annimmt. Das ist ein brutales Handwerk. Sauerteig ist die Mutter aller Teige, im Burgenland ist das das Ura, ich glaub das war das Treibmittel aus dem schon damals, vor 6000 Jahren Adam und Eva entstanden. Das heißt die waren Deutsche? Und Gott ein Sauerteig?

Stefan: Die Deutschen sind im Gegensatz zur Schaumgeburt eher ein Volk das aus einem aufgehenden Teig herausquillt. Ein überschießendes Soufflee. Ein Ameisenvulkan mit lauter fleißigen kleinen Tierchen, die der Königin was zu essen holen und die ruft mit matter Stimme „Wir schaffen das.“ hinterher. Österreicher dagegen sind eher mit einer Grießnockerlsuppe vergleichbar. So völlig diffuse Leute ohne Geruchssinn. Schwimmen in der Suppe herum und manchmal kommt der Schnittlauch und kontrolliert den Ausweis. Dann setzt man kurz das Spritzerglasl vom Mund ab und zückt den Führerschein. Also ich glaub nicht, dass mich das ständige Biertrinken als 3 Jähriger auf lange Sicht irgendwie geschädigt hat.

Habts ihr im Burgenland auch so Großeltern die euch sofort nach der Geburt zum Alkoholiker gemacht haben?

Ela: Das ist witzig. Das muss so eine Kriegsgenerationen-Kaprize sein. Bei mir war’s die Uroma. Die hat meiner Kusine und mir oft Bier eingeschenkt. Ich mochte das aber nicht. Aber bei meiner Großtante durfte ich mir Rum in den Tee schütten, den mag ich schon seit ich denken kann.

Stefan: Rum- und Mohnzutz kenn ich auch nur ausm Marchfeld. Selber habe ich das nicht genossen, aber ich glaub meine unmittelbaren Vorfahren teilweise schon. Das Wort vom Rauschkind kommt ja daher. Apropos Rauschkinder.

Es gibt ja auch die Sage, dass die Philosophie beim Fressen und Saufen geboren wurde. Bei den Gastmählern der alten Griechen, wo dann die Männer, die sonst nichts konnten, groß dahergeredet haben, damit man ihnen zumindest beim Gastmahl was zu Saufen gibt.

Beim Gastmahl des Lukian haben sie dann aber mit Weinbehältern aufeinander geworfen und aufeinander eingeprügelt. Im 2. Jahrhundert nach Christus. Da waren die Griechen schon Barbaren.

Ela: Ich habe als Kind regelmäßig mit gekochten Spaghetti gehäkelt, das war aber auch mein einziger Ausflug in die Handarbeit. Meine Schwester hat sich wie Arielle mit der Gabel gekämmt. Aber sich mit Weingläsern zu prügeln, das geht zu weit. Das werden aber wahrscheinlich dann massivere Gläser gewesen sein, wir haben daheim welche, die bekommen schon einen Sprung wenn man sie zu lange ansieht.

Stefan: Der Egon Friedell hat das für uns recherchiert. Er bemerkt: „Das Glas sagt den Griechen offenbar nichts.“ Also sie hätten es schon kennen können, von den Persern, Ägyptern, Phöniziern, aber sie wollten nicht. Die fanden das dekadent. Ich glaub die Griechen hatten eher Holz- oder Tonbecher, oder irgendein Metall. Also da sind sicher ein paar blutige Nasen rausgekommen. Ich kenn das schon, dass Gläser fliegen. Ich sag jetzt nicht wo, aber ich kenn das aus mehreren Wiener Lokalen, dass das möglich ist. Kommt auch bisschen auf die Leute an mit denen man unterwegs ist. Weil oft lassen sich Leute ja leicht beleidigen, wenn sie schon bisschen was intus haben. Da kann auch ein Streit übers Essen zu fliegenden Glasln führen.

„Des Schnitzel is a panierte Serviettn.“„Na.“„Doch!“„Stirb!“ … Klirr.

Ela: Was unbestritten ist: rassistisches Essen muss weg.

Stefan: Aber vielleicht gleich das ganze Essen und nicht nur der Name? Schokolade mit Schokoladenbutter und Schokoladenteig mit Schlagobers dazu ist ja sowieso laut Versicherungstrojaner ein Grund um zwei Stufen in der Gunst der Versicherer zu fallen. Und Paprika und Zwiebeln vertragen auch nicht alle. Dann wird die Gebühr beim dritten Teller in der Woche unbezahlbar.

Dabei denk ich mir: Wird Essen eine Frage der Versicherung? Wenn man feststellt, dass ich ein Risiko habe für Diabetes und ich lasse nicht vom Met ab, werde ich dann entversichert? Meine Versicherung rückabgewickelt? Sozusagen mein Leben per E-Card darmgespiegelt und ich dann gesellschaftlich enterbt von jeder Gesundheitsleistung?

Müssen wir dann eingeschläfert werden bei Wagnermusik oder Smetana und zu Soylent Green verarbeitet werden mit knallenden Fanfaren in einer Hinterhoffabrik der Regierung, die bisher niemand entdeckt hat? Gehen die Leute die dort arbeiten dann noch essen?

Kann man aus Menschen etwas anderes als Soylent Green machen, ohne dass sie es bemerken? So ein halbkannibalischer Chefkoch, der bei einer dieser Kochwettbewerbsendungen jeden zweiten Ausscheidenden (zwinky-zwonky) filetiert und dann mit Couscous an Minzjauche verspeist? Der also den Geschmack von Menschenfleisch sofort rausschmeckt aus dem angeblichen Veggieburger. Veggiezeugs und Würste eignen sich ja hervorragend um seltsame Geschmäcker drinnen zu verstecken. Die Liste an Inhaltsstoffen ist oft so lang, dass man sie nicht fertig lesen kann an einem Tag. Wenn da an vorletzter Stelle steht: „Menschenaroma“ dann liest das bestimmt nur jeder zehntausendste und von denen hat dann nur jeder tausendste was einzuwenden. Und von denen ist nur jeder 150.000 nicht zu depressiv um etwas zu unternehmen.

Ela: Weil du gefragt hast, ob man aus Menschen auch etwas anderes als Soylent Green machen kann… Ich find das kann man mit der Hannibal Serie (2013) von Bryan Fuller ganz gut belegen. Das war ja auch ein kulinarisches Highlight. Die Folgen waren nach Gängen oder Gerichten benannt, die erste Staffel nach Begriffen aus der französischen Küche, die zweite nach japanischen und die dritte nach italienischen. Da hat man immer abwechselnd gesehen wie Hannibal oder ein anderer Mörder auf Menschenjagd gegangen sind und nach dem Schnitt ist Hannibal dann in seiner Küche mit Edelstahl-Arbeitsplatte gestanden und hat ein nicht näher bestimmtes Stück Fleisch filetiert. Da hat man immer einer Mischung aus Grauen und Hunger verspürt. Dann gab es natürlich die episodische Dinner-Szene, wo dann noch einmal alles pompös inszeniert war. Die hatten ja extra eine Food-Designerin, Janice Poon, engagiert. Das war dann immer ein wunderschön und grotesk arrangiertes Memento Mori, mit Früchten und Trauben, bisschen mexikanisch anmutend, eine Mischung aus Blumenbouquet und makabrem Vanitas-Stillleben. Obwohl man natürlich sagen kann, dass Gillian Andersons Bein keine Janice Poon braucht um gut auszusehen. Es gibt übrigens zur Serie auch ein Kochbuch „Feeding Hannibal“, seh ich gerade. Das wünsch ich mir jetzt zu Weihnachten, wenn der Finale Cliffhanger schon für die Ewigkeit sein wird.

Stefan: Kannibalismus ist ja jetzt nicht unbedingt ein Kavaliersdelikt. Aber der Hannibal kommt dann doch sympathisch rüber. Der deutsche Herr Lecter wirkt ja nicht so ur sympathisch. Der Armin M. Aber hat jetzt auch eine Freundin, oder?

Ela: Sagt zumindest die Krone. Die hat ihm kurz nach der Verhaftung einen Brief ins Hefn geschickt, zur Aufmunterung. Jetzt sind sie mehr als Brieffreunde. Sie sei eine „nette Frau“, das klingt so ähnlich wie die Zwettler-Werbung, find ich. Er träumt sogar davon eine „echte Beziehung“ mit ihr zu führen. Ich wär‘ da ja ein wenig misstrauisch, wenn ich die Frau wäre, hätte ihm aber wahrscheinlich auch keinen „Aufmunterungsbrief“ geschickt. Man wundert sich was da drin stand. „Lieber Armin, gräm dich nicht, wir wissen alle, dass du nichts falsch gemacht hast, du warst halt neugierig und hast dem Mann was Gutes tun wollen. Bussi.“ Armin M. wird auf Wikipedia übrigens als Computertechniker geführt. Der Boulevard weiß auch, dass er sein Abendessen gern mit einem Schlückchen Rotwein genoss, das hat er sich vorher mit seinem Opfer ausgemacht, dass das ganz besonders zelebrierte Mahlzeiten sein sollten. Auf die Idee Menschen zu verspeisen, hat ihn Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ gebracht. Ich bin mir aber sicher, dass er populärkulturell auch nicht ganz unbefleckt war und den einen oder anderen Thomas Harris gelesen hat. Ich finde, synonym zur Videospieldebatte nach Amokläufen, könnte man sich da auch fragen ob man Bücher verbieten sollte.

Stefan: Nebenbei bemerkt titelt der National Geographic „Kannibalismus-Studie: Menschen sind nicht sehr nahrhaft“. Menschen können demnach nicht mit Mammuts mithalten. Also wahrscheinlich zahlt es sich wiedermal gar nicht aus das zu beginnen. Tendenzen dazu hätte ich schon. Wenn man jemanden sehr liebt und auf die Person körperlich steht, hat man wirklich manchmal das Bedürfnis sie zu essen. Das ist, glaube ich, ein sexueller Fetischismus. Das einem der Partner so gut gefällt, dass man dauernd an ihm herumknabbern will.

Ela: Im Türkischen sagt man das, wenn man jemand süß findet „Yerim“ oder „Seni yerim“, ich esse (dich).

Stefan: Oh das find ich lieb. Es gibt ja auch so viele süße Köstlichkeiten aus der Türkei.

Ela: Weniger süß, … ich hab jüngstens wieder den Eingangsdialog aus „You only live twice“ gehört. Den möchte ich dir nicht vorenthalten. Bond liegt im Bett mit einer nicht näher definierten Chinesin und fragt „Warum schmecken Chinesinnen eigentlich anders als unsere Frauen?“ Die Chinesin antwortet „Du meinst hoffentlich besser“, worauf Bond nachlegt „Hm, nur ein bisschen anders. So wie Peking-Ente sich von russischem Kaviar unterscheidet. Aber ich mag beides.“ Erinnert mich bisschen an „Das Parfum“, in dem der Serienmörder Grenouille dann am Ende von einem Mob aufgefressen wird, weil er endlich sein perfektes Parfum hergestellt hat, aus dem Duft der von ihm getöteten Mädchen, und unwiderstehlich geworden ist.

Stefan: Das ist nicht süß. Aber wenn wir schon vom Fernsehen reden. Baby Yoda ist ur süß.

Spoiler Alert! Sein Name ist Grogu.

Die Serie The Mandalorian ist jetzt nicht völlig gelungen. Da gibt es in der ersten Staffel ein paar sehr naive Folgen. Aber der kleine Yoda ist natürlich immer sehenswert. In der zweiten Staffel gibt es eine Folge, da begleiten sie eine Echsenfrau die mit einem Behälter unterwegs ist, in dem sie ihre Eier transportiert. Der kleine Yoda verdrückt ja gern mal alles was er so findet. Öfters auch einen lebenden Frosch. Und er beginnt die Eier zu snacken. Dabei sind die Eier von einer aussterbenden Spezies. Also literally die letzten ihrer Art. Das hat dann natürlich zu einem shitstorm geführt, weil das ja Genozid ist und nicht lustig. Ich geb‘ zu ich hatte auch ein mulmiges Gefühl jedesmal wenn der kleine Vielfraß allein war mit diesen Eiern. Aber ich hab etwas verstanden, was die Leute die sich gar so aufregen glaub ich nicht kapiert haben: Das ist eine fiktive Gschicht. Und außerdem frisst er nur drei von den Eiern und man sieht am Ende wie sie glücklich mit ihren übrigen Babys die Art retten.

Womit wir wieder bei den grauslichen Sachen sind. Es gibt unzählige Gründe für Kannibalismus. Also es geht nicht immer nur um Sex.

Den finde ich am ungewöhnlichsten: „Pietätskannibalismus – den Verwandten, sei es ein Vorfahre oder ein eigenes Kind, aus Respekt, Liebe oder Trauer würdevoll ehren, aber auch sicher verwahren.“ Dadurch, dass man ihn aufisst. „Hallo Gerti, ja ich hab den Nazl-Onkel grad tot am Klo gefunden. Ja schaut schrecklich aus der Arme. Ur peinlich. Einfach umgekippt beim großen Geschäft. Sag, kannst du mit den Kindern vorbeikommen und wir essen den gleich gemeinsam auf, sonst schämt sich seine Leiche nachher beim Abholen. Ja super danke. Bis gleich.“ Es gibt auch Menschen die heben sich bei der Geburt ihrer Kinder die Plazenta auf und essen das dann. Nabelschnur könnte man auch essen, oder?

Ela: Das ist wieder so eine Art Restlessen, oder? Laut Herodot waren die Massageten, ein zentralasiatisches Volk im heutigen Iran, Endokannibalen. Alte Menschen wurden geopfert, ihr Fleisch gekocht und gemeinsam verzehrt. Kranke Menschen dagegen wurde begraben und betrauert, dass sie nicht zu den Glücklichen zählten. Die aßen ihre verstorbenen Verwandten also um sie zu ehren.

Stefan: Aber gscheid, wenn sie die Kranken nicht gegessen haben. Das hat eventuell medizinische Gründe.

Ela: Madonna schmiert sich angeblich ihre Plazenta ins Gesicht zur Verjüngung. Aber Lourdes ist jetzt doch schon ein wenig älter. Ob die noch gut ist? Aber das bringt mich wieder auf ganz was anderes. Da kommen wir wieder in die Welt der Mythen, die ja periodisch immer etwas abgeändert auftauchen, wo man auch ein bisschen erkennt, dass Antisemitismus und Misogynie oft parallel auftreten. Wenn man sich die Succubus-Geschichten anschaut, die ganzen Kindsmörderinnen und Hexen.

Dann die Mär von der Blutgräfin Erzsébet Báthory, die übrigens selbst im Prozess gegen sich keine Aussage machen durfte und die Geständnisse durch ihre Mitangeklagten wurden erfoltert. Von ihr sagt man sie habe im Blut ihrer zahlreichen Opfer gebadet um schön und jung zu bleiben.

Im Horrorfilm „Dumplings“ aus Hong Kong, kocht die Protagonistin Teigtascherl, die mit Föten aus Abtreibungskliniken gefüllt sind und von reichen Frauen gegessen werden um äußerlich jung zu bleiben. Immer wieder machen auch Geschichten über Kosmetikunternehmen die Runde, die angeblich Föten aus Abtreibungskliniken einkaufen und in ihren Cremes verwenden.

Und schau dir die Adrenochrom-Geschichten an. Die Performance-Kunst von Marina Abramović, die übrigens Vegetarierin ist, ihr „Spirit Cooking“ Event wird vollkommen unironisch als satanistisches Ritual gedeutet. In einer Galerie schrieb Abramovic in den 90ern mit Schweineblut „Anleitungen“ wie „with a sharp knife cut deeply into the middle finger of your left hand eat the pain.” an die Wand. Zudem zirkuliert ein Foto von Abramović und Lady Gaga bei einer Performance-Benefizveranstaltung im Watermill-Center, New York, wo Abramović mit dem Finger den Körper einer in einem Sarg/Becken liegenden Frau berührt, der mit einer rötlichen Flüssigkeit überzogen ist. Bei der Flüssigkeit handelt es sich aber um Honig, nicht um Blut. Die Performance ist von Lisa Lozano und nennt sich „Funerailles de Miel“. Das passt leider nicht so toll zu der Geschichte, dass Abramović, gemeinsam mit anderen einflussreichen Menschen Ritualmorde an Kindern vollziehen und die Super-Anti-Aging-Droge Adrenochrom aus ihnen gewinnen soll.

Stefan: In Zeiten in denen Fleisch essen als uncool gilt und es gleichzeitig zum Anti-Statussymbol erhoben wird hat das vielleicht einen neuen Stellenwert? Wer Teile seiner Kinder isst oder anderweitig verwertet, lebt im Sinne von Nachhaltigkeit.

Ela: Eigentlich hast du Recht. Wo wir nochmal bei Hannibal wären, in der zweiten Folge „Amuse-Bouche“ verwendet ein Mörder seine Opfer um Pilze zu züchten, weil er Ähnlichkeiten zwischen Pilzen und dem menschlichen Verstand erkennt. So sagt er über eines seiner Opfer „We all evolved from mycelium. I’m simply reintroducing her to the concept“. Der Charakter basiert übrigens auf Paul Stamets, einem Wissenschafter der sich tatsächlich mit Pilzen befasst und das Myzel als natürliches Internet der Erde bezeichnet, mit dem wir eines Tages kommunizieren werden. Warum ich aber jetzt diese ganzen Pilzgeschichten anschneide… In den Niederlanden hat ein Mann einen Sarg entworfen, der aus Myzel besteht und seine Erfindung mit den Worten anpreist „Dieser Sarg ermöglicht es uns die Erde tatsächlich mit unseren Leichen zu füttern. Wir sind Nährstoffe, kein Abfall.“ Das dahinterstehende Menschenbild dürfte der ein oder anderen aus ähnlichen Diskussionen bekannt sein.

Vielleicht könnte man sein Plazenta-Bokashi auch für das nächstjährige Biogemüse-Beet verwenden, für die Tomaten, die man sich auf der Dachterrasse selbst züchtet? Das ist übrigens ungefähr auch das Niveau auf dem die meisten Lebensmitteldiskussionen ablaufen. Fleischessen wird durchaus in den sozialen Medien mit Ferrarifahren verglichen, wie ich aus dem Facebook-Freundeskreis vernehmen durfte. Weil Ferrari kann sich auch nicht jeder leisten, warum sollte also jeder Fleisch essen können? Womit wir wieder bei der Verteilungsfrage wären, die aber auch eine Geschmacksfrage ist.

Bourdieu schreibt in „Die feinen Unterschiede“ schon in den 80ern: „Der Gegensatz von Quantität und Qualität, von ausladendem Teller und kleiner Platte, Substanz und Form wie Formen deckt sich mit der (…) Opposition zweier Varianten von Geschmack: dem aus Not und Zwang geborenen, der zu gleicherweise nahrhaften und kostensparenden Speisen greifen läßt; dem aus Freiheit – oder Luxus – geborenen Geschmack, der, anders als beim Drauflos-Essen der populären Kreise, das Hauptaugenmerk von der Substanz auf die Manier (des Vorzeigens, Auftischens, Essens, usw.) verlagert, und dies vermittelt über die Intention zur Stilisierung, die der Form und den Formen eine Verleugnung der Funktion abverlangt.“ Mit ein wenig Polemik, könnte man behaupten der Veganismus sei sowohl Distinktionsversuch wie auch Rache des Kleinbürgertums an den niederen Klassen, deren vulgärer Fleischkonsum, mit dem sie die Fleischindustrie am Leben zu erhalten scheinen, den mittleren Klassen schon länger ein Dorn im Auge ist.

PETA Deutschland hat übrigens 2013 stolz verkündet, dass sie Armin M. zum Vegetarismus bekehrt hätten, weil sie ihm nach seiner Festnahme eine „Veggie-Broschüre“ schickten. Ich finde PETA könnte sich langsam auch eine sympathische Werbeaktion mit dem bekanntesten Vegetarier Deutschlands, der ja Österreicher war, überlegen. Da wird Fleischkonsum auf eine Stufe mit Kannibalismus gesetzt.

Dass nicht nur der Teufel in der Not die Fliegen frisst, zeigt sich insbesondere wenn sich Bourdieu und Thomas Harris die Hand reichen und dabei zusehen, wie hungernde litauische Deserteure 1941 Hannibals Schwester vertilgen. Hannibals Kannibalismus als reine Traumabewältigung?

Stefan: Bourdieu schreibt ja in diesem Buch, das bis auf einige Schlussfolgerungen bis heute brauchbar ist, an einer anderen Stelle auch, dass der jeweilige Geschmack zunächst einmal aus Ekel resultiert. Also, dass wir unseren Geschmack dadurch definieren, dass wir was anderes ekelhaft finden und ablehnen. Über Geschmack streitet man nicht, weil jeder Geschmack als Habitus sich anfühlt als wär er uns angeboren. Der Geschmack der anderen ist indiskutabel, weil er ansonsten als abartig verworfen werden müsste.

Gleichzeitig verwerfen wir ja trotzdem ständig die schlechten Angewohnheiten von „Anderen“. Aber ich überlege noch, ob wir wirklich „absoluten Ekel und metaphysischen Zorn“ empfinden, wie das Bourdieu postuliert, oder eher ein ungläubiges Staunen. Weil was wir da in den sozialen Medien an Erbrochenem beobachten hat ja auch einen sakralen Charakter, insofern es besonders shiny puke ist, oder? Die „Ästhetik des Häßlichen“, wie sie Karl Rosenkranz mal runtergeschrieben hat um 1853 herum, betrachtet Ekelhaftes in diesem Sinn als Verwesendes, also Totes, vom Organismus Ausgeschiedenes. Aber manche Sachen die wir da beobachten, sind so grauslich, die kann man sich auch mit Fäkalausdrücken nicht ganz fassbar machen. Demnächst wird es da einige mit Triggerwarning versehene Gustostückerln auf unserem Blog zu sehen geben.

Ela: Kurze Anmerkung: Das ist ja insofern interessant für uns, weil es Erinnerungen an die alten Kuriositätenkabinette und Wunderkammern hervorruft, die Schönes und Bizarres für die Welt aufbewahrten und etwas zeitversetzt vor Freak Shows, ab dem 17. Jahrhundert in England populär wurden. Und genau da gehören dann auch wieder die Kannibalen hin und die Facebook-Screenshots.

Und man muss sagen, der Kannibalismus-Vorwurf wurde ja auch gerne gegen die Anderen erhoben, die Unzivilisierten. Kannibalen waren eine Attraktion, ein Spektakel. Avramescu weist nach, dass das Aufkommen der Reiseliteratur im 17. Jahrhundert einherging mit der Aufzeichnung und Erfassung bizarrer Sitten, resultierend aus der Faszination mit der Groteske. Auf diesen Listen taucht auch der Kannibalismus auf. Da der Kannibale gegen die „natürliche Ordnung der Dinge“ verstößt, regt er im 17. Jahrhundert zu Diskussionen über das Naturrecht an. Im Krieg aller gegen alle nimmt er einen zentralen Platz ein. Zunächst wird seine Existenz im moralischen Kontext wahrgenommen, im Zusammentreffen zivilisierter und unzivilisierter Völker. Kannibalen verstoßen gegen das Naturgesetz, zivilisierte Menschen essen keine Menschen. Oft wird ihnen die Menschlichkeit aberkannt, sie werden zum Monster erklärt. Oft sind sie Produkt extremer Umstände: Hunger, Zorn, religiöser Wahn, Leidenschaft. Ab dem 18. Jahrhundert verwandeln sie sich in Bürger, gezähmte Monster, Kriminelle. Kannibalismus wird nun gelernt. Er ist eine Frage des Geschmacks, der Erziehung, Sitten und sozialen Umgebung. Die Trennlinie zwischen zivilisierten und unzivilisierten Menschen ist oft die Geschmacksfrage. Wo wir dann aber wieder bei Bourdieu sind. Weil die Distinktion zwischen gutem Geschmack und schlechtem Geschmack eine Frage des Kapitalverhältnisses ist.

Stefan: Ja stimmt, nur weil etwas scheinbar Geschmackssache ist, kann es nicht auch zutiefst politisch sein. Die Gleichsetzung von Menschen und Schwammerl ist ja nicht nur eine witzige wienerische Beschimpfung, sondern auch der Versuch den Menschen ein bisserl zu relativieren. Und dabei noch mit dem argumentativen Schmäh, dass wir ja lieber Nährstoffe als Abfall sein wollen sollten. Als wär der Mensch, auch in seiner Zerfallsform auf das reduzierbar. Natürlich kann man sagen, dass einem die Seele wichtiger ist als der Körper und dass es einen Cycle of Life gibt und wir halt Staub zu Staub werden und wieder zurückkehren ins Universum, aber gleichzeitig liegt da natürlich die ganze Herrschaftsideologie aller Weltreligionen und aller Naturidealisten drinnen. Ich will das niemandem wegnehmen. Nur einmal anmerken, dass man da auch in Teufels Küche kommen kann. Denn vom „harmlosen“ „Menschen sind Nährstoffe und kein Abfall“ kommt man schnell zum Begriff des Menschenmaterials. Bei dessen Verurteilung sich übrigens Theodor Fontane (1852) und Karl Marx (1867) beinahe einig waren.  In Hitlers „Mein Kampf“ taucht der Begriff übrigens lobend an mehreren Stellen auf. Noch erweitert um das Wort „unbrauchbares“ Menschenmaterial, das dann eben ausgelöscht werden sollte. Ein essbarer Mensch ist auf drastische Weise verwertbar. Ein essbarer Mensch ist ein Schwammerl.

Ein Gedanke zu „Unter Genießerinnen“

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